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Das Yaki-Land lag von unserem Ausgangspunkt dreimal so weit entfernt wie Aztlan von der Stadt Mexico. Deshalb war der Weg dorthin die längste Reise, die ich in meinem Leben je unternommen habe. Ich überließ es G’nda Ké, uns zu führen, denn sie kannte den Weg. Soviel ich wußte, hatten Generationen von G’nda Kés diese Reise in den vielen, vielen Jahren, seit die berüchtigte erste G’nda Ké bei meinen Vorfahren in Aztlan aufgetaucht war, unzählige Male gemacht. Es schien, als sei sie in der Tat froh, ihre Heimat wiederzusehen, denn sie versuchte nicht, wie man hätte erwarten können, die Reise für uns möglichst ermüdend, beschwerlich, gefährlich und endlos zu machen. Ich konnte am Stand der Sonne erkennen, daß sie einem Weg folgte, der durch die Täler des Küstengebirges so direkt wie möglich nach Nordwesten führte, wenn wir nicht doch einen Bogen um einen Pechtümpel oder um Treibsand machen mußten.
Der Weg entlang der Küste westlich der Berge oder durch das flache Tote-Knochen-Land im Osten wäre kürzer gewesen, doch die Reise hätte länger gedauert. Auch wäre sie sehr viel mühsamer geworden, denn wir hätten uns entweder durch die drückend heißen Sümpfe am Meer gequält oder wären in der erbarmungslosen Hitze der Sandwüste beinahe verdurstet.
Doch die Reise erwies sich als überaus anstrengend und beschwerlich, auch ohne daß G’nda Ké versuchte, uns zusätzliche Härten aufzuerlegen. Natürlich belastet das Ersteigen eines steilen Berghangs alle Muskeln eines Körpers und verkrampft sie. Man erreicht den Gipfel mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung und glaubt, das Schlimmste sei geschafft. Weit gefehlt! Beim Abstieg am ebenso steilen Hang auf der anderen Seite stellt man fest, daß es im Körper zahllose andere Muskeln gibt, die ebenso belastet werden und sich verkrampfen. G’nda Ké, ich und die beiden Krieger, die Machihuiz und Acocótli hießen, ertrugen all diese Mühen mehr oder weniger gut, doch wir mußten immer wieder Pausen einlegen, damit der Ticitl Ualiztli wieder zu Atem und zu Kräften kam. Keiner der Berge ist hoch genug, um ständig eine Schneekrone zu tragen wie der Popocatépetl, aber viele ragen bis in die kalten Regionen des Himmels auf, wo Tlaloc herrscht. Wir fünf verbrachten die Nächte in unsere schweren Tlamaitin-Mäntel gehüllt oft zitternd vor Kälte und konnten nicht schlafen. Immer und immer wieder hörten wir nachts Bären, Jaguare, Berglöwen oder Océlotl, die neugierig am Rand unseres Lagers herumschnüffelten. Doch sie hielten Abstand, denn Wildtiere haben eine natürliche Abneigung gegen Menschen – jedenfalls gegen lebende. Tagsüber gab es genug anderes Wild – Hirsche, Kaninchen, das Mapáche und das Tlecuáchi mit seinem Beutel. Außerdem fanden wir eine Überfülle eßbarer Dinge – Camótin-Wurzeln, Ahuácatin-Früchte und Mexixin-Kresse. Als Ualiztli das Kraut Camopalxihuitl entdeckte, mischte er es mit dem Fett der erlegten Tiere zu einer Salbe, mit der wir unsere schmerzenden Muskeln einrieben.
G’nda Ké bat ihn um einige der Pflanzen, um sich den Saft in die Augen zu träufeln, denn, so erklärte sie, ›davon werden sie dunkler, leuchtender und schöner‹. Doch der Ticitl lehnte das mit der Begründung ab: »Wer von diesem Kraut zu sich nimmt, kann sehr schnell tot sein. Und ich traue dir nicht.«
Es gab viele Gewässer in diesen Bergen, sowohl Seen als auch Bäche, und ihr Wasser war kühl und süß, und es schmeckte köstlich. Wir hatten keine Netze, um Fische oder Wasservögel zu fangen, doch die Axolotin-Echsen und Frösche waren eine leichte Beute. Außerdem gruben wir nach Amóli-Wurzeln und badeten beinahe jeden Tag, obwohl das Wasser kalt war. Kurzum, wir mußten nie gutes Essen und Trinken entbehren oder auf den Genuß verzichten, uns sauber zu fühlen. Jetzt, da ich den beschwerlichen Weg über die Berge hinter mich gebracht habe, kann ich auch sagen, daß sie einen wunderschönen Anblick boten.
Auf unserer Reise wurden wir in den Dörfern, durch die wir kamen, meist gastfreundlich aufgenommen. Wir hatten für die Nacht ein Dach über dem Kopf, und die Frauen bereiteten für uns viele köstliche Gerichte zu, die wir nicht kannten.
Ualiztli besuchte den Ticitl eines jeden Dorfes und bat ihn um Medikamente und andere wichtige Dinge aus seinen Vorräten. Ualiztli brummte zwar, die meisten dieser hinterwäldlerischen Tíciltin hätten erschütternd altmodische Vorstellungen von ihrer Kunst, doch er war bald wieder mit allem ausgestattet, was er brauchte. Ich machte in jedem Dorf dem Ältesten, dem Häuptling oder Herrn oder wie auch immer er sich nannte, meine Aufwartung. Der größte Teil der Reise führte uns durch die Gebiete der Cora, der Tepehuáne, der Sobaipuri und der Rarámuri. Deshalb waren die Menschen auch so freundlich, denn diese Völker und Stämme hatten schon seit langem mit den Kaufleuten der Azteca und vor dem Untergang von Tenochtitlan auch mit den Fernhändlern der Mexica Handel getrieben. Sie sprachen alle unterschiedliche Sprachen. Wie ich schon erwähnt habe, hatte ich in der Stadt Mexico einige ihrer Worte und Ausdrücke von den Kundschaftern gelernt, die sie ausgeschickt hatten, um Informationen über die Spanier einzuholen, und die mit mir in der Mesón de San José untergekommen waren. G’nda Ké beherrschte dank ihrer ausgedehnten Reisen die vielen Sprachen weit fließender als ich. Deshalb diente sie mir als Dolmetscherin, obwohl ich mich bei keiner wirklich verantwortungsvollen Aufgabe auf sie verlassen wollte.
Meine Botschaft an die Vorsteher der kleinen Gemeinden war immer dieselbe. ›Ich stelle ein Heer zusammen, um die weißen Eroberer zu vernichten!‹ Danach wurde geredet, und ich mußte meinen Plan erklären. Schließlich stellte ich die für mich wichtige Frage: ›Seid Ihr bereit, mir so viele starke, tapfere und wilde Krieger zu stellen, wie Ihr entbehren könnt?‹
Offenbar verdrehte die gehässige G’nda Ké meine Worte beim Übersetzen nicht, denn beinahe alle Gemeindeoberhäupter reagierten bereitwillig und großzügig auf meine Bitte.
Jene, die Kundschafter in die von den Spaniern besetzten Länder im Süden entsandt hatten, kannten bereits anschauliche Augenzeugenberichte von der brutalen Unterdrückung und Mißhandlung der Menschen unseres Volkes. Sie wußten von der Sklaverei in den Obrajes, von den Folterungen, den Auspeitschungen, den Brandmarkungen, von der Demütigung der früher so stolzen Männer und Frauen, denen man eine unverständliche und grausame neue Religion aufgezwungen hatte. Natürlich kursierten diese Berichte unter allen Stämmen, Gemeinschaften und Völkern in der EINEN WELT. Selbst die Nachrichten aus zweiter Hand hatten in jedem tapferen Mann, der eine Waffe tragen konnte, das brennende Verlangen nach Vergeltung geweckt. Nun bot sich ihnen endlich die Gelegenheit.
Die Dorfältesten mußten nicht lange nach Freiwilligen suchen. Sobald sie den Bewohnern meinen Wunsch vorgetragen hatten, war ich von Männern umringt, darunter Jugendliche und sogar gebrechliche Greise, die ein begeistertes Kriegsgeschrei erhoben und ihre Waffen aus Obsidian oder Knochen schwangen. Ich konnte meine Wahl treffen und schickte die neu gewonnenen Krieger dann mit einer Wegbeschreibung nach Süden, die so genau wie möglich war, damit sie Chicomóztotl finden und dort zu Nochéztli stoßen würden. Selbst den zu Alten oder zu Jungen übertrug ich eine wichtige Aufgabe. »Verkündet meine Botschaft über eure Grenzen hinaus in allen erreichbaren Dörfern und Gemeinden. Gebt jedem Freiwilligen die Anweisungen, die ich euren Kriegern gegeben habe.« Ich sollte erwähnen, daß ich keine Männer anwarb, die erst noch Krieger werden wollten. Alle meine neuen Männer waren kampferprobt, denn sie führten oft Kriege mit benachbarten Stämmen. Dabei ging es hauptsächlich um Gebietsgrenzen und um Jagdgründe, mitunter jedoch auch um den Raub künftiger Ehefrauen. Doch keiner dieser Hinterwäldler besaß Erfahrung als Krieger in einer großen Schlacht, als Teil eines Heeres, eines organisierten Truppenteils, der gemeinsam und diszipliniert agierte. Ich verließ mich darauf, daß Nochéztli und meine anderen Ritter ihnen alles Nötige beibringen würden.
Ich glaube, es war zu erwarten, daß meine Botschaft zunehmend mit größerer Ungläubigkeit denn mit Begeisterung aufgenommen wurde, als wir fünf immer weiter nach Nordwesten vorstießen. Die Gemeinschaften in diesem fernen Winkel der EINEN WELT waren kleiner und unterhielten kaum Verbindungen untereinander. Offenbar hatten sie kein großes Verlangen oder Bedürfnis nach Beziehungen und Handel oder selbst nach dem Austausch von Nachrichten. Es kam nur dann zu Begegnungen zwischen den Stämmen oder Sippen, wenn zwei oder mehrere Anlaß hatten, gegeneinander zu kämpfen. Darin unterschieden sie sich nicht von den Gemeinschaften, die wir vorher besucht hatten. Meist hätten zivilisiertere Völker die Gründe für solche Auseinandersetzungen unbedeutend gefunden. Selbst die zahlreichen Stämme der Rarámuri – das Wort bedeutet Läufervolk – schienen sich selten bei ihren Läufen weit von ihren heimatlichen Dörfern zu entfernen. Die meisten Häuptlinge hatten nur unbestimmte Gerüchte gehört. Man erzählte sich, Fremde von jenseits des Ostmeeres seien in der EINEN WELT eingefallen. Manche waren der Ansicht, selbst wenn das tatsächlich geschehen sei, so hätten sie dennoch mit einem Eroberungskrieg, der sich so weit von ihrem Land entfernt ereignet hatte, nichts zu tun. Andere weigerten sich schlicht, den Gerüchten Glauben zu schenken. Schließlich erreichte unsere kleine Gruppe Regionen, wo die Rarámuri noch nie etwas von den Weißen gehört hatten. Einige von ihnen lachten schallend bei der Vorstellung, es könnte ganze Scharen weißhäutiger Menschen geben.
Trotz der herrschenden Gleichgültigkeit, der Zweifel oder des offenen Unglaubens konnte ich auch hier Krieger für mein Heer anwerben. Ich weiß nicht, ob ich das meinen eindringlichen und überzeugenden Argumenten zu verdanken hatte oder ob die Männer es einfach leid waren, gegen ihre Nachbarn zu kämpfen, und deshalb neue Gegner suchten, die sie erschlagen konnten. Vielleicht wollten sie auch einfach reisen und das alte, vertraute und langweilige Leben weit hinter sich lassen. Die Gründe waren unwichtig. Wichtig war, daß sie ihre Waffen ergriffen und in den Süden nach Chicomóztotl zogen.
Das Land der Rarámuri war das nördlichste Gebiet, in dem man die Namen Azteca und Mexica noch kannte, und sei es auch, ohne etwas Bestimmtes damit zu verbinden. Es war das letzte Gebiet, in dem wir erwarten durften, gastfreundlich aufgenommen oder geduldet zu werden.
Als wir am Rand eines mächtigen Wasserfalls entlanggingen und die schimmernde Wasserwand bewunderten, die rauschend in der Tiefe verschwand, sagte G’nda Ké: »Dieser Wasserfall heißt Basaséachic. Er gilt als Gebietsgrenze der Rarámuri und bezeichnet zugleich den nördlichsten Punkt, bis zu dem sich die Herrschaft der Mexica auf dem Gipfel ihrer Macht erstreckte. Wenn wir dem Fluß am Fuß des Wasserfalls folgen, kommen wir in das Land der Yaki. Dort müssen wir vorsichtig und wachsam sein. G’nda Ké ist es gleichgültig, was herumstreifende Jäger mit euch anstellen würden, aber sie möchte nicht selbst getötet werden, bevor sie die Möglichkeit gehabt hat, ihre Landsleute in der eigenen Sprache zu begrüßen.«
Danach bewegten wir uns beinahe genauso verstohlen vorwärts wie Ualiztli und ich auf unserer Flucht aus Compostela, als wir durch das Gebüsch gekrochen waren. Doch wie sich herausstellte, war unsere Vorsicht unnötig. Drei oder vier Tage lang stießen wir auf keinen Menschen. In dieser Zeit stiegen wir von den dicht bewaldeten Bergen hinab in einen Landstrich mit welligen Hügeln und mit niedrigem Bewuchs. Auf einem solchen Hügel sahen wir unsere ersten Yaki. Es war eine Gruppe von sechs Jägern. Sie entdeckten uns etwa zur gleichen Zeit. G’nda Ké rief ihnen eine Begrüßung zu und hielt sie so von einem Angriff ab. Sie blieben stehen und musterten G’nda Ké abweisend, die uns vorausging, um ihnen die Lage zu erklären. Sie sprach immer noch in der unschönen Yaki-Sprache, die nur aus Grunzen, Zungenschnalzen und Knurren zu bestehen scheint, auf die Männer ein, als wir vier uns näherten. Die Jäger sagten überhaupt nichts, sondern starrten uns ebenfalls unfreundlich an. Doch sie machten auch keine Anstalten, uns zu bedrohen. So nutzte ich die Gelegenheit, sie genauer zu betrachten, während G’nda Ké weiter diese merkwürdigen Laute von sich gab.
Sie hatten gut geschnittene Falkengesichter und muskulöse Körper. Doch sie waren ungefähr so schmutzig wie unsere Priester und trugen auch ihr fettiges und wirres Haar so lang wie diese. Sie waren bis zur Hüfte nackt. Zuerst glaubte ich, sie trügen Röcke aus Tierfellen. Dann erkannte ich, daß die Röcke in Wirklichkeit lose herabhängende Haare waren, so lang wie die der Männer und viel länger, als man sie bei Tieren kennt. Es handelte sich um Menschenhaare. Die getrockneten Kopfhäute waren mit Stricken um die Hüften der Männer befestigt. Einige hatten die Beute des Tages hinzugefügt – kleine Tiere, deren Schweife ebenfalls am Gürtel mit den Skalps hingen. Es gibt in diesem Land viele verschiedene Tiere im Überfluß, und die Yaki jagen und essen sie. Doch die Männer verzehren am liebsten das Fleisch des Tlecuachi mit dem Bauchbeutel, denn es ist mit viel Speck durchwachsen. Sie glauben, das viele Fett verleihe ihnen Ausdauer auf der Jagd und bei ihren Raubzügen. Ihre Waffen waren primitiv, aber deshalb kaum weniger tödlich als unsere. Bogen und Speere bestanden aus Rohr, die Pfeile aus starrem Schilf, die Speere mit ihren drei Zacken glichen denen mancher Fischervölker. Pfeile und Speere hatten Spitzen aus Feuerstein. Das war ein sicheres Zeichen dafür, daß die Yaki noch nie etwas mit einem der Völker im Süden zu tun gehabt hatten, die das Obsidian kennen. Sie trugen keine Schwerter wie unsere Maquáhuime, doch von den Handgelenken zweier oder dreier Männer hingen an Lederriemen Keulen aus Quauxelolóni-Holz, das so hart und schwer ist wie spanisches Eisen.
Einer der sechs Yaki machte grunzend eine kurze Bemerkung zu G’nda Ké und wies mit einer herrischen Kopfbewegung in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Dann drehten sie sich alle wortlos um, gingen davon, und wir folgten ihnen. Ich fragte mich besorgt, ob G’nda Ké ihre Landsleute lediglich gedrängt hatte, uns zu einer größeren Gruppe von Jägern zu bringen, damit sie uns leichter überwältigen, skalpieren und erschlagen konnten.
Entweder hatte sie das nicht getan, oder es war ihr nicht gelungen, die Männer zu unserer sofortigen Ermordung zu überreden. Ohne auch nur einmal den Kopf zu wenden, um zu sehen, ob wir ihnen folgten, führten sie uns den ganzen Tag durch die Hügel, bis wir am Abend ihr Dorf erreichten. Es lag am Nordufer eines Flusses, der keineswegs überraschend Yaki hieß. Das Dorf hatte man ebenso einfallslos Bakum genannt, was nur Ort am Wasser bedeutet.
Für mich war es ein Dorf, doch G’nda Ké beharrte darauf, es sei eine Stadt, und erklärte: »Bakum ist eine der Uonáiki, das heißt, eine der Acht Heiligen Städte, die von den ehrwürdigen Propheten gegründet wurden, die in Batna’atóka, zu früheren Zeiten, aus dem Volk der Yaki hervorgegangen sind.«
In Hinblick auf die Lebensbedingungen und Annehmlichkeiten hatte Bakum seit damals offenbar wenig Fortschritte gemacht, wie weit diese früheren Zeiten auch zurückliegen mochten. Die Menschen lebten in roh zusammengefügten Hütten mit gewölbten Dächern. Die armseligen Behausungen bestanden aus dünnen, zusammengebundenen Baumstämmen oder Ästen, über die man geflochtene Matten aus gespaltenem Rohr legte. Das Dorf war wie jedes Yaki-Dorf, das ich später zu sehen bekam, von einem hohen Zaun aus Rohr umgeben, der durch eingezogene, ineinander verschlungene Ranken zusammen- und aufrecht gehalten wurde. Nirgendwo in der EINEN WELT habe ich Menschen gesehen, die sich so sehr absonderten, so ungesellig waren und sich allen und allem außerhalb ihrer Grenzen verschlossen. Es gab kein Dampfbad, und obwohl das Dorf ›Ort am Wasser‹ hieß, konnte man sehen und riechen, daß die Dorfbewohner dem Fluß nur Trinkwasser entnahmen und niemals Wasser, um sich zu waschen. Das üppig wachsende Schilf und die Binsen wurden für jeden erdenklichen Zweck benutzt. Man stellte nicht nur Waffen, Matten für die Hütten und Zäune daraus her, sondern auch alle Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Die Menschen schliefen auf Lagern aus Binsenmatten. Die Frauen benutzten zum Kochen Messer aus gespaltenem Schilf und Löffel aus ausgeschabtem Rohr. Die Männer trugen Kopfschmuck aus Rohr und Binsen und spielten bei ihren zeremoniellen Tänzen auf Rohrpfeifen. Die einzigen anderen kunsthandwerklichen Erzeugnisse, die ich bei den Yaki sah, waren häßliche Gefäße aus braunem Ton, geschnitzte und bemalte Holzmasken und Baumwolldecken, die auf primitiven Webstühlen hergestellt wurden.
Das Land in der Umgebung von Bakúm war sehr fruchtbar. Doch die Yaki – ich sollte besser sagen, die Yaki-Frauen – bewirtschafteten ihre Felder eher nachlässig. Sie pflanzten Mais, Bohnen, Amaranth, Kürbis und gerade genug Baumwolle an, um Decken und Kleider für die Frauen herstellen zu können. Außerdem ernährten sie sich von allen möglichen wilden Pflanzen – den Früchten von Bäumen und Kakteen, verschiedenen Wurzeln und Grassamen und den Schoten des Mizquitl-Baumes.
Da die Yaki das Fett der erlegten Tiere lieber aßen, als Öl daraus herzustellen, verwendeten sie beim Kochen ein Öl, das die Frauen mühsam aus bestimmten Pflanzensamen preßten. Sie kannten weder die Herstellung von Octli oder ähnlichen Getränken, noch bauten sie Picietl zum Rauchen an. Ihr einziges Rauschmittel war der kleine runde und flache Kaktus, der Peyotl genannt wird. Sie pflanzten und sammelten keine Heilkräuter und benutzten nicht einmal den Honig der wilden Bienen als lindernde Salbe.
Ualiztli erklärte bereits nach kurzer Zeit kopfschüttelnd voll Widerwillen: »Die Ticiltin der Yaki vertrauen auf furchteinflößende Masken, auf Gesänge, auf Holzklappern und Sandbilder, um alle Krankheiten zu heilen. Abgesehen von der Behandlung der Frauenleiden – und dabei geht es meistens nur um Beschwerden, nicht um richtige Krankheiten – haben diese Ticiltin nur sehr wenige wirkliche Heilverfahren.« Er seufzte. »Diese Leute, Tenamáxtzin, sind wahrlich Wilde!«
Ich stimmte ihm zu. Der einzige Wesenszug der Yaki, der den Beifall eines zivilisierten Menschen finden konnte, war die Wildheit ihrer Krieger, die sie Yoem’sontáom nannten. Darüber konnte ich mich nicht beschweren, denn schließlich war es genau das, wonach ich suchte. Als man mir nach einiger Zeit gestattete, mit G’nda Ké als Dolmetscherin die Yo’otui, die fünf Ältesten von Bakúm aufzusuchen – keine Gemeinde hatte nur einen einzelnen Häuptling –, stellte ich fest, daß das Wort Yaki eigentlich der Name für drei verschiedene Stämme eines Volkes ist. Es sind die Ópata, die Mayo und die Káhita, die jeweils eine, zwei oder drei der Heiligen Städte und deren Umgebung bewohnen und die sich streng voneinander abgrenzen.
Bakúm gehörte den Mayo. Es stellte sich außerdem heraus, daß meine Vorstellungen über den Haß der Yaki aufeinander und das gegenseitige Abschlachten falsch waren. Ganz so schlimm schien es nicht zu sein. Kein Ópata tötete einen anderen Ópata, ohne einen sehr guten Grund dafür zu haben. Aber er erschlug ohne Zögern jeden Mayo oder Káhita, der ihn – und sei es auch nur geringfügig – beleidigt oder geärgert hatte. Alle drei Stämme der Yaki, so erfuhr ich, waren eng mit den To’ono O’otam oder dem Wüstenvolk verwandt, von dem ich durch den Sklaven Esteban zum ersten Mal etwas gehört hatte.
Die To’ono O’otam lebten im Nordosten, weit vom Land der Yaki entfernt. Das Vergnügen, einige von ihnen zu töten, erforderte große Vorbereitungen, unter anderem einen langen Marsch und einen geordneten Angriff. Deshalb begruben alle Yaki Yoem’sontáom einmal im Jahr ihre Feindseligkeiten und machten sich auf den Weg zu ihren Verwandten vom Wüstenvolk. Die wiederum freuten sich sozusagen über das Eindringen in ihr Gebiet, denn es bot ihnen einen guten Vorwand, ein paar ihrer Vettern von den Ópata, Mayo und Káhita zu erschlagen.
In einem Punkt hatte ich mir jedoch keine falschen Vorstellungen gemacht. Das betraf die schlechte Behandlung der Yaki-Frauen. Ich hatte G’nda Ké immer nur als Yaki bezeichnet und erfuhr erst in Bakúm, daß sie dem Stamm der Mayo angehörte. Ich hätte gedacht, sie betrachte es als einen glücklichen Umstand, daß die Jäger, die wir getroffen hatten, auch Mayo waren und sie in ein Mayo-Dorf brachten. Weit gefehlt! Ich erkannte bald, daß man die Frauen nicht als Mayo oder Káhita oder Ópata ansah. Frauen galten als die denkbar niedrigste Lebensform. Bei unserer Ankunft in Bakum wurde G’nda Ké keineswegs als lang vermißte Schwester begrüßt, die endlich in den Schoß ihres Volkes zurückkehrte. Alle Dorfbewohner, einschließlich der Frauen und Kinder, begrüßten ihr Erscheinen mit den gleichen kalten Blicken wie die Jäger. Ebenso eisig musterten sie uns.
Gleich am ersten Abend mußte G’nda Ké mit den anderen Frauen das Essen zubereiten. Es bestand aus fettem Tlecuáchi-Fleisch, Maiskuchen, gerösteten Heuschrecken sowie nicht identifizierbaren Bohnen und Wurzeln. Dann bedienten die Frauen, einschließlich G’nda Ké, die Männer und Knaben des Dorfes. Nachdem sie sich satt gegessen hatten und bevor sie davongingen, um Peyotl zu kauen, gaben sie durch beiläufige Gesten zu verstehen, ich, Ualíztli, Machíhuiz und Acocótli dürften uns mit dem begnügen, was sie übrigließen. Erst als wir vier beinahe alles aufgegessen hatten, wagten die Frauen, unter ihnen auch G’nda Ké, näherzutreten und sich über die Reste herzumachen.
Wenn die Männer aller Yaki-Stämme nicht gerade mit dem einen oder anderen Vetter kämpften, gingen sie den ganzen Tag über auf die Jagd. Eine Ausnahme war dabei das Káhita-Dorf Be’ene an der Küste des Westmeeres. Dort sah ich später Männer, die mit ihren Dreizackspeeren stumpfsinnig fischten, und andere, die ohne großes Interesse nach Krebsen gruben.
Bei den Yaki erledigten die Frauen grundsätzlich alle Arbeiten und lebten nur von Resten, auch von dem Rest an – ich kann nicht sagen ›Zuneigung‹ – Geduld, die ihre Männer am Ende eines langen Tages unterwegs mit nach Hause brachten.
War ein Mann bei der Rückkehr freundlich gestimmt, begrüßte er seine Frau vielleicht mit einem Knurren, anstatt sie zu schlagen. War er auf der Jagd oder im Kampf sehr erfolgreich gewesen und wirklich guter Laune, ließ er sich vielleicht sogar dazu herab, sich seiner Frau etwas liebevoller zu nähern. Deshalb waren die Dörfer natürlich auch so spärlich bevölkert, denn solche Gelegenheiten waren selten. Meist waren die Männer bei ihrer Rückkehr schlecht gelaunt, stießen Flüche aus und schlugen die Frauen so blutig, wie sie gerne den Hirschen, den Bären oder den Gegner blutig geschlagen hätten, der ihnen entwischt war. G’nda Ké fand in Bakum neue Möglichkeiten, ihre Niedertracht unter Beweis zu stellen. Sie mußte wie eine Sklavin arbeiten. Doch sie nahm diese Demütigungen nicht gleichgültig hin wie die anderen Frauen. In ihr schwelte ein finsterer Zorn, denn selbst die anderen Frauen blickten auf sie herab, weil sie keinen Mann hatte, der sie wenigstens schlug. Ich und meine Begleiter lehnten es ab, ihr diesen Gefallen zu tun. Ich wußte, es wäre ihr nur recht gewesen, denn dann hätte sie ihren Stammesschwestern Ehrfurcht und Bewunderung einflößen können, indem sie ihnen von den weiten Reisen erzählte, von ihren Schandtaten und der Unruhe, die sie unter Männern gestiftet hatte. Doch die Frauen dachten überhaupt nicht daran, ihr auch nur zuzuhören, und die Männer brachten sie sofort mit Blicken zum Schweigen, wenn sie versuchte, mit ihnen zu reden. Vielleicht war G’nda Ké zu lange weg gewesen und hatte vergessen, daß sie selbst in der Gesellschaft dieser rohen unwissenden Menschen ihres Volkes völlig bedeutungslos sein würde, ja, daß sie noch weniger galt als Ungeziefer. Ich glaube, je länger wir blieben, desto mehr hatte sie das Gefühl, in einer Falle zu sitzen. Die Schuld daran gab sie natürlich mir.
Niemand schlug sie, doch jeder gab ihr Befehle, selbst die Frauen, die alle Arbeiten im Dorf erledigten oder untereinander aufteilten. Möglicherweise waren sie neidisch auf G’nda Ké, weil sie die Welt außerhalb des trostlosen Bakum gesehen oder einmal Männer herumkommandiert hatte. Vielleicht verachteten sie die Fremde einfach, weil sie nicht aus ihrem Dorf stammte. Was immer der Grund gewesen sein mag, sie waren so bösartig, wie nur engstirnige Frauen mit geringen Machtbefugnissen es sein können. Sie zwangen G’nda Ké, von morgens früh bis abends spät zu arbeiten. Es bereitete ihnen eine besondere Genugtuung, ihr die schmutzigsten und schwersten Aufgaben zu übertragen. Ich freute mich auf meine Weise darüber.
Eines Tages zog sie sich eine kleine Verletzung zu. Eine Spinne biß sie beim Holzsammeln am Fußknöchel, und sie wurde krank. Ich hätte es eigentlich für unmöglich gehalten, daß eine so winzige giftige Kreatur wie eine Spinne ein so viel größeres und sehr viel giftigeres Wesen krank machen konnte. Wie auch immer, da man keiner Frau erlaubte, sich wegen irgendwelcher Unpäßlichkeiten der Arbeit zu entziehen, wenn sie nicht gerade ein Kind zur Welt brachte oder kurz vor dem Tod stand, wurde G’nda Ké, die lautstark gegen diese Demütigung protestierte, gezwungen, sich auf der blanken Erde auszustrecken, damit der Ticitl des Dorfes sie behandeln konnte.
Wie Ualiztli mir später erklärte, tat der alte Spitzbube nicht wirklich etwas. Er setzte nur eine Maske auf, die böse Geister vertreiben sollte, stimmte einen lauten, grunzenden Singsang an und streute verschiedenfarbigen Sand auf die Erde, so daß Bilder entstanden, die keinen Sinn ergaben. Dabei schüttelte er die ganze Zeit eine mit Bohnen gefüllte hölzerne Rassel. Dann verkündete er, G’nda Ké sei gesund und könne arbeiten. Und sofort wurde ihr auch wieder eine Arbeit zugeteilt. Eine ganz kleine Auszeichnung billigte man G’nda Ké in Bakum jedoch zu. Wenn sie nichts anderes zu tun hatte, durfte sie als Dolmetscherin zwischen mir und den fünf Dorfältesten fungieren, da ich nie mehr als ein paar Worte ihrer Sprache gelernt hatte. Dann durfte sie endlich reden, und ich bin beinahe sicher, daß sie versucht haben muß, eine Heldin aus sich zu machen, indem sie mich als Quimichi brandmarkte, als einen Aufwiegler mit zweifelhafter Gesinnung, oder mir Eigenschaften zuschrieb, die die Ältesten vielleicht dazu veranlassen würden, meine Vertreibung oder gar Ermordung zu befehlen.
Doch soviel weiß ich. Es gibt kein Wort für Heldin in der Sprache der Yaki. Ebensowenig existiert die Vorstellung von einer solchen Frau in den Köpfen der Yaki. Ich bin sicher, wenn G’nda Ké sich dieser Taktik bediente, hielten die Dorfältesten ihre Worte nur für das leere Gerede einer Frau, das niemand zu beachten brauchte. Falls sie darauf bestand, daß man uns Azteca tötete, und die alten Männer wären bereit gewesen, ihre Forderung überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, hätten sie in ihrem Eigensinn bestimmt genau das Gegenteil getan. Deshalb war es möglicherweise einem von G’nda Kés falschen Spielen zu verdanken, daß die Dorfältesten mir nicht nur erlaubten, zu bleiben und meine Anliegen vorzutragen, sondern mir sogar aufmerksam zuhörten. Ich sollte an dieser Stelle erklären, wie diese Yo’otui regierten, wenn man von Regieren sprechen konnte, denn die Lebensart der Yaki war in der gesamten EINEN WELT einzigartig. Jeder der fünf alten Männer war für einen Ya’úra verantwortlich, das heißt einen der fünf Ya’úram, der fünf Wirkungsbereiche in seinem Dorf: Religion, Krieg, Arbeit, Sitten und Tanz. Der Älteste, dem der Bereich Arbeit unterstand, hatte nur die Aufgabe, jede Drückebergerin zu bestrafen. Da aber keine Frau in der Yaki-Gesellschaft es gewagt hätte, sich gegen Arbeit aufzulehnen, hatte er wenig zu tun. Der Älteste, der für Kriegsangelegenheiten zuständig war, mußte nur seinen Segen dazu geben, wenn die Yoem’sontáom seines Dorfes beschlossen, ein anderes Dorf zu überfallen oder wenn sich die Yoem’sontáom aller drei Yaki-Stämme zu einem ihrer beinahe rituellen Raubzüge im Land des Wüstenvolks vereinigten.
Die anderen drei alten Männer, der Bewahrer der Religion, der Wächter der Sitten und der Meister der Tänze, regierten mehr oder weniger gemeinsam. Von der Religion der Yaki läßt sich zu Recht sagen, daß es keine Religion ist, denn sie verehren nur ihre Ahnen. Jeder, der stirbt, wird ein Ahne. Der Todestag jedes Ahnen ist Anlaß für Zeremonien, mit denen er geehrt wird. Und so vergeht im Land der Yaki kaum ein Abend ohne eine große oder eine kleinere Zeremonie, je nachdem, wie bedeutend dieser Mensch zu Lebzeiten gewesen war. Die einzigen von den Yaki anerkannten Götter sind die beiden ältesten Ahnen, die kaum mit wirklichen Göttern, sondern eher mit dem Ersten Menschenpaar vergleichbar sind, auf das nach Überzeugung der Azteca unser Volk zurückgeht. Wir halten es nicht für nötig, dieses Paar mit besonderen Festen oder Ritualen zu ehren. Die Yaki sprechen von dem ›Alten Mann‹ und von ›Unserer Mutter‹ und verehren beide sehr. Die Yaki glauben auch, daß ihre angesehenen Toten glücklich und ewig in einem Jenseits leben, das unserem Tonatíucan oder Tlálocan oder dem Himmel der Christen gleicht. Sie nennen es das ›Land unter der Morgendämmerung‹ und behaupten unsinnigerweise, es befinde sich nicht in unermeßlicher Ferne, sondern direkt im Osten auf einem spitzen Berggipfel, der Takalá’im heißt und genau in der Mitte des Yaki-Landes aufragt. Wohin ihre Toten gelangen, die sich kein Ansehen zu Lebzeiten erworben haben, wissen die Yaki nicht. Es scheint ihnen auch gleichgültig zu sein, denn einen Ort wie unser Mictlan oder die christliche Hölle können sie sich nicht vorstellen.
Sie glauben jedoch, daß sich die Lebenden ständig vor einer großen Schar unsichtbarer niederer böser Götter oder Geister schützen müssen, die sie Chapáyekám nennen. Sie sind die lästigen Ursachen von Krankheiten, Unfällen, Dürren, Überschwemmungen, Niederlagen im Kampf und jedem anderen Mißgeschick, das die Yaki befällt.
Deshalb achtet der Bewahrer der Religion darauf, daß die Bewohner seines Dorfes die Ahnen bis zurück zu dem Alten Mann und Unserer Mutter angemessen verehren, während der Wächter der Sitten die Aufgabe hat, die Chapáyekám abzuwehren. Er schnitzt und bemalt die Holzmasken, die sie vertreiben sollen, und er ist ständig darum bemüht, sich abschreckendere und furchterregende Fratzen auszudenken.
Man sieht demnach, daß der Meister der Tänze am meisten von allen fünf Yo’otui zu tun hat, denn die gemeinschaftlichen Tänze sind die Grundlage für die Angelegenheiten der anderen vier. Die Arbeit im Dorf wird nicht richtig erledigt, die Kämpfe werden nicht gewonnen, die Ahnen werden nicht angemessen geehrt, und die bösen Geister werden nicht hinreichend besänftigt oder vertrieben, wenn die Tänze nicht stattfinden – und dabei muß alles seine Richtigkeit haben. Der Meister der Tänze ist bemerkenswerterweise zu alt zum Tanzen. Ich fand es irgendwie komisch, daß die anderen Männer, die tagsüber ihren blutigen Beschäftigungen nachgingen, Abend für Abend feierlich und mit starren, manchmal sogar gezierten Bewegungen um aufwendig errichtete Feuer tanzten. Ich muß wohl kaum erwähnen, daß die Frauen niemals daran teilnahmen. Der Meister der Tänze verteilte genug Peyotl an die Tänzer, daß ihre Kräfte nicht erlahmten, aber nicht so viel, daß sie berauscht wurden oder in Raserei verfielen und die genau vorgeschriebenen Schritte und Kombinationen verpatzten, an denen seit der Alten Zeit nichts verändert worden war. Der Meister der Tänze überwachte die Tänzer mit Adlerblicken. Wenn ein Mann einen falschen Schritt machte oder vermessen genug war, einen neuen einzuführen, bekam er einen Verweis und mußte den Kreis verlassen. Getanzt wurde nach Musik, wie sie es nannten, die von Männern hervorgebracht wurde, die entweder behindert waren oder zu alt zum Tanzen. Doch da ihnen die Vielfalt der Instrumente fehlte, die von zivilisierten Völkern erfunden wurden, brachten sie für meine Ohren nur Lärm und ein schreckliches Getöse hervor. Sie bliesen Rohrpfeifen und wassergefüllte Kürbisse, rieben gekerbte Schilfrohre aneinander, schüttelten Holzrasseln und schlugen beidseitig bespannte Trommeln. Und obwohl kein Mangel an Tierhäuten herrschte, bestanden die Trommelfelle aus Menschenhaut. Die Tänzer vergrößerten den Lärm durch Bänder an ihren Fußgelenken, an denen Kokons hingen, in denen tote Insekten bei jedem Schritt klapperten.
Bei den Tänzen zu Ehren des Alten Mannes und Unserer Mutter oder der vor nicht allzu langer Zeit verstorbenen Ahnen trugen die Männer einen fächerartigen Kopfschmuck, der jedoch aus starrem gespaltenen Rohr oder Binsen anstatt aus Federn gefertigt war. Bei den Tänzen, mit denen die bösen Geister abgeschreckt werden sollten, trug jeder Mann eine der furchterregenden, mit Farbe beschmierten Masken, die sich alle voneinander unterschieden. Für die Tänze, mit denen ein Sieg im Kampf gefeiert wurde oder mit denen man einen Sieg beschwor, legten sich die Männer Kojotehäute um, wobei die Köpfe der toten Tiere mit ihren spitzen Zähnen die Köpfe der Männer völlig verhüllten. Dann gab es den Tanz eines einzelnen Mannes, der als bester Tänzer im Dorf galt. Durch seine Kunstfertigkeit sollte Wild für die Jäger angelockt werden, wenn die Zahl der Tiere infolge einer Dürre oder einer Krankheit merklich abgenommen hatte. Es war in der Tat ein mitreißender und aufregender Tanz. Diese Darbietung war um so erfreulicher, als sie ohne besagte Musik stattfand. Der Mann befestigte mit Lederriemen den stattlichsten Hirschkopf, der sich auftreiben ließ, mit einem eindrucksvollen Geweih auf seinem Kopf. Ansonsten war er bis auf Armreifen und Fußreifen voller Kokons nackt. In jeder Hand hielt er eine kunstvoll geschnitzte Holzrassel. Sie lieferten das einzige Begleitgeräusch, während er abwechselnd wie ein aufgeschreckter Hirsch in die Luft sprang, wie ein unschuldiges Kitz herumhüpfte, geduckt und vorsichtig wie ein Jäger auf der Pirsch schlich und dabei den Kopf ruckartig hin und her bewegte. Manchmal mußte er viele Abende hintereinander bis zur Erschöpfung tanzen, bevor schließlich ein Kundschafter meldete, das Wild sei endlich zu den gewohnten Weidegründen zurückgekehrt.
Der Leiter der Tänze ließ mir durch G’nda Ké sagen, dieser Tanz sei sehr viel wirkungsvoller, wenn der Mann eine ›Opfer-Hirschkuh‹ umtanzen könne. Dazu wurde eine gefesselte Frau in die Haut einer Hirschkuh gelegt. Nachdem der Tänzer sie so lange umkreist hatte, wie das Ritual es erforderte, wurde ihr die Haut wie der Hirschkuh vom Leib gerissen, als Symbol der erfolgreichen Jagd.
Mir war es gleichgültig, daß die Yaki-Männer aus unerfindlichen Gründen ihr halbes Leben mit Tanzen verbrachten. Wichtig war für meine Zwecke, daß sie die andere Hälfte des Lebens dem Kampf und der Jagd widmeten.
Als G’nda Ké den fünf Ältesten meine Worte übersetzte, erlebte ich eine angenehme Überraschung. Sie waren für mein Anliegen aufgeschlossener als manche Häuptlinge der Rarámuri.
»Weiße Männer …«, murmelte einer der Ältesten. »Ja, wir haben von den weißen Männern gehört. Unsere Vettern, die To’ono O’otam, behaupten, ein paar Weiße seien durch ihr Gebiet gezogen. Sie haben sogar von einem Schwarzen gesprochen.«
Ein anderer brummte: »Wohin soll das alles noch führen? Menschen sollten alle eine Hautfarbe haben … unsere Farbe.«
Der dritte sagte: »Woher wissen wir, daß die verkommenen Männer der Wüste die Wahrheit gesagt haben? Wären sie Yaki gewesen, dann hätten sie Skalps genommen, um zu beweisen, daß es solche Lebewesen gibt.«
Der vierte widersprach: »Wir haben niemals Skalps von den bösen Chapáyekám gesehen. Trotzdem wissen wir, daß es sie gibt, und sie haben überhaupt keine Farbe.« Der fünfte, der für die kriegerischen Angelegenheiten verantwortlich war, sagte: »Ich glaube, es würde unseren Yoem’sontáom nicht schaden, wenn sie zur Abwechslung gegen andere Feinde und nicht gegen ihre Verwandten kämpfen könnten. Ich stimme dafür, daß wir sie diesem Fremden zur Verfügung stellen.«
»Ich auch«, sagte der für die Arbeiten im Dorf verantwortliche Älteste.
»Ich bin dabei«, sagte der Meister der Tänze. »Wir wollen nur den Hirschtänzer hier behalten und genügend andere Tänzer, damit der Alte Mann und Unsere Mutter zufrieden sind.«
»Und um die Chapáyekám zu vertreiben«, sagte der Wächter der Sitten.
»Bestimmt«, sagte der Bewahrer der Religion, »werden alle Männer unserer Hautfarbe dabeisein wollen, wenn die mit der anderen Farbe ausgerottet werden. Ich stimme dafür, daß wir unsere Vettern, die Ópata und die Káhita, einladen, sich an dem Krieg zu beteiligen.« Der Älteste, der sich um Kriegsangelegenheiten kümmerte, ergriff noch einmal das Wort: »Warum nicht auch unsere anderen Vettern, die To’ono O’otam? Das wäre das größte Bündnis, das es jemals gegeben hat. Jawohl, das werden wir tun.«
So wurde es bestimmt. Bakúm sollte einen Krieger mit dem ›Stab des Waffenstillstands‹ entsenden, der den anderen der Acht Heiligen Städte meine Botschaft überbringen würde. Ein zweiter Krieger sollte sich auf den weiten Weg zum Wüstenvolk machen. Ich versprach als Gegenleistung für diese großzügige Mitwirkung zwei Dinge. Ich würde einen meiner Krieger beauftragen, alle Yaki nach Süden zu unserem Sammelplatz in Chicomóztotl zu führen, und den zweiten zurücklassen, damit er die Krieger des Wüstenvolks begleitete. Wenn alle Yoem’sontáom in Chicomóztotl eingetroffen waren, würde ich sie mit Obsidianwaffen ausstatten, die ihren eigenen aus Feuerstein weit überlegen sein würden. Die Ältesten nahmen mein Angebot an, lehnten die versprochenen Waffen jedoch empört ab. Sie erklärten, was gut genug für den Alten Mann und für alle ihre Vorfahren seit jeher gewesen war, sei auch gut genug für einen Krieg in neuer Zeit. Klugerweise widersprach ich ihnen nicht.
Ich war froh, daß wir uns geeinigt hatten, denn danach konnte ich mich mit den Yaki kaum noch verständigen. G’nda Ké behauptete, es gehe ihr schlechter als zuvor und selbst die Anstrengung des Übersetzens sei zu groß. Sie sah tatsächlich krank aus. Sie war beinahe so blaß geworden wie eine weiße Frau, so daß die Sommersprossen überdeutlich hervortraten. Als ihr selbst der Älteste, der die Arbeiten überwachte, und die Frauen, die ihr die schwersten Aufgaben zugeteilt hatten, eine der Hütten überließen, damit sie dort ruhen konnte, waren sie offenbar der Ansicht, G’nda Ké müsse sterben, da sie kein Kind erwartete.
Doch ich kannte G’nda Ké besser und verwarf diesen Gedanken. Ich war sicher, daß es sich bei ihrer Hinfälligkeit nur um eine List handelte und daß sie auf diese Art ihren Ärger darüber zum Ausdruck bringen wollte, daß ihr Volk mich freundlicher aufgenommen hatte als sie.