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Talia Parker klopfte an die Tür zum Arbeitszimmer ihres Mannes. Angeblich hatte er sich in den letzten drei Stunden Screener der immer größer werdenden Anzahl von Filmen angesehen, die sich Chancen auf eine Oscar-Nominierung ausrechneten. Als sie keine Antwort erhielt, öffnete sie vorsichtig die Tür.
Er lag ausgestreckt auf dem Eames-Sofa und hatte die Füße übereinandergeschlagen, die Hände ruhten auf seiner breiten Brust und hatten die Fernbedienung umfasst. Auf dem Breitbildfernseher war eine Schauspielerin der A-Liga mitten im Satz eingefroren. Sein tiefes, gleichmäßiges Schnarchen war der einzige Laut im Zimmer.
Sanft entwand sie ihm die Fernbedienung, schaltete das Home-Entertainment-System aus und breitete eine leichte Decke über ihn. Er schlief besser, wenn er es warm hatte.
Als sie wieder in ihrem Schlafzimmer war, ging sie noch einmal die Sachen durch, die sie für das morgige Treffen mit den Fernsehleuten bereitgelegt hatte: Hemd mit offenem Kragen, graue Freizeithose, marineblauer Blazer für ihn; weißes Etuikleid und schlichte Pumps für sie. Eine legere, aber aufeinander abgestimmte und seriöse Garderobe. Frank war als ein fordernder und pingeliger Regisseur bekannt, aber er galt auch als äußerst zuverlässig. Ein guter, fürsorglicher Ehemann. Konservative Kleidung brachte ihrer Meinung nach seinen Charakter am besten zum Ausdruck.
Seitdem Frank eingewilligt hatte, an der Sendung teilzunehmen, hatte sie Schwierigkeiten befürchtet. Je näher der Produktionsbeginn rückte, desto mehr fühlte sie sich in ihrer Sorge bestätigt. Seit Tagen war Frank abgelenkt und nervös und kaum noch er selbst. Sie kannte ihn sonst als einen selbstbewussten, entschlossenen Menschen.
Jetzt aber blieb er lange auf, und wenn er schließlich wegnickte, redete er im Schlaf. Dabei ging es keineswegs um Verhandlungen mit Produzenten oder Drehbuchautoren. Mehr als einmal hatte sie die Wörter »Polizei« oder »Madison« herausgehört.
Schließlich hatte sie sich an diesem Morgen ein Herz gefasst und ihn darauf angesprochen. Er beharrte darauf, sich nicht an einen Traum erinnern zu können, in dem die Polizei oder Madison vorgekommen seien.
Ihre Ehe hatte seit nunmehr zehn Jahren Bestand – und das in einer Stadt, in der die Wirkung von Botox länger anhielt als eine durchschnittliche Beziehung. Grund dafür war ihr gegenseitiges Bemühen, sich immer für das einzusetzen, was für sie beide am besten war. Manchmal hieß das aber auch, dass Frank Dinge tat, denen sie nicht sofort zustimmen konnte. Immerhin war Frank es gewesen, der verhindert hatte, dass sie ihr erstes und bislang einziges Angebot auf eine Hauptrolle in einem Kinofilm angenommen hatte. Mit dem Argument, der Regisseur sei »sogar nach Hollywood-Maßstäben ein skrupelloser Mistkerl«. Sie hatte ihm vorgeworfen, es nicht ertragen zu können, wenn zur Abwechslung sie einmal im Rampenlicht stehe, und war sogar kurz davor gewesen, ihn deswegen zu verlassen. Aber als der Film herauskam, wurde er wegen seiner expliziten Nacktszenen, die der Hauptdarstellerin zufolge von ihr gar nicht autorisiert worden waren, als nicht jugendfrei eingestuft. Frank war so anständig gewesen und hatte nicht darauf herumgeritten, aber Talia hatte ihre Lektion über Kompromisse in der Ehe gelernt.
Seit ihrem Kennenlernen – während der Arbeit an Franks siebtem Film, in dem sie eine kleine Nebenrolle gespielt hatte – war er immer sehr fürsorglich ihr gegenüber gewesen, auch wenn das manchmal bedeutete, ihr auf die Nerven zu fallen.
Jetzt war es an der Zeit, sich dafür bei ihm zu revanchieren.