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Laurie konnte Krankenhäuser nicht ausstehen, allerdings nicht aus den sonst üblichen Gründen – nicht wegen der chaotischen Hektik, die dort oft herrschte, wegen der Gerüche oder der Tatsache, dass man dort an seine eigene Gebrechlichkeit und Vergänglichkeit erinnert wurde. Nein, Laurie mied Krankenhäuser, weil sie sie an Greg erinnerten. Wenn sie unter den Neonröhren stand, den Geruch von Desinfektionsmitteln in der Nase hatte, sah sie immer Greg vor sich, wie er in seiner grünen OP-Kleidung und mit dem Stethoskop um den Hals über den Flur auf sie zukam.
Der Arzt, der in die Notaufnahme des Cedars-Sinai-Krankenhauses kam, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Greg. Es handelte sich nämlich um eine Frau, die vermutlich nicht viel älter als Laurie war und die blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. »Jerry Klein?«
Grace sprang auf und weckte dabei Timmy, der mit dem Kopf auf Lauries Schoß eingeschlafen war. Timmy rieb sich die schlaftrunkenen Augen. »Ist Jerry wieder gesund?«
Laurie hatte sofort ihren Vater verständigt, nachdem Jerry von den Sanitätern weggebracht worden war. Leo hatte daraufhin ihren Besuch in den Teergruben von La Brea abgeblasen, Timmy im Krankenhaus abgesetzt und versucht, von der Polizei Informationen über den Überfall auf Jerry zu bekommen.
Laurie drückte Timmy an ihre Brust und strich ihm durchs Haar. Sie wollte nicht, dass er mit noch mehr schlechten Neuigkeiten konfrontiert wurde.
Alex erschien mit zwei frischen Bechern Kaffee, die er Grace und Laurie überreichte. Laurie war überrascht, wie gefasst Grace sich gab. Obwohl sie sich schreckliche Sorgen um ihren Freund Jerry machte, hatte sie mitgeholfen, Timmy zu beruhigen, und sogar daran gedacht, Dwight Cook anzurufen und ihn über den Einbruch im Haus in Kenntnis zu setzen.
Alex schien ihre Gedanken zu lesen. »Soll ich mal Timmy übernehmen?«, fragte er.
Nachdem Timmy außer Hörweite war, stellte sich die Ärztin vor. »Ich bin Dr. Shreve. Der Zustand Ihres Freundes ist stabil, trotz seiner sehr ernsthaften Verletzungen. Er hat mehrere Schläge mit einem stumpfen Gegenstand erhalten, unter anderem gegen den Kopf. Die Blutungen beeinträchtigen auch die Atmung, im Moment befindet er sich daher in einem komaähnlichen Zustand. Aber er zeigt schon Anzeichen von Besserung, auch sein neurologischer Zustand scheint normal oder fast normal zu sein. Mit Bestimmtheit können wir das aber erst sagen, wenn er wieder bei Bewusstsein ist.«
Grace unterdrückte ihr Schluchzen. »Können wir ihn sehen?«, fragte sie.
»Natürlich«, erwiderte die Ärztin mit einem geduldigen Lächeln. »Aber versprechen Sie sich nicht zu viel davon, okay? Er wird Sie höchstwahrscheinlich nicht hören und schon gar nicht in irgendeiner Form reagieren.«
Trotz der ärztlichen Warnung stockte Laurie bei Jerrys Anblick kurz der Atem. Sein Kopf war dick verbunden und wie ein Ballon angeschwollen. Eine Sauerstoffmaske lag auf dem blutunterlaufenen Gesicht. An die linke Armbeuge war ein Tropf angeschlossen. Im Zimmer war es still, nur das gleichmäßige Summen und rhythmische Piepen einer Maschine neben dem Bett waren zu hören.
Kurz nach ihnen kam Leo herein. Laurie umarmte ihn kurz. »Mit Timmy ist alles in Ordnung?«, fragte sie.
»Ja, er ist mit Alex im Foyer. Er verkraftet das schon.«
Mit dem Mord an seinem Vater und der Eskalation am Ende der Dreharbeiten zur »Abschlussgala« hatte Timmy mehr Gewalt miterlebt, als einem Menschen, geschweige denn einem Kind zuzumuten war.
»Irgendetwas von der Polizei?«
»Ich komme gerade von unserem Haus. Im gesamten Block wimmelt es von Polizisten. Der leitende Detective, ein Typ namens Sean Reilly, macht einen ganz vernünftigen Eindruck. Sie suchen nach Zeugen, aber ich bin da, ehrlich gesagt, nicht sehr optimistisch. Die Grundstücke in der Gegend sind so groß, dass man nicht mal die Nachbarn nebenan zu Gesicht bekommt.«
»Ich verstehe das nicht«, sagte Grace. »Wie konnte jemand Jerry das bloß antun, ausgerechnet ihm?«
»Folgendes«, sagte Leo. »Im Haus ist alles durchwühlt worden, die Schubladen, alles Gepäck. Laurie, du hattest deinen Laptop bei dir, aber alle anderen Computer sind verschwunden.«
»Ein Einbruch?«, fragte Laurie.
»Nur dass von den übrigen Dingen nichts fehlt. Sogar die ziemlich teuren Lautsprecher, die man leicht hätte einpacken können, wurden nicht mitgenommen. Und wenn du die Aufzeichnungen über den Mordfall nicht bei dir hattest, dürften die wohl auch weg sein.«
Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte die Unterlagen im Aufenthaltsraum in zwei großen Kartons verpackt. »Es hat mit der Sendung zu tun?«
Leo nickte. »Mit nichts anderem.«
»Das Gipfeltreffen. Alle kennen die Adresse und wissen, wo die Dreharbeiten stattfinden«, überlegte sie laut. »Jemand muss Angst vor dem haben, was wir wissen, und sich die Unterlagen und Computer geholt haben, um herauszufinden, was die anderen Verdächtigen möglicherweise aussagen.«
»Oder jemand wollte dich einschüchtern, damit du die Produktion ganz abbläst.«
Laurie wusste, dass ihr Vater manchmal übertrieb und an jeder Ecke Gefahren lauern sah. Aber keiner würde in ein so luxuriöses Gebäude einbrechen und nur einige Dokumente und billige Laptops mitnehmen, außer er war ausschließlich an Unter Verdacht interessiert.
»Dad, du hast schon beim Mord an Rosemarys Nachbarin eine Verbindung zur Sendung gesehen.«
»Ja. Und das glaube ich immer noch.«
»Kannst du Kontakt zur hiesigen Polizei aufnehmen und dafür sorgen, dass beide Polizeidienststellen von dieser möglichen Verbindung zwischen dem Mord an Lydia Levitt und dem Angriff auf Jerry erfahren?«
»Natürlich.«
Sie beugte sich über Jerry, achtete darauf, nicht an die Schläuche und Kanülen zu kommen, und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange. Sie hatte ihrem Vater so oft gesagt, dass er sich wegen der Sendung keine Sorgen zu machen brauche, aber nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass durch die Produktion andere in Gefahr geraten konnten.
Sie musste herausfinden, wer Jerry das angetan hatte.