21

Am liebsten hätte Dwight Cook die REACH-Firmenzentrale völlig entkernt und alles neu aufgebaut. Das vom Architekten entworfene Konzept hatte sich ursprünglich richtig toll angehört. Die insgesamt drei Geschosse verfügten über viel offenen Raum mit zum Teil dreizehn Meter hohen Decken, es gab aber auch Nischen und bunt gestrichene Rückzugsorte mit Sofas und Bistrotischen, an denen sich Mitarbeiter in kleinen Gruppen versammeln konnten. Laut dem Architekten lag dem die Idee zugrunde, die Illusion eines einzigen großen, zusammenhängenden, »labyrinthischen« Raums zu schaffen.

Nun, das mit dem Labyrinth stimmte jedenfalls.

War er denn der Einzige hier, der sich nach einfarbiger Symmetrie sehnte?

Er versuchte sich nicht von den schrecklichen visuellen Details ablenken zu lassen und dachte an die Arbeit, die in diesen lächerlich gestalteten Räumen stattfand. REACH gab es mittlerweile seit fast zwanzig Jahren, und noch immer waren sie in der Lage, die klügsten, innovativsten IT-Leute des Landes als Mitarbeiter zu gewinnen.

Am Ende des Gangs bog er nach rechts zu Hathaways Büro ab. Sein ehemaliger Professor war von Beginn an in sämtliche Aspekte miteinbezogen gewesen. Aber so viel und so intensiv sie auch zusammenarbeiteten, er betrachtete Hathaway nach wie vor als seinen Professor, als denjenigen, der aus REACH ein Unternehmensimperium gemacht hatte.

Die Tür zu Hathaways Büro stand offen, wie es der »Unternehmenskultur« bei REACH entsprach.

Richard Hathaway war Ende fünfzig, sah im Grunde aber immer noch aus wie damals, als er von den UCLA-Studenten zum beliebtesten Dozenten der Uni gewählt worden war. Er war von mittlerer Größe, hatte eine sportliche Figur, volle, braune Haare und war das ganze Jahr braun gebrannt. Immer war er gekleidet, als müsste er gleich auf dem Golfplatz den Schläger schwingen. Im Moment las Hathaway einen Zeitschriftenartikel. Die Überschrift lautete, wie Dwight sah, als er sich näherte: »Klüger statt länger trainieren.«

Dwight nahm gegenüber Hathaway Platz und wusste nicht recht, wie er die Sache angehen sollte, die ihn hierhergeführt hatte. Er beschloss, nach und nach darauf zu sprechen zu kommen, so wie das die Leute machten, wenn es ihnen schwerfiel, über ein bestimmtes Thema zu reden. »Manchmal, wenn ich durch das Gebäude gehe, fühle ich mich an das Labor an der UCLA erinnert.«

»Nur dass wir damals mit Computern gearbeitet haben, die so groß waren wie Kleinwagen. Und die Möbel waren auch nicht so bequem.« Hathaway hatte immer einen netten Spruch auf Lager. Wie oft hatte er ihnen aus der Patsche geholfen, wenn er mal wieder zu einem Treffen mit potenziellen Investoren »mitgedackelt« war? Dwights Programmierkünste waren seinen weit überlegen, aber ohne Hathaway würde er immer noch für andere arbeiten.

»Aber die Wände waren gerade«, sagte Dwight in dem Bemühen, ebenfalls einen witzigen Spruch anzubringen.

Hathaway lächelte, aber Dwight sah, dass sein Versuch etwas flach ausgefallen war.

»Was ich meine«, fuhr Dwight fort. »Wir haben diese tollen jungen Leute hier – sie sind intelligent, idealistisch, vielleicht ein bisschen verrückt.« Jetzt lachte Hathaway. »Und sie glauben alle, mit dem richtigen Computercode lässt sich die Welt verändern. In Ihrem Labor war es genauso.«

»Aus dir spricht ja geradezu väterlicher Stolz.«

»Ja, vielleicht bin ich stolz.« Dwight war immer so sehr damit beschäftigt, seine Gefühle auszublenden, dass er nie gelernt hatte, sie zu beschreiben.

»Es ist gut, stolz zu sein«, sagte Hathaway. »Aber REACH hat Investoren, und die haben gewisse Erwartungen. Wäre schön, wenn wir mal wieder von einer gewissen Relevanz wären.«

»Wir sind mehr als relevant, Hathaway.« Noch lange nach ihrem Abschied von der UCLA hatte Dwight ihn »Dr. Hathaway« genannt. Obwohl der Professor darauf beharrte, von ihm geduzt zu werden, brachte Dwight das einfach nicht über sich. »Hathaway« war für ihn ein Kompromiss.

»Ich meine, so relevant, damit wir wieder auf der Titelseite des Journal stehen. Unser Aktienkurs ist stabil, Dwight, aber der von anderen Unternehmen steigt.«

Auch als Professor war Hathaway nie der Tweedjacken-undGesundheitsschuhe-Typ gewesen. Er hatte seinen Studenten immer auch eingebläut, dass die Technologie den Menschen nicht nur helfen und die Welt verändern, sondern einen auch reich machen kann. Als ihnen ein Investmentbanker das erste Mal einen siebenstelligen Scheck ausgestellt hatte, der es REACH ermöglichte, sich in Palo Alto niederzulassen, war Hathaway direkt zum Autohändler marschiert und hatte sich einen Maserati bestellt.

»Aber du bist nicht hier, um über die alten Zeiten zu plaudern«, sagte Hathaway.

Dwight vertraute Hathaway. Von Anfang an, seitdem Hathaway ihn während des ersten Studienjahrs gebeten hatte, bei ihm im Labor zu arbeiten, bestand zwischen ihnen eine besondere Verbindung. Sein eigener Vater hatte Dwight entweder ändern wollen oder ihn gemieden. Hathaway jedoch teilte Dwights Interessen, er hatte niemals gewollt, dass er jemand anders war als er selbst. In ihrer gemeinsamen Arbeit, wenn sich Dwights Programmierkenntnisse mit Hathaways Finanzgenie verbanden, passten sie perfekt zusammen.

Warum also konnte er seinem Freund und Mentor, der er seit zwanzig Jahren war, nicht erzählen, dass er die E-Mail-Konten von allen hackte, die etwas mit Susans Mord zu tun hatten?

Oh, wie gern hätte er ihm erzählt, was er erfahren hatte. So wusste er zum Beispiel, dass Frank Parkers Frau Talia ihrer Schwester geschrieben hatte, sie finde es »unerträglich, dass Frank wieder über dieses Mädchen sprechen wird«. War Talia so entschieden gegen diese Sendung, weil sie argwöhnte, ihr Mann hätte etwas damit zu tun?

Und dann gab es da noch Madison Meyers E-Mail an ihren Agenten, in der sie verkündete, dass sie »auf jeden Fall eine Comeback-Rolle an Land ziehen« werde, wenn sie Frank Parker nur ein einziges Mal unter vier Augen sprechen könne. Das klang ganz danach, als hätte Madison gegen Frank etwas in der Hand.

Trotz allem, Dwight konnte sich nicht dazu durchringen, Hathaway davon zu erzählen. Er wusste, Hathaway würde sich Sorgen um das Unternehmen machen, wenn bekannt würde, dass sich Dwight in Privataccounts einhackte. Niemand würde REACH jemals wieder Informationen anvertrauen. Der Aktienkurs würde ins Bodenlose stürzen. Daher musste das ein Geheimnis bleiben, das er auch seinem ältesten Freund nicht verraten konnte.

Hathaway sah ihn erwartungsvoll an. »Was ist los, Dwight?«

»Ich glaube, ich hab’s vergessen. Mir dreht sich alles nach dem Gang durchs Labyrinth.« Es freute ihn, als Hathaway lächelte. Der Satz hatte funktioniert.

»Passiert mir auch ständig«, erwiderte Hathaway. »Aber wenn du schon mal da bist: Ich bin von einer Laurie Moran angerufen worden. Sie will eine Sendung über Susan Dempsey machen und sagt, du hättest ihr meinen Namen genannt. Ich dachte, es wäre immer klar gewesen, dass Frank Parker der Mörder war, nur hätte die Polizei es nie beweisen können.«

Aber ich kann es vielleicht beweisen!, hätte Dwight am liebsten laut gerufen, stattdessen sagte er bloß: »Ich will, dass die Zuschauer erfahren, dass Susan mehr war als eine Möchtegern-Schauspielerin. Sie war … phänomenal.« Dwight hörte selbst, wie kieksig seine Stimme klang, als wäre er gerade wieder achtzehn. Wenn er vor die Kamera trat – würde dann jeder Zuschauer sehen, wie hingerissen er von seiner Kommilitonin gewesen war? »Und seien wir ehrlich, Sie machen sich im Fernsehen doch viel besser als ich.«

»Du hältst das wirklich für eine gute Idee? Es werden vielleicht Fragen über das Computerlabor gestellt. Du weißt, ich mag es nicht, wenn die Anfänge dieses Unternehmens ins Blickfeld geraten.«

Es war mittlerweile fast zwanzig Jahre her, dass sie REACH aufgebaut hatten. Im Gegensatz zu Hathaway vergaß Dwight hin und wieder, woher die Idee dazu gekommen war.

»Das alles wird hier keine Rolle spielen. Fernsehsendungen machen keine Quote, wenn man sich über die Einzelheiten der Suchmaschinenoptimierung auslässt. Dort will man nur was über Susan hören.«

»Gut dann. Wenn du dabei bist, mache ich auch mit.«

Als Dwight durch das bunte Labyrinth zurückging, fühlte er sich vollkommen verlassen. Er konnte sich nicht erinnern, vor Hathaway jemals etwas geheim gehalten zu haben. Aber der wahre Grund, warum er seinem ehemaligen Professor nichts von seinen Aktivitäten mitgeteilt hatte, lautete: Er wollte nicht, dass Hathaway von ihm enttäuscht war.

Allerdings musste er noch mehr herausfinden. Und an der Sendung wollte er teilnehmen, weil er dann die Handys der anderen Teilnehmer hacken konnte, wenn er sich in deren Nähe aufhielt – und dann konnte er vielleicht beweisen, wer Susan umgebracht hatte. Und das, nein, das konnte er ihm nicht erzählen.

Aber er musste es tun. Für Susan.

So still in meinen Armen
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