22
»Was machen wir jetzt, Tenamáxtzin?« fragte Ualiztli, der wieder zu Atem gekommen war und sich stöhnend aufsetzte.
»Wie der Moro sagt, war die Zeit zu knapp, damit der Gouverneur seinen Wachposten hätte Befehl geben können, uns mit der Geisel ungehindert passieren zu lassen. Deshalb wissen die Soldaten nichts von unserem Kommen. Sie werden Ausschau nach Feinden halten, die in die Stadt hineinwollen, nicht hinaus. Du folgst mir einfach und machst mir alles nach.«
Wir gingen hoch aufgerichtet, bis die letzten Behausungen des Sklavenviertels hinter uns lagen. Dann setzten wir unseren Weg geduckt und mit großer Vorsicht fort, bis ich in einiger Entfernung vor uns eine Hütte entdeckte, vor der Soldaten standen. Keiner von ihnen blickte in unsere Richtung. Wir gingen nicht näher heran, sondern schlugen einen Haken nach links. Nach einiger Zeit sahen wir eine andere Hütte und Soldaten. Sie standen an einem der Donnerrohre von der Art, die Feldschlange genannt werden. Also machten wir kehrt und schlichen auf demselben Weg zurück, bis wir uns ungefähr in der Mitte zwischen beiden Posten befanden. Zu unserem Glück erstreckte sich von hier bis zu den Bäumen am Horizont dichtes Gestrüpp. Immer noch geduckt ging ich voraus. Der Ticitl folgte mir schwer atmend nach. Wir achteten darauf, daß unsere Köpfe niedriger als die Büsche blieben, und versuchten, die Zweige nicht zu heftig zu bewegen. Mir kam es vor, als wolle die Strecke, die wir auf diese schwierige, langsame und beschwerliche Weise zurücklegten, kein Ende nehmen, und ich wußte, für Ualiztli war die Kriecherei noch sehr viel ermüdender und qualvoller als für mich. Doch endlich erreichten wir tatsächlich unbehindert die Bäume. In ihrem Schutz richtete ich mich dankbar auf, wobei alle meine Gelenke knackten. Der Ticitl ließ sich wieder einmal schnaufend und stöhnend auf die Erde fallen. Ich legte mich in seine Nähe, und wir ruhten uns lange und genußvoll aus. Als Ualiztli sich so weit erholt hatte, daß er wieder sprechen konnte, obwohl ihm noch die Kraft fehlte, um sich aufzurichten, sagte er: »Würdet Ihr mir verraten, Tenamáxtzin, warum uns die Weißen haben ziehen lassen? Doch sicher nicht, weil wir einen ihrer schwarzen Sklaven in unserer Gewalt hatten? Ein Sklave jeder Hautfarbe ist für sie so entbehrlich wie Ungeziefer.«
»Sie sind der Meinung, daß dieser Sklave das Geheimnis unermeßlicher Reichtümer kennt. Es ist dumm von ihnen, das zu glauben.« Ich lachte leise, als ich sein verblüfftes Gesicht sah. »Aber das werde ich dir alles ein andermal erklären. Im Augenblick denke ich darüber nach, wie ich den Cúachic Nochéztli und den Rest unserer Truppen finden kann.«
Ualiztli setzte sich auf und sah mich besorgt an. »Ihr habt Euch offenbar noch nicht von dem Schlag auf den Kopf erholt. Ihr seid immer noch verwirrt. Wenn die Donnerstöcke unsere Männer nicht getötet haben, dann sind sie inzwischen in alle Winde zerstreut.«
»Sie wurden nicht getötet, und sie haben sich nicht in alle Winde zerstreut. Und ich bin auch nicht wirr im Kopf. Bitte hör auf, wie ein Arzt zu reden, und laß mich nachdenken.«
Ich hob langsam den Kopf. Tonatiu stand bereits tief am Himmel. Es würde bald dunkel werden. »Wir sind wieder nördlich von Compostela. Also können wir nicht allzuweit von dem Platz entfernt sein, wo sie den Hinterhalt gelegt hatten. Ob Nochéztli die Krieger hier in der Nähe zusammengezogen hat? Ob er sie an einen Punkt südlich der Stadt geführt hat, wie es ursprünglich geplant war? Ist er vielleicht sogar mit ihnen auf dem Rückweg nach Aztlan? Was wird er getan haben, nachdem er nicht wußte, was aus mir geworden war?« Der Ticitl enthielt sich rücksichtsvoll jeder Äußerung und ließ mich laut denken.
»Wir können nicht einfach herumlaufen und sie suchen«, fuhr ich fort. »Nochéztli muß uns finden. Mir fällt nichts anderes ein, als ein Zeichen zu geben und zu hoffen, daß er uns auf diese Weise entdeckt.« Der Ticitl konnte nicht länger schweigen. »Hoffen wir nur, daß wir so nicht die spanischen Truppen anlocken, die mit Sicherheit sehr bald nach uns suchen werden.«
»Es wäre das Letzte, womit sie rechnen würden«, sagte ich, »daß wir bewußt auf unser Versteck aufmerksam machen. Aber wenn unsere Männer tatsächlich irgendwo in der Nähe sind, müssen sie verzweifelt auf Nachrichten von ihrem Anführer warten. Alles Ungewöhnliche müßte zumindest einem Späher auffallen.« Ich nickte zufrieden, denn ich hatte eine glänzende Idee. »Ein großes Feuer wird das schaffen. Der Erdgöttin Coatlicue sei gedankt, hier stehen viele Kiefern zwischen den anderen Bäumen, und der Boden ist mit einer dicken Schicht trockener Nadeln bedeckt.«
»Und jetzt ruft Ihr den Gott Tlaloc zu Hilfe, damit er die Nadeln mit einem seiner gegabelten Blitze in Flammen setzt«, sagte Ualiztli trocken. »Ich sehe hier nirgends Glut, mit der man ein Feuer entfachen könnte. In meinem Beutel hatte ich leicht entzündliche Flüssigkeiten. Aber den hat man mir abgenommen. Wir werden die ganze Nacht brauchen, um geeignetes Holz zu finden und einen Feuerbohrer zu machen.«
»Das brauchen wir alles nicht.« Ich lachte leise. »Tonatiu wird uns helfen, bevor er untergeht.« Ich tastete die Innenseite meiner gesteppten Rüstung ab, die ich immer noch trug. »Mir hat man die Waffen ebenfalls abgenommen, aber das hier haben sie mir gelassen. Offenbar besitzt es für die Spanier keinen Wert.« Damit zog ich die Linse hervor, den Kristall, den Alonso de Molino mir vor langer Zeit geschenkt hatte.
»Ich würde das Ding auch für wertlos halten«, brummte Ualiztli. »Von welchem Nutzen kann so ein kleines Stückchen Quarz schon sein?«
Ich erwiderte nur: »Sieh es dir an.« Ich stand auf und ging zu einer Stelle, wo sich ein Sonnenstrahl durch die Bäume verirrte und auf die braunen, trockenen Nadeln fiel. Ualiztli bekam große Augen, als kurz darauf ein Rauchwölkchen aufstieg und dann eine kleine Flamme züngelte. Nach einem Augenblick mußte ich zurückweichen, denn schon loderte ein beachtliches Feuer. »Wie habt Ihr das gemacht?« fragte der Ticitl staunend. »Woher habt Ihr dieses Zauberding?«
»Es ist ein Geschenk vom Vater an den Sohn«, sagte ich und lächelte bei der Erinnerung. »Ich glaube, mit Hilfe Tonatius und dem Segen eines Vaters in Tonatiucan kann ich ungefähr alles …« Ich räusperte mich: »Vom Singen vermutlich abgesehen.«
»Wie bitte?«
»Der Wachposten vor meiner Zelle hat von meiner Stimme nichts gehalten.«
Ualíztli sah mich wieder mit dem forschenden Blick eines Arztes an. »Seid Ihr sicher, Herr, daß Euch der Schlag auf den Kopf nicht immer noch zu schaffen macht?« Ich lachte, drehte mich um und bewunderte mein Feuer. Solange es sich auf den abgefallenen Nadeln ausbreitete, war es nicht sichtbar. Aber jetzt erfaßte es die harzgetränkten grünen Nadeln an den Kiefernästen, und sofort stieg eine Rauchwolke auf, die schnell immer höher, dichter und dunkler wurde.
»Das müßte jemanden hierher locken«, sagte ich zufrieden.
»Ich schlage vor, wir ziehen uns wieder in die Büsche zurück, durch die wir gekommen sind«, sagte der Ticitl. »Vielleicht sehen wir dann rechtzeitig, wer kommt.« Das taten wir. Wir kauerten im Gestrüpp und beobachteten, wie sich das Feuer durch das kleine Wäldchen fraß und sich der aufsteigende Rauch bald mit der Rauchfahne messen konnte, die über dem großen Vulkan Popocatépetl bei Tenochtitlan hängt. Die Zeit verging, die untergehende Sonne färbte die hohe Rauchwolke rotgolden und machte sie so zu einem noch auffälligeren Signal am tiefblauen Himmel. Es dauerte jedoch noch eine ganze Weile, bis wir schließlich ein Rascheln im Gebüsch um uns herum hörten. Wir hatten uns nicht unterhalten, doch als Ualíztli mich fragend ansah, legte ich warnend den Finger an die Lippen und stand leise auf, um über die Büsche hinwegzublicken.
Es waren keine Spanier, doch ich hätte es beinahe gewünscht. Die Männer, die unser Versteck umzingelten, waren Azteca in Kriegsrüstung. Unter ihnen fiel mir der Pfeilritter Tapachini auf. Es waren Yeyacs Krieger. Einer von ihnen hatte unerfreulich scharfe Augen. Er entdeckte mich, bevor ich mich wieder ducken konnte, und stieß einen Eulenschrei aus. Der Kreis um uns wurde enger. Es half alles nichts, Ualiztli und ich ergaben uns in unser Schicksal und standen auf. Die Krieger blieben in einiger Entfernung stehen, hatten uns aber völlig umringt, so daß wir die Mitte des Kreises bildeten und Zielscheibe für alle Speere und Spieße waren, die sie auf uns richteten.
Yeyac bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg durch die Männer. Er war nicht allein. G’nda Ké begleitete ihn. Sie lachten beide triumphierend.
»Nun, Vetter, wir stehen uns also wieder einmal gegenüber«, rief er, »und zwar zum letzten Mal! Coronado hat zwar gezögert, bei deiner Flucht Alarm zu schlagen, aber die gute G’nda Ké nicht. Sie hat mir sofort davon berichtet. Meine Männer und ich mußten nur abwarten und achtsam sein. Jetzt, Vetter, wollen wir dich weit von hier wegbringen, bevor die Spanier tatsächlich auftauchen. Ich will ungestört sein und viel Zeit haben, um dich langsam und mit größtem Genuß zu töten.«
Er winkte die Krieger herbei. Doch bevor sie sich in Bewegung setzen konnten, trat einer in den Kreis. Der Mann trug als einziger eine Arkebuse. »Ich habe dich schon einmal getötet, Yeyac«, sagte Zehenspitze, »als du meinen Tenamáxtli bedroht hast. Aber du sagst es selbst: Diesmal wird es das letzte Mal sein.«
Die andern Krieger wichen beim Knall des Donnerstocks zurück. Die Kugel traf Yeyac an der linken Schläfe. Sein Kopf löste sich in eine Fontäne aus rotem Blut und rosig-grauer Gehirnmasse auf. Er stürzte zu Boden, und kein noch so geschickter Ticitl hätte ihn jemals wieder lebendig machen können.
Wir anderen standen alle mehrere Herzschläge lang erstarrt da. Offensichtlich hatte Pakápeti es in ihrer dick wattierten Rüstung geschafft, die ganze Zeit als Mann durchzugehen, obwohl sich ihr Leib inzwischen beachtlich wölbte. Und sie hatte die Arkebuse so lange versteckt gehalten, bis sie wirklich gebraucht wurde. Jetzt blieb ihr nur genug Zeit, mir flüchtig liebevoll und traurig zuzulächeln. Dann stürzten sich Yeyacs Männer mit empörtem Gebrüll auf sie. Der erste, der ihr nahe genug kam, hob sein Obsidianschwert zu einem gewaltigen Schlag über den Kopf. Mit einem Hieb durchtrennte er Zehenspitzes Rüstung und ihren Körper von der Brust bis zum Unterleib.
Bevor sie jedoch blutüberströmt zu Boden sank, fielen ihre inneren Organe, die Eingeweide und noch etwas anderes heraus. Die Männer in ihrer Nähe wichen zurück, starrten entgeistert auf die Erde und riefen laut genug, daß man es über den Lärm und das zornige Geschrei der anderen hörte: ›Tequani!‹ und ›Tzipiti!‹ und ›Palanqui!‹, was bedeutet ›Ungeheuer‹, ›Mißgeburt‹ und ›Scheußlichkeit‹.
Im allgemeinen Tumult hatte niemand auf das erneute Rascheln im Gebüsch geachtet. Doch jetzt hörten wir Adlerschreie, Jaguargeknurre, Eulenrufe und Papageiengekrächze, was sich alles zu einem vielstimmigen, wilden Schlachtruf vereinte. Die Männer meiner Truppe brachen lärmend durch die Büsche, stürzten sich auf Yeyacs Krieger und hackten, stachen und schlugen mit Maquáhuime und Speeren und Spießen auf sie ein. Bevor ich mich ebenfalls in das Getümmel stürzte, wies ich auf Pakápetis Überreste und befahl dem Ticitl: »Kümmere dich um sie, Ualiztli!«
Der Kampf wurde von Schatten geführt, nicht von wirklichen Gestalten. Vor der roten Flammenwand, die den Wald fraß, bewegten sich die gespenstischen schwarzen Umrisse der Krieger. Es war schwer, Freund von Feind zu unterscheiden. Deshalb warfen wir bald die schwereren Waffen beiseite, damit wir nicht unsere Kameraden in Stücke hieben oder aufspießten. Alle griffen zu den Messern – die meisten waren aus Obsidian, einige, wie das meine, aus Stahl – und kämpften Mann gegen Mann, wobei die Gegner nicht selten auf der Erde miteinander rangen. Ich tötete den Pfeilritter Papachini eigenhändig. Die Schlacht dauerte nicht lange, denn meine Männer waren weit in der Überzahl. Als Yeyacs letzte Krieger fielen, begann auch das Feuer zu erlöschen, als sei sein Licht nicht länger vonnöten, und uns umgab die Dunkelheit der einbrechenden Nacht.
Zweifellos war es ein von den Göttern herbeigeführter Zufall, daß ich in diesem Augenblick neben der falschen Schlange G’nda Ké stand. Sie war unverletzt und vermutlich nur deshalb dem Gemetzel entgangen, weil sie Frauenkleider trug.
»Ich hätte es wissen müssen«, sagte ich keuchend. »Selbst im hitzigsten Gefecht wird dir kein Haar gekrümmt. Ich bin froh darüber. Wie dein Freund Yeyac vorhin gesagt hat, werde ich ungestört sein und viel Zeit haben, um dich langsam zu töten.«
»Was redest du da!« sagte sie vorwurfsvoll und mit einer Gemütsruhe, die mich beinahe wieder zur Raserei trieb. »G’nda Ké hat Yeyac und seine Männer in die Falle gelockt. Ist das der Dank?«
»Du verlogene Hexel« zischte ich und befahl zwei Kriegern in meiner Nähe: »Ergreift dieses Weib und nehmt sie in eure Mitte, wenn wir abziehen. Sollte sie fliehen, ist es um euch geschehen.«
Im nächsten Augenblick fiel der Cuáchic Nochéztli vor mir auf die Knie und rief: »Ich wußte, die Weißen können einen so kühnen Krieger wie meinen Herrn Tenamáxtzin nicht lange gefangenhalten!«
»Und du hast in der Zwischenzeit bewiesen, daß du ein mehr als geeigneter Ersatz bist. Ab heute abend bist du stellvertretender Befehlshaber. Ich werde dafür sorgen, daß dich der Orden der Adlerritter in seine Reihen aufnimmt. Dir sind meine Glückwünsche, meine Dankbarkeit und meine Wertschätzung sicher, Ritter Nochéztli.«
»Ihr seid sehr gnädig, Herr, und ich fühle mich überaus geehrt. Aber wir sollten uns beeilen, damit wir schnell von hier wegkommen. Wenn die Spanier nicht schon auf dem Weg sind, dann könnte es sein, daß zumindest die Geschosse ihrer Donnerrohre bis hierher fliegen.«
»Du hast recht. Wenn unsere Männer alle Waffen eingesammelt haben, sollen sie sich formieren, und du beginnst mit dem Rückzug nach Norden. Ich werde zu euch stoßen, sobald ich eine letzte Angelegenheit in Ordnung gebracht habe.«
Ich suchte in der Menge nach Ualiztli, und als ich ihn gefunden hatte, fragte ich ihn: »Was ist mit der tapferen Pakápeti? Sie hat uns beiden das Leben gerettet, Ticitl. Konntest du vor ihrem Ende noch etwas für sie tun?«
»Nichts. Sie war tot und hatte ihren Frieden gefunden, bevor sie auf der Erde lag.«
»Aber dieses … hm … was immer es war, was sie in sich trug. Was …?«
»Fragt nicht, Herr. Es ist mit ihr gestorben.« Er wies mit einer Geste dorthin, wo die Bäume gestanden hatten und jetzt nur noch glühende Stümpfe aus der Asche aufragten. »Ich habe alles in die Hände der gütigen Herdgöttin Chántico gelegt. Feuer reinigt die Erde von vielen Dingen.«
Nochéztli hatte am Ort des Hinterhaltes nicht nur die vielen Arkebusen der Spanier an sich genommen, sondern auch das Pferd des getöteten Kriegers Comitl. Deshalb waren wir beide beritten, als wir unsere Männer in die Nacht führten. Allerdings wünschte ich bald inbrünstig, ich hätte einen Sattel zwischen mir und dem Pferd.
Ich lobte den neu ernannten Ritter noch einmal für die große Entschlußkraft, die er während meiner Abwesenheit bewiesen hatte, fügte aber hinzu: »Um die von dir erbeuteten Waffen benutzen zu können, müssen wir Pulver mischen und irgendwie Blei ausfindig machen.«
»Herr«, sagte er beinahe entschuldigend, »was das erste Problem angeht, so verstehe ich nichts von der Herstellung von Pulver. Doch weil ich keine anders lautenden Befehle hatte, beschloß ich, die Zeit des Wartens zu nutzen. Deshalb sind wir im Besitz von Blei. Wir besitzen sogar einen beachtlichen Vorrat.«
»Ich staune über dich, Ritter Nochéztli. Wie ist dir das gelungen?«
»Einer unserer älteren Mexica-Krieger hatte mir gesagt, er sei der Sohn eines Silberschmieds. Deshalb wußte er, daß man in den Minen, aus denen das kostbarere Silber stammt, oft Blei findet. Und Blei ist auch für den Vorgang vonnöten, bei dem das Silber gefeint wird.«
»Bei Huitztli! Du bist tatsächlich in den Bergwerken und Schmelzen der Spanier gewesen?«
»Vergeßt nicht, Herr, ich war einmal Euer Quimichi bei den Weißen. Ich und andere Krieger unserer Truppe haben uns bis auf die Schamtücher und Sandalen ausgezogen, die Gesichter und Körper mit Erde eingerieben und sind einzeln an den Wachposten vorbei zu den arbeitenden Sklaven gegangen. Das war nicht schwierig. Die Wachen rechnen nicht damit, daß sich jemand in die Sklaverei schleicht. Das Herauskommen war sehr viel schwieriger, besonders, da Blei so schwer ist. Aber dank meiner Erfahrung als Quimichi ist uns auch das gelungen. Mindestens zweimal zwanzig der Männer hinter uns tragen jeweils einen Bleibarren in ihren Vorratsbeuteln. Dieser Mexicatl, der Sohn des Silberschmieds, sagt, er kann das Blei leicht schmelzen und in Formen aus Holz und feuchtem Sand zu Kugeln gießen.«
»Yyo ouiyo ayyol« rief ich begeistert. »Unsere Waffen kommen denen der Weißen sehr viel näher, als ich zu hoffen wagte. Das Herstellen des Pulvers ist ein sehr viel geringeres Problem als das, welches du bereits gelöst hast. Hör zu, präge es dir gut ein und gib es an jeden anderen Offizier weiter, dem du vertraust. Unser Volk hielt das, was die Spanier Pulver nennen, anfangs wirklich für Donner und Blitz, die eingefangen und eingeschlossen worden waren, um nach Belieben losgelassen zu werden. Die Spanier wollen immer noch nicht, daß jemand unseres Volkes das Geheimnis der Pulverherstellung erfährt. Ich habe lange gebraucht, um es zu entdecken, und es war sehr mühsam. Aber der Vorgang ist ganz einfach.« Ich erläuterte ihm die Sache mit den drei Bestandteilen, die fein gemahlen werden mußten, und das Verhältnis, in dem man sie mischte.
Als wir meiner Meinung nach weit genug von Compostela entfernt waren, wählte ich zweimal zwanzig meiner Männer mit starken Muskeln und langen Beinen aus und sagte zu ihnen: »Bereitet euch darauf vor, uns morgen früh, wenn ihr geschlafen habt und ausgeruht seid, zu verlassen und so schnell wie möglich eine lange Strecke zurückzulegen. Laßt Waffen und Rüstungen bei euren Kameraden zurück und nehmt nur eure Mäntel mit.« Den ersten zwanzig befahl ich, zum Vulkan Tzebóruko zu gehen, den nur wenige von uns jemals gesehen hatten. Doch wegen seiner häufigen Ausbrüche und der Zerstörungen, die er in den umliegenden Dörfern anrichtete, war der Vulkan allgemein bekannt. Ich war sicher, an den Berghängen würden sich dicke Krusten von Schwefel finden. Der Vulkan liegt in der Gegend von Nauyar Ixú in dem Land, das jetzt Neugalicien hieß. Das bedeutete, die zwanzig Männer mußten das von den Spaniern besetzte Gebiet durchqueren.
»Ihr lauft in Richtung Westen bis zur Küste des Meeres. Dort laßt ihr euch von Männern mit Booten nach Süden zu dem Vulkan fahren. Die Männer sollen euch und die mit dem gelben Mineral gefüllten Mäntel wieder nach Norden bringen. Es ist unwahrscheinlich, daß euch auf dem Meer feindliche Schiffe begegnen.« Zu den anderen zwanzig Männern sagte ich: »Ihr geht nach Aztlan. Unsere Fischer gewinnen Salz, um einen Teil ihres Fangs haltbar zu machen. Deshalb werden sie mit Sicherheit das bittere Salz kennen, das man den ersten Ertrag nennt. Damit füllt ihr eure Mäntel.« An alle gewandt fügte ich hinzu: »Ihr stoßt in Chicomóztotl, ›dem Ort der sieben Höhlen‹, wieder zum Heer. Ihr wißt, wo das ist … in den Bergen östlich von Aztlan, im Gebiet des Chichiméca-Stammes, der Huichol heißt. Dort wird das Heer auf euch warten. Ich ermahne euch, kommt mit eurer Last dorthin, so schnell ihr könnt.«
Zu Nochéztli sagte ich: »Du hast es gehört. Jetzt gib deinen Kriegern die Erlaubnis zu schlafen. Aber sie sollen sich weiträumig zwischen den Bäumen verteilen. Und teile Wachposten ein, die sich abwechseln. Morgen führst du die Truppen in Richtung Chicomóztotl, denn ich habe vor, einen anderen Weg zu nehmen. Während du dort auf mich wartest, läßt du von den Männern Bleikugeln gießen und Holzkohle herstellen. Die Berge sind dicht bewaldet. Wenn die Läufer mit dem Schwefel und dem Salpeter zurückkommen, fängst du an, einen Pulvervorrat anzulegen. Dann bringen die Krieger, die bereits mit einer Arkebuse umgehen können, es allen anderen bei, die sich als geeignet erweisen. Außerdem schickst du Werber zu den Huichol und zu den anderen Chichimeca-Stämmen der nahen und fernen Umgebung. Sie sollen die Männer dieser Stämme mit der Aussicht vieler zu tötender Gegner und lohnenden Plünderungen locken, sich unserem Rebellen-Heer anzuschließen. Mit diesen Aufgaben müßten alle beschäftigt sein, bis ich zurückkomme. Ich hoffe, ebenfalls viele Krieger mitzubringen. Und jetzt, Nochéztli«, ich holte tief Luft, »befehle den beiden Männern, die G’nda Ké bewachen, die Hexe zu mir zu bringen.« Als er sich auf den Weg machte, rief ich ihm nach: »Sie brauchen nicht sanft mit ihr umzugehen.«
Das taten sie auch nicht. Sie schleppten die Yaki-Frau herbei, und ich erklärte nur kalt: »Ich habe noch etwas mit dir vor, bevor ich dich mit Feuerameisen und Skorpionen vollstopfe. Das heißt, du wirst genau so lange leben, wie du meine Befehle befolgst. Morgen machen wir uns beide auf den Weg in das Yaki-Land.«
»Es ist lange her, seit G’nda Ké ihre Heimat zum letzten Mal besucht hat.«
»Wie allgemein bekannt ist, hassen die Yaki Fremde noch mehr als sich gegenseitig. Das kann man daran erkennen, daß sie jeden skalpieren, der sich unklugerweise in ihre Nähe wagt, bevor sie ihm noch Schlimmeres antun. Ich verlasse mich darauf, daß deine Anwesenheit solche Unglücksfälle verhindern wird. Aber wir werden den Ticitl Ualiztli für den Fall mitnehmen, daß seine Dienste erforderlich sind. Diese beiden starken Männer werden dich ebenfalls begleiten, um dich zu bewachen.«