Das Grauen auf dem Gottesacker

Hazel Heald und H. P. Lovecraft

Wenn die Staatsautobahn nach Rutland gesperrt ist, sind die Reisenden gezwungen, die Straße nach Stillwater, vorbei an Swamp Hollow, zu benutzen. Die Landschaft bietet stellenweise einen wirklich großartigen Anblick, und doch erfreut sich diese Strecke seit Jahren geringer Beliebtheit. Sie hat etwas Deprimierendes an sich, besonders in der Nähe von Stillwater.

Motorisierte fühlen sich von dem Bauernhaus auf der Bergkuppe mit den festverschlossenen Fensterläden auf unbestimmbare Weise unangenehm berührt, und das gilt auch für den weißbärtigen Schwachsinnigen, der sich auf dem Friedhof im Süden herumtreibt, wo er anscheinend mit den Insassen einiger Gräber redet.

Jetzt ist von Stillwater nicht mehr viel übrig. Die Krume ist ausgelaugt, und die meisten Bewohner sind in die Städte über dem fernen Fluß oder in die Stadt hinter den Bergen in der Ferne abgewandert.

Der Turm der alten weißen Kirche ist eingestürzt, und die Hälfte der rund zwanzig verstreut liegenden Häuser steht leer und befindet sich in verschiedenen Stadien des Verfalls.

Normales Leben findet man nur in der Umgebung von Pecks Gemischtwarenladen und der Tankstelle, und dort halten auch die Neugierigen ab und zu an, um sich nach dem Haus mit den verschlossenen Fensterläden und dem Idioten, der mit den Toten redet, zu erkundigen.

Die meisten Fragesteller gehen mit einem leichten Gefühl von Abscheu und Beunruhigung fort. Auf sie wirken die

heruntergekommenen Faulenzer merkwürdig unangenehm und voller dumpfer Andeutungen, wenn sie von längst vergangenen Ereignissen reden. Der Tonfall, in dem sie ganz gewöhnliche Ereignisse zu beschreiben pflegen, hat etwas Bedrohliches, Ominöses - die ausgesprochen unangebrachte Neigung, sich heimlichtuerisch, vielsagend, vertraulich zu geben und manchmal in ehrfurchtsvolles Flüstern zu verfallen - was den Zuhörer auf hinterhältige Weise verwirrt. Alte Yankees reden oft so. In diesem Fall jedoch bekommt dieses düstere, geheimnisvolle Verhalten noch zusätzliche Bedeutung durch den melancholischen Anstrich des halbverfallenen Dorfes und die triste Art der zutage tretenden Geschichte. Man spürt im Innern das reine Grauen, das dem vereinsamten Puritaner und seinen seltsamen Verdrängungen zugrunde liegt man spürt es und sehnt sich danach, so rasch wie möglich in reinere Luft zu entkommen.

Die Faulenzer flüstern bedeutsam, daß das Haus mit den verschlossenen Fensterläden der alten Miss Sprague gehört -

Sophie Sprague, deren Bruder am 17. Juni begraben wurde, vor Zeiten, im Jahr '86.

Sophie war nach diesem Begräbnis nie wieder die alte - nach dem Begräbnis und dem anderen, das sich am selben Tag ereignete -, und schließlich rührte sie sich gar nicht mehr aus dem Haus. Sie läßt sich jetzt nicht einmal sehen, sondern hinterlegt Mitteilungen unter der Matte der Hintertür und läßt sich ihre Einkäufe durch Ned Pecks Jungen aus dem Laden bringen. Sie fürchtet sich vor irgend etwas - am meisten vor dem alten Friedhof in Swamp Hollow. Sie ist nicht dorthin zu kriegen, seit ihr Bruder - und der andere - dort zur letzten Ruhe gebettet wurden. Kein Wunder allerdings in Anbetracht der Art und Weise, wie sich der verrückte Johnny Dow aufführt. Er treibt sich den ganzen Tag auf dem Friedhof herum und zuweilen auch des Nachts und behauptet, mit Tom zu reden -

und dem anderen auch. Dann marschiert er an Sophies Haus vorbei und brüllt ihr dies und das zu - und das ist der Grund, warum sie die Fensterläden nicht mehr aufmacht. Er behauptet, Wesen von irgendwo seien darauf aus, sie irgendwann zu erwischen. Dem müßte man ein Ende machen, aber man darf mit dem armen Johnny nicht zu hart ins Zeug gehen. Außerdem hatte Steve Barbour schon immer seine eigenen Meinungen.

Johnny redet mit zweien der Gräber. Das eine ist das Tom Spragues. Das andere, am entgegengesetzten Ende des Friedhofs, ist das Henry Thorndikes, der am selben Tag begraben wurde. Henry war Totengräber des Dorfes - der einzige weit und breit - und in Stillwater nie sehr beliebt. Ein Stadtmensch aus Rutland, hatte das College besucht und steckte voller Bücherwissen. Las merkwürdige Sachen, von denen niemand sonst je gehört hatte, und mischte Chemikalien, gewiß nicht zum Spaß. Versuchte immer, etwas Neues zu erfinden -

ein neumodisches Balsamieröl oder eine närrische Arznei.

Einige Leute behaupteten, er hätte Arzt werden wollen, aber das Studium nicht geschafft, und hätte deshalb den nächstbesten Beruf ergriffen. Natürlich gab es in einem Ort wie Stillwater nicht viel zu tun für einen Totengräber, aber Henry betrieb nebenbei noch Landwirtschaft.

Von gemeiner, krankhafter Neigung - dazu ein heimlicher Trinker, wenn man nach den leeren Flaschen in seinem Müll gehen konnte. Kein Wunder, daß Tom Sprague ihn haßte, ihn aus der Freimaurerloge ausschloß und ihn abwies, als er sich an Sophie heranmachen wollte. Seine Tierversuche waren gegen Natur und Bibel. Wer konnte den Zustand vergessen, in dem jener Collie aufgefunden wurde, und was mit Mrs. Akeleys Katze passiert war? Und dann war da noch die Sache mit Deacon Leavitts Kalb, bei der Tom eine Bande von Dorfjungen angeführt hatte, um Rechenschaft zu fordern. Das Merkwürdige daran war, daß das Kalb schließlich doch lebendig wurde, obwohl Tom es steif wie einen Schürhaken vorgefunden hatte.

Manche behaupteten, daß Tom der Belämmerte war.

Thorndike war jedoch möglicherweise anderer Ansicht, da er die Faust seines Feindes Tom zu spüren bekommen hatte, ehe man den Irrtum entdeckte.

Tom war zu der Zeit natürlich halb betrunken. Er war bestenfalls ein bösartiger Raufbold und schüchterte seine arme Schwester mit Drohungen ein. Aus diesem Grund ist sie vielleicht noch immer ein so verängstigtes Wesen. Die beiden lebten allein, und Tom hätte sie nie verlassen, weil das bedeutet hätte, den Besitz zu teilen. Die meisten Burschen fürchteten ihn zu sehr, als daß sie sich Sophie nähern mochten - er war über zwei Meter groß -, Henry Thorndike jedoch war ein

verschlagener Kerl, der es verstand, hinter dem Rücken der Leute ans Werk zu gehen. Er war kein besonders gewinnender Anblick, aber Sophie hatte nie böse Worte für ihn. Da ihr Bruder gemein und häßlich war, wäre sie froh gewesen, wenn jemand sie ihm entrissen hätte. Sie hat sich vielleicht gar nicht gefragt, wie sie von ihm befreit werden würde, nachdem er sie von Tom befreit hatte.

So standen die Dinge zumindest im Juni '86. Bis dahin war das Geflüster der Faulenzer in Pecks Laden noch nicht unerträglich drohend gewesen. Aber im Lauf der Zeit wuchs das Element des Geheimnisvollen und der Spannung. Tom Sprague, so schien es, unternahm in regelmäßigen Abständen Ausflüge nach Rutland, und seine Abwesenheit kam Henry Thorndike sehr zustatten. Wenn Tom zurückkam, war er immer in sehr schlechter Verfassung, und der alte Dr. Pratt, so taub und halbblind er auch war, warnte ihn immer vor dem Trinken und der Gefahr des Delirium tremens. Toms Geschrei und Gefluche zeigte stets an, daß er wieder daheim war.

Am neunten Juni - einem Mittwoch, ein Tag, nachdem Joshua Goodenough mit dem Bau seines neuen Silos fertig geworden war - machte er sich auf zu seiner letzten und längsten Sauftour.

Am folgenden Dienstagmorgen kehrte er zurück, und man sah vom Laden aus, daß er seinen braunen Hengst schlug, wie er es immer tat, wenn ihn der Whiskey in den Fängen hatte. Dann drangen Schreie, Kreischen und Flüche aus dem Sprague-Haus, und das erste, was jeder merkte, war, daß Sophie, so schnell sie die Beine tragen wollten, zum alten Dr. Pratt rannte. Als der Arzt eintraf, fand er Thorndike bei Sprague.Tom lag in seinem Zimmer auf dem Bett, mit starren Augen und Schaum vor dem Mund.

Der alte Pratt fummelte ein bißchen herum, führte die üblichen Tests durch, schüttelte mit ernster Miene den Kopf und sagte zu Sophie, daß sie einen großen Verlust erlitten hätte - daß ihr nächster und liebster Verwandter die Tore zu einem besseren Land durchschritten hätte, was, wie jedermann wußte, eintreten mußte, wenn er mit dem Saufen nicht aufhörte.

Sophie schluchzte, die Faulenzer raunten, aber das war auch schon alles. Thorndike lächelte nur - vielleicht wegen des ironischen Umstands, daß er, immer sein Feind, jetzt der einzige war, der für Thomas Sprague noch von Nutzen sein konnte. Er brüllte etwas in Dr. Pratts noch halbwegs gutes Ohr von der Notwendigkeit, wegen Toms Zustand das Begräbnis sehr früh abzuhalten. Solche Trunkenbolde waren immer unsichere Kantonisten, und jede zusätzliche Verzögerung - bei begrenzten Möglichkeiten auf dem Lande - würde zu Folgen sichtbarer und anderer Art rühren, was für die trauernden Hinterbliebenen schwerlich einzusehen wäre. Der Arzt hatte gemurmelt, daß die Laufbahn als Alkoholiker Tom schon im voraus ziemlich gut einbalsamiert haben mußte, aber Thorndike versicherte ihm das Gegenteil, wobei er gleichzeitig mit seiner eigenen Geschicklichkeit prahlte und mit der Überlegenheit, mit der er seine Experimente ersonnen hatte.

An diesem Punkt fingen die geflüsterten Gerüchte der Faulenzer wirklich an, Verstörung zu verbreiten.

Bis hierher wird die Geschichte gewöhnlich von Ezra Davenport erzählt oder von Luther Fry, falls Ezra mit einer Erkältung daniederliegt, wozu er im Winter neigt. Ab hier aber nimmt Calvin Wheeler den Faden auf, und seine Stimme kann auf verdammt hinterlistige Art verstecktes Grauen andeuten.

Wenn Johnny Dow zufällig vorbeigeht, kommt es immer zu einer Unterbrechung, denn in Stillwater sieht man es nicht allzu gern, wenn Johnny zu viel mit Fremden spricht.

Calvin schiebt sich an den Reisenden heran und ergreift ihn manchmal mit seiner knorrigen, mit Leberflecken gesprenkelten Hand am Jackettkragen, während er seine wässrigen Augen halb schließt.

»Ja, Herr«, flüstert er, »Henry ging nach Hause un' holte sein Totengräberwerkzeug - der verrückte Johnny Dow schleppte das meiste, denn er ging Henry immer zur Hand- un' sagte, Doc Pratt und der verrückte Johnny sollten mithelfen, die Leiche vorzubereiten. Doc hat immer behauptet, daß Henry den Mund zu voll nimmt - damit prahlt, was für'n hervorragender Arbeiter er ist, und was für'n Glück es wäre, daß Stillwater 'nen richtigen Totengräber hätte, statt daß man die Leute einfach so begräbt, wie sie eben sind, wie sie's drüben in Whiteby tun.

"Angenommen", sagt er, "so'n Kerl hätt' 'nen Anfall von Starrkrampf, wie man's manchmal liest. Wie würde es 'nem solchen Kerl gefallen, wenn man ihn hinunterläßt und anfängt, die Erde auf ihn zu schaufeln? Wie würde es ihm gefallen, wenn er dort drunten unter dem neuen Grabhügel erstickte, kratzend und scharrend, wenn er die Kraft dazu wieder hätte, die ganze Zeit aber wüßte, daß es ihm nichts nützt? Nein, Herr, ich sage Ihnen, es ist'n Segen, daß Stillwater 'nen klugen Arzt hat, der weiß, wann'n Mann tot ist und wann nicht, und einen ausgebildeten Totengräber, der eine Leiche so präparieren kann, daß sie unten bleibt, ohne Ärger zu machen..

So redete Henry daher, meistens, als spräche er zu den sterblichen Überresten des armen Tom; und dem alten Pratt gefiel nicht, was er davon aufschnappte, auch wenn Henry ihn einen klugen Arzt nannte. Der verrückte Johnny behielt die ganze Zeit die Leiche im Auge, und die Sache wurde dadurch nicht angenehmer, daß er Zeug daher sabbelte wie: "Er ist nicht kalt, Doc" oder:

"Ich seh, wie sich seine Lider bewegen" oder: "Gebt mir eine Injektionsspritze mit dem Zeug, das mir so gut bekommt. "

Thorndike brachte ihn zum Schweigen, obwohl wir alle wußten, daß er dem armen Johnny Drogen gegeben hatte. Es ist ein Wunder, daß der arme Bursche je davon loskam.

Das Schlimmste, dem Doktor zufolge, war jedoch die Art und Weise, wie die Leiche zuckte, als Henry begann, ihr Balsamierungsflüssigkeit zu injizieren. Er hatte damit geprahlt, was für eine wunderbare neue Rezeptur er durch seine Experimente mit Katzen und Hunden gefunden hätte, als sich plötzlich Toms Leiche zusammenkrümmte, als lebe sie und schicke sich zu einem Ringkampf an. Donnerwetter!

Doc sagte, er war zu Tode erschrocken, auch wenn er wußte, wie Leichen reagieren, wenn die Muskeln steif zu werden beginnen. Also, Sir, um es kurz zu machen, der Leichnam setzte sich auf und ergriff Thorndikes Injektionsspritze, so daß sie sich in Henry bohrte und er eine saubere Dosis seiner eigenen Balsamierflüssigkeit abbekam, wie man es sich besser nicht wünschen konnte. Darüber war Henry ziemlich erschrocken, auch wenn er die Nadel herauszog und es ihm gelang, den Körper niederzuhalten und die Flüssigkeit einzuspritzen. Er maß noch mehr von dem Zeug ab, als wollte er sichergehen, daß es reichte, und sich selbst vergewissern, daß nicht viel davon in seinen Kreislauf gelangt war, aber der verrückte Johnny begann wieder im Singsang zu verkünden:

"Das isses, was Se Lige Hopkins Hund gegeben haben, als er völlig tot un' steif war un' dann wieder aufwachte. Jetzt wirst du so tot un' steif wie Tom Sprague! Vergiß nicht, wenn es nicht genug ist, wirkt es erst nach sehr langer Zeit!.

Sophie war mit einigen der Nachbarn unten. Meine Frau Matildy - sie ist jetzt schon dreißig Jahre tot - war bei ihnen. Sie versuchten alle herauszubekommen, ob Thorndike dagewesen war, als Tom heimkam, und ob der Umstand, ihn anzutreffen, es gewesen war, was den armen Tom in Rage gebracht hatte. Ich sage am besten gleich hier, daß es einige Leute recht merkwürdig fanden, daß Sophie nicht mehr Trauer zeigte und sich auch nicht über die Art und Weise aufregte, wie Thorndike gelächelt hatte. Nicht, daß jemand andeuten würde, Henry habe Tom mit einigen seiner merkwürdigen zusammengepanschten Flüssigkeiten und Injektionen zum Jenseits verholten, oder Sophie würde den Mund halten, falls sie das glaubte - aber man weiß schon, was die Leute hinterrücks für Vermutungen anstellen. Wir wußten alle, mit welcher Besessenheit Thorndike Tom gehaßt hatte - und das nicht ohne Grund -, und Emily Barbour sagt noch zu meiner Matildy, Henry hätte Glück gehabt, daß der alte Doc Pratt gerade rechtzeitig mit dem Totenschein zur Stelle war, so daß für niemand ein Zweifel bleiben konnte..

Wenn der alte Calvin zu dieser Stelle kommt, beginnt er gewöhnlich, Unverständliches in seinen strähnigen, schmutzigweißen Bart zu murmeln. Die meisten Zuhörer versuchen, vor ihm zurückzuweichen, aber er scheint sich selten um diese Gesten zu kümmern. Gewöhnlich setzt Fred Pack, zur Zeit dieser Ereignisse ein kleiner Junge, dann die Erzählung fort.

Thomas Spragues Begräbnis fand am Donnerstag, dem 17.

Juni, nur zwei Tage nach seinem Tod, statt.

Eine solche Eile hielt man im fernen und unzugänglichen Stillwater, wo die Trauergäste weite Entfernungen

zurückzulegen hatten, beinahe für unanständig, aber Thorndike hatte erklärt, daß der Zustand des Verstorbenen es erfordere. Der Totengräber schien ziemlich nervös zu sein, seit er den Leichnam vorbereitet hatte, und man sah häufig, wie er seinen Puls fühlte. Der alte Doktor Pratt dachte, daß er sich über die zufällige Dosis von Balsamierflüssigkeit Sorgen machte.

Natürlich hatte sich die Geschichte verbreitet, so daß doppelter Eifer die Trauergäste beflügelte, die sich versammelten, um ihre Neugier und ihr krankhaftes Interesse zu befriedigen.

Auch wenn Thorndike offensichtlich besorgt war, schien er darauf bedacht zu sein, seiner beruflichen Pflicht in großem Stil nachzukommen. Sophie und andere, die die Leiche sahen, waren höchst erstaunt über ihre völlige Lebensähnlichkeit, und der Friedhofsvirtuose sicherte seine Aufgabe ab, indem er in regelmäßigen Abständen bestimmte Injektionen wiederholte. Er entlockte den Städtern und Trauergästen beinahe eine Art widerwilliger Bewunderung, auch wenn er dazu neigte, den Eindruck durch sein prahlerisches und geschmackloses Gerede zu verderben. Wann immer er sich um seinen schweigenden Klienten kümmerte, wiederholte er das ewige Gefasel von dem Glück, einen erstklassigen Totengräber zu haben. Was - sagte er, als wende er sich direkt an den Leichnam -, wenn Tom zu den nachlässigen Burschen gehört hätte, die ihre Toten lebendig begraben? Die Art, wie er vom Grauen des

Lebendbegrabenseins nicht loskam, war wirklich barbarisch und ekelhaft.

Der Trauergottesdienst wurde in dem stickigen Salon abgehalten, der seit dem Tod Mrs. Spragues zum ersten Mal geöffnet worden war. Das verstimmte kleine Harmonium ächzte jämmerlich, und der Sarg, nahe der Eingangstür aufgebahrt, war mit widerwärtig riechenden Blumen bedeckt. Eine große Menschenmenge war aus nah und fern herbeigeströmt, und Sophie bemühte sich, um ihretwillen gebührenden Schmerz zu zeigen. In Augenblicken, da sie ihre Beherrschung vergaß, schien sie so verwundert wie unruhig zu sein, und ihr Blick ging zwischen dem fiebrig aussehenden Totengräber und der lebensechten Leiche ihres Bruders hin und her. In ihr schien langsam Abscheu vor Thorndike zu wachsen, und die

Umstehenden flüsterten ohne Scheu, daß sie ihm jetzt bald Beine machen würde, da Tom nicht mehr im Weg stand das heißt, falls sie dazu imstande war, denn es fiel manchmal schwer, mit einem so aalglatten Burschen fertig zu werden. Mit Hilfe ihres Geldes und ihrem immer noch guten Aussehen würde sie jedoch vielleicht wieder einen Freund finden können, und der würde sich Henrys schon annehmen.

Als das Harmonium schnaufend »Schöne Insel im Irgendwo«

anstimmte, stimmte der Kirchenchor der Methodisten mit seinen kummervollen Stimmen in die grausige Kakophonie ein, und alle blickten fromm auf Diakon Leavett - das heißt, alle bis auf den verrückten Johnny Dow, der die Augen noch immer auf die ruhige Gestalt im Glassarg geheftet hielt. Er murmelte leise etwas in seinen Bart.

Stephen Barbour - von der Nachbarfarm - war der einzige, der Johnny Beachtung schenkte. Es schüttelte ihn, als er merkte, daß der Idiot direkt zu der Leiche sprach und sogar mit den Fingern närrische Zeichen machte, als wolle er den Schläfer unter dem Glasdeckel herausfordern. Tom, fiel ihm ein, hatte den armen Johnny bei mehr als einer Gelegenheit drangsaliert, vielleicht aber auch hatte jener ihn dazu gereizt. Etwas an der ganzen Sache zerrte an Stephens Nerven. Unterdrückte Spannung lag in der Luft und eine brütende Abnormität, die er sich nicht erklären konnte. Man hätte Johnny nicht ins Haus lassen sollen - und es war merkwürdig, wie sehr sich Thorndike anscheinend dazu zwingen mußte, die Leiche anzusehen. Ab und zu fühlte der Totengräber sich mit seltsamer Gebärde den Puls.

Reverend Silas Atwood leierte in monotonem Klageton seine Ansprache über den Verblichenen - wie das Todesschwert mitten auf diese Kleinfamilie herabgesaust war und die irdischen Bande zwischen dem liebenden Geschwisterpaar gekappt hatte. Mehrere Nachbarn blickten einander unter gesenkten Augenlidern verstohlen an, und Sophie begann tatsächlich, nervös zu weinen. Thorndike trat an ihre Seite und versuchte sie zu beruhigen, aber sie schien merkwürdigerweise vor ihm zurückzuweichen.

Seine Bewegungen waren deutlich unsicher, und er schien heftig die ungewöhnliche Spannung zu spüren, die in der Luft lag. Schließlich schritt er, sich seiner Pflicht als Zeremonienmeister bewußt, nach vorn und kündigte mit Grabesstimme an, daß man einen letzten Blick auf den Verstorbenen werfen könne.

Langsam defilierten Freunde und Nachbarn an der Totenbahre vorbei, von der Thorndike den verrückten Johnny gewaltsam wegzog. Tom schien friedlich zu ruhen. Zu seiner Zeit war dieser Teufel recht hübsch gewesen. Man hörte ein paar von Herzen kommende Seufzer - und viele vorgetäuschte -, doch begnügten sich die meisten in der Menge, neugierig zu glotzen und später flüsternd Bemerkungen zu machen. Steve Barbour verweilte lang und aufmerksam über dem ruhigen Gesicht und ging kopfschüttelnd weiter. Seine Frau Emily, die ihm folgte, flüsterte, daß Henry Thorndike besser nicht zu sehr mit seiner Arbeit prahlen solle, denn Toms Augen hatten sich geöffnet. Sie waren geschlossen gewesen, als die Andacht begann, denn sie hatte nahe gestanden und hatte es gesehen. Sie sahen aber ganz natürlich aus - nicht so, wie man es nach zwei Tagen erwarten würde.

Wenn Fred Peck in seiner Erzählung an diesem Punkt ankommt, hält er gewöhnlich inne, als sträube er sich fortzufahren. Auch der Zuhörer hat das Gefühl, daß etwas Unangenehmes bevorsteht. Peck beruhigt seine Zuhörer jedoch mit der Feststellung, daß das, was dann geschah, nicht so schlimm war, wie gern angedeutet wird. Selbst Steve hat nie gesagt, was er sich gedacht haben mag, und den verrückten Johnny darf man natürlich überhaupt nicht zählen.

Es war Luella Morse - die nervöse alte Jungfer, die im Chor sang -, die die Dinge ausgelöst zu haben schien. Sie zog wie die übrigen am Sarg vorbei, hielt aber inne, um ein bißchen genauer hinzusehen, als es alle mit Ausnahme der Barbours getan hatten.

Und dann stieß sie ohne Ankündigung einen schrillen Schrei aus und fiel in Ohnmacht.

Natürlich herrschte sofort ein Chaos. Der alte Doktor Pratt bahnte sich mit dem Ellbogen den Weg zu Luella und rief, man solle etwas Wasser bringen und ihr das Gesicht benetzen.

Andere drängten herbei, um sie und den Sarg anzustarren.

Johnny begann vor sich hinzumurmeln: »Er weiß es, er weiß es, er kann alles hören, was wir sagen, und alles sehn, was wir tun, und man wird ihn so begraben« - aber bis auf Steve Barbour schenkte ihm niemand Beachtung.

Nach einigen Augenblicken erwachte Luella aus ihrer Ohnmacht. Sie konnte nicht genau sagen, was sie so erschreckt hatte, sondern wisperte bloß: »Wie er ausschaute - wie er ausschaute.« Für die anderen aber schien die Leiche völlig unverändert zu sein. Sie bot jedoch einen grausigen Anblick, mit den offenen Augen und den geröteten Wangen. Und dann fiel der erstaunten Menge etwas auf, was sowohl Luella wie auch der Leiche einen Augenblick die Aufmerksamkeit stahl. Es war Thorndike - auf den die Menge eine merkwürdig schlechte Wirkung zu haben schien. In dem allgemeinen Hin und Her war er offensichtlich umgestoßen worden und lag auf dem Boden, wo er sich aufzurichten suchte.

Sein Gesicht zeigte einen höchst erschreckten Ausdruck, und sein Blick wurde glasig und trüb. Er brachte kein lautes Wort hervor, doch das heisere Rasseln seiner Kehle zeigte, für alle unverkennbar, eine unsägliche Verzweiflung an.

»Bringt mich nach Hause, rasch, und laßt mich allein. Die Flüssigkeit, die irrtümlich in meinen Arm gelangt ist...

Herzreaktion... diese verdammte Aufregung... zu viel... wartet...

wartet... Ich komme später zurück, weiß nicht, wie lange es dauert... die ganze Zeit werde ich bei Bewußtsein sein und wissen, was vorgeht... laßt euch nicht täuschen...«

Als diese Worte im Nichts verklangen, trat der alte Doktor Pratt zu ihm und fühlte seinen Puls - beobachtete ihn lange Zeit und schüttelte schließlich den Kopf. »Es hat keinen Zweck, etwas zu unternehmen - er ist tot. Herzversagen - und die Flüssigkeit, die er in den Arm bekam, muß ein schlimmes Zeug gewesen sein. Keine Ahnung, was es ist.«

Die ganze Gesellschaft schien wie gelähmt. Ein neuer Todesfall im Totengemach! Nur Steve Barbour erinnerte an Thorndikes letzte Worte, die er hervorgestoßen hatte. War er wirklich tot, wenn er selbst gesagt hatte, es könnte fälschlicherweise so aussehen? Wäre es nicht besser, eine Weile abzuwarten, was geschehen würde? Und was konnte es schaden, wenn sich Doc Pratt Tom Sprague vor der Grablegung noch einmal ansah? Der verrückte Johnny stöhnte und hatte sich wie ein treuer Hund auf Thorndike geworfen. »Begrabt ihn nicht, begrabt ihn nicht! Er is' so wenig tot wie Lige Hopkins Hund oder Diakon Leavitts Kalb, als er ihnen die Spritze verpaßt hatte. Er hat da so'n Zeugs, das er einem eingibt, damit man tot aussieht, wenn man's gar nich' is'! Man scheint tot zu sein, aber man weiß alles, was vorgeht, und am nächsten Tag is' man so gut wie zuvor. Begrabt ihn nicht - er kommt unter der Erde zu sich und kann sich nicht durcharbeiten!

Er is'n guter Mensch, nich' wie Tom Sprague. Ich hoff bei Gott, Tom kratzt und erstickt stundenlang...«

Aber niemand außer Barbour schenkte dem armen Johnny die geringste Beachtung. Auch das, was Steve selbst gesagt hatte, war offensichtlich auf taube Ohren gestoßen. Überall herrschte Unsicherheit.

Der alte Doc Pratt machte letzte Tests und murmelte etwas von Formularen für die Toterklärung, und der salbungsvolle Presbyter Atwood schlug ein Doppelbegräbnis vor. Da Thorndike tot war, gab es bis Rutland keinen Totengräber, und es würde eine riesige Ausgabe bedeuten, einen von dort zu holen.

Wenn Thorndike aber in diesem heißen Juniwetter nicht einbalsamiert wurde die Folgen waren nicht auszudenken. Es gab keine Verwandten und Freunde, die Einwände erheben konnten, falls sich nicht Sophie dazu entschloß - aber Sophie befand sich auf der anderen Seite des Raumes und starrte schweigend, gebannt und wie in düsteren Gedanken krankhaft in den Sarg ihres Bruders.

Diakon Leavitt versuchte den Anschein von geziemender Würde wiederherzustellen und ließ den armen Thorndike quer durch die Halle ins Wohnzimmer schaffen. Inzwischen sandte er Zenas Wells und Walter Perkins ins Haus des Totengräbers nach einem Sarg passender Größe. Der Schlüssel steckte in Henrys Hosentasche. Johnny jammerte weiter und zerrte an der Leiche, und Presbyter Atwood versuchte, Nachforschungen über Thorndikes Konfession anzustellen - denn Henry hatte nicht an den örtlichen Gottesdiensten teilgenommen. Als man zu dem Entschluß kam, daß seine Angehörigen in Rutland - die jetzt alle tot waren - Baptisten waren, entschied Reverend Silas, daß am besten Diakon Leavitt das kurze Gebet sprach.

Es war ein Festtag für die Begräbnisliebhaber von Stillwater und Umgebung. Selbst Luella hatte sich soweit erholt, daß sie bleiben konnte. Murmeln und Flüstern erfüllte den Raum, während an Thorndikes abkühlendem, steif werdendem Körper die letzten Handgriffe vorgenommen wurden.

Johnny hatte man aus dem Haus gejagt, und die meisten waren sich einig, daß man das gleich hätte tun sollen. Sein fernes Heulen war ab und zu grausig zu hören.

Als die Leiche eingesargt und neben der Thomas Spragues aufgebahrt war, starrte die schweigende, beinahe erschreckt aussehende Sophie sie so intensiv an, wie sie die Leiche ihres Bruders angestarrt hatte. Eine gefährlich lange Zeit hatte sie kein Wort hervorgebracht, und der verwirrte Ausdruck auf ihrem Gesicht entzog sich jeder Beschreibung oder

Interpretation. Als sich die anderen zurückzogen, um sie mit den Toten allein zu lassen, raffte sie sichzu einer Art mechanischer Rede auf, aber niemand konnte aus ihren Worten schlau werden.

Sie schien zuerst zu einer Leiche und dann zur anderen zu sprechen.

Und nun wurde die ganze Begräbnis-Maskerade vom

Nachmittag lustlos wiederholt, in einer Art und Weise, die einem Außenstehenden als Höhepunkt grausamer unbewußter Komödie erscheinen mußte.

Wiederum schnaufte das Harmonium, der Chor kreischte, wiederum wurde ein leiernder Tonfall angeschlagen, und wiederum zogen die krankhaft neugierigen Zuschauer an einem makabren Gegenstand vorüberdiesmal sterblichen Überresten in doppelter Anordnung. Einige der Empfindsameren schüttelte es ob dieser Prozedur, und wieder verspürte Stephen Barbour einen Ton tiefen Grauens und dämonischer Abnormität. Großer Gott, wie lebensecht wirkten diese beiden Leichen... und wie der arme Thorndike in vollem Ernst dafür plädiert hatte, daß er nicht für tot erklärt werden wollte... und wie er Tom Sprague haßte... aber was konnte man schon tun gegen den gesunden

Menschenverstand - ein Toter war ein Toter, und da war der alte Doc Pratt mit seiner Erfahrung.

Wenn sich sonst niemand den Kopf zerbrach, warum sollte man sich selbst Sorgen machen?... Was immer mit Tom passiert war, hatte er vermutlich verdient... und falls Henry ihm etwas angetan hatte, so waren sie quitt... zumindest war Sophie zu guter Letzt frei...

Als sich die gaffende Prozession zuletzt auf den Flur und zur Eingangstür bewegt hatte, war Sophie wieder mit dem Toten allein. Presbyter Atwood stand draußen auf der Straße und sprach mit dem Fahrer des Leichenwagens von Lees

Mietstallung, und Diakon Leavitt stellte die doppelte Anzahl von Sargträgern auf. Glücklicherweise hatten in dem Leichenwagen zwei Särge Platz. Keine Eile - Ed Plummer und Ethan Stone waren mit den Schaufeln vorausgegangen, um das zweite Grab auszuheben.

In der ganzen Prozession gab es drei Mietdroschken und jede Anzahl privater Gespanne - es hatte keinen Sinn, die Menge von den Gräbern fernzuhalten.

Dann drang ein verzweifelter Schrei aus dem Zimmer, in dem sich Sophie und die Leichen befanden.

Die Menge war wie gelähmt, und das Gefühl kehrte wieder, das aufgekommen war, als Luella geschrien hatte und in Ohnmacht gefallen war. Steve Barbour und Diakon Leavitt schickten sich an hineinzugehen, aber ehe sie noch das Haus betreten konnte, kam Sophie weinend herausgestürzt und stieß hervor: »Das Gesicht am Fenster!... Das Gesicht am Fenster!...«

Zur selben Zeit kam eine wildblickende Gestalt um die Hausecke gebogen und lüftete das Geheimnis von Sophies dramatischem Aufschrei. Es war offensichtlich der Eigner des Gesichts - der arme verrückte Johnny. Er begann, auf und ab zu springen, deutete auf Sophie und kreischte: »Sie weiß es!

Sie weiß es! Ich habe es ihrem Gesicht angesehen, als sie sie anschaute und mit ihnen sprach! Sie weiß es und läßt es zu, daß man sie in die Erde versenkt, daß sie kratzen und nach Luft scharren... Sie werden aber mit ihr reden, und sie können sie hören... sie werden mit ihr reden und ihr erscheinen... und eines Tages kommen sie zurück, um mit ihr abzurechnen!.

Zenas Wells zerrte den kreischenden Tölpel zu einem Holzschuppen hinter dem Haus und sperrte ihn ein. Sein Schreien und Klopfen war in einiger Entfernung zu hören, aber niemand schenkte ihm weiter Beachtung. Der Zug formierte sich, und mit Sophie in der ersten Mietdroschke legte er langsam die kurze Strecke vom Dorf bis zum Friedhof von Swamp Hollow zurück.

Presbyter Atwood sprach die passenden Worte, als Thomas Sprague zur Ruhe gebettet wurde, und bis er geendet hatte, hatten Ed und Ethan Thorndikes Grab auf der anderen Seite des Friedhofs fertig ausgehoben. Die Menge wandte sich nun dorthin. Diakon Leavitt hielt eine blumige Rede, und das Hinabsenken wiederholte sich. Die Leute hatten begonnen, sich in Grüppchen zu entfernen, und das Klappern der abfahrenden Wagen war zu vernehmen, als die Schaufeln wieder ihre Tätigkeit aufnahmen. Als die Erde auf die Sargdeckel donnerte, zuerst auf jenen Thorndikes, fielen Steve Barbour die seltsamen Regungen auf, die über Sophie Spragues Gesicht huschten. Er konnte sie nicht alle sehen, aber hinter jenen, die er bemerkte, schien sich ein schiefer, halbunterdrückter Blick vagen Triumphs zu verbergen. Er schüttelte den Kopf.

Zenas war nach Hause zurückgelaufen und hatte den

verrückten Johnny aus dem Holzschuppen befreit, ehe Sophie nach Hause kam. Der arme Kerl eilte sofort verzweifelt zum Friedhof. Er kam an, ehe die Schaufler mit ihrer Arbeit fertig waren. Zahlreiche der neugierigen Trauergäste lungerten noch immer herum. Die überlebenden Zuschauer erinnern sich nur schaudernd, was er in Spragues teilweise zugeschüttetes Grab schrie, und wie er mit denHänden in der lockeren Erde von Thorndikes frisch aufgeschüttetem Grab auf der anderen Seite des Friedhofs herumwühlte. Jotham Blake, der Dorfpolizist, mußte ihn gewaltsam in den Ort zurückführen, und seine Schreie lösten ein entsetzliches Echo aus.

An dieser Stelle hört Fred Peck gewöhnlich zu erzählen auf.

Was sonst, fragt er, gibt es noch zu erzählen? Es war eine düstere Tragödie, und es ist kaum verwunderlich, daß Sophie nachher seltsam wurde. Und mehr bekommt man nicht zu hören, falls die Stunde bereits so weit fortgeschritten ist, daß der alte Dalvin Wheeler nach Hause geschwankt ist. Falls er aber noch da ist, mischt er sich mit diesem verdammt ins Ohr gehenden und heimtückischen Flüstern ein. Manchmal haben diejenigen, die ihn hören, später Angst, am Haus mit den verschlossenen Fensterläden oder am Friedhof vorbeizugehen, vor allem in der Dunkelheit.

»He, he... Fred war damals noch ein Grünschnabel und erinnert sich kaum mehr an die Hälfte dessen, was vorging! Sie möchten wissen, warum Sophie die Läden ihres Hauses verschlossen hält und warum der verrückte Johnny noch immer zu den Toten spricht und vor Sophies Fenstern herumbrüllt?

Gut, Sir, ich bin mir nicht sicher, ob ich alles weiß, was es da zu wissen gibt, aber ich höre, was ich höre.«

An dieser Stelle spuckt der Alte seinen Kautabak aus und neigt sich vor, um den Zuhörer zur Aufmerksamkeit zu zwingen.

»Es war in derselben Nacht, vergessen Sie das nicht - gegen Morgen, nur acht Stunden nach diesen Begräbnissen -, als wir den ersten Schrei aus Sophies Haus hörten. Er hat uns alle aufgeweckt - Steve und Emily Barbour und ich und Matildy laufen eilig hinüber, alle in Nachthemden, und finden Sophie ganz angezogen und ohnmächtig auf dem Fußboden des Wohnzimmers. Zum Glück hatte sie die Tür nicht verschlossen.

Als wir zu ihr kamen, zitterte sie wie Espenlaub und ließ kein Sterbenswörtlein verlauten, was mit ihr los sei. Matildy und Emily taten, was sie konnten, um sie zu beruhigen, aber Steve flüsterte mir Sachen zu, die eher den gegenteiligen Effekt hatten.

Eine Stunde später, als wir schon erklärten, wir würden bald nach Hause gehen, begann Sophie den Kopf auf die Seite zu legen, so als höre sie etwas. Dann schrie sie plötzlich neuerlich auf und brach wieder bewußtlos zusammen.

Also, mein Herr, ich erzähle, was ich erzähle, und lasse mich auf keine Vermutungen ein, wie Steve Barbour es getan hätte.

Er neigte immer dazu, etwas anzudeuten... starb vor zehn Jahren an Lungenentzündung...

Was man da so undeutlich hörte, war natürlich nur der arme verrückte Johnny. Bis zum Friedhof ist es nicht mehr als eine Meile, und er muß durch das Fenster des Hauses entkommen sein, in das man ihn im Ort eingesperrt hatte - auch wenn der Konstabler Blake behauptet, daß er in jener Nacht nicht ausgebrochen ist. Von jenem Tag an treibt er sich zwischen den Gräbern herum und redet zu den beiden - bei Toms Grab schreit er herum und tritt mit den Füßen danach, auf Henrys Grab legt er Blumensträuße und anderes. Und wenn er das nicht tut, treibt er sich vor Sophies dichtverschlossenen Fenstern herum und brüllt, daß bald jemand kommt, um mit ihr abzurechnen.

Sie wollte nie mehr dem Friedhof zu nahe kommen, und jetzt geht sie nicht einmal mehr vor das Haus und trifft auch niemanden. Sie sagt, ein Fluch lag auf Stillwater - und ich will verdammt sein, wenn sie nicht teilweise recht hat, hält man sich vor Augen, wie sie heutzutage verfällt. An Sophie war wirklich die ganze Zeit etwas Merkwürdiges. Einmal, als Sally Hopkins sie besuchte - das war, glaube ich, '97 oder '98 -, gab es ein entsetzliches Rütteln an ihren Fenstern - und Johnny war zu jener Zeit sicher eingesperrt zumindest Konstabler Dodge schwor das hoch und heilig. Ich glaube aber nicht an ihre Geschichten von Geräuschen an jedem 17. Juli oder von schwachglänzenden Gesichtern, die an jedem pechschwarzen Morgen um zwei Uhr Sophies Tür und Fenster aufbrechen wollen.

Sie müssen wissen, es war um zwei Uhr morgens, daß Sophie die Geräusche hörte und zweimal in jener ersten Nacht nach dem Begräbnis in Ohnmacht fiel. Steven und ich, Matildy und Emily hörten es das zweite Mal, so schwach es war, gerade so wie ich es Ihnen erzählt habe. Und ich sage Ihnen nochmals, daß es der verrückte Johnny drüben auf dem Friedhof gewesen sein muß, mag Jotham Blake auch behaupten, was er will. Auf so weite Entfernung kann man eine Männerstimme nicht mehr unterscheiden, und da wir den Kopf voller Unsinn hatten, nimmt es nicht Wunder, daß wir uns einbildeten, zwei Stimmen zu hören - noch dazu Stimmen, die überhaupt nicht hätten reden dürfen.

Steve behauptete, mehr gehört zu haben als ich. Ich bin überzeugt, daß er an Gespenster glaubte.

Matildy und Emily waren so verängstigt, daß sie sich nicht daran erinnerten, was sie gehörthatten. Und merkwürdigerweise, niemand sonst in der Stadt wenn jemand zu dieser unchristlichen Stunde wach war - hat je gesagt, daß er Stimmen gehört hätte.

Was immer es war, es war so leise, daß es der Wind hätte sein können, wären da nicht Worte gewesen.

Ich verstand ein paar, wollte es aber nicht sagen, da ich allem zugestimmt hätte, was Steve behauptete, aufgeschnappt zu haben...

"Teufelin"... "die ganze Zeit"..."Henry"... und "lebendig"...

war deutlich... ebenso "du weißt..." "hast versprochen, dabei zu sein", "werde ihn los"... und "begrab mich"... mit einer veränderten Stimme...

Dann gab es dieses entsetzliche "kehre eines Tages wieder"...

begleitet von einem Kreischen wie in Todesangst... aber Sie können mir nicht einreden, daß Johnny diese Geräusche nicht hätte hervorbringen können...

He, Sie! Warum haben Sie es so eilig wegzukommen?

Vielleicht gibt es noch mehr, was ich Ihnen erzählen könnte, wenn ich wollte....