42

Entschlossen, auch im Haus in Bel Air am abendlichen Familienritual festzuhalten, trommelte Laurie die Crew zusammen, um im Aufenthaltsraum einige Runden Bananagrams zu spielen – eine Art Hochgeschwindigkeits-Scrabble. Timmy fand es toll, lauthals die Befehle zu rufen: »Umdrehen«, womit das Spiel in Gang gesetzt wurde, und »Nehmen«, wenn ein weiterer Buchstabe zu ziehen war. Grace hatte die letzten drei Runden gewonnen und Timmy jedes Mal gesagt, dass sie vielleicht nicht die Schlauste sei, aber die, die sich am meisten reinhänge, und »das zahlt sich auf lange Sicht aus«.

Timmy und Leo waren mit ihr sichtlich einer Meinung.

Alle spielten mit, nur Jerry kauerte in einem Sessel am offenen Kamin und arbeitete Pläne für das Gipfeltreffen aus, das nächste Woche anstand.

»Lassen Sie es doch mal gut sein«, sagte ihm Leo. »Ihnen muss ja schon alles vor den Augen verschwimmen.«

»Ich kann es nicht gut sein lassen, wenn ich mit dem Boss zusammenwohne.« Jerry sah von den Notizen auf und zwinkerte Timmy zu, der darüber lachen musste.

Wenn hier noch jemand arbeiten sollte, dachte sich Laurie, dann sie selbst. Sie hatte das Treffen mit Keith Ratner verbockt. Er war ja vielleicht ein arroganter Typ, aber er hatte nicht ganz unrecht. Rosemary war felsenfest davon überzeugt, dass er an Susans Tod beteiligt gewesen war, aber gründeten ihre Verdachtsmomente nicht ausschließlich auf der Vermutung, dass Susan ohne ihren Freund nie zum Studieren nach Los Angeles gegangen wäre? Und wäre sein Alibi überhaupt jemals angezweifelt worden, wenn nicht sechs Mitglieder der Fürsprecher Gottes für ihn eingetreten wären, sondern die Mitglieder eines Buchclubs oder einer anderen seriösen Gruppe?

Eigentlich sollte sie Wörter bilden, aber ihr wollte Keith nicht aus dem Sinn: Sie sagten, Sie wollen objektiv sein. Objektiv zu sein hieß, dass sie sein Alibi nachprüfte.

Also entschuldigte sie sich, um noch ein Telefonat zu führen. Sie recherchierte die Nummer der Kirche der Fürsprecher Gottes, wählte und gelangte an einen Anrufbeantworter. »Hier ist Laurie Moran, ich hätte gern Reverend Collins gesprochen.« Martin Collins, hatte sie gelesen, war Gründer und Prediger der FG. Sie ging davon aus, dass Collins wahrscheinlich kaum die einzelnen Mitglieder kannte, die damals Keith Ratners Alibi bezeugt hatten, aber er sollte dennoch Bescheid wissen – die Gruppe war noch relativ überschaubar gewesen, und die Ermittlungen der Polizei hatten doch einige Wellen geschlagen. »Es geht um Keith Ratner, ein Mitglied Ihrer Kirche, sowie um die Polizeiermittlungen im Jahr 1994. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie mich zurückrufen könnten.«

Laurie wollte schon in das improvisierte Spielzimmer zurück, als Jerry sie zu sich heranwinkte.

»Du solltest jetzt aber wirklich Feierabend machen«, sagte sie zu ihm. »Sonst bekomme ich noch ein schlechtes Gewissen.«

»Dann hast du keine Ahnung, wie lange ich manchmal in New York arbeite. Außerdem macht es ja Spaß. Ich gehe gerade alte Ausgaben der UCLA-Zeitung durch, die man online abrufen kann. Ich dachte mir, wir könnten uns mal ansehen, wie die Universität auf den Mord an Susan reagiert hat. Hatten die Studenten Angst? Wurden zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen? Solche Sachen eben.«

»Keine schlechte Idee.«

»Danke. Und da bin ich auf Folgendes gestoßen.«

Er drehte ihr seinen Laptop hin. Die Überschrift lautete: IT-PROFESSOR – ABSCHIED IN DIE PRIVATWIRTSCHAFT, ERSTE STELLE UNTER UCLA-STUDENT.

Der Artikel war im September 1994 veröffentlicht worden, in der ersten Ausgabe nach Susans Tod. Er berichtete von Richard Hathaways Ausscheiden aus dem Lehrkörper; der beliebte Professor übernahm eine Stelle in der boomenden Internet-Industrie.

Laut dem Artikel könnte eine UCLA-Verordnung, derzufolge sämtliche Forschungs- und Entwicklungsergebnisse Eigentum der Universität bleiben mussten, eine Rolle bei Hathaways Abschied gespielt haben. Der Autor gab zu bedenken, dass es aufgrund dieser Verordnung schwierig sein könne, Professoren an die Fakultät zu binden, die auf diesen höchst innovativen und profitablen Gebieten forschten. Professor Hathaway, war zu erfahren, werde bei seinem ersten Engagement in der Privatwirtschaft als Consultant für den UCLA-Studenten Dwight Cook arbeiten, der im Moment Geldgeber für seine Internet-Suchtechnologie zu gewinnen versuche.

Die Bildunterschrift unter Professor Hathaways Foto lautete: »Der Professor könnte bei dem erfolgreichen Start-up an einem Tag so viel verdienen wie an der UCLA im ganzen Jahr.«

Es war allerdings der letzte Absatz, auf den Jerry jetzt ausdrücklich hinwies:

Jerry sah zu Laurie, um sich zu vergewissern, dass sie den Artikel zu Ende gelesen hatte. »Wir wissen, dass Susan zu seinen Lieblingsstudenten gehört hat. Und sie war eindeutig attraktiv.«

Erneut betrachtete Laurie das Foto neben dem Artikel. Hathaway musste damals etwa Ende dreißig gewesen sein. Ein gut aussehender Mann war er immer noch, wie sie bei ihrem Treffen in Dwight Cooks Büro festgestellt hatte, auch wenn sein Gesicht etwas voller und das Haar dünner geworden waren. Aber je länger sie die jüngere Version betrachtete, desto augenscheinlicher wurde die Ähnlichkeit mit Keith Ratner. Beide hatten dunkle Haare, ein markantes Gesicht und ein umwerfendes Lächeln. Sie konnte sich nur allzu gut vorstellen, dass sich eine Frau zu beiden hingezogen fühlte.

Susan und ihr Professor? Diese Theorie hatte die Polizei nie in Betracht gezogen.

»Ich frag mal bei Susans damaligen Mitbewohnerinnen nach, mal sehen, ob die etwas über eine mögliche Beziehung zwischen ihr und Hathaway sagen können. Dwight Cook jedenfalls scheint davon nichts gewusst zu haben. Nach dem Gespräch mit ihm kam es mir vor, als wäre er selbst in Susan verliebt gewesen, bei Keith klang es aber nach einer richtigen Obsession. Jedenfalls hätte er Hathaway nie und nimmer als Partner zu REACH geholt, wenn zwischen dem Dozenten und Susan etwas gelaufen wäre. Im Artikel wird Hathaway als Consultant bezeichnet. Wir wissen, dass Hathaway von Anfang an entscheidend zum Erfolg von REACH beigetragen hat. Das heißt, er hatte Aktienoptionen und verdiente das große Geld. Und Hathaway hat, wie du mir selbst gesagt hast, bestätigt, dass die Idee für REACH von Dwight stammt, nicht von Susan, trotzdem …«

»Du glaubst, Dwight Cook könnte Susan ermordet haben?«

»Ich weiß es nicht, Jerry. Wenn ich etwas gelernt habe, dann, dass oft diejenigen die Täter sind, von denen man es am wenigsten erwartet.«

Sie dachte an den Mörder ihres Mannes. Greg hatte als Arzt in der Notaufnahme gearbeitet, weshalb die Polizei davon ausgegangen war, er wäre Opfer eines verwirrten Patienten geworden, der ihn – aus welchen Gründen auch immer – ins Visier genommen hatte. Keiner hatte auch nur in Betracht gezogen, dass der soziopathische Täter vom Hass auf ihren Vater, den NYPD-Inspector Leo Farley, getrieben worden war.

Laurie musste an ihr morgendliches Gespräch mit Alex denken: Jerry hatte sich seit seiner Praktikantenzeit enorm entwickelt und war mittlerweile für sie fast so etwas wie ein Partner. Entsprechend sollte sie ihn also auch behandeln. »Ich werde noch mal Rosemary anrufen, damit wir nicht nur Hathaways und Dwights Aussagen zu Susans Arbeit im Computerlabor haben. Sie sollte wissen, woran Susan geforscht hat.«

Laurie hatte gehofft, vor dem Gipfeltreffen den Kreis der Verdächtigen eingrenzen zu können. Im Moment sah es aber eher so aus, als würde die Liste nur noch länger werden.

So still in meinen Armen
titlepage.xhtml
F003015EFB1C42D09B1492F59E71CECA.xhtml
64060B23CE2E4E38B0F2AA5E16F8D041.xhtml
5CC10A06C2CA427FAE451C24C502CBDF.xhtml
249AAA580BF34AD2A90DF925C812A6C1.xhtml
D9F35ED8E00446BCB6386D9F9E53CBBF.xhtml
A95C82213E08423097397B0D87066A95.xhtml
F06EE77440A24ECCB24CDDE509541367.xhtml
E6D5FB403E8F4A749815FAF038F214BB.xhtml
A7D5B8A24B304754BACBE77524512CDF.xhtml
C39A42A2EEA5491EAAA839D22C601359.xhtml
7B11077BF4C544D29296D8315D074023.xhtml
7538ABF961654F81B3B5254141FF276A.xhtml
B8C3E946155540C4ADBBC05D321F30AC.xhtml
C8F4F0201A5042BA889EBF1DDE622E01.xhtml
B39B72805C65409FBF81318FE374997F.xhtml
0593D8CB27984A8A8FA6E2EB3F092925.xhtml
F32648A426744DA997DD4D5E196C69C8.xhtml
6280BAD9D7F844AC89131D68946F677C.xhtml
988C5DDDC2C649C8800F0065809D68DF.xhtml
C2FD2C7E3D714C22A6490F2578EA53E3.xhtml
F1EABECBFE724285909049F19D63E45B.xhtml
E7561945918646C1888B11B15558136D.xhtml
A006C6CF36D640A88D09ADA0B77B4C1A.xhtml
6CA89C0487F04A82BD12CC67CF089865.xhtml
843A04957FA346BEB9FCACDB3CA52529.xhtml
630B527063924B739FEA83B44AE603FC.xhtml
E971199FF4FC43139FEB74820D18C95A.xhtml
89FC8E6817634A19A58D034CE39B8528.xhtml
82008BBE2F3E4DD7B0522E53769A2B6B.xhtml
837C73D1058D424EAF5C453E5A7F323D.xhtml
EE0F3934DF9A47B48081CD43498562A0.xhtml
6E90A88250114DCB98375086B87C522E.xhtml
A1B6690A73804B57A248648F3373F67A.xhtml
FF6BBE12456749A9BD7F7C8D1FBFA9E9.xhtml
E0806600863845B493936E63BE948BEB.xhtml
BB3F7F517D2F4C079857AB967E54B0EB.xhtml
85E4895A75E34C969EE5A1128FF48B5A.xhtml
9FB644A2CC994D5E8951A715D73CCA6C.xhtml
7F0F6B637D204933AECDD253A0CA3DA1.xhtml
474B2DFE93BF4EE1A5C0B69E0FC27631.xhtml
2ED303CC2AC14DF68ED020C7E6CC5747.xhtml
8EFA1F432288460AA61CAA118BACA2EC.xhtml
E715C2D1C2694DB8B9F32B6DE76F16BC.xhtml
599FAC81DBE64245BC598CCCE8A639A5.xhtml
39769EDCC21C438095C9E62AB60DD36A.xhtml
D8BE957BBF464BABA129BFE520AEC025.xhtml
613E6BA3DA484BEF81ABD0CD3A9A5430.xhtml
C561A9424D9944D78E26510C27994899.xhtml
3A0AF0C52F4C4837AEB41F8DE978BCB4.xhtml
A33BEB2924714910BB5B83F4BBC766CA.xhtml
EDB0567CF1474B3DA1C68C79E6FE0F1D.xhtml
511DA2AC04A74E2789436F8F2EE0EB9D.xhtml
9EE7C6366D5243578D49A60A30FF580C.xhtml
F30FA91DB8A34D10B4E05EDB0B47F18E.xhtml
967DA8F548F7465598633B483CAABC2B.xhtml
3DDA80A98D8E4922A3AABFC6B9E84F5E.xhtml
14EB639E40794CFB91E037BB155C701C.xhtml
F4960365FAA948F583DEF618302C2E8E.xhtml
BB3DB99A87474E80B88C2058259560A8.xhtml
23B8FD693C5345CAB59B725ED9C2A976.xhtml
B87104E6C3424E85BAD8A9B3512E9F6C.xhtml
B2F4C49CC01B47EBBC07299F295D910C.xhtml
16FB62B106DA4A0494F7EEB0F9240964.xhtml
0AAEF8851BB64C29B98F25CA0567EA9F.xhtml
BAAE990ED64B4C65A468F1B0F2E92A45.xhtml
C60A6300250A4C2B86070358DA0D3FC0.xhtml
A770EB411B1F437FB84574E3916F1BFE.xhtml
A2C97EAA7FFC404DA458BF5971510A1C.xhtml
364F6DEB6C0F433C801C3D7FD9F15177.xhtml
22D35673B8F647BD834698E9E373DC26.xhtml
B4AD38B8712447EBA346C657A14FA573.xhtml
282A29C9A22142B1A7F09065FF53BB5E.xhtml
FDD72CF19E214E08A8FB9E836DD192F0.xhtml
F0D1138EE03048599694588964ECEB02.xhtml
5E5BBF26FCF24004A2B5AACE8E990717.xhtml
573E2677AD0F475CBF2C0AB3D82D7406.xhtml
B37665906D2D4DC99ACFC6069CAA63A4.xhtml
8CE45E8818BD4160A55BAC70BF138A95.xhtml
BFD552E621304CEDB49121242E1A5F1D.xhtml
CFEEA73AE2604605B6DA60B87100CD20.xhtml
DB2546C61B7D4E33828271AF3AE9587A.xhtml
B4DE2B28FF7E4FEBAD0882E8E15E7FB2.xhtml
C60BDD2801A64333AD6BAD49C661AA58.xhtml
4A145B46316849C2AE9A07D2A9546A75.xhtml
B90B17EAD1D7494BB232C552AE72C303.xhtml
CB982B7BB2D64400B0F8B9F2CBCA7BF8.xhtml
E8000CD685AE45BFBC0D6D1005E2D9A3.xhtml