Die elektrische Hinrichtungsmaschine

Adolphe de Castro und H. P. Lovecraft

Für jemanden, der niemals von der Gefahr bedroht war, zum Tode verurteilt zu werden, habe ich einen ziemlich merkwürdigen Abscheu, vom elektrischen Stuhl zu reden. Ich glaube wahrhaftig, daß mich dieses Thema in größeren Schauder versetzt als so manchen, der vor Gericht um sein Leben kämpfen mußte. Der Grund liegt darin, daß ich das Ding mit einem Vorfall in Verbindung bringe, der vierzig Jahre zurückliegt - der allerseltsamste Vorfall, der mich knapp an den Rand des schwarzen Abgrunds des Unbekannten brachte.

Im Jahre 1889 arbeitete ich als Buchprüfer und Ermittler für die Tlaxcala Mining Company in San Francisco, die mehrere Silberund Kupferbergwerke im San-Mateo-Gebirge in Mexico betrieb. Im Bergwerk Nr. 3 waren einige Schwierigkeiten aufgetreten, die von einem griesgrämigen, verschlagenen stellvertretenden Direktor namens Arthur Feidon ausgingen. Am sechsten August erhielt die Firma ein Telegramm mit der Mitteilung, daß Feidon verschwunden war und alle

Förderberichte, Wertpapiere und privaten Aufzeichnungen mitgenommen und die gesamte Firmenkorrespondenz und Buchhaltung in heillosem Chaos zurückgelassen hatte.

Diese Entwicklung war ein schwerer Schlag für die

Gesellschaft. Am späten Nachmittag ließ mich Präsident McComb in sein Büro kommen und erteilte mir den Auftrag, die Papiere zu beschaffen, koste es, was es wolle. Dem standen jedoch schwerwiegende Hindernisse entgegen. Ich hatte Feidon nie gesehen und konnte mich nur anhand ziemlich unscharfer Photos orientieren. Überdies war für den nächsten Donnerstag meine Hochzeit angesetzt - in nur neun Tagen -, so daß ich naturgemäß nicht darauf brannte, mich eiligst nach Mexico auf eine Menschenjagd von Ungewisser Dauer entsenden zu lassen.

Die Angelegenheit war jedoch so dringend, daß sich McComb für berechtigt hielt, mich aufzufordern, umgehend aufzubrechen; und ich meinerseits entschied, wenn ich mich rasch fügte, daß es sich auf mein zukünftiges Verhältnis zur Gesellschaft auswirken würde.

Ich sollte noch in der Nacht losfahren und den Privatwagen des Aufsichtsratspräsidenten bis nach Mexico City benutzen.

Von dort mußte ich dann die Schmalspurbahn zu den

Bergwerken nehmen.

Jackson, der Direktor von Nr. 3, würde mich bei meiner Ankunft über alle Einzelheiten informieren und mir jeden nur möglichen Hinweis liefern. Dann sollte die Suche beginnen - in den Bergen, an der Küste oder in den Nebenstraßen von Mexico City, je nachdem. Ich brach mit der grimmigen Entschlossenheit auf, die Sache so schnell wie möglich hinter mich zu bringen -

und zwar erfolgreich - , und tröstete mich mit Vorstellungen von einer frühen Rückkehr mit den Papieren und dem Schuldigen und einer Hochzeit, die beinahe einem Triumphzug glich.

Nachdem ich meine Familie, meine Verlobte und die

wichtigsten Freunde benachrichtigt und hastige Vorbereitungen für die Reise getroffen hatte, traf ich Präsident McComb um acht Uhr abends an der Endstation der Southern Pacific, erhielt von ihm einige schriftliche Anweisungen und ein Scheckheft und brach um 8.15 Uhr in seinem an den ostwärts fahrenden Transkontinentalzug angehängten Waggon auf. Die Reise zeichnete sich durch Ereignislosigkeit aus, und nach einer ausgedehnten Nachtruhe genoß ich den Luxus des privaten Waggons, der mir so entgegenkommenderweise zur Verfügung gestellt worden war. Ich las meine Anweisungen sorgfältig durch und legte mir Pläne zurecht, wie Feidon zu fassen und die Unterlagen zu retten seien. Ich kannte die Gegend um Tlaxcala recht gut - vielleicht weit besser als der Flüchtige - und hatte daher bei meiner Suche gewisse Vorteile, es sei denn, er hatte bereits per Eisenbahn die Flucht ergriffen.

Meinen Instruktionen zufolge hatte Feidon Direktor Jackson schon seit geraumer Zeit Anlaß zu Besorgnis gegeben. Er hatte eigenmächtig gehandelt und zu nachtschlafender Zeit ohne guten Grund im Labor der Firma gearbeitet. Es bestand der begründete Verdacht, daß er mit einem mexikanischen Aufseher und mehreren Personen in Erzdiebstähle verwickelt war, und wenn auch die Einheimischen entlassen worden waren, so reichten die Beweise nicht aus, um gegen den raffinierten Angestellten offen Maßnahmen ergreifen zu können. Trotz seiner Heimlichtuerei schien die Haltung des Mannes mehr von Trotz als von Schuld zu zeugen. Er hegte Ressentiments gegen die Firma und redete, als betrüge die Firma ihn und nicht umgekehrt. Daß er von seinen Kollegen offensichtlich überwacht wurde, schrieb Jackson, schien ihn zunehmend zu irritieren. Und jetzt war er mit allem, was einigermaßen Wichtigkeit besaß, aus dem Büro verschwunden. Es gab überhaupt keine Anhaltspunkte, wo er sich befinden mochte, obzwar Jacksons letztes Telegramm auf die wilden Abhänge der Sierra de Malinche hinwies, jenen hochaufragenden, mythenumrankten Gipfel mit dem Umriß einer Leiche. Aus diesem Gebiet sollten auch die diebischen Eingeborenen stammen.

In El Paso, das wir in der folgenden Nacht um zwei Uhr erreichten, wurde mein Privatwagen von dem transkontinentalen Zug abgehängt und an eine Lokomotive angekoppelt, die ihn, wie telegraphisch angewiesen, nach Mexico City im Süden ziehen sollte. Ich schlummerte bis zum Tagesanbruch weiter, und den ganzen nächsten Tag langweilte mich die flache Wüstenlandschaft von Chilhuahua. Die Eisenbahner hatten mir gesagt, wir würden Freitag mittag in Mexico City eintreffen, aber ich erkannte bald, daß die zahllosen Aufenthalte wertvolle Stunden verschlangen. Wir mußten entlang der ganzen eingleisigen Strecke auf Abstellgleisen warten, und ab und zu brachte ein heißgelaufenes Lager oder eine andere Schwierigkeit den Fahrplan noch mehr durcheinander.

In Torreon hatten wir sechs Stunden Verspätung, und es war beinahe acht Uhr. Am Freitag abend - unser Plan war um volle zwölf Stunden überzogen - erklärte sich der Lokomotivführer bereit, schneller zu fahren, um etwas Zeit aufzuholen. Meine Nerven waren angespannt, ich konnte aber nichts anderes tun, als vor Verzweiflung im Waggon auf und ab zu gehen.

Schließlich mußte ich entdecken, daß die höhere

Geschwindigkeit teuer erkauft worden war, denn innerhalb einer halben Stunde zeigten sich Anzeichen von Überhitzung an meinem eigenen Waggon. Nach einem nervenzermürbenden Halt beschloß das Zugpersonal, daß alle Lager überholt werden müßten, nachdem wir mit einem Viertel der Geschwindigkeit zur nächsten Station weitergekrochen waren, wo es Werkstätten gab - die Fabrikstadt Queretaro. Das brachte das Faß zum Überlaufen, und ich stampfte beinahe wie ein Kind mit den Füßen auf. Zuweilen überraschte ich mich dabei, wie ich meinen Lehnsessel anschob, als wollte ich den Zug schneller als im Schneckentempo vorwärtsschieben.

Es war beinahe zehn Uhr abends, als wir in Queretaro einfuhren, und ich verbrachte eine quälende Stunde auf dem Bahnsteig der Station, während mein Waggon auf ein Seitengleis geschoben wurde und sich ein Dutzend einheimische Mechaniker daran zu schaffen machten. Schließlich teilten sie mir mit, daß die Aufgabe ihre Kräfte überstiege, da für die vorderen Laufräder neue Ersatzteile benötigt würden, die nur in Mexico City erhältlich waren.

Alles schien sich gegen mich verschworen zu haben, und ich knirschte mit den Zähnen, wenn ich daran dachte, daß Feidon sich immer weiter entfernte - vielleicht in den bequemen Unterschlupf Vera Cruz mit seinen Schiffahrtsverbindungen oder Mexico City mit seinen Eisenbahnanschlüssen -, während mich neue Verzögerungen hilflos machten. Natürlich hatte Jackson die Polizei aller Städte in der Umgebung verständigt, aber ich wußte aus leidvoller Erfahrung, wie es um die Leistungsfähigkeit der mexikanischen Polizei bestellt war.

Das beste, was ich machen konnte, war, wie ich schnell herausfand, den regulären Nachtschnellzug nach Mexico City zu nehmen, der aus Aguas Calientes kam und in Queretaro fünf Minuten Aufenthalt hatte. Wenn er keine Verspätung hatte, würde er um ein Uhr nachts eintreffen und am Samstag um fünf Uhr morgens in Mexico City sein. Als ich mir die Fahrkarte kaufte, stellte ich fest, daß der Zug aus europäischen Wagen mit Abteilen bestand, statt aus langen amerikanischen Waggons mit Reihen zweisitziger Bänke. In den Anfangstagen des mexikanischen Eisenbahnwesens hatte man sie häufig benutzt, da beim Bau der ersten Bahnlinien europäische Bauinteressen involviert waren, und 1889 setzte die mexikanische Zentralverwaltung noch immer eine Anzahl von ihnen auf kürzeren Strecken ein. Gewöhnlich bevorzuge ich

amerikanische Wagen, denn ich hasse es, wenn mir Leute von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen. Aber diesmal freute ich mich über den ausländischen Wagen. Zu dieser

nachtschlafenen Zeit standen die Aussichten gut, daß ich ein ganzes Abteil für mich allein haben würde, und in meinem erschöpften, nervlich überreizten Zustand war mir die Einsamkeit willkommen - nicht weniger der bequem gepolsterte Sitz mit weichen Armlehnen und Kopfkissen, der so breit war wie das ganze Abteil. Ich kaufte mir eine Fahrkarte erster Klasse, holte meinen Koffer aus dem Privatwaggon auf dem Nebengleis, informierte telegraphisch sowohl Präsident McComb wie auch Jackson über das Geschehene und machte es mir auf der Station gemütlich, um den Nachtschnellzug so geduldig zu erwarten, wie es meine überstrapazierten Nerven erlaubten.

Wunder über Wunder, der Zug hatte nur eine halbe Stunde Verspätung. Dennoch hatte die einsame Wache in der Station meiner Geduld den Rest gegeben. Der Schaffner, der mich unter Bücklingen in mein Abteil führte, sagte zu mir, er erwarte, daß man die Verspätung aufholen und rechtzeitig die Hauptstadt erreichen werde. Ich streckte mich bequem auf dem Sitz in Fahrtrichtung aus und erwartete eine ruhige Fahrt von dreieinhalb Stunden Dauer. Das Licht der Öllampe an der Decke war beruhigend schwach, und ich fragte mich, ob ich trotz der Besorgtheit und Nervenanspannung nicht einen dringend benötigten Zipfel Schlaf erhaschen könnte, was mich ehrlich erfreut hätte. Meine Gedanken eilten voraus zu meiner Suche, und ich nickte im sich beschleunigenden Rhythmus der schneller werdenden Waggonskette.

Plötzlich wurde ich gewahr, daß ich doch nicht allein war. In der Ecke mir gegenüber saß ein einfach gekleideter Mann von ungewöhnlicher Größe, den ich in dem schwachen Licht zuvor nicht bemerkt hatte, zusammengesunken, so daß sein Gesicht nicht zu sehen war. Neben ihm auf dem Sitz stand ein riesiger abgenutzter Koffer, der so vollgestopft war, daß er sich wölbte, und den er selbst im Schlaf mit einer gar nicht zu ihm passenden schlanken Hand umklammert hielt. Als die Lokomotive bei einer Kurve oder einem Bahnübergang scharf pfiff, fuhr der Schläfer nervös auf und versank in eine Art wachsamen Halbschlaf. Er hob den Kopf, und es zeigte sich ein hübsches Gesicht, bärtig und eindeutig angelsächsisch, mit dunklen, strahlenden Augen. Bei meinem Anblick erwachte er völlig, und ich wunderte mich über die ausgesprochen feindselige Wildheit seines Blicks. Zweifellos, dachte ich bei mir, nahm er mir meine Anwesenheit übel, da er doch gehofft hatte, er würde das Abteil die ganze Strecke für sich allein haben, ebenso wie ich enttäuscht war festzustellen, daß ich in dem halberleuchteten Abteil seltsame Gesellschaft hatte. Es blieb jedoch nichts anderes übrig, als sich mit Anstand in die Lage zu fügen. Darum entschuldigte ich mich bei dem Mann für mein Eindringen. Er schien wie ich Amerikaner zu sein, und nach dem Austausch einiger Höflichkeitsfloskeln konnten wir uns beide gelassener fühlen und einander für die übrige Reise in Frieden lassen. Zu meiner Überraschung reagierte der Fremde auf meine höflichen Bemerkungen mit keinem Wort. Statt dessen starrte er mich ungestüm und beinahe abschätzig an und wischte mein verlegenes Angebot einer Zigarre mit einer nervösen Bewegung seiner freien Hand beiseite. Die andere Hand hielt noch immer den großen, abgenutzten Koffer fest. Sein ganzes Wesen schien eine dunkle Bösartigkeit auszustrahlen. Nach einiger Zeit wandte er sein Gesicht abrupt dem Fenster zu, obwohl es in der dichten Dunkelheit draußen nichts zu sehen gab.

Merkwürdigerweise schien er so gebannt irgendwohin zu starren, als gäbe es dort wirklich etwas zu sehen. Ich beschloß, ihn nicht weiter zu beachten und ihn, ohne zu stören, seinen Überlegungen und Plänen zu überlassen. Ich lehnte mich also in meinen Sitz zurück, zog den Rand meines weichen Hutes über das Gesicht und schloß die Augen bei dem Versuch, den Schlaf zu erhaschen, mit dem ich halb gerechnet hatte.

Ich konnte nicht sehr lange oder sehr tief geschlummert haben, als sich meine Augen öffneten, wie von einer äußeren Kraft gezwungen. Ich schloß sie wieder mit einiger Willensanstrengung und versuchte neuerlich einzuschlummern, jedoch ohne Erfolg. Ein nicht spürbarer Einfluß schien es darauf abgesehen zu haben, mich wach zu halten. Ich hob den Kopf und blickte mich in dem schwach erleuchteten Abteil um, um herauszufinden, ob etwas nicht in Ordnung sei. Alles schien normal zu sein, doch bemerkte ich, daß mich der Fremde in der gegenüberliegenden Ecke gespannt ansah - aufmerksam, jedoch ohne die Umgänglichkeit oder Freundlichkeit, die angezeigt hätte, daß sich seine frühere mürrische Haltung geändert hätte.

Diesmal versuchte ich nicht, eine Konversation anzuknüpfen, sondern lehnte mich in meine vorhergehende Schlafhaltung zurück. Mit halbgeschlossenen Augen döste ich vor mich hin, beobachtete ihn aber weiterhin neugierig unter meinem herabgezogenen Hutrand.

Während der Zug weiter durch die Nacht ratterte, bemerkte ich, wie eine schleichende und allmähliche Veränderung die Miene des auffallenden Mannes überzog. Offenkundig überzeugt, daß ich schlief, bemühte er sich nicht, das merkwürdige Durcheinander von Gefühlen zu verbergen, das sich auf seinem Gesicht spiegelte und dessen Natur alles andere als beruhigend war. Haß, Furcht, Triumph und Fanatismus zuckten in verschiedenen Mischungen über die Linien seiner Lippen und die Augenwinkel, während sein Blick zu einem Widerglanz echt beunruhigender Gier und Wildheit wurde.

Plötzlich wurde mir bewußt, daß dieser Mensch verrückt war, und zwar auf gefährliche Weise.

Ich gebe zu, daß mich tiefes Erschrecken packte, als ich die Lage erkannte. Ich war am ganzen Körper in Schweiß gebadet und mußte mich sehr anstrengen, den Anschein von

Entspanntsein und Schlummer aufrechtzuerhalten. Gerade damals bot mir das Leben viel Anziehendes, und der Gedanke, ich bekäme es mit einem mörderischen Verrückten zu tun, der möglicherweise bewaffnet und dessen Kraft geradezu ans Wunderbare grenzte, war entmutigend und erschreckend. Bei jeder Art körperlicher Auseinandersetzung war ich im Nachteil, denn der Mann war im wahrsten Sinn des Wortes ein Riese.

Er schien in bester körperlicher Verfassung, während ich immer ziemlich schmächtig und gerade damals vor Angst, Schlaflosigkeit und Nervenanspannung beinahe völlig erschöpft war. Das war unbestritten ein böser Augenblick für mich, und ich fühlte mich einem entsetzlichen Tod nahe, als ich die Furien des Wahnsinns in den Augen des Fremden erkannte. Ereignisse aus der Vergangenheit drangen wie für einen Abschied in mein Gemüt - so wie es heißt, daß das ganze Leben eines Ertrinkenden im letzten Augenblick vor seinen Augen abläuft.

Natürlich hatte ich meinen Revolver in der Manteltasche, aber jede Bewegung meinerseits, ihn zu erreichen und zu ziehen, wäre sofort bemerkt worden. Aber selbst wenn ich ihn erreichte, war nicht abzusehen, welche Wirkung er auf den Verrückten hätte. Selbst wenn ich ein- oder zweimal auf ihn schösse, hätte er vielleicht Kraft genug, um mir den Revolver zu entreißen und mich zu überwältigen.

Und war er selbst bewaffnet, so schoß er vielleicht auf mich oder stach auf mich ein, ohne zu versuchen, mich zu entwaffnen.

Man kann einen normalen Menschen einschüchtern, indem man ihm eine Pistole vorhält, die völlige Gleichgültigkeit eines Verrückten gegenüber den Folgen verleiht ihm jedoch eine Kraft und Gefährlichkeit, die absolut übermenschlich ist. Selbst in jenen vorfreudianischen Tagen erkannte ich mit gesundem Menschenverstand die gefährliche Macht eines Menschen, der die normalen Hemmschwellen nicht kennt. Die flammenden Augen und das Zucken der Gesichtsmuskeln ließen mich keinen Augenblick daran zweifeln, daß der Fremde in der Ecke wirklich eine Mordtat plante.

Plötzlich hörte ich, wie sein Atem stoßweise ging, und sah, daß sich seine Brust in steigender Erregung hob und senkte. Die Zeit für eine Konfrontation rückte nahe, und ich versuchte verzweifelt zu überlegen, was ich tun sollte! Ich gab mir weiter den Anschein, als schliefe ich, ließ aber meine Rechte allmählich unauffällig zu der Tasche gleiten, in der meine Pistole steckte. Dabei beobachtete ich den Verrückten angespannt, um herauszufinden, ob er eine Bewegung entdecken würde.

Unglücklicherweise entging sie ihm nicht - er bemerkte sie, bevor sich dieser Umstand noch in seiner Miene abzeichnete.

Mit einem Sprung, der so behend war, daß er bei einem Menschen seiner Größe unglaublich wirkte, hatte er mich erreicht, ehe ich wußte, wie mir geschah. Hochaufragend, wankend wie ein riesiger Menschenfresser aus dem Märchen, hielt er mich mit der einen kräftigen Hand fest, während die andere mir beim Erreichen des Revolvers zuvorkam. Er holte ihn aus der Tasche und steckte ihn in die eigene, dann ließ er mich verächtlich los, denn er wußte, wie sehr meine körperliche Konstitution mich ihm auf Gnade und Ungnade auslieferte.

Dann erhob er sich zu voller Größe - sein Kopf berührte beinahe die Decke des Waggons - und blickte auf mich herab mit Augen, deren Wut sich rasch in einen Blick mitleidiger Verachtung und kannibalischer Berechnung verwandelte.

Ich rührte keinen Finger, und einen Augenblick später nahm der Mann seinen Platz mir gegenüber wieder ein. Mit einem abscheulichen Lächeln öffnete er seinen großen, gewölbten Koffer und holte einen Artikel von absonderlichem Aussehen hervor - einen ziemlich großen Käfig aus halb biegsamem Draht, geflochten in der Art der Maske eines Baseballfängers, der Form nach aber eher wie die Kapuze eines Taucheranzugs.

Seine Oberseite war mit einem Kabel verbunden, deren anderes Ende in dem Koffer blieb. Diese Vorrichtung streichelte er mit offenkundiger Liebe und wiegte sie in seinem Schoß, als er mich von neuem anblickte und sich die bärtigen Lippen mit einer beinahe katzenartigen Bewegung der Zunge leckte. Dann sprach er zum ersten Mal - mit einer tiefen, angenehm weichen Stimme, deren Kultiviertheit sich überraschend von seinen groben Kordkleidern und seinem ungepflegten Äußeren abhob.

»Sie haben Glück, Sir. Ich werde Sie als ersten verwenden.

Sie werden in die Geschichte eingehen als erste Frucht einer bemerkenswerten Erfindung. Ungeheure soziologische Folgen -

ich werde sozusagen mein Licht leuchten lassen. Ich erstrahle die ganze Zeit, bloß weiß es niemand. Nun werden Sie es wissen. Intelligentes Versuchskaninchen. Katzen und Esel - es hat sogar bei einem kleinen Packesel funktioniert...«

Er hielt inne, und seine bärtigen Züge zeigten eine konvulsivische Bewegung, die mit dem kräftigen kreisenden Schütteln seines ganzen Kopfes in engem Gleichklang ablief. Es war, als schüttelte er ein nebelhaftes störendes Medium ab, denn danach verdeutlichte und verfeinerte sich sein Ausdruck, welcher den Anschein offenkundiger Verrücktheit in den weltmännischer Gelassenheit wandelte, durch welchen die Verschlagenheit nur verstohlen durchschimmerte. Ich bemerkte den Unterschied sofort und warf ein Wort ein, um

herauszufinden, ob sich sein Gemüt in harmlose Bahnen steuern ließ.

»Sie scheinen ein wunderbar großartiges Instrument zu haben, soweit ich das beurteilen kann. Verraten Sie mir doch, wie Ihnen diese Erfindung geglückt ist..

Er nickte.

»Nichts als logische Überlegung, werter Herr. Ich habe mir Gedanken über die Bedürfnisse der Zeit gemacht und bin ihnen gefolgt. Andere hätten das auch gekonnt, wären ihre Geister so konstruiert - das heißt, genauso fähig zur anhaltenden Konzentration - wie meiner. Ich war von der Überzeugung durchdrungen - von der verfügbaren Willenskraft -, das ist alles.

Mir wurde klar wie noch keinem vor mir, von welch

entscheidender Wichtigkeit es ist, jedermann von der Erde zu entfernen, ehe Quetzalcoati zurückkehrt, und ich erkannte ferner, daß es auf elegante Weise geschehen muß. Ich hasse Schlächterei jeder Art, und Hängen ist barbarisch roh. Wie Sie wissen, hat letztes Jahr die gesetzgebende Körperschaft von New York sich für die elektrische Hinrichtung von Verurteilten entschieden - aber all die Apparate, an die man denkt, sind so primitiv wie Stephensons »Rocket. oder Davenports erste Elektrolokomotive. Ich kenne eine bessere Methode und hielt damit auch nicht hinter dem Berg, aber man hat mir keine Aufmerksamkeit geschenkt. Gott, welche Narren! Als wüßte ich nicht alles, was man über die Menschen, den Tod und die Elektrizität wissen kann - über den Studenten, den reifen Mann und den Jungen - Techniker und Mechaniker - Glücksritter...«

Er lehnte sich zurück und kniff die Augen zusammen.

»Vor zwanzig und mehr Jahren diente ich in Maximilians Armee. Ich sollte geadelt werden. Dann haben ihn diese verdammten Mexen umgebracht, und ich mußte nach Hause zurückkehren. Ich bin jedoch wiedergekommen - hin und her, hin und her. Ich wohne in Rochester, New York....

Seine Augen nahmen einen verschlagenen Ausdruck an; er beugte sich vornüber und berührte meine Knie mit den Fingern seiner paradoxerweise zarten Hand.

»Ich kam wieder, sage ich, und ich drang tiefer als jeder einzelne von ihnen. Ich hasse die Mexen, aber ich liebe die Mexikaner! EinRätsel? Hören Sie mir zu, junger Mann - Sie glauben doch nicht, daß Mexiko wirklich spanisch ist? Großer Gott, wenn Sie die Stämme kennen würden, die ich kenne! In den Bergen - in den Bergen - Anahuac - Tenochtitlan, die uralten....

Seine Stimme wurde zu einem Singsang und einem nicht unmelidiösen Heulen. »lä!

Huitzilopochtli!... Nuhuatlacati! Sieben, sieben, sieben...

Xochimiica, Chaica, Tepaneca, Acolhua, Tiahuica, Tiascalteca, Azteca!... lä! lä! Ich war in den Sieben Höhlen des Chicomoztoc, aber niemand wird es je erfahren! Ihnen sage ich es, weil Sie es nie wiederholen werden....

Er endete und fuhr im Gesprächston fort.

»Es würde Sie überraschen, wüßten Sie, was man sich in den Bergen alles erzählt. Huitzilopochtli kehrt zurück... daran besteht kein Zweifel. Jeder Peon südlich von Mexico City kann Ihnen das bestätigen. Ich wollte jedoch nichts dagegen unternehmen. Ich kehrte nach Hause zurück, ich sage es Ihnen, immer wieder, und wollte der Gesellschaft mit meiner elektrischen Hinrichtungsmaschine einen großen Dienst erweisen, als diese verfluchte gesetzgebende Körperschaft in Albany sich für die andere Methode entschied. Ein schlechter Scherz, Sir, ein schlechter Scherz! Ein Großvaterstuhl, man sitzt am Kamin - Hawthorne -.

Der Mann kicherte erneut in einer krankhaften Parodie guter Laune.

»Ja, Sir, ich wäre gern der erste Mensch, der in ihrem verdammten Stuhl sitzt und ihren kleinen Zwei- Groschen-Batteriestrom spürt! Er bringt nicht einmal Froschschenkel zum Tanzen! Und man glaubt, damit Mörder hinrichten zu können -

Belohnung für Verdienste - das alles! Dann aber, junger Mann, erkannte ich die Nutzlosigkeit - die zwecklose Unlogik sozusagen -, die darin liegt, daß man nur einige wenige umbringt. Jeder ist ein Mörder man mordet Einfälle - stiehlt Erfindungen - man hat meine durch Beobachtung und

Beobachtung und Beobachtung gestohlen - «

Der Mann drohte zu ersticken, er mußte innehalten, und ich redete ihm beruhigend zu.

»Ich zweifle nicht daran, daß Ihre Erfindung die weitaus bessere war, und vielleicht wird man das schließlich auch einsehen.«

Offenkundig reichte mein Takt nicht, denn seine Reaktion bewies nur neuerlichen Ärger.

»Sie "zweifeln nicht"? Welch nette, milde konservative Versicherung! Sie scheren sich einen Teufel - aber Sie werden es bald wissen. Zum Teufel noch mal, alles Gute, was an diesem elektrischen Stuhl je dran sein wird, hat man mir gestohlen. Das hat mir der Geist des Nazahualpilli auf dem heiligen Berg verraten. Man hat mich beobachtet und beobachtet und beobachtet -.

Er drohte wieder zu ersticken und machte wieder eine dieser Gesten, bei denen er sowohl den Kopf zu schütteln wie auch den Gesichtsausdruck zu verändern schien. Das schien ihn kurze Zeit zu beruhigen.

»Meine Erfindung muß nur noch getestet werden. Hier ist sie.

Die Drahtkapuze oder das Kopfnetz ist flexibel und leicht überzustreifen. Ein Nackenstück hält einen fest, aber erdrosselt einen nicht. Die Elektroden berühren die Stirn und die Basis des Zerebellums - weiter ist nichts nötig. Halte den Kopf, und was kann sich noch rühren? Diese Narren dort oben in Albany mit ihrem geschnitzten Eichen-Lehnstuhl bilden sich ein, man müsse von Kopf bis Fuß Vorkehrungen treffen. Idioten! Wissen diese Blödiane nicht, daß man einen Menschen nicht mehr durch den Leib schießen muß, wenn man sein Gehirn durchlöchert hat? Ich habe Männer im Kampf sterben sehen - ich weiß es besser. Und dann ihr dummer Hochspannungsstromkreis -

Dynamos - Generatoren - das ganze Zeug. Warum hat man nicht erkannt, was mir mit der Speicherbatterie gelungen ist?

Niemand hat mich angehört - niemand weiß es - ich allein besitze das Geheimnis - ich und Sie, falls ich mich entscheide.

Sie am Leben zu lassen... Ich brauche jedoch Versuchspersonen

- Personen - wissen Sie, wen ich als ersten ausgewählt habe?«

Ich versuchte es mit einem kleinen Scherz, der rasch in freundlichem Ernst aufging, als Beruhigungsmittel. Rasches Denken und treffende Worte konnten mich vielleicht noch retten.

»Wahrhaftig, unter den Politikern in San Francisco, woher ich komme, gibt es eine Menge großartiger Versuchspersonen. Die brauchen Ihre Behandlung, und ich möchte Ihnen helfen. Sie einzuführen. Ich glaube wirklich, Ihnen helfen zu können. Ich habe einen gewissen Einfluß in Sacramento, und wenn Sie mit mir in die Vereinigten Staaten zurückkehren, nachdem ich meine Angelegenheit in Mexico erledigt habe, werde ich mich darum kümmern, daß man Sie anhört.«

Er antwortete nüchtern und höflich.

»Nein - ich kann nicht zurückkehren. Ich habe geschworen, es nicht zu tun, als diese Verbrecher in Albany meine Erfindung ablehnten und Spione aussandten, um mich zu beobachten und zu bestehlen.

Ich brauche jedoch amerikanische Versuchspersonen. Diese Mexen stehen unter einem Fluch, und das fiele zu leicht; und die reinrassigen Indianer - die wirklichen Kinder der gefiederten Schlange - sind geweiht und unverletzlich, abgesehen davon, daß sie richtige Weiheopfer sind... und selbst diese müssen dem Zeremoniell entsprechend geschlachtet werden. Ich muß Amerikaner bekommen, ohne zurückzukehren - und der erste von mir ausgewählte Mensch wird ganz besonders geehrt und ausgezeichnet werden. Wissen Sie, um wen es sich handelt?.

Ich versuchte verzweifelt, mir etwas einfallen zu lassen.

»Ach, wenn das ein Problem sein sollte, treibe ich ein Dutzend erstklassige Yankee- Versuchskaninchen für Sie auf, sobald wir in Mexico City sind. Ich weiß, wo es Unmengen armer Bergleute gibt, die man tagelang nicht vermissen wird -.

Er unterbrach mich jedoch mit einem neuen und plötzlichen Anstrich von Autorität, der etwas von wahrer Würde an sich hatte.

»Das reicht - wir haben genug Zeit verschwendet. Erheben Sie sich und stehen Sie stramm wie ein Mann. Sie sind die ausgewählte Versuchsperson, und in der anderen Welt werden Sie mir für diese Ehre dankbar sein, so wie das Weiheopfer dem Priester dafür dankt, daß er ihm zu ewigem Ruhm verholten hat.

Ein neues Prinzip - kein anderer Lebender hat von einer solchen Batterie geträumt, und vielleicht wird sie nicht wieder entdeckt, und experimentierte die ganze Welt tausend Jahre lang.

Wissen Sie, daß die Atome nicht das sind, was sie zu sein scheinen? Narren! Noch in hundert Jahren würde sich irgendein Tölpel den Kopf zerbrechen zu erraten, wenn ich die Welt am Leben ließe!.

Als ich mich auf seinen Befehl erhob, holte er weitere Meter Schnur aus dem Koffer und stand stramm neben mir, den Drahthelm in beiden Händen mir entgegengestreckt und einen Blick echter Begeisterung auf seinem gebräunten und bärtigen Gesicht. Einen Augenblick lang glich er einem strahlenden hellenischen Mystagogen oder Hierophanten.

»Hier, o junger Mann - ein Trankopfer! Wein des Kosmos -

Nektar der gestirnten Weltenräume - Linos - lacchus - lalemus -

Zagreus - Dionysos - Atys - Hylus - Apollo entsprungen und getötet von den Hunden von Argos - Saat der Psamathe - Kind der Sonne - Evoe! Evoe!«Er hatte wieder seinen Singsang angestimmt, und diesmal schien sein Geist zurück zu den klassischen Erinnerungen seiner Collegetage gewandert zu sein.

In meiner aufrechten Stellung bemerkte ich, daß die Notbremse sich nicht weit über unseren Köpfen befand, und fragte mich, ob ich sie wohl erreichen konnte, wenn ich so tat, als reagiere ich mit einer Geste auf seine zeremonielle Stimmung. Es war den Versuch wert, meine Arme auf ihn zu und feierlich in die Höhe zu werfen, wobei ich den lauten Schrei »Evoe« ausstieß in der Hoffnung, ich könne die Leine ziehen, bevor er es merkte. Es nützte jedoch nichts. Er erkannte meine Absicht und fuhr mit einer Hand zur rechten Manteltasche, in der mein Revolver steckte. Worte waren überflüssig, und einen Augenblick standen wir da wie Statuen. Dann sagte er ruhig: »Beeilen Sie sich!.

Wiederum mühte sich mein Geist verzweifelt ab, irgendeinen Fluchtweg zu ersinnen. Die Türen, das wußte ich, waren bei mexikanischen Zügen unverschlossen. Mein Reisegefährte konnte mich jedoch einfach am Versuch hindern, eine zu öffnen und hinausspringen zu wollen. Außerdem fuhr der Zug in so hohem Tempo, daß die Sache im Falle des Gelingens für mich vermutlich ebenso tödlich wäre wie beim Mißlingen. Mir verblieb nur noch, Zeit zu schinden. Ein gutes Stück der dreieinhalbstündigen Fahrt war bereits zurückgelegt, und wenn wir erst in Mexico City wären, würden die Bahnhofswachen und die Polizei sofortige Sicherheit bedeuten.

Es gäbe zwei diplomatische Möglichkeiten, dachte ich. Wenn ich ihn dazu bringen könnte, das Überziehen der Haube hinauszuschieben, würde ich Zeit gewinnen. Natürlich glaubte ich nicht, daß das Ding wirklich tödlich war, ich wußte jedoch genug von Wahnsinnigen, um zu verstehen, was geschehen würde, wenn es nicht funktionierte. Zu seiner Enttäuschung käme das verrückte Gefühl hinzu, daß ich für den Fehlschlag verantwortlich wäre, was seine Aufmerksamkeit fesseln und mehr oder minder ausgedehnte Nachforschungen nach anderen Einflüssen auslösen würde. Ich fragte mich nur, wie weit seine Glaubensseligkeit ginge und ob ich gleich das Scheitern prophezeihen solle, wobei mir dann das Scheitern selbst den Weihestempel des Sehers oder Eingeweihten oder sogar eines Gottes aufdrücken würde. Ich kannte genug von der

mexikanischen Mythologie, um den Versuch wagen zu können, auch wenn ich mein Heil zunächst in anderen

Verzögerungstaktiken suchen und die Prophezeiung als plötzliche Offenbarung ins Spiel bringen würde. Würde er mich schließlich verschonen, wenn ich ihn dazu bringen könnte, mich für einen Propheten oder einen Gott zu halten? Würde er mir

»abnehmen«, Quetzalcoatl oder Huitzilopochtli zu sein? Alles war mir recht, wenn es nur gelang, die Suche bis zu unserer planmäßigen Ankunft um fünf Uhr in Mexico City

hinauszuzögern.

Meine erste »Verzögerungstaktik« war der uralte

Testamentstrick, den Verrückten dazu zu bringen, seinen Befehl, ich solle mich beeilen, zu wiederholen. Ich erzählte ihm von meiner Familie und der geplanten Heirat und bat ihn um den Gefallen, ein Testament abfassen zu dürfen und über mein Geld und das sonstige Vermögen Verfügungen zu treffen. Falls er mir etwas Papier zur Verfügung stellen und sich bereit erklären würde, das von mir Geschriebene zur Post zu geben, könnte ich ruhig und in Frieden sterben. Nach einiger Überlegung gab er meinem Verlangen statt und suchte in seinem Koffer nach einem Notizblock, den er mir mit ernster Miene reichte, während ich mich wieder setzte. Ich holte einen Bleistift hervor, dem ich gleich am Anfang geschickt und heimlich die Spitze abbrach und so für Verzögerung sorgte, während er nach einem anderen Bleistift suchte. Als er ihn mir reichte, nahm er den abgebrochenen Bleistift an sich und schickte sich an, ihn mit einem großen Messer mit Horngriff zu spitzen, das er unter dem Mantel im Gürtel getragen hatte. Es war offenkundig, daß mir ein zweites Abbrechen des Bleistifts nicht viel nützen würde.

Ich kann mich jetzt kaum mehr erinnern, was ich schrieb. Es war weitgehend wirres Zeug und setzte sich zusammen aus zufälligen Bruchstücken im Gedächtnis haften gebliebener Literatur, wenn mir sonst nichts einfiel, was ich niederschreiben konnte. Ich schrieb absichtlich so unlesbar wie möglich, aber so, daß die Zeichen noch immer als Schrift erkennbar waren, denn ich wußte sehr wohl, daß er sich höchstwahrscheinlich das Ergebnis ansehen würde, ehe er mit seinem Experiment begann, und es war nicht schwer zu erraten, wie er auf augenfälligen Unsinn reagieren würde. Das war eine entsetzliche Prüfung, und ich ärgerte mich jede Sekunde über das Schneckentempo des Zuges. Früher hatte ich mir oft einen fröhlichen Galopp zu dem munteren »Ratata« der Räder auf den Schienen gepfiffen, aber jetzt schien das Tempo zu dem eines Leichenzuges

herabgesunken zu sein - und zwar meines Leichenzuges, wie es mir grimmig durch den Kopf ging. Meine List funktionierte, bis ich mehr als vier Seiten DIN A4 bedeckt hatte. Dann zog der Verrückte zu guter Letzt seine Uhr und sagte mir, ich hätte nur noch fünf Minuten. Was sollte ich noch anstellen? Ich machte mich hastig daran, so zu tun, als schlösse ich mein Testament ab, als mir eine neue Idee kam. Ich hörte schwungvoll auf und reichte ihm die fertigen Blätter, die er achtlos in die linke Manteltasche steckte. Dabei erinnerte ich ihn an meine einflußreichen Freunde in Sacramento, die sich sehr für seine Erfindung interessieren würden.

»Gehört sich doch, daß ich Ihnen ein Empfehlungsschreiben mitgebe«, sagte ich. »Vielleicht sollte ich auch eine signierte Skizze und Gebrauchsanweisung für Ihre Hinrichtungsmaschine beifügen, damit man Sie freundlich empfängt? Die Leute können Sie berühmt machen, müssen Sie wissen - und es besteht überhaupt kein Zweifel, daß man Ihre Methode im Staat Kalifornien anwendet, wenn man von ihr durch jemanden wie mich hört, den man kennt und dem man vertraut..

Ich schlug diesen Weg auf die Chance hin ein, daß ihn seine Vorstellung vom verkannten Erfinder die aztekischreligiöse Seite seines Wahns für eine Weile vergessen lassen würde. Falls er wieder darauf zurückkäme, ^überlegte ich mir, würde ich ihn mit »Offenbarungen« und »Prophezeiungen.

überraschen. Mein Plan funktionierte, denn seine glühenden Augen verrieten eifrige Zustimmung, auch wenn er mir brüsk befahl, mich zu beeilen. Er räumte den Koffer noch weiter aus und holte eine seltsam aussehende Masse von gläsernen Zellen und Windungen hervor, die mit dem Draht, der von der Kapuze abging, verbunden waren. Dabei schoß er eine Salve von Bemerkungen auf mich ab, die zu fachmännischer Natur waren, als daß ich ihnen hätte folgen können, die aber völlig plausibel und logisch wirkten. Ich tat so, als notierte ich alles, was er sagte, und fragte mich dabei, ob der seltsame Apparat vielleicht nicht doch eine Batterie war. Würde ich einen leichten Schlag verspüren, wenn er die Vorrichtung einschaltete? Der Mensch redete zweifellos, als wäre er wirklich Elektriker. Die Beschreibung seiner Erfindung war eindeutig etwas, was ihm lag, und ich erkannte, daß er nicht mehr so ungeduldig war wie zuvor. Die hoffnungsvolle Morgenröte schimmerte durch die Fenster, ehe er fertig war, und ich spürte schließlich, daß meine Chance zur Flucht greifbar nahe war.

Aber auch ihm entging die Morgenröte nicht, und er setzte wieder seinen wilden Blick auf. Er wußte, daß der Zug um fünf in Mexico City eintreffen sollte, und würde bestimmt eine rasche Entscheidung erzwingen, wenn es mir nicht gelänge, sein Urteilsvermögen mit verführerischen Ideen auszuschalten.

Als er sich mit entschlossener Miene erhob und die Batterie auf den Sitz neben den offenen Koffer legte, erinnerte ich ihn daran, daß ich die notwendige Skizze noch nicht angefertigt hatte. Ich bat ihn, den Kopfteil zu halten, damit ich daneben die Batterie zeichnen konnte. Er kam dieser Aufforderung nach und setzte sich, wobei er mich wiederholt mahnte, mich zu beeilen.

Nach einem weiteren Augenblick hielt ich inne, um

Informationen zu erbitten. Ich fragte ihn, wie das Opfer für die Hinrichtung placiert werden und wie man seinen vermutlichen Widerstand überwinden würde.

»Kein Problem«, erwiderte er, »der Verbrecher ist fest an einen Pfahl angebunden. Es spielt keine Rolle, wie sehr er den Kopf hin und her wirft, denn der Helm sitzt fest und zieht sich noch fester zusammen, wenn der Strom eingeschaltet wird. Man dreht allmählich am Schalterman sieht ihn hier, eine sorgfältig ausgetüftelte Anordnung mit einem Rheostat..

Eine neue Idee, Zeit zu schinden, kam mir, als die bestellten Felder und die wachsende Anzahl von Häusern draußen im Morgenlicht von unserer Annäherung an die Hauptstadt kündeten.

»Aber«, sagte ich, »ich muß den Helm ebenso an Ort und Stelle auf einem Menschenkopf zeichnen wie neben der Batterie. Können Sie ihn nicht selbst einen Augenblick überziehen, damit ich Sie mit ihm zeichnen kann? Die Zeitungen verlangen das ebenso wie die Politiker, denn sie legen großen Wert auf Vollständigkeit.«

Ich hatte zufällig besser ins Schwarze getroffen als geplant; denn bei der Erwähnung der Presse begannen die Augen des Verrückten neuerlich zu leuchten.

»Die Zeitungen? Ja, zum Teufel mit ihnen, Sie können sogar die Zeitungen dazu bringen, mich anzuhören! Sie haben mich alle ausgelacht und wollten nicht ein Wort drucken. Hier, beeilen Sie sich!

Wir dürfen keine Sekunde verlieren!

Jetzt werden sie die Bilder bringen, der Teufel hole sie! Ich verbessere Ihre Skizze, falls Ihnen Fehler unterlaufen - man muß so genau sein wie möglich. Die Polizei findet Sie später schon -

Sie werden erklären, wie es funktioniert. Eine Meldung in der Associated Press - bestätigt Ihren Brief - unsterblicher Ruhm...

Beeilen Sie sich, beeilen Sie sich, verdammt noch mal!«

Der Zug rumpelte über das schlechtere Schotterbett in Stadtnähe, und wir schaukelten ab und zu gefährlich hin und her. Ich nahm dies als Vorwand, den Bleistift neuerlich abzubrechen, aber natürlich reichte mir der Verrückte sofort seinen, den er gespitzt hatte. Ein erster Vorrat an Kriegslisten war schon fast aufgebraucht, und ich spürte, daß ich mich bald dem Kopfteil ausliefern mußte. Wir waren noch immer eine gute Viertelstunde vom Zielbahnhof entfernt, und es war an der Zeit, meinen Gefährten bei der Religion zu packen und die göttliche Prophezeiung auf ihn loszulassen.

Ich raffte zusammen, was ich noch an Bruchstücken der nahuanaztekischen Mythologie wußte, warf plötzlich Bleistift und Papier nieder und setzte zu einem Singsang an.

»la! la. Tloquenahuaque, Der Du Ganz in Dir Selbst bist!

Auch Du, Ipalnemoan, Durch den wir leben!

Ich höre, ich höre! Ich sehe, ich sehe! Schlangentragender Adler, heil! Eine Botschaft, eine Botschaft!

Huitzilopochtli, in meiner Seele hallt dein Donner wider!.

Als er meine Beschwörungen vernahm, starrte der Verrückte ungläubig durch seine seltsame Maske.

Sein hübsches Gesicht zeigte Überraschung und Verblüffung, die bald von Beunruhigung abgelöst wurden. Sein Geist schien einen Augenblick lang leer zu sein und sich dann in einem anderen Muster neu zu kristallisieren. Mit erhobenen Händen intonierte er wie in einem Traum.

»Mictianteuctii, Gewaltiger Herr, ein Zeichen! Ein Zeichen aus dem Innern deiner schwarzen Höhle! la! Tonatiu-Metzli!

Cthulhu! Befiehl, und ich gehorche!.

In diesem ganzen Schwall von Unsinn, mit dem er reagierte, gab es ein Wort, das eine merkwürdige Seite in meinem Gedächtnis anschlug. Das ist seltsam, weil es in keiner gedruckten Darstellung der mexikanischen Mythologie vorkommt, doch hatte ich es mehr als einmal als ehrfürchtiges Geflüster unter den Peonen in den Tlaxcala-Bergwerken meiner eigenen Gesellschaft vernommen. Es schien Teil eines außergewöhnlich geheimen und uralten Rituals zu sein, denn es gab geflüsterte Reaktionen, auf die ich ab und zu gestoßen war und die den Fachgelehrten so unbekannt waren wie mir selbst.

Dieser Verrückte mußte beträchtliche Zeit unter den Peonen und Indianern der Berge verbracht haben, wie er ja auch behauptet hatte, denn gewiß konnten solche unaufgezeichneten Überlieferungen nicht von bloßem Buchwissen stammen. Da ich die Bedeutung erkannte, die er seinem doppelt esoterischen Jargon beimessen mußte, beschloß ich, ihn an seiner verwundbarsten Stelle zu treffen und ihm mit dem

Kauderwelsch zu dienen, dessen sich die Eingeborenen bedienten.

»Ya-R'lyeh! Ya-R'lyeh!« rief ich. »Cthulhu fhtaghan!

Nigurat-Yig! Yog-Sototl -.

Ich hatte keine Chance auszureden. Durch die exakte Reaktion, die sein Unbewußtes höchstwahrscheinlich nicht erwartet hatte, zur religiösen Epilepsie elektrisiert, warf sich der Verrückte auf die Knie nieder. Er neigte immer wieder den Kopf mit dem Drahthelm und drehte ihn dabei auch noch nach links und rechts. Mit jeder Drehung wurden seine Verbeugungen tiefer, und ich konnte hören, wie seine schaumbedeckten Lippen die Silben »töte, töte, töte« in einem rasch zunehmenden monotonen Klang wiederholten. Mir wurde klar, daß ich zu weit gegangen war und daß meine Reaktion eine akut wachsende Manie ausgelöst hatte, die ihn, noch ehe der Zug die Station erreichte, zum Mord treiben würde.

Mit dem allmählich größer werdenden Radius der Drehungen des Verrückten war der Spielraum des Kabels, das vom Kopfstück der Batterie führte, immer geringer geworden. Nun erweiterte er ihn in einem alles vergessenden ekstatischen Delirium zu vollständigen Kreisen, so daß sich das Kabel um seinen Hals zu wickeln begann und an der Verbindung mit der Batterie auf dem Sitz zerrte. Ich fragte, was er tun würde, wenn das Unausweichliche geschah und die Batterie zu Boden gezerrt würde, um dort vermutlich zu zerschellen.

Dann trat die plötzliche Katastrophe ein. Die Batterie, die von der letzten Bewegung orgiastischer Raserei des Verrückten über den Sitz gezerrt worden war, fiel wirklich zu Boden, aber ohne gänzlich zu zerbrechen. Statt dessen wurde der Aufprall vom Rheostat aufgefangen, was mein Auge in einem nur allzu flüchtigen Augenblick erhaschte, so daß der Schalter sofort auf volle Belastung gerissen wurde. Und das Wunder war, daß es wirklich Strom gab. Die Erfindung war kein bloßer Wahnsinnstraum.

Ich sah einen blendenden Blitz wie eine Aurora, hörte einen Aufschrei und ein Aufheulen, entsetzlicher als die vorhergehenden Schreie während dieser verrückten,

fürchterlichen Reise, und spürte den abstoßenden Geruch brennenden Fleisches. Mehr konnte mein überreiztes Bewußtsein nicht mehr ertragen, und ich sank bewußtlos zu Boden.

Als mich die Zugwache in Mexico City wiederbelebte, hatte sich vor der Tür meines Abteils eine Menge angesammelt. Auf meinen unwillkürlichen Aufschrei hin nahmen die Gesichter der Herbeidrängenden einen neugierigen und zweifelnden Ausdruck an, und ich war erleichtert, als die Wache alle bis auf den adretten Arzt ausschloß, der sich den Weg bis zu mir gebahnt hatte. Mein Aufschrei war nur eine natürliche Reaktion, aber sie war durch etwas mehr ausgelöst worden als durch den schockierenden Anblick auf dem Waggonboden, den ich vorzufinden erwartet hatte. Vielleicht sollte man sagen, von etwas weniger, denn in Wahrheit befand sich auf dem Fußboden überhaupt nichts.

Es war auch niemand drinnen gewesen, sagte der Mann von der Zugwache, als er die Tür öffnete und mich bewußtlos im Innern fand. Für dieses Abteil war nur meine Fahrkarte verkauft worden, und ich war die einzige Person, die man darin gefunden hatte. Nur mich und meinen Koffer, sonst nichts. Ich war die ganze Strecke von Queretaro an allein gewesen. Zugwache, Arzt und Neugierige tippten sich auf meine verzweifelten und beharrlichen Fragen vielsagend auf die Stirn.

War das alles ein Traum gewesen oder war ich wirklich verrückt? Ich erinnerte mich an meine Besorgnis und die überreizten Nerven, und mich schauderte. Ich dankte dem Mann von der Zugwache und dem Arzt, bahnte mir den Weg durch die neugierige Menge, sank in ein Taxi und ließ mich zur Fonda Nacional bringen, wo ich, nachdem ich Jackson in dem Bergwerk telegraphisch unterrichtet hatte, bis zum Nachmittag schlief, um meine Nerven wieder unter Kontrolle zu bekommen.

Ich ließ mich um ein Uhr wecken, um rechtzeitig die Schmalspurbahn zum Bergwerksgebiet zu erreichen, aber als ich aufstand, fand ich ein Telegramm unter der Tür. Es stammte von Jackson und enthielt die Mitteilung, daß man Feidon am Morgen tot in den Bergen gefunden hatte, die Nachricht hatte das Bergwerk gegen zehn Uhr erreicht. Die Unterlagen waren alle in Sicherheit, und das Büro in San Francisco war entsprechend informiert worden. So war die ganze Reise mit ihrer nervösen Hast und der qualvollen Gemütsbelastung vergebens gewesen!

Da ich wußte, daß McComb trotz der Entwicklung, welche die Ereignisse genommen hatten, von mir einen persönlichen Bericht erwartete, sandte ich eine weitere Depesche ab und nahm doch die Schmalspurbahn. Vier Stunden später langte der Zug ratternd und rüttelnd in der Station des Bergwerks Nr. 3 an, wo mich Jackson herzlich begrüßte. Die Angelegenheiten des Bergwerks nahmen ihn so in Anspruch, daß ihm meine Erschütterung und mein elendes Aussehen gar nicht auffielen.

Die Geschichte des Direktors fiel kurz aus, und er erzählte sie mir, als er mich zu der Hütte auf dem Hügel über dem arrastra, wo Feidons Leichnam lag, führte. Feidon, erklärte er, war stets ein merkwürdiger, mürrischer Mensch gewesen, schon als er vor einem Jahr eingestellt wurde. Er hatte insgeheim an irgendeiner mechanischen Vorrichtung gearbeitet, über ständige Bespitzelung Klage geführt und hatte mit den einheimischen Arbeitern auf unerwünscht gutem Fuß gestanden. Doch kannte er sich unbestritten mit der Arbeit, dem Land und den Leuten aus. Er pflegte lange Ausflüge in die Berge zu unternehmen, wo die Peone lebten, und sogar an ihren uralten, heidnischen Zeremonien teilzunehmen. Er deutete genauso oft merkwürdige Geheimnisse und fremdartige Kräfte an, wie er sich seiner Geschicklichkeit in mechanischen Dingen rühmte. In letzter Zeit war er rasch verfallen, hatte seine Kollegen mit krankhaftem Argwohn verfolgt und sich mit seinen einheimischen Freunden an Erzdiebstählen beteiligt, als seine Geldmittel schwanden. Aus diesem oder jenem Grund brauchte er sündhaft hohe

Geldbeträge - ständig kamen für ihn Kisten aus Laboratorien und Werkstätten in Mexico City oder den Vereinigten Staaten an.

Was seine schließliche Flucht mit allen Unterlagen anging -

das war nur eine verrückte Rachegeste für das, was er

»Bespitzelung« nannte. Er war unzweifelhaft hochgradig verrückt, denn er war durch das Land gezogen zu einer verborgenen Höhle an einem wildzerklüfteten Hang der von Gespenstern heimgesuchten Sierra de Malinche, wo kein Weißer lebt, und hatte einige erstaunlich merkwürdige Dinge getan. Die Höhle, die man ohne die schließliche Tragödie nie gefunden hätte, war voller aztekischer Idole und Altäre, letztere waren mit den versengten Knochen neuerer entsetzlicher Flammenopfer bedeckt. Die Einheimischen wollten nichts verraten - sie schworen sogar hoch und heilig, von nichts zu wissen -, doch war unschwer zu erkennen, daß ihnen die Höhle als alter Treffpunkt diente und daß sich Feidon an ihren Praktiken beteiligt hatte.

Die Suchmannschaft hatte den Ort nur wegen des Singsangs und des Aufschreis am Schluß gefunden.

Es war fast fünf Uhr morgens gewesen, und nachdem sie die ganze Nacht kampiert hatten, hatte sich die Mannschaft eben angeschickt zusammenzupacken, um unverrichteter Dinge zum Bergwerk zurückzukehren. Dann aber hatte jemand in einiger Entfernung schwache Klänge vernommen und wußte sofort, daß einer der abscheulichen alten Eingeborenenriten an einer einsamen Stelle am Hang des leichenförmigen Berges hinausgeheult wurde. Sie hörten dieselben alten Namen -

Mictianteuctii, Tonatiuh-Metzli, Cthulhu, Ya-R'lyeh und alle übrigen -, aber das Merkwürdige war, daß vermischt mit ihnen auch englische Wörter vorkamen. Das echte Englisch des weißen Mannes, nicht das des Mexen- Kauderwelsch. Sie eilten den Klängen nach, den mit Schlingpflanzen bewachsenen Berghang empor, als nach einer kurzen Stille der Aufschrei ihre Ohren traf. Es war etwas Grauenvolles - etwas Schlimmeres, als jeder einzelne von ihnen je gehört hatte. Es schien eine leichte Rauchentwicklung zu geben, und ein scheußlicher ätzender Geruch machte sich breit.

Dann stießen sie auf die Höhle, deren Eingang durch Mesquitensträucher verdeckt war, doch stiegen aus ihm jetzt Wolken eines stinkenden Rauches. Innen war die Höhle von Kerzen erhellt, die erst vor einer halben Stunde entzündet worden sein mußten. In ihrem zuckenden Schein zeigte sich der entsetzliche Altar mit seinen grotesken Bildern, und auf dem kiesbedeckten Boden lag das Grauenvolle, das die ganze Menge zurückschaudern ließ. Es war Feidon, den Kopf zu Asche verbrannt durch eine merkwürdige Vorrichtung, die er sich übergestülpt hatte - eine Art Drahtkäfig, der mit einer ziemlich mitgenommenen Batterie verbunden war, die offenkundig von einem nahen Altarkelch zu Boden gefallen war. Bei diesem Anblick wechselten die Männer Blicke, denn sie mußten an die

»elektrische Hinrichtungsmaschine« denken, die erfunden zu haben sich Feidon immer rühmte - die Vorrichtung, die alle abgelehnt, aber zu stehlen und nachzuahmen versucht hatten.

Die Unterlagen waren sicher in Feidons offener Aktentasche, die in der Nähe stand. Die Kolonne der Suchmannschaft marschierte mit ihrer gräßlichen Last auf einer improvisierten Tragbahre eine Stunde lang nach Nr. 3 zurück.

Das war alles, aber es reichte, um mich erblassen und zurückschrecken zu lassen, als mich Jackson an der arrastra vorbei zu dem Schuppen führte, in dem die Leiche lag. Denn mir mangelte es nicht an Phantasie, und ich wußte nur zu gut, in welch höllischen Alptraum diese Tragödie auf übernatürliche Weise sich einfügte. Ich wußte, was ich innerhalb der weit offenstehenden Tür finden würde, um die sich die Bergarbeiter scharten, und zuckte mit keiner Wimper, als meine Augen die Riesengestalt, die einfachen Kordkleider, die merkwürdig zarten Hände, die verbrannten Bartbüschel und die höllische Maschine erblickten - die Batterie leicht zerbrochen und das Kopfstück geschwärzt durch das Verkohlen dessen, was sich darin befand.

Die große, vollgestopfte Aktentasche überraschte mich nicht, und ich bebte nur vor zweierlei zurück - zunächst den gefalteten Papierblättern, die aus der linken Tasche hervorschauten. Als niemand hinsah, streckte ich die Hand aus, nahm die allzu vertrauten Blätter an mich und zerknüllte sie, ohne es zu wagen, mir die Schrift anzusehen. Jetzt tut es mir leid, daß ich sie in jener Nacht mit abgewandten Augen in panischer Furcht verbrannte. Sie wären ein materieller Beweis für oder gegen etwas gewesen - aber schließlich hätte ich noch immer meinen Beweis haben können, wenn ich den Coroner über den Revolver befragt hätte, den er später aus der herunterhängenden rechten Jackentasche holte. Ich brachte nie den Mut auf, ihn danach zu fragen - denn mein eigener Revolver fehlte mir seit jener Nacht im Zug. Auch zeigte mein Taschenbleistift Anzeichen eines unbeholfenen und eiligen Spitzens, ganz anders als die präzise Schärfe, die ich ihm am Freitagnachmittag mit der Maschine in Präsident McCombs Privatwaggon gegeben hatte.

So kehrte ich schließlich, noch immer im dunkeln tappend, zurück - vielleicht barmherzigerweise im dunkeln tappend. Als ich nach Queretaro kam, war der Privatwaggon schon repariert, aber die richtige große Erleichterung verspürte ich erst, als wir den Rio Grande Richtung El Paso und Vereinigte Staaten überquerten. Am folgenden Freitag war ich wieder in San Francisco, und die verschobene Heirat fand in der

darauffolgenden Woche statt.

Was aber in jener Nacht wirklich geschah - wie schon gesagt, ich wage es einfach nicht, mir darüber den Kopf zu zerbrechen.

Dieser Bursche Feidon war von Anfang an verrückt, und darüber hinaus hatte er eine Unmenge prähistorischer aztekischer magischer Überlieferung gesammelt, die von Rechts wegen niemand wissen darf. Er war ein echtes Erfindergenie, und jene Batterie muß wirklich eine Batterie gewesen sein. Ich hörte später, daß ihn in früheren Jahren die Presse, die Öffentlichkeit und die Machthaber nicht ernst genommen hatten.

Menschen einer gewissen Sorte tun allzu viele Enttäuschungen nicht gut. Wie auch immer, eine unheilige Verbindung verschiedener Einflüsse spielt mit herein. Er hatte übrigens wirklich unter Maximilian als Soldat gedient.

Wenn ich meine Geschichte erzähle, nennen mich die meisten glatt einen Aufschneider. Andere sehen die Ursache in der Psychologie des Abnormen - und der Himmel weiß, daß ich übernervös war-, und wieder andere reden von einer »astralen Projektion«. Mein Eifer, Feidon zu fangen, ließ gewiß meine Gedanken zu ihm vorauseilen, und bei all seiner indianischen Zauberei wäre er der erste gewesen, der sie erkannt hätte und auf sie eingegangen wäre. War er in dem Eisenbahnabteil oder war ich in der Höhle auf dem leichenförmigen Spukberg? Was wäre mit mir geschehen, hätte ich ihn nicht auf die Weise hingehalten, wie ich es tat? Ich gebe zu, ich weiß es nicht, und ich bin nicht sicher, daß ich es wissen will. Ich bin seit damals nicht mehr in Mexiko gewesen - und wie ich am Anfang sagte, ich höre nicht gern von elektrischen Hinrichtungen.