21

 

Als ich mich bewegen wollte, stellte ich fest, daß ich am Baumstamm festgebunden war. Ualiztli saß ebenfalls gefesselt neben mir. Offenbar hatte man ihn nicht so brutal vom Pferd geworfen, denn er war bei Bewußtsein und stieß leise Verwünschungen aus.

Ich war noch völlig benommen und fragte ihn tonlos und lallend: »Ticitl, sag mir, ist es möglich, daß dieser Mann nach seinem Tod wieder zum Leben erwacht ist?«

»In diesem Fall ist es eindeutig so«, murmelte der Arzt finster. »Die Möglichkeit war mir in den Sinn gekommen, als Ihr mir erzählt habt, daß Ihr ihn mit dem Gesicht nach unten hingelegt hattet, damit er schneller verbluten würde. In Wirklichkeit habt Ihr damit erreicht, daß das Blut an der Einschußstelle geronnen ist. Wenn kein lebenswichtiges Organ verletzt war und die scheintote Leiche von seinen Freunden schnell genug beiseite geschafft wurde, konnte jeder gute Ticitl ihn behandeln und heilen.« Er seufzte und fügte unglücklich hinzu: »Glaubt mir, Tenamáxtzin, ich habe es nicht getan. Aber yya ayya ouiya, Ihr hättet ihn auf den Rücken legen sollen.« Yeyac hatte unserer Unterhaltung belustigt zugehört. »Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, Vetter, eine der Bleikugeln aus dem Hinterhalt, in den meine klugen spanischen Verbündeten dich so geschickt gelockt haben, hätte dich getroffen. Als mir einer meiner Íyactin meldete, er habe dich lebend gefangengenommen, war ich so beglückt, daß ich den Mann auf der Stelle in den Ritterstand erhoben habe.«

Mein verwirrter Kopf klärte sich etwas, und ich knurrte: »Du bist nicht berechtigt, jemanden zum Ritter zu machen.«

»Nein? Aber Vetter, du hast mir doch sogar den Quetzal-Kopfschmuck mitgebracht. Jetzt bin ich wieder der Uey-Tecutli von Aztlan.«

»Warum läßt du mich am Leben, da ich doch diese unverschämte Anmaßung mit aller Macht anfechten werde?«

»Ich halte mich nur an die Befehle meines Verbündeten, des Gouverneurs Coronado. Er will dich lebend haben.« Er lachte zufrieden. »Zumindest für eine Weile, damit er dir gewisse Fragen stellen kann. Danach … nun ja, er hat mir versprochen, daß ich dann alles mit dir anstellen kann, was mir in den Sinn kommt. Den Rest überlasse ich deinem Vorstellungsvermögen.«

Es machte mir wenig Freude, über seine Pläne für meinen Tod nachzudenken. Deshalb wechselte ich das Thema und fragte: »Wie viele meiner Männer sind tot?«

»Ich habe keine Ahnung. Es ist mir gleichgültig. Die Überlebenden haben sich in Windeseile zerstreut. Es ist keine schlagkräftige Truppe mehr. Einzeln und im Dunkeln irren sie wahrscheinlich ziellos, geschwächt und niedergeschlagen durch die Gegend wie die Weinende Frau Chicociuatl und die anderen Geister der Nacht. Wenn es Tag wird, dürften die spanischen Soldaten kaum Schwierigkeiten haben, einen nach dem anderen zu überwältigen. Coronado wird sich freuen, so starke Männer für die schwere Arbeit in seinen Silberminen zu bekommen.« Er lachte schallend und rief: »Ayyo, da kommen die Soldaten, die dich in den Palast des Gouverneurs bringen werden.«

Die Spanier banden mich vom Baum los, fesselten meine Arme aber eng an den Oberkörper. Sie führten mich aus dem Wald hinaus und auf dem breiten Weg nach Compostela. Yeyac folgte mit Ualiztli, doch ich sah nicht, wohin er den Arzt brachte.

Man sperrte mich ohne Essen und Trinken, aber unter strenger Bewachung die Nacht über in eine Zelle im Palast. Erst am nächsten Morgen wurde ich dem Gouverneur vorgeführt.

Francisco Vásquez de Coronado war, wie man mir berichtet hatte, nicht älter als ich und sah für einen Weißen gut aus. Er hatte einen ordentlich getrimmten Bart und wirkte sogar sauber. Meine Wachen banden mich los, blieben jedoch im Raum. Es war noch ein anderer Soldat anwesend, der, wie sich herausstellte, Náhuatl sprach und als Dolmetscher fungierte.

Coronado redete lange auf ihn ein – natürlich verstand ich jedes Wort. Der Soldat wiederholte alles in meiner Muttersprache: »Seine Exzellenz sagt, daß du und ein anderer Krieger Donnerstöcke bei euch hattet, als man dich gefangennahm und den anderen tötete. Eine dieser Waffen war Eigentum der königlich spanischen Armee. Bei der anderen handelte es sich offensichtlich um eine von Hand angefertigte Nachahmung. Seine Exzellenz will wissen, wer diese Kopie hergestellt hat. Außerdem sollst du ihm sagen, wo und wie viele Waffen angefertigt wurden und wie viele noch angefertigt werden. Sag außerdem, woher das Pulver und die Munition dafür stammen.«

Ich erwiderte: »Nino ixnéntla yanquic in tláui pocuíahuíme. Ayquic.«

»Eure Exzellenz, der Indio behauptet, daß er nichts von Arkebusen weiß und nie etwas davon gewußt hat.«

Coronado zog das Schwert aus der Scheide. »Sag ihm, du wirst noch einmal fragen. Jedesmal, wenn er behauptet, nichts zu wissen, wird er einen Finger verlieren. Frage ihn, wie viele Finger er verlieren will, bevor er eine zufriedenstellende Antwort gibt.«

Der Dolmetscher wiederholte das auf náhuatl und wiederholte die Fragen noch einmal.

Ich versuchte, entsprechend verängstigt zu wirken, und antwortete stockend: »Ce necha …« Aber natürlich wollte ich nur Zeit gewinnen. »Einmal bin ich in dem umstrittenen Gebiet gewesen … und auf einen Vorposten gestoßen. Der Wachsoldat hat tief geschlafen. Ich habe seinen Donnerstock gestohlen und seitdem aufbewahrt.«

Der Dolmetscher fragte höhnisch: »Hat der schlafende Soldat dir gezeigt, wie man ihn benutzt?«

Jetzt gab ich mir Mühe, dumm zu wirken. »Nein. Er hat doch geschlafen, verstehst du. Ich weiß, man drückt das kleine Ding, das Gatillo heißt. Aber ich habe keine Gelegenheit dazu gehabt. Man hat mich gefangengenommen, bevor …«

»Hat dir der schlafende Soldat auch alle Innenteile gezeigt und dir erklärt, wie der Donnerstock funktioniert, so daß selbst ihr primitiven Wilden eine Kopie davon anfertigen konntet?«

Ich erklärte entschieden: »Davon weiß ich nichts. Wegen der Kopie, von der du sprichst, mußt du den Krieger fragen, der sie bei sich hatte.«

Der Dolmetscher fuhr mich an: »Du hast doch gehört! Der Mann ist tot. Er ist von einer der Kugeln getroffen worden, die sich durch die Berührung der Schnüre gelöst haben. Er muß der Meinung gewesen sein, Soldaten hätten geschossen. Im Fallen hat er seinen Donnerstock abgefeuert. Er wußte sehr gut, wie man ihn gebraucht!« Der Dolmetscher wiederholte meine und seine Worte auf spanisch für den Gouverneur.

Ich dachte: Du warst ein guter Mann, Comitl, ein echter Mexicatl und ein alter Adler bis zum Ende. Du genießt inzwischen die Freuden von Tonaticuan. Doch ich mußte anfangen, mir über meine eigene Lage Gedanken zu machen, denn Coronado sah mich wütend an und sagte: »Wenn sein Kamerad so geschickt im Umgang mit einer Arkebuse war, muß er es ebenfalls sein. Sag der verdammten Rothaut, wenn er mir nicht augenblicklich alles gesteht …«

Doch der Gouverneur wurde unterbrochen. Drei andere Männer betraten den Raum, und einer rief erstaunt: »Weshalb machen Eure Exzellenz sich die Mühe, einen Dolmetscher einzusetzen? Dieser Indio spricht kastilisch so fließend wie ich!«

»Wie?« fragte Coronado verwirrt. »Woher wißt Ihr das? Wie könnt Ihr das wissen?«

Bruder Marcos de Niza lächelte fromm und erwiderte selbstzufrieden: »Wir Weißen sagen gerne, wir könnten die verdammten Rothäute nicht voneinander unterscheiden. Aber dieser ist mir aufgefallen, als ich ihn das erste Mal gesehen habe. Er ist für einen Mann seiner Rasse ungewöhnlich groß. Außerdem trug er spanische Kleidung und ritt ein Armeepferd, ein Grund mehr, ihn nicht zu vergessen. Das war damals, als ich Cabeza de Vaca in die Stadt Mexico begleitete. Der Teniente, der den Trupp führte, erlaubte diesem Mann, die Nacht in unserem Lager zu verbringen, weil …«

Coronado unterbrach ihn: »Das ist alles höchst sonderbar. Aber spart Euch Eure Erklärungen für später, Bruder Marcos. Im Augenblick brauche ich wichtigere Informationen. Ich glaube, wenn ich sie dem Gefangenen entlockt habe, wird er nicht mehr so groß sein.« Die Dienste des Dolmetschers waren wieder notwendig, denn jetzt erhob der Mann, der mit dem Lügenden Mönch hereingekommen war, seine Stimme – mein verräterischer Vetter Yeyac. Er verstand kaum ein Wort Spanisch, doch offenbar hatte er den Sinn von Coronados Bemerkung erfaßt.

Yeyac protestierte auf náhuatl, und der Dolmetscher übersetzte: »Eure Exzellenz halten ein blankes Schwert in der Hand und sprechen davon, Stücke von diesem Mann abzuschneiden. Ich kann Eurer Exzellenz versichern, daß eine Obsidianklinge schärfer ist als Stahl und daß man damit noch kunstvoller schneiden kann. Ich habe Eurer Exzellenz vielleicht nicht berichtet, daß ich die Kugel aus einem Donnerstock im Leib trage und diesen Umstand ihm zu verdanken habe. Doch ich erinnere auch daran, daß Eure Exzellenz sein Zerhacken und Zerstückeln mir versprochen haben.«

»Ja, ja, schon gut«, brummte Coronado gereizt und stieß das Schwert heftig zurück in die Scheide. »Bringt Euer verwünschtes Obsidianmesser her. Ich werde die Fragen stellen, und Ihr könnt an ihm herumschneiden, wenn er unbefriedigende Antworten gibt.«

Jetzt erhob Bruder Marcos Einwände. »Eure Exzellenz, als ich diesen Mann das erste Mal traf, behauptete er, ein Abgesandter des Bischofs Zumárraga zu sein. Außerdem stellte er sich als Juan Británico vor. Ganz gleich, ob er auch nur in die Nähe des Bischofs gekommen ist, irgendwann ist er unwiderruflich getauft worden und hat einen christlichen Namen erhalten. Also ist er ein Abtrünniger, mit größter Wahrscheinlichkeit sogar ein Ketzer. Daraus folgt, daß er in erster Linie der kirchlichen Jurisdiktion untersteht. Ich werde ihn mit Freuden verhören, schuldig sprechen und zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilen.«

Ich begann bereits zu schwitzen, und dabei hatte ich noch kein Wort von der dritten Person gehört, die Yeyac und den Lügenden Mönch begleitete. Es war G’nda Ké. Natürlich wunderte es mich nicht, sie in dieser Gesellschaft zu sehen. Selbstverständlich stand sie auf der Seite der Sieger, nachdem sie den Hinterhalt überlebt oder bereits im voraus davon gewußt hatte. Dem Dolmetscher schien es schwindlig zu werden, weil er sich von einem zum anderen wenden mußte, während er die Unterhaltung für die verschiedenen Teilnehmer übersetzte.

Jetzt wiederholte er auf spanisch, was die falsche Schlange G’nda Ké sagte: »Mein guter Bruder, dieser Juan Británico mag ein Verräter an Eurer heiligen Mutter Kirche sein. Doch Eure Exzellenz Coronado, er war ein sehr viel größerer Verräter an Eurer Provinz! Ich kann den Beweis dafür erbringen, daß er für die zahllosen Überfälle unbekannter und bisher nicht gefaßter Aufrührer in ganz Neugalicien verantwortlich ist. Würde man den Mann in aller Ruhe foltern, könnte er Eure Exzellenz in die Lage versetzen, diesen Überfällen ein Ende zu machen. Das scheint mir Vorrang vor der Absicht des guten Bruders zu haben, ihn so schnell wie möglich in die christliche Hölle zu schicken. Bei einer hochnotpeinlichen Befragung würde ich Eurem treuen Verbündeten Yéyactzin gerne behilflich sein, denn ich kann Euch versichern, ich bin in dieser Kunst sehr geübt.«

»Perdición!« schrie Coronado. Er war bis zur Weißglut gereizt. »Es erheben so viele Leute Anspruch auf den Körper, das Leben und sogar auf die Seele dieses Gefangenen, daß mir der Unglückselige beinahe schon leid tut!« Er funkelte mich wieder an und sagte auf spanisch: »Unglücklicher, du hast als einziger noch keinen Vorschlag gemacht, wie ich mit dir verfahren soll. Du hast doch bestimmt auch eine Meinung dazu. Sprich!«

»Señor Gobernador«, sagte ich, denn die Exzellenz billigte ich ihm nicht zu. »Ich bin ein Kriegsgefangener und ein Edler der Azteca, die sich im Kriegszustand mit Euch befinden. So wie es die Edlen der Mexica waren, die Euer Marqués Cortés vor so vielen Jahren gestürzt und besiegt hat. Der Marqués war und ist kein schwacher Mann. Doch er konnte es mit seinem Gewissen vereinbaren, die besiegten Adligen höflich und ehrenvoll zu behandeln. Als Euer Kriegsgefangener bitte ich um nicht mehr als das.«

»Aha!« rief Coronado sichtlich zufrieden und durchbohrte zur Abwechslung die drei anderen mit seinen Blicken. »Das erste vernünftige Wort, das ich nach all dem wirren Geschwätz höre.« Er wandte sich wieder mir zu und fragte, diesmal ohne drohenden Unterton: »Werdet Ihr mir die Herkunft und die Zahl der nachgebauten Arkebusen verraten? Werdet Ihr mir sagen, wer die Aufrührer sind, die unsere Siedlungen im Süden überfallen?«

»Nein, Señor Gobernador. Bei keiner Auseinandersetzung zwischen unseren Völkern der EINEN WELT, und ich glaube, in keinem der Kriege, die Euer Spanien mit anderen Völkern geführt hat, erwartete man von einem Kriegsgefangenen, daß er seine Kameraden verriet. Ich werde das mit Bestimmtheit nicht tun, selbst wenn ich von diesem Weib da drüben verhört werden sollte, das damit prahlt, so geschickt wie ein Aasgeier zu sein.«

Ich war sicher, der scharfe Blick, den Coronado der Yaki-Frau zuwarf, war ein Zeichen dafür, daß er meine Meinung über sie teilte. Vielleicht empfand er inzwischen tatsächlich Mitgefühl für mich, denn als G’nda Ké, der Mönch und Yeyac voll Empörung gleichzeitig zu reden begannen, brachte er sie mit einem gebieterischen Händeklatschen zum Schweigen.

»Wachen, führt den Gefangenen ungefesselt zurück in seine Zelle! Gebt ihm genug zu essen und Wasser zu trinken, daß er am Leben bleibt. Ich werde über die Angelegenheit nachdenken, bevor ich ihn wieder verhöre. Alle anderen …«Er ballte die Faust und rief: »Fort mit euch! Auf der Stelle!«

Meine Zelle hatte eine starke, von außen verriegelte Tür, vor der zwei Wachen standen. In der gegenüberliegenden Wand befand sich ein unvergittertes Fenster. Es war so klein, daß sich höchstens ein Kaninchen hätte hindurchzwängen können. Es war jedoch nicht zu klein, um sich mit einem Menschen davor zu unterhalten. Irgendwann nach dem Dunkelwerden trat jemand an dieses Fenster.

»Oye!« rief eine kaum hörbare Stimme, und ich erhob mich erstaunt von meinem Strohlager. Angestrengt spähte ich hinaus, konnte in der Dunkelheit aber niemanden entdecken. Dann lachte der Besucher, und ich sah weiße Zähne. Ich wußte in diesem Augenblick, daß mich ein Mann besuchte, der so schwarz war wie die Nacht. Das konnte nur der Moro-Sklave Esteban sein. Ich begrüßte ihn herzlich, allerdings ebenfalls leise. »Ich habe dir gesagt, Juan Británico, daß ich immer in deiner Schuld stehen werde«, flüsterte er. »Wie du vorausgesagt hast, bin ich beauftragt, den Lügenden Mönch zu den legendären Städten zu führen, die es nicht gibt. Deshalb schulde ich dir jede Hilfe oder Erleichterung, die ich dir verschaffen kann.«

»Danke, Esteban«, erwiderte ich ebenso leise. »Es würde eine große Erleichterung sein, wenn ich frei wäre. Könntest du vielleicht die Wachen wegschicken und den Riegel an meiner Tür zurückschieben?«

»Ich fürchte, das übersteigt meine Möglichkeiten. Spanische Soldaten beachten einen Schwarzen kaum. Außerdem ist mir meine eigene Freiheit viel wert.« Er lachte wieder leise. »Verzeih, wenn das selbstsüchtig klingt. Aber laß den Mut nicht sinken, ich werde versuchen, mir etwas auszudenken, damit du fliehen kannst, ohne daß ich statt dessen in der Zelle sitze.« Er kam noch etwas näher an die Mauer. »Ein spanischer Spähtrupp hat etwas gemeldet, das dich vielleicht freuen wird. Die Spanier sind jedenfalls über die Nachricht nicht gerade erfreut.«

»Gut. Laß mich hören.«

»Einige deiner getöteten und verwundeten Krieger hat man gestern abend sofort gefunden, nachdem sie aus dem Hinterhalt getroffen worden waren. Der Gouverneur hat aber bis heute morgen gewartet, um eine ganze Truppe auszusenden, die das Gebiet nach den anderen Kriegern durchkämmen sollte. Sie haben verhältnismäßig wenig Tote und Verwundete entdeckt. Das bedeutet, die meisten deiner Männer haben überlebt und sind geflohen. Einer der Flüchtigen, ein Mann auf einem Pferd, hat sich kühn dem Spähtrupp gezeigt. Bei der Rückkehr hat man ihn beschrieben. Die beiden Indios, die jetzt mit Coronado verbündet sind, Yeyac und diese schreckliche Frau, schienen den Mann zu kennen. Sie sprachen von einem gewissen Nochéztli. Sagt dir der Name etwas?«

»Ja«, erwiderte ich, »er ist einer meiner besten Krieger.«

»Es schien Yeyac seltsam zu beunruhigen, als er erfuhr, daß dieser Nochéztli einer deiner Männer ist. Aber er hat sich kaum dazu geäußert, denn der Gouverneur und sein Dolmetscher waren anwesend. Die Frau hat nur verächtlich gelacht und Nochéztli einen unmännlichen Cuilóntli genannt. Was bedeutet das Wort, Amigo?«

»Das ist unwichtig. Erzähl weiter, Esteban.«

»Sie hat Coronado gesagt, daß ein solcher unmännlicher Mann selbst dann keine Gefahr darstellt, wenn er bewaffnet ist und frei herumläuft. Aber Nachrichten, die etwas später eintrafen, haben bewiesen, daß sie unrecht hatte.«

»Wie das?«

»Dein Nochéztli ist nicht nur dem Hinterhalt entgangen. Er gehört offenbar zu den wenigen, die nicht vor Entsetzen und panischer Angst geflohen sind. Einer der Verwundeten, die man hierher brachte, hat stolz berichtet, was dann geschah. Dieser Nochéztli saß in der Dunkelheit und im Pulverdampf allein auf seinem Pferd und schrie den anderen Verwünschungen nach, weil sie flohen. Er beschimpfte sie als weichliche Feiglinge und brüllte, sie sollten sich um ihn sammeln.«

»Er hat in der Tat eine weithin tragende Stimme.«

»Offenbar hat er alle deine Krieger wieder zusammengezogen und in ein Versteck gebracht. Yeyac sagte dem Gouverneur, es seien viele Hunderte.«

»Ursprünglich waren es ungefähr neunhundert«, murmelte ich. »Nochéztli müßte demnach noch beinahe so viele bei sich haben.«

»Coronado zögert. Er hat noch keinen Befehl gegeben, sie aufzuspüren. Seine Truppe hier ist nicht viel stärker als tausend Mann, selbst wenn man Yeyacs Krieger mitrechnet. Für eine Verfolgung müßte der Gouverneur sie alle einsetzen. In dieser Zeit bliebe Compostela ungeschützt. Fürs erste hat er vorsichtshalber alle Geschütze oder Donnerrohre, wie ihr sie nennt, wieder nach außen richten lassen.«

Ich erwiderte: »Ich glaube nicht, daß Nochéztli ohne meinen Befehl einen neuen Angriff wagen wird. Und ich bezweifle, daß er weiß, was aus mir geworden ist.«

»Er ist ein einfallsreicher Mann«, flüsterte Esteban. »Er hat nicht nur deine Krieger außer Reichweite der Spanier gebracht.«

»Was meinst du damit?«

»Die Truppe, die heute morgen ausgeschickt wurde, hatte unter anderem den Befehl, alle Arkebusen zurückzubringen, über deren Spannschnüre deine Krieger gestolpert sind. Der Trupp ist ohne die Waffen zurückgekommen. Wie es aussieht, hat Nochéztli sie eingesammelt, bevor er verschwunden ist. Stell dir vor, er hat alle diese Waffen mitgenommen! Soviel ich gehört habe, sind es etwa dreißig oder vierzig Arkebusen.«

Ich konnte mich nicht länger zurückhalten und jubelte: »Yyo, ayyo! Wir sind bewaffnet! Gelobt sei der Kriegsgott Huitzilopóchtli!«

So unvorsichtig hätte ich nicht sein sollen. Im nächsten Augenblick hörte ich das schabende Geräusch, mit dem der Riegel zurückgeschoben wurde. Die Tür ging auf, und einer der Wachposten spähte mit einer Fackel in der Hand mißtrauisch ins Dunkel. Aber inzwischen lag ich wieder auf meinem Strohlager, und Esteban draußen war verschwunden.

»Was war das für ein Lärm?« fragte der Posten. »Du Dummkopf, rufst du um Hilfe? Dir wird niemand helfen.«

Ich erwiderte hochgemut: »Ich habe gesungen, Señor. Ich habe zum Ruhm und zur Ehre meiner Götter gesungen.«

»Gott helfe deinen Göttern«, knurrte er. »Du hast eine verdammt unangenehme Stimme, wenn du singst.« Damit schlug er die Tür wieder zu.

Ich saß in der Dunkelheit und dachte nach. Ich hatte einen Irrtum erkannt, dem ich nicht erst vor kurzem, sondern schon vor einiger Zeit erlegen war. Beeinflußt von meiner Abneigung gegen den widerwärtigen Yeyac und seine engsten Freunde hatte ich alle Cuilóntin für mißgünstig, böswillig und unfähig gehalten, solange sie nicht von einem richtigen Mann herausgefordert wurden. Dann, so hatte ich geglaubt, reagierten sie unterwürfig und demütig wie Frauen. Nochéztli hatte mich eines Besseren belehrt. Offensichtlich waren Cuilóntin in ihrem Wesen so unterschiedlich wie alle anderen Männer auch, denn der Cuilóntli Nochéztli hatte männlich und tapfer gehandelt und Fähigkeiten gezeigt, die eines Helden würdig waren. Wenn ich ihn jemals wiedersah, würde ich meiner Achtung und meiner Bewunderung für ihn Ausdruck verleihen. »Ich muß ihn wiedersehen«, murmelte ich. Nochéztli hatte mit einem schnellen, kühnen Schlag einen Teil meiner Truppen mit Waffen versorgt, die denen der Weißen in nichts nachstanden. Doch die Arkebusen waren nutzlos ohne ausreichende Vorräte an Pulver und Blei. Wenn meine Truppen nicht das Zeughaus von Compostela stürmen und plündern konnten – und das schien unwahrscheinlich –, mußte Blei gefunden und Schießpulver hergestellt werden. Ich kannte als einziger von uns die Zusammensetzung des Pulvers. Jetzt verwünschte ich mich, weil ich dieses Wissen nicht an Nochéztli oder einen anderen meiner Offiziere weitergegeben hatte.

»Ich muß hier raus!« murmelte ich. Mit Esteban hatte ich immerhin einen Freund in der Stadt. Der Moro hatte versprochen, sich einen Plan für meine Flucht auszudenken. Abgesehen von den verständlicherweise feindseligen Spaniern hatte ich in der Stadt aber noch andere gefährliche Feinde – den rachsüchtigen Yeyac, den scheinheiligen Lügenden Mönch und die bösartige G’nda Ké. Es würde bestimmt nicht lange dauern, bis der Gouverneur mich wieder holen ließ und ich ihm oder ihnen allen gegenüberstand. In so kurzer Zeit konnte ich kaum auf meine Rettung durch Esteban hoffen.

Immerhin, so sagte ich mir, würde ich wenigstens aus der Zelle herauskommen, wenn Coronado mich rufen ließ. Würde es mir vielleicht gelingen, auf dem Weg zum Verhör den Wachen zu entfliehen? In meinem Palast in Aztlan gab es so viele Räume, Alkoven und Nischen, daß es einem Flüchtigen in einer verzweifelten Lage wie der meinen nicht unmöglich gewesen wäre, seine Verfolger abzuschütteln und sich zu verstecken. Doch Coronados Palast war nicht annähernd so groß und so prächtig wie meiner. Im Geist überprüfte ich noch einmal den Weg, auf dem mich die Wachen schon zweimal von der Zelle zum Thronsaal, wenn man ihn so bezeichnen wollte, geführt hatten, wo ich vom Gouverneur verhört worden war. Ich befand mich in einer von vier Zellen an einem Ende des Gebäudes. Ich wußte nicht, ob die anderen belegt waren. Davor befand sich ein langer Korridor, dann kam eine Treppe … wieder ein Gang … Ich konnte mich an keine Stelle erinnern, wo eine Flucht möglich gewesen wäre, an kein Fenster, aus dem ich hätte springen können. Und sobald ich mich in Gegenwart des Gouverneurs befand, würde ich von Wachen umgeben sein. Wenn man mich nicht auf der Stelle und vor seinen Augen tötete, war es sehr wahrscheinlich, daß man mich nicht in diese Zelle zurückbringen würde, sondern in eine Folterkammer oder sogar auf den Scheiterhaufen. Nun ja, dachte ich traurig, man wird mich im Freien verbrennen müssen. Es ist denkbar, daß vielleicht auf dem Weg dorthin …

Doch dieser Gedanke stimmte mich wenig hoffnungsvoll. Ich versuchte, nicht in tiefe Verzweiflung zu fallen und mich auf das Schlimmste gefaßt zu machen, als ich plötzlich ein leises »Oye« hörte.

Esteban stand wieder vor meinem winzigen Fenster. Ich sprang auf und spähte wie schon einmal in die Dunkelheit, in der die weißen Zähne blitzten, als er grinste und leise, aber munter sagte: »Ich habe eine Idee, Juan Británico.«

Während er mir seinen Plan erklärte, wurde mir klar, daß er so gründlich nachgedacht hatte wie ich. Allerdings, und das mußte ich einräumen, mit sehr viel größerem Optimismus. Was er vorschlug, schien so tollkühn, daß es an Wahnsinn grenzte. Aber er hatte eine Idee, und ich hatte keine.

Die Wachen banden mir die Arme seitlich am Körper fest, bevor sie mich am nächsten Morgen zum Gouverneur führten. Doch auf eine Geste von ihm nahmen sie mir die Fesseln ab und traten beiseite. Neben etlichen anderen Soldaten befanden sich G’nda Ké, Bruder Marcos und sein Führer Esteban im Raum. Sie verhielten sich alle so ungezwungen, als seien sie Coronado gleichgestellt.

Der Gouverneur sagte zu mir: »Ich habe Yeyac von der Teilnahme an dieser Unterhaltung befreit, denn offen gestanden, kann ich den falschen Hijoputa nicht ausstehen. Nach unserem letzten Gespräch halte ich Euch, Juan Británico, für einen ehrenhaften und aufrichtigen Mann. Deshalb biete ich Euch hier und jetzt das gleiche Bündnis an, das mein Vorgänger, Gouverneur Guzmán, mit diesem Yeyac geschlossen hat. Ihr werdet freigelassen, und der andere Reiter, der zusammen mit Euch gefangengenommen wurde, ebenfalls.« Auf eine Geste führte ein Soldat aus einem angrenzenden Raum den Tícitl Ualíztli herein. Der Arzt wirkte mürrisch und sah mitgenommen aus, schien aber unverletzt zu sein. Seine Anwesenheit komplizierte meinen Fluchtplan etwas, machte ihn jedoch nicht undurchführbar. Ich freute mich, daß ich vielleicht in der Lage sein würde, Ualíztli mitzunehmen. Ich winkte ihn neben mich und wartete darauf, den Rest des sogenannten Angebots des Gouverneurs zu hören. Er fuhr fort: »Es wird Euch erlaubt, an den sogenannten Ort Aztlan zurückzukehren und Eure Herrschaft dort wieder anzutreten. Ich verbürge mich dafür, daß weder Yeyac noch ein anderer seiner Anhänger Eure Souveränität anfechten wird.« Er ballte die Fäuste. »Und wenn ich den verdammten Maricón umbringen muß, um das zu verhindern!« Er beruhigte sich wieder und fuhr mit einem diplomatischen Lächeln fort: »Ihr und Euer Volk werdet unbeeinträchtigt durch meine Feldzüge oder meine Eroberungen Euer angestammtes Land behalten und dort in Frieden leben.« Er lächelte noch einmal betont verbindlich. »Mit der Zeit werden die Azteca und wir Spanier es vielleicht nützlich finden, Handel zu treiben und andere Verbindungen aufzubauen, aber nichts dergleichen wird Euch aufgezwungen werden.«

Er machte eine Pause und wartete ab. Da ich schwieg, fuhr er mit großem Nachdruck fort. »Als Gegenleistung garantiert Ihr, daß Ihr keine weitere Rebellion in Neugalicien, Neuspanien oder einem anderen Land Seiner Majestät in der NEUEN WELT anführen und auch nicht unterstützen werdet. Ihr werdet diesen Banden von Aufrührern im Süden befehlen, die Überfälle zu beenden. Und Ihr werdet schwören, wie Yeyac es getan hat, jedes Vordringen der lästigen Indios aus dem Norden in die Tierra de Guerra zu verhindern. Was sagt Ihr dazu, Juan Británico? Seid Ihr einverstanden?«

Ich erwiderte: »Ich danke Euch, Señor Gobernador, für die schmeichelhafte Einschätzung meines Charakters und für Euer Vertrauen darauf, daß ich ein gegebenes Wort nicht brechen werde.« Ich verneigte mich leicht. »Ich halte Euch ebenfalls für einen ehrenhaften Mann. Aus diesem Grund werde ich Euch nicht mißachten und keine Schande über mich bringen, indem ich Euch mein Wort gebe und es dann breche.« Er runzelte die Stirn, doch ich fuhr unbeeindruckt fort: »Es muß Euch voll und ganz bewußt sein, daß das, was Ihr mir und meinem Volk anbietet, nur das ist, was wir schon seit jeher haben und worum wir immer kämpfen werden. Wir Azteca haben Euch und allen anderen weißen Männern deshalb den Krieg erklärt. Tötet mich auf der Stelle, Señor, und ein anderer Azteca wird unsere Krieger in diesen Kampf führen. Ich lehne deshalb mit allem Respekt das angebotene Bündnis ab.«

Coronados Gesicht hatte sich verfinstert, während ich sprach. Ich bin sicher, er wollte mich wütend verwünschen und in seine christliche Hölle schicken, doch in diesem Augenblick kam Esteban, der die ganze Zeit gemächlich im Raum auf und ab gegangen war, in meine Reichweite.

Ich legte blitzschnell den Arm um seinen Hals, drückte ihn eng an mich und zog mit der freien Hand das Stahlmesser aus der Scheide an seinem Gürtel. Esteban bemühte sich, so gut es ging, freizukommen, ließ jedoch davon ab, als ich ihm die Klinge an den Hals drückte. Ualiztli sah mich staunend von der Seite an. »Soldaten!« schrie G’nda Ké durch den Raum. »Tötet den Mann!« Natürlich verstand sie niemand, denn sie sprach Náhuatl. Doch jeder wußte genau, was sie meinte. »Tötet sie beide!«

»Nein!« rief Bruder Marcos entsetzt.

»Halt!« brüllte Coronado, ganz wie Esteban es vorausgesagt hatte. Die Soldaten hielten bereits die Schwerter in Händen. Doch nun standen sie verwirrt da und rührten sich nicht von der Stelle.

»Nein?« wiederholte G’nda Ké ungläubig. »Sie sollen nicht sterben? Was für zimperliche Männer seid ihr nur, ihr verweichlichten Weißen?«

Sie hätte ihre unverständliche Tirade fortgesetzt, doch der Mönch rief in seiner Verzweiflung noch lauter als sie: »Ich flehe Euch an, Eure Exzellenz! Die Wachen dürfen das Leben dieses Mannes nicht aufs Spiel setzen!«

»Ich weiß, ihr Schwachköpfe! Seid alle still und erwürgt diese Hexe!«

Ich näherte mich langsam der Tür und schleppte den scheinbar hilflosen Schwarzen mit mir. Ualiztli wich nicht von meiner Seite. Esteban verdrehte den Kopf, als suche er Hilfe. Seine Augen quollen erschreckend weit hervor, bis man das Weiße um die Pupillen sah. Seine Bewegungen waren so geschickt, daß mein Messer seine Haut an der Kehle leicht ritzte. Alle konnten sehen, wie ihm das Blut über den Hals floß.

»Nieder mit den Waffen, Männer!« befahl Coronado den Wachen, die ihn abwechselnd anstarrten und fassungslos unsere langsame Flucht zur Tür verfolgten. »Steht still! Ich verliere lieber die beiden Gefangenen als den unglückseligen Moro.«

Ich rief ihm zu: »Señor, befehlt einem der Männer, er soll vor uns herlaufen und laut jeden Soldaten in der Nähe warnen. Wenn wir angegriffen oder aufgehalten werden, töte ich den Moro auf der Stelle. Erst wenn wir außerhalb der Stadt sind, werde ich Euren kostbaren Sklaven unverletzt freilassen. Ich gebe Euch mein Wort darauf.«

»Gut«, erwiderte Coronado zähneknirschend. Er gab einer der Wachen in der Nähe der Tür ein Zeichen. »Geh, Sargento. Tu, was er sagt.«

Der Soldat machte einen großen Bogen um uns und lief eilig hinaus. Ualiztli, ich und der schlaffe Esteban mit den hervorquellenden Augen blieben dicht hinter ihm.

Niemand verfolgte uns, als wir einen kleinen Vorraum durchquerten, in dem ich noch nicht gewesen war, die Treppe hinuntergingen und den Palast durch das Tor zur Straße verließen. Der Soldat informierte bei unserem Erscheinen seine Kameraden, die Wache standen. Vor der Mauer wartete ein von Esteban vorher gesatteltes Pferd.

Ich rief: »Ticitl Ualiztli, du wirst neben uns herlaufen müssen. Es tut mir leid, aber ich hatte nicht damit gerechnet, daß du bei mir sein würdest. Ich werde im Schritt reiten.«

»Nein, bei Huitzli, reitet im Galopp!« rief der Arzt. »Ich bin zwar alt und dick, aber ich kann es kaum abwarten, hier wegzukommen. Ich werde so schnell wie der Wind sein!«

»Um Himmels willen«, schnaufte Esteban leise. »Hört mit dem dummen Geschwätz auf und bewegt euch. Juan Británico, wirf mich quer über den Sattel, spring hinter mir auf und reite los!«

Ich hob ihn auf das Pferd. In Wirklichkeit sprang er, und es sah nur so aus, als schiebe ich ihn. Der Soldat rief unterdessen allen in Hörweite zu: »Macht Platz! Laßt sie ungehindert passieren!«

Die Menschen auf der Straße, Soldaten und Zivilisten, beobachteten das bemerkenswerte Schauspiel staunend. Erst als ich hinter dem Moro auf dem Pferderücken saß und die Spitze von Estebans Messer drohend auf seine Nieren drückte, wurde mir klar, daß ich vergessen hatte, das Pferd loszubinden. Also mußte Ualiztli das für mich tun. Er gab mir die Zügel in die Hand. Dann lief der Arzt wie versprochen mit einer für einen Mann seiner Statur und seines Alters bewundernswerten Schnelligkeit davon. Ich konnte mit dem Pferd neben ihm traben. Sobald wir außer Sichtweite des Palastes waren und auch die Rufe des Soldaten nicht mehr hörten, begann Esteban, mir Anweisungen zu geben, obwohl er noch immer unbequem mit dem Kopf nach unten hing und wie ein Sack durchgeschüttelt wurde. »An der nächsten Straße rechts, dann links …«, und so fort, bis wir die Stadtmitte hinter uns gelassen hatten. Es dauerte nicht lange, und wir befanden uns in einem der Armenviertel, in dem die Sklaven lebten. Es waren nicht viele von ihnen zu sehen, die meisten arbeiteten um diese Zeit irgendwo, und die wenigen, denen wir begegneten, wandten sofort den Blick ab. Vermutlich hielten sie den Indio und den Moro auf einem Pferd ebenfalls für Sklaven, die auf eine sehr außergewöhnliche Weise ihrem Herrn entflohen. Falls man sie später fragte, würden sie sagen können, sie hätten uns nicht gesehen. Schließlich erreichten wir den Stadtrand, wo nur noch vereinzelte Sklavenhütten standen. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.

Esteban rief stöhnend: »Halte hier an!« Wir stiegen beide vom Pferd, und der Ticitl sank keuchend und schwitzend der Länge nach zu Boden.

Während Esteban und ich uns die schmerzenden Stellen rieben – er seinen Bauch und ich mein Hinterteil –, sagte er: »Bis hierher konnte ich für deine Sicherheit garantieren, Juan Británico. Weiter draußen sind spanische Posten. Diese Männer wissen nicht, daß sie uns freien Durchgang gewähren sollen. Deshalb müßt ihr beiden euch jetzt unauffällig zu Fuß selbst einen Weg in die Freiheit suchen. Ich kann euch nur viel Glück wünschen.«

»Glück haben wir bisher gehabt. Und die Freiheit verdanken wir dir, Amigo. Ich hoffe, das Glück wird uns jetzt nicht verlassen, wo wir der Gefahr fast schon entronnen sind.«

»Coronado wird keine Verfolgung anordnen, bis ich nicht wieder unversehrt vor ihm stehe. Wie ich dir gesagt habe, der Beweis ist erbracht. Der ehrgeizige Gouverneur und der habgierige Mönch wagen es nicht, meine schwarze Haut zu gefährden. Sie wollen die Reichtümer der legendären Städte. Also …«, er kletterte steif in den Sattel. »Gib mir das Messer.«

Ich reichte es ihm, und er zerschnitt damit seine Kleider an mehreren Stellen und ritzte sich sogar die Haut auf, so daß noch mehr Blut hervorquoll. Dann gab er mir das Messer zurück. »Jetzt bindest du mit den Zügeln meine Hände am Sattelknopf fest. Du brauchst einen möglichst großen Vorsprung, und deshalb reite ich ganz langsam zum Palast zurück. Ich kann das gut mit meiner Schwäche nach den Mißhandlungen durch euch Wilde erklären.« Er schnitt eine Grimasse. »Sei froh, daß ich schwarz bin, da wird niemand merken, daß ich nicht überall blaue Flecken habe.« Dann verzog er die breiten Lippen zu einem aufmunternden Lächeln. »Mehr kann ich nicht für dich tun, Juan Británico. Sobald ich im Palast ankomme, wird Coronado alle seine Soldaten auf die Suche nach dir ausschicken, und sie werden jeden Stein umdrehen. Bis dahin müßt ihr weit, sehr weit weg sein.«

»Keine Sorge«, erwiderte ich. »Wir befinden uns dann entweder schon im Schutz unserer tiefen Wälder oder an dem Ort, den ihr Christen Hölle nennt. Wir danken dir für deine Hilfe, für deine kühne Idee und dafür, daß du dich unseretwegen in Gefahr gebracht hast.« Ich verneigte mich vor ihm. »Amigo Esteban, ich wünsche dir viel Freude an deiner Freiheit, die du bestimmt bald erlangen wirst.«