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Sieben Kilometer entfernt in Westwood lief Dwight Cook rastlos vor seinem Bett auf und ab.
Unwillkürlich musste er an seinen Vater denken, der ihn – es musste so in der achten Klasse gewesen sein – wütend angeschrien hatte: Halt doch endlich mal still. Bleib stehen! Du treibst mich noch in den Wahnsinn. Maggie, sag deinem verrückten Sohn, wie kribbelig er die Leute macht, wenn er sich so aufführt.
Seine Mutter hatte seinen Vater nur am Arm gepackt und geflüstert: Hör auf zu schreien, David. Du weißt doch, laute Stimmen machen Dwight nervös. Und wenn er nervös ist, läuft er auf und ab. Und nenn deinen Sohn nicht verrückt.
Dwight hatte sich in der Highschool das obsessive Auf-und-ab-Gehen abgewöhnt, indem er sich einfach auf die Hände gesetzt hatte. Er hatte gelernt, dass andere nicht nervös wurden, wenn er nur still dasaß und sich auf das eigene, auf den Handrücken lastende Gewicht konzentrierte. Jetzt allerdings war er allein in seinem Bungalow, und er hatte mehrfach versucht, sich auf die Hände zu setzen, aber die Raserei in seinem Kopf – die Nervosität – wollte nicht weggehen.
Kurz blieb er vor dem Bett stehen, spielte die Videoaufzeichnung zurück an den Anfang und drückte noch einmal die PLAY-Taste.
Dwight hatte die Aufzeichnung des leeren Hauses im schnellen Vorlauf überflogen, als auf dem Bildschirm plötzlich ein Mann auftauchte – er war mit einer Skimaske über dem Gesicht durch die nicht abgesperrte Tür marschiert. Dreiundzwanzig Minuten. So lange war Jerry weg gewesen, um sich eine Tüte vom In-N-Out-Burger zu holen. Hätte er sein Fast Food in der Küche verdrückt, hatte sich der Maskierte vielleicht unentdeckt wieder hinausschleichen können.
Aber Jerry war mit dem Essen nicht in die Küche gegangen, sondern direkt ins Aufenthaltszimmer, wo der Maskierte die Dokumente durchging, die Jerry auf dem Beistelltisch hatte liegen lassen.
Erneut setzte sich Dwight in Bewegung und kniff die Augen zu, während Jerry auf dem Bildschirm einen Schlag nach dem anderen einstecken musste. Als Waffe diente dem Maskierten die gravierte Kristallplakette. Dwight hatte sie von der UCLA überreicht bekommen, nachdem er bei seinem Studienabschluss seine ersten hunderttausend Dollar gespendet hatte.
Als Dwight wieder zum Bildschirm sah, machte sich der Maskierte gerade daran, mit zwei Kartons unter den Armen das Aufenthaltszimmer zu verlassen.
Er musste eine Entscheidung treffen.
Wenn er das Video nicht übergab, konnten die ermittelnden Beamten es nicht als Beweismittel verwenden. Wenn er es tat, würde er damit verraten, dass er alles heimlich aufzeichnete, was sich im Vorfeld der Sendung zutrug. Er wäre beruflich am Ende, ganz zu schweigen davon, dass er wahrscheinlich mit einer Anklage zu rechnen hätte. Vor allem aber würde er damit keinen Zugang mehr zum Produktionsteam haben und vom Fall ausgeschlossen sein.
Es war eine Sache der Statistik, eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Was wäre aller Wahrscheinlichkeit nach hilfreicher: das Video des Überfalls den Behörden zu geben oder die Aktivitäten im Haus weiter zu überwachen?
Er ließ das Band rückwärtslaufen und hielt bei der besten Einstellung des Maskierten an. Wieder starrte er auf das Emblem, das sich auf der linken Brustseite des weißen Polohemds abzeichnete. Trotz Dwights Fähigkeiten bei der Bearbeitung von Computerbildern war die Videoqualität einfach zu schlecht, um das Logo erkennbar zu machen. Der Angreifer selbst war schlank, muskulös, offensichtlich sehr stark, aber es gab nichts, wodurch er zu identifizieren gewesen wäre.
Das Video war nutzlos. Könnte er jedoch weiterhin die Produktion überwachen, bliebe ihm die Chance, Susans Mörder zu finden.
Er klappte den Laptop zu und stand jetzt still. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Jetzt musste er bloß noch dafür sorgen, dass sich sein riskantes Spiel auszahlte.