NEUNZEHN
Zoë stürzte zu Quent hin, als er lossprang, um den Kristall zu fangen, aber sie kam zu spät.
Er fiel zu Boden, seine Hände darum geklammert, die den Kristall an seine Brust gedrückt hielten. Jetzt, da sie neben ihm kniete, verfluchte sie seine schnelle Reaktion. „Hey, komm schon, Einstein“, murmelte sie verzweifelt, während sie versuchte seine Finger von dem Stein zu lösen. „Wach auf.“
Ein Blick hoch zu Fielding verriet ihr: er war recht interessiert, machte aber keine Anstalten zu helfen oder sie in irgendeiner Weise aufzuhalten. Stattdessen stand er jetzt neben dem leeren Sockel und schien mit etwas anderem auf dem Podest da beschäftigt.
Zoë schaffte es, Quents Finger wegzuzerren, und der Kristall plonkte auf den Boden. Endlich. „Komm schon, Quent“, sagte sie. „Wach auf, Scheiße nochmal.“
Aber diesmal, nachdem er das Objekt fallengelassen hatte, das ihn in die dunkle Grube zog, öffnete er die Augen nicht wieder. Furcht schnitt durch sie hindurch wie ein Messer, als sie feststellte, dass sein Atem flach und schnell kam. Unter den geschlossenen Lidern bewegten sich seine Augen und sie sah ein kleines Rinnsal von Schweiß unter seinem Haar hervorkommen, während er sich gegen einen unsichtbaren Angreifer zu wehren schien. Seine Beine und Arme, Hände und Gesicht waren verzerrt wie in einem Kampf gegen einen Alptraum.
Sie schüttelte ihn. Grob. Und dann versetzte sie ihm eine Ohrfeige, wie sie es früher schon getan hatte. „Was zur Hölle“, stöhnte sie verzweifelt mit einer Wut, die in Panik umzuschlagen drohte. Sie blickte wieder hoch zu Fielding, gerade als der von dem Sockel wegtrat.
Ein selbstgefälliges Lächeln lag auf seinen Lippen und sie wappnete sich. Gleich würde er auf sie losgehen. Sie hatte immer noch seine Pistole, aber er war ein Elite und würde viel stärker sein als sie.
Aber er bewegte sich nicht in ihre Richtung. „Ich hatte keine Ahnung, dass das passieren würde“, sagte er in sorglosem Plauderton. Ihr fiel auf, dass er ein wenig schwankte. „Was ist mit ihm?“
„Du Schwein“, zischte Zoë zu ihm hoch, als sie da kniete und die Spirale aus Furcht in ihr immer größer wurde.
„Es ist wahrscheinlich besser so“, sagte Fielding genau in dem Moment, als das Zimmer sich ruckartig neigte. „Ah. Da wäre es.“ Sein Lächeln wurde noch breiter und er schaute zu ihnen nach hinten. „Es dauert jetzt nicht mehr lange.“
„Was denn?“, fragte Zoë, wobei ihr das Herz in die Hose rutschte. Dieser Ruck war kein gutes Zeichen gewesen und jetzt fühlte sie eine leise Vibration unter ihren Knien und den bloßen Füßen.
„Das hier ist mein Fluchtplan“, sagte Fielding. Sie sah, dass sein Hals sich jetzt auch oberhalb seines Hemdkragens schwarz zu färben begann und dass das Schwarze Syndrom sich über die Hemdmanschetten herab zu seinen Händen ausbreitete. Es breitete sich furchterregend schnell aus. „Ich habe immer einen Plan B gebraucht, wie ich sie hinter mir lassen könnte, ich hatte nur nicht erwartet, dass ich da am Sterben wäre. Also habe ich eine kleine Korrektur an meinem ursprünglichen Plan vorgenommen.“
„Wovon zum Scheiß sprichst du?“, schrie Zoë und dann fühlte sie, wie Quent unter ihr sich bewegte. Es war eine geschmeidige Bewegung, nicht eine von krampfartigen Zuckungen wie bei einem Alptraum. Er holte tief Luft. So tief, sein Brustkorb zitterte dabei. Dann wurde sein Atemrhythmus etwas ruhiger.
„Wir befinden uns in einer kleinen Kapsel, die gerade aus ihren Verankerungen gelöst wird. In etwa zehn Minuten wird sie sich losreißen und hinab in die Tiefen des Ozeans gleiten, wo du und ich und mein Sohn in diesem geräumigen Sarg verbleiben werden. Ich hatte nicht damit gerechnet, Gesellschaft mit dabei zu haben ... in meiner Grabkammer“, sagte Fielding, seine Stimme war nun etwas heiser, rasselte. An den Kristall – um dort noch einmal Energie zu tanken – kam er nicht heran, denn er lag neben Zoë. „Aber im Rückblick finde ich es nur passend. Wie die Pharaonen, so werde auch ich meine Begleiter bei mir haben für meine Reise auf die andere Seite hinüber.“
„Ich glaube nicht, dass wir auf die gleiche verfluchte andere Seite zusammen gehen werden“, fuhr ihn Zoë an. Komm schon, Quent! Sie spürte, wie er sich erneut bewegte, und schaute runter. Seine Augenlider flatterten und schlossen sich dann wieder. „Was soll der Scheiß?“, murmelte sie und wurde immer ängstlicher und panischer wegen seiner absolut ausbleibenden Reaktionen. „Bitte!“ Wenn er aufwachen könnte, würde er sich etwas ausdenken, wie sie hier wegkamen. Durch die Glaspaneel-Tür da.
„Und wenn die Kapsel versinkt“, fuhr Fielding fort, „habe ich da erwähnt, dass Mekka dann ebenfalls implodieren wird?“
Da hatte er Zoës ungeteilte Aufmerksamkeit. „Was?“
„Du hast doch nicht geglaubt, ich würde mein Werk hier hinterlassen, es Hegelsen überlassen, oder etwa doch? Er hatte sowieso schon die Absicht mich zu zerstören, aber wie stets bin ich ihm einen Schritt voraus.“
„Du wirst sterben“, spuckte Zoë aus. Quent bewegte sich und plötzlich spürte sie, wie sich seine Finger um ihr Handgelenk schlossen. Ja!
„Natürlich werde ich sterben. Aber er eben auch“, erwiderte Fielding. Er stolperte etwas heftig, fiel fast hin, als die Kapsel einen weiteren Ruck machte. „Wenn wir uns endgültig aus der Verankerung lösen, wird das Wasser hier durch dieses Loch in die schwimmende Insel strömen und alles wird zusammenfallen. Und versinken.“ Er runzelte die Stirn, als würde er gerade über ein weiteres, großes Geheimnis nachgrübeln, aber der Gesamteindruck wurde etwas ruiniert durch seine geschwärzte Hand und den rasselnden Atem. „Ich frage mich ... wer von uns ... den Meeresgrund ... zuerst erreicht.“
Zoë schaute runter und sah, wie Quents Augen sich öffneten. Etwas trübe und verloren schlossen sie sich wieder flatternd. Sie beugte sich zu ihm hinunter. „Wach auf“, murmelte sie und küsste seine Wange, streichelte ihm das Gesicht. „Bitte, oder ich werde dich gleich umbringen.“
Er bewegte sich plötzlich, seine Hände packten zu, schlossen sich plötzlich um ihren Arm und um eine ihrer Hände. Er hielt sie fest und sie spürte, wie er kämpfte, sein Atem kam abgehackt und stoßweise, sein Mund ein dünner Strich, als ob er hochkonzentriert wäre.
„Zoë“, flüsterte er.
„Ich bin hier, Einstein. „Komm Scheiße nochmal aus der Grube da raus“, fügte sie noch verzweifelt hinzu. „Ich brauche dich.“ Das hier war ein Riesenschlamassel, aus dem sie ausnahmsweise mal nicht alleine rauskam.
Seine Mundwinkel mussten amüsiert zucken und er packte noch fester mit den Händen zu. „Bin dabei.“
„Dir bleibt keine verfluchte Zeit mehr rumzutrödeln“, sagte sie ihm wütend – mit einem Blick zu Fielding hin. Er war gegen eine der Glaswände gesackt und auf den Boden runtergeglitten. Das Schwarze war über seinen Kiefer gekrochen und fing nun an sein Gesicht zu verfärben. Glänzend und massiv schwarz hatte er am ganzen Körper nun eine harte, verkrustete Masse statt Haut. Sein Atem rasselte wie der von dem üblen Overlord in den Star Wars Filmen und erfüllte den Raum mit einem gespenstischen Geräusch ... neben den anderen rumpelnden Geräuschen um sie herum.
„Wir haben weniger als zehn Minuten, um hier verdammt schleunigst rauszukommen und von der Insel runter. Oder wir finden uns gleich auf dem Meeresgrund wieder“, sagte sie und blickte jetzt wieder auf Quent runter.
Seine Augen waren geöffnet. Endlose Erleichterung schwappte über sie hinweg und Zoë half ihm auf die Beine und erklärte, „müssen einen Weg hier rausfinden. Wir werden sinken und die ganze Insel kommt mit uns mit.“
Sein Gesicht sah jetzt entschlossen aus und der trübe Ausdruck in seinen Augen war wie weggeblasen, als er zu dem Glaspaneel eilte, das als Tür diente. „Sei vorsichtig“, befahl Zoë ihm. „Fall mir nicht wieder rein.“
„Komm her“, sagte er und streckte die Hand aus. Sie rannte an seine Seite, um sein Anker zu sein, selbst als die Kapsel unter ihren Füßen noch heftiger rüttelte. „Wie viel Zeit?“, fragte er herrisch.
„Ich weiß es nicht“, sagte sie. Sie blickte zu Fielding, aber seine Augen waren geschlossen und sein Gesicht war schon fast ganz schwarz. Glänzend und steif. Wie eine Maske. Er würde ihnen keine Hilfe sein, selbst wenn sie einen Weg fand, wie sie ihm die Information rauspressen könnte. „So sieben Minuten ... vielleicht?“
„Okay“, sagte er. Als er nach dem Glaspaneel griff, klammerte er sich fest an ihre Finger. Sie hielt ihn fest, schickte ihm im Geiste Energie, während seine Hand sich verkrampfte und sein Atem stockte und rau wurde. Seine langen Finger, kräftig und geschmeidig, mit einem Muster von Venen und Sehnen darauf, bildeten eine warme und starke Kurve in ihrer Hand. Da überkam sie Bedauern wie eine rollende Welle und auch ein anderes Gefühl kam da hoch wie eine Sturmflut. Verdammt, sie liebte den Idiot. Es war nicht nur, dass sie ihn liebte, sie wollte ein gemeinsames Leben mit ihm haben. Beeil dich, dachte sie und legte ihre andere Hand auch noch um seine.
Einen Augenblick später öffnete er die Augen. Klar und wunderschön, bereit und voll da. „Ich hab’s. Hol den verdammten Kristall.“
Sie spurtete rüber, um ihn zu holen, ihre nackten Füße klatschten laut auf dem Boden. Sie wickelte ihn in den Fetzen aus weißem Stoff von ihrem Kleid ein und dann schob sie den Kristall kurzerhand in seine Tasche, während er mit den Händen an den Rändern der Tür entlang wanderte. Diese schwang auf und gab den Blick auf einen unebenen Boden frei – als wäre ein Aufzug irgendwo zwischen zwei Ebenen steckengeblieben.
„Lass uns gehen“, sagte er und ging schon durch den Ausgang. „Wir haben jede Menge Zeit, noch bis zu dem Brückensteg zu kommen. Dieser Riesenkorridor hier führt scheißgeradewegs raus aus dem Gebäude. Dann zur Brücke rennen.“
Sie war zur Tür raus und hinter ihm dann in dem schmalen Teil des Korridors und hielt immer noch seine Hand, als sie losrannten. Die Wände zitterten und der Boden bewegte sich und kippte unter ihren Füßen. Und dann hielt er auf einmal an. Sie prallte fast gegen ihn und er fing sie mit seinem Arm auf.
„Scheiße nochmal. Ich kann das nicht“, sagte er und machte abrupt kehrt. Er nahm seine Tasche von der Schulter und schob sie ihr in den Arme. „Nimm das. Geh. Ich gehe da wieder zurück, um zu sehen, ob ich das Ganze hier stoppen kann. Unschuldige Leute werden umkommen.“
„Quent“, setzte sie an, ihre Hände packten automatisch die schwere Tasche, die von dem Kristall darin erwärmt wurde. „Du machst hier doch jetzt Scheiße nochmal einen Witz. Ich werde nicht ohne dich gehen.“ Sie drehte sich um, aber er war schon auf dem Weg in den Kapselraum.
„Verschwinde von hier. Bring den Kristall in Sicherheit“, sagte er und schob sie entschlossen in die andere Richtung. „Ich will, dass du in Sicherheit bist, Zoë“, schrie er über das laute Poltern um sie herum hinweg, aber sie war schon an ihm vorbeigerannt – zurück zu der Kapsel. Das Getöse der erzitternden Welt da um sie war lauter geworden und in der Ferne konnte sie Schreie und hastige Schritte hören.
„Ich gehe verdammt nirgends ohne dich hin, Einstein“, schrie sie über ihre Schulter zu ihm nach hinten, wobei sie im Zickzack vorwärts rannte, als die Welt zuckte und wegbrach. „Du musst total bescheuert sein, wenn du das glaubst. Scheißidiot. Und außerdem, ohne mich schaffst du es nicht.“
In der Kapsel angelangt sah sie Risse in dem Glas, die ihr eine Scheißangst bescherten, was ihre und Quents Sicherheit betraf, aber sie war mit Quent zusammen. Sie war bereit mit ihm auf den Grund des Ozeans mitzugehen. Er brauchte sie als seinen Anker ... und sie – sie brauchte ihn ebenfalls.
„Wie hat er es getan?“, fragte er sie drängend und schaute sich um. „Was hat er–“
„Das Ding da“, sagte sie und zeigte auf den Sockel. Und da sah sie zum ersten Mal eine flache Bedienungsoberfläche darauf. Ein durchsichtiges Tastenfeld und ein kleiner Bildschirm, genau in das Glas eingepasst, waren unter dem Kristall verborgen gewesen.
Er rannte dorthin und sie folgte ihm, packte seine Hand, als er seine andere auf das klare Glas legte. „Okay“, sagte er. Er schaute sie an, ihre Blicke trafen sich in dem trüben, auseinanderbrechenden Raum. „Halt mich fest, Zoë. Halt mich fest.“
„Ich bin hier, Einstein. Du kannst das. Ich sehe dich dann auf der anderen Seite.“ Sie drückte ihm einen Kuss hinten auf den Nacken.
In dem Moment machte der gesamte Raum einen Riesenruck und Zoë fühlte alles absacken, wie wenn man einen Aufzug losgeschnitten hätte – und dann wieder aufgefangen. Sie unterdrückte einen kleinen Schrei, drückte sich dann fest an seinen Rücken, wobei sie einen Arm nach vorne unter sein Hemd gleiten ließ, um die warme Haut an seiner Brust zu spüren, und mit der anderen hielt sie seine Hand fest. Sie wollte nicht ertrinken. Sie wollte nicht hinabsinken ... in die schwarzen Tiefen der See.
Sie presste ihr Gesicht gegen seinen Rücken, vergrub ihre Augen in seinem Hemd und fühlte, wie er unter ihr vor Anspannung zitterte. „Komm schon, Quent“, flehte sie leise. „Du kannst das. Ich bin hier. Ich bin bei dir. Und wenn du es nicht schaffst, werde ich dich scheißumbringen“, schob sie mit einem Flüstern noch nach.
Der Raum machte erneut einen Satz – diesmal seitwärts – und sie sah Fielding auf dem Boden umkippen. Er war tot oder zumindest schon bewusstlos. Sie wartete. Ungeduldig. Fühlte jede Bewegung des Zimmers, lauschte nach dem unheilvollen Krachen von Glas, wenn dann die Wassermassen hier hereinbrechen würden. Sie stemmte sich gegen die andauernden Erschütterungen und versuchte das laute Poltern auszublenden. Beeil dich, Beeil dich!
„Ich hab’s“, sagte Quent endlich mit angespannter Stimme – womit er sagte, er wusste, wie der Prozess ablief. „Also ...“, er begann sich zu bewegen, wobei er seine Hand aus ihrer zog, damit er zwei hätte, um das auszuführen, was auch immer er tun konnte, um die Katastrophe abzuwenden.
Zoë trat zur Seite, um zu beobachten, wie seine Finger über die Tastatur da geradezu flogen. Grüne Worte und Nummern erschienen auf dem dunklen Bildschirm, flogen so schnell vorüber, dass sie keine Ahnung hatte, wie er sie nur lesen konnte. Als sie ein leises Pop hörte, schaute sie hoch zu den Rissen im Glas, die ständig länger wurden. So wie das hier aussah, würde Fieldings Grabkammer es nicht bis zum Grunde des Ozeans schaffen, bevor sie auseinanderbrach.
Sie hatte gehört, dass ertrinken schmerzlos vonstatten ging. Und recht schnell. Sie hoffte zum Teufel nochmal, das war auch so.
Komm schon! Sie atmete leise, war sich überaus bewusst, wie schwer die Tasche an ihrem Rücken hing und ebenso wie der Boden zu ihren Füße bebte, und war sich auch bewusst, wie frenetisch Quent tippte. Sein Mund verbissen. Sein gutaussehendes Gesicht hatte jetzt etwas Dunkles, Intensives.
Auf einmal schaute er zu ihr hoch. „Das war’s“, sagte er, gerade als die Kapsel noch einmal heftig ruckelte. „Das war’s.“
„Lass uns gehen“, sagte sie und packte ihn am Arm.
„Zoë“, sagte er und riss sie an sich. Sie flog in seine Arme und er wickelte seine Arme um sie, hielt sie ganz nah, als der Raum um sie sich bewegte und zitterte. Einer ihrer Füße stand auf seinem Stiefel. „Es wird es entweder stoppen oder alles wird nach unten gehen. Siehst du?“ Er zeigte nach zu Decke und sie sah, dass da ein Spalt zwischen der Kapsel und seinen Verankerungen war. Die Kapsel hatte sich schon etwas gelöst. „Wenn es bricht, dann verschwinden wir von hier und schwimmen hoch, okay? Das ist unsere einzige Chance.“
„Okay“, sagte sie, wobei sie versuchte ihre Stimme ruhig zu halten. Sie konnte schwimmen. Sie liebte es zu schwimmen. Sie hatte nur Angst vor den bodenlosen Tiefen der schwarzen See.
„Zoë, ich muss dir etwas sagen“, fing er an, wobei er sie noch fester an seine Brust drückte, fast quetschte. „Ich–“
Und dann stoppte alles auf einmal.
Stille. Ruhe.
„Heiße Scheiße!“, krächzte sie. „Du Scheiß-Einstein.“ Sie zerrte ihn zu sich runter. Für einen schnellen, fetten Kuss, eine Welle der Hoffnung stieg in ihr hoch.
„Hätte es ohne dich nicht machen können“, sagte er ihr und hielt sie fest, weigerte sich einfach sie freizugeben aus diesem totalen Klammergriff. „Danke, dass du mich hier geerdet hast.“
„Und? Was wolltest du gerade sagen?“, fragte sie, eine Explosion von Wärme und Schwindel brodelte in ihr. „Bitte sag jetzt nicht, du wolltest mir sagen, du liebst mich.“
„Uhm.“ Sein Mund öffnete sich, schloss sich dann wieder. „Was wäre daran denn falsch?“
Sie verdrehte die Augen. „Ist das nicht so in etwa das schlimmste Klischee weit und breit? So lange damit zu warten, dem Mädchen zu sagen, dass du sie liebst, bis du kurz davor bist zu sterben?“
Sie löste sich von ihm und rückte die Tasche an ihrer Schulter zurecht, wobei sie seinen Augen auswich. „Also, wenn es wahr ist, dann würde ich es lieber hören, wenn du nicht gerade stirbst. Die Leute erzählen eine ganze Menge, wenn sie drauf und dran sind zu sterben und wenn sie miteinander im Bett liegen und gerade guten Sex hatten. Du weißt schon.“ Sie schaute zu ihm hoch und hielt ihren Gesichtsausdruck locker und fröhlich. „Und außerdem, wir sind noch nicht wirklich in Sicherheit. Wir müssen immer noch von dieser verdammten Insel runterkommen. Aber zuerst klaue ich ihm die Schuhe. Meine Füße sind arschkalt.“
Quent ging auf, dass sein Mund so halb offen gaffte, als sie rüber zu seinem Vater ging und dem Mann die Lederschuhe von den Füßen zerrte.
Ohne sie anzuziehen, ging sie durch den offenstehenden Ausgang raus, der nass war und etwas kleiner geworden und nicht mehr so ganz gerade, seit die Kapsel angefangen hatte sich zu lösen. Er schaute genauer hin, als er ihr folgte, und ein hässliches Schaudern zitterte ihm durch den Magen. Sie waren zu verdammt nahe dran gewesen sich hier loszureißen und in den schwarzen Fluten zu versinken. Zu verdammt nahe.
Er eilte Zoë nach, wobei er nichts lieber getan hätte, als sie zu fassen zu bekommen und verdammt nochmal von oben bis unten abzuküssen. Und ihr diesmal wirklich zu sagen, dass er sie liebte.
Der Flur war stockfinster. Wenn es hier mal irgendwelche Lampen gegeben hatte, war der Strom während dem Beben und dem Ruckeln abgeschnitten worden. Dadurch gingen sie also notgedrungen etwas langsamer, als ihm lieb war, obwohl sie in Fieldings Pistole eine kleine Lichtquelle hatten. Sie gab ein schwaches orangegelbes Leuchten von sich. Gerade genug, um sie davor zu bewahren, gegen die Wand zu rennen. Und er würde hier ganz sicher nicht den großen, blauen Kristall hervorholen – nach all dem, was das letzte Mal passiert war.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, drehte sie sich da zu ihm und sagte, „und wag ja nicht daran zu denken, den anderen Kristall rauszuholen. Ich bin drauf und dran das verdammte Ding in den Ozean zu werfen, dahin, wo es herkam.“
Alles klar.
Schließlich mussten sie abrupt anhalten, als sie um eine Ecke bogen und fast in eine glatte Wand hineingelaufen wären. Sie konnte hören, wie er mit den Händen nach einer Tür tastete und sie glitt leise neben ihn.
„Sei vorsichtig“, ermahnte sie ihn und hielt in der Dunkelheit dort seine Schulter fest.
Er hatte kein Wort gesagt seit ihrer kleinen Ansprache da hinten in der Kapsel und das war auch gut so. Er traute sich im Moment nicht zu irgendetwas zu sagen. Und sie hatte Recht – sie waren noch nicht in Sicherheit. Er schob diese Gedanken beiseite, während er die Pistole hinten in seinen Hosenbund steckte, dann schloss er die Augen und konzentrierte sich auf die glatte Fläche vor ihm. Mit weit ausgestreckten Fingern, deren Spitzen sachte über die Flache glitten. Während eine Hand sich an seiner Reißleine, an Zoë, festhielt, ließ Quent es zu, dass er in die Erinnerungen hineinglitt. Er war jetzt deutlich entspannter dabei, wenn er die Emotionen und andere Formen von Energie durch Filter laufen ließ und sich nur auf die Handlungen konzentrierte, die ein Objekt erfahren hatte.
Er brauchte nur einen Augenblick, um Fieldings Handbewegungen aufzuspüren – die Finger hinter diesen kleinen Vorsprung gleiten zu lassen ... ja, da war es. Den kleinen Schalter hochzuziehen und kurz umzulegen, und... „Ah.“ Die Wand bewegte sich.
Und sie standen draußen: in der sauberen, frischen Nachtluft. Aber es handelte sich kaum um die dunkelste Stunde der Nacht, denn in der Ferne erhellte ein schwaches Leuchten schon den Himmel. Weniger Schatten. Das würde ihnen jetzt die Flucht etwas erschweren.
Die letzten, abklingenden Erschütterungen des erdbebenartigen Bebens hatten bei ein paar der Gebäude Risse verursacht oder sie zerstört, denn hie und da lagen Trümmer auf der schmalen Straße verstreut. Ein paar Schreie ab und an und Stimmen waren zu hören, Leute riefen nacheinander, bestätigten sich, alles sei gut und versicherten sich gegenseitig, jetzt wäre alles vorüber.
Ohne ein weiteres Wort packte Quent die Hand von Zoë erneut und begann sie durch das Gewirr der Straßen zu ziehen. Er war gelinde gesagt überrascht, dass sie ihm die Führung überließ und nur einmal kurz anhielt, um etwas an ihrer Tasche zu regeln und um die Schuhe von Fielding anzuziehen. Er trat einen Schritt zur Seite und spähte um die Ecke von einem Gebäude, während sie auf dem Boden hockte. Niemand sonst war auf der Straße da.
„Wie passen sie dir denn?“, fragte er, als er wieder ihre Hand nahm.
„Es wird schon gehen“, sagte sie und eilte jetzt, wo ihre Füße geschützt waren, schneller voran.
Die meisten von denen, die aus den Betten gesprungen und nach draußen gekommen waren auf der Suche nach einem sicheren Ort, sicher vor dem schwankenden Boden, schienen wieder hineingegangen zu sein, denn als sie sich da ihren Weg bahnten, begegneten Quent und Zoë nur wenigen Leuten und niemand schien ihnen Beachtung zu schenken, als sie sich durch die Straßen schlichen. Sie hielten sich in den immer kürzer werdenden Schatten auf, so weit sie das konnten ... der immer heller werdende Himmel ein Anlass zur Sorge.
„Wir sind hier noch nicht draußen“, sagte sie und wieder las sie seine Gedanken. „Ich traue keinem von ihnen.“
Er stimmte ihr da zu, aber er war zu konzentriert darauf zu lauschen, plante im Kopf schon ihren Fluchtweg, um ihr zu antworten. Der Steg war genau hier zu ihrer Rechten, lediglich einen Häuserblock entfernt. Oder sie könnten sich zu den Docks durchschlagen und versuchen ein geschütztes Boot zu klauen, aber das wäre am anderen Ende der Insel.
„Die Brücke liegt näher“, sagte sie.
„Aber da kann man sich nirgends verstecken. Es gibt keine Deckung.“
„Wir können schwimmen. Und ich habe das Gefühl“, sagte sie und lehnte sich nahe genug zu ihm hin, so dass er ihr Haar riechen konnte, „der verdammte Kristall in meiner Tasche würde die Haifische auf Distanz halten.“
„Bist du gewillt zu riskieren da falsch zu liegen?“ Er schloss die Augen für einen Moment, schnüffelte, widerstand der Versuchung seine Nase in ihrem Haar zu vergraben. Gott, er konnte es kaum abwarten, sie irgendwo für sich alleine zu haben, wenn sie mal gerade nicht um ihr verdammtes Leben rannten.
„Es ist näher. Und ich möchte Teufel nochmal von hier weg. Und wir haben keine Menschenseele gesehen.“
„In Ordnung. Stimme dir zu. Und wir rennen den ganzen verdammten Weg da lang.“
Und dann lag die Brücke vor ihnen, spannte sich und bewegte sich: lang und weiß über das dunkle Wasser. Wie sie in den Schatten von zwei Gebäuden standen, schaute Quent sich um und lauschte auf irgendein Lebenszeichen. Ein einziges Licht flackerte dort an der Küste drüben und die Welt war still bis auf das leise Geräusch der Wellen, die gegen Mekka schwappten. Die aufkommende Dämmerung legte sich über die Welt, erhellte Umrisse, aber nur wenig Details.
Es prickelte an Quents Hals bei dem Gedanken da auf diese lange, offen daliegende Brücke hinauszulaufen, und er schaute zu Zoë runter. Im Halbdunkel fing sie seinen Blick ein. „Bück dich und lauf im Zickzack von einer Seite zur anderen, während du drüber rennst“, sagte er zu ihr genau in dem Moment, als sie sagte, „renn nicht schnurgerade, Einstein, oder sie werden dir Feuer unterm Arsch machen können.“
Er schluckte das kurze, schnaubende Auflachen hinunter und beugte sich zu ihr, um sie zu küssen, und fühlte sich überraschend glücklich und unbeschwert. „Ich sehe dich auf der anderen Seite.“ Er ließ ihre Hand los und sie preschte vorwärts – im Zickzack wie ein Stürmer beim Touchdown, vorbei an den hohen Steinsäulen am Ufer und auf den schwimmenden Steg hinaus.
Er zog die Pistole hinten aus seiner Hose und schlich sich hinter ihr dort hinaus, wobei er unablässig nach irgendwelchen Bewegungen Ausschau hielt. Mit seinem Rücken zur Brücke, seinen Augen auf die Uferseite gerichtet.
Ein Rufen hinter ihm errang seine Aufmerksamkeit und er drehte sich um. Zoë hatte nach ein paar Metern auf der Brücke angehalten. Was noch von ihrem weißen Kleid übrig geblieben war, glühte wie ein gespenstisches Gewand, ihr Köcher und ihre Tasche bildeten merkwürdige Buckel auf ihrem Rücken. Ihre Füße sahen in den großen, schwarzen Schuhen riesig aus. „Geh“, brüllte er, sein Hals ein einziges Brennen. Er wedelte mit der Pistole, um ihr zu zeigen, dass er bewaffnet wäre und ging rückwärts auf den Steg zu, während er immer noch die Schatten beobachtete.
„Das geht schon in Ordnung“, sagte eine Stimme direkt vor ihm. „Sie wollten wir sowieso nicht haben.“
„Liam“, sagte Quent. Sein Körper reagierte nicht auf den Anblick vom Rivalen seines Vaters, der eine Waffe in der Hand hielt, die seiner nicht unähnlich war. Sie war auf ihn gerichtet, was auch keine große Überraschung war – denn er hatte sich keinen Illusionen hingegeben, dass man sie einfach ziehen lassen würde. Geh weiter, Zoë, geh weiter. „Ich hatte gedacht, du wärst mittlerweile schon weit fort von hier. Du bist nicht der Typ Mensch, der mit einem sinkenden Schiff untergeht. Oder ist dir etwa nicht aufgefallen, dass das Schiff gerade sinkt?“ Er machte einen Schritt zur Seite und dann rückwärts. Auf die Brücke zu.
Das überraschte Aufflackern in Liam Hegelsens Augen war von kurzer Dauer. Anscheinend hatte er nicht begriffen, was passiert war. „Wo ist Fielding?“
„Tot.“
„Tot.“ Und wieder: die Überraschung flackerte auf und verschwand sofort wieder. „Was für eine angenehme Überraschung. Und eine Sache weniger, um die ich mich kümmern muss.“
„Du kannst mir später danken“, sagte Quent, der gerade wieder auf die Brücke zu schlich. „Oder vielleicht auch nicht.“
„Bedaure. Aber ich habe keinesfalls die Absicht dich gehen zu lassen. Du bist der einzige, der weiß, wo sich der Kristall befindet und wie man ihn benutzen kann. Wie du mir so bereitwillig beim Abendessen verraten hast.“ Liam machte eine ruckartige Bewegung mit seinem Kinn und die zwei Männer bei ihm hockten sich auf je einer Seite des Stegs hin. „Du wirst mit mir zurückgehen müssen oder sie werden die Brücke zerschlagen.“
Quent drehte sich um und sah, dass Zoë, anstatt ihren Weg fortzusetzen, nicht nur angehalten hatte, sondern jetzt auch noch wieder auf Mekka zuging. „Was zum Teufel machst du da?“, brüllte er sie an. „Verschwinde von hier!“
Sie hob ihre Hand und er sah – ganz deutlich umrissen von frühen Morgenlicht – ihren ausgestreckten Mittelfinger.
Und sie begann auf sie zuzulaufen, die Tasche schwang dabei hinten an ihrem Rücken. Hier knirschte Quent mit den Zähnen und drehte sich dann zu Liam. „Ich bringe dich zu dem Kristall, wenn sie sicher an Land ist.“
„Als ob ich darauf reinfallen würde, Quent. Wo ist er? Ich werde ihn holen gehen, während du hier bei Hugo und Morris bleibst. Und wenn ich nicht binnen zehn Minuten zurück bin, werden die beiden sie den Haien zum Fraß vorwerfen.“ Er strich sich über das Haar, das ihm hinten etwas unförmig hochstand, als wäre er gerade aus dem Schlaf gerissen worden. Was wahrscheinlich der Fall war. „Ich versuche seit Jahren, an den Kristall ranzukommen. Versuche seit Jahrzehnten das Schwein dazu zu bringen, ihn mir zu zeigen, und er hat sich geweigert. Ich hätte ihn schon vor Ewigkeiten umgebracht, wenn ich gewusst hätte, wo er sich befindet und wie ich da ran komme.“
„Ich bin der Einzige, der das hinkriegt“, sagte Quent zu ihm und warf einen Blick in Richtung von Zoë, die etwa fünfundzwanzig Meter vom Ufer entfernt stehen geblieben war. „Ich kenne die Zugangscodes.“
„Sag es mir“, erwiderte Liam und machte den beiden Männern ein Zeichen. Bei den beiden musste es sich wohl um Morris und Hugo handeln.
Sie fingen damit an, ein paar Hebel am Rande der Brücke zu betätigen, und der gesamte Steg begann an seiner Aufhängung zu schwanken. Quent sah, wie er sich bewegte und nach unten sackte, und in einer Geste der Verzweiflung hielt er sich die Kristallpistole an die Schläfe. Zoë musste mit dem Kristall entkommen. „Ich schieße, wenn du sie nicht zurückpfeifst, dann kriegst du ihn nie.“
Aber bevor Liam etwas erwidern konnte, sagte einer der Männer, der gerade an der Aufhängung der Brücke herumkurbelte, „Hey! Sieh mal!“ Er hörte mit dem Kurbeln auf und zeigte mit dem Finger.
Zoë stand da auf dem Steg, das Wasser schlug schon sanfte Wellen über den Steg, wo Zoës Gewicht diesen weit zum Wasser runter drückte. Sie hielt den blauweißen Kristall in der Hand. Hoch und stolz über ihrem Kopf. „Keine Bewegung oder das hier landet im Ozean. Dann werdet ihr es nie bekommen.“
Liam fluchte, dann wirbelte er zu Quent herum. „Du hast gelogen, du Schwein.“
Quent würdigte ihn keiner Antwort, was auch ganz gut passte, denn Zoë war noch nicht fertig. „Lasst ihn gehen oder ich schleudere das verdammte Teil da rein“, rief sie. „Ihr habt Zeit bis drei, wenn ich fertig gezählt habe, seid ihr von der Brücke weg oder das hier ist weg.“
„Zoë, nein!“, schrie Quent, aber sie hatte schon angefangen zu zählen.
„Eins“, rief sie, wobei sie ihre Tasche hochhob. Unter ihren Augen hockte sie sich hin und warf den Kristall in die Tasche rein – ein kluger Schachzug, denn so würde man das Leuchten davon nicht erkennen, sollte sie es tatsächlich ins Wasser werfen. „Zwei.“
„Warte!“, schrie Liam.
Zoë hielt die Tasche bei ihren Griffen hoch und begann sie langsam kreisen zu lassen. „Lass ihn gehen. Oder das hier geht.“
Verdammt nochmal Zoë. Wir brauchen den Kristall.
Als ob sie seine Gedanken lesen könnte, schaute sie ihn an, fand seine Augen in dem schwachen Morgenlicht. Er fühlte, wie ihre Blicke einen Rapport herstellten, ein Band, fest und stark, und er versank in all der Liebe, die er für sie empfand. Er trat auf die Brücke zu. Der Kristall – oder mit Zoë zusammen sein?
Zoë würde da immer gewinnen – jedes Mal.
„Warte“, schrie Liam. „Wie weiß ich, dass du uns den Kristall geben wirst, wenn Quent erst einmal bei dir ist?“
Zoë beugte sich zu ihrem Köcher runter, der vor ihr auf der Brücke lag, und zog einen Pfeil raus. Sie legte die Tasche an der Pfeilspitze an und rammte diese in die Brücke. Dann legte sie ihren Fuß auf den Köcher und begann sich aufzurichten und den Rückzug anzutreten, wobei sie einen weiteren Pfeil anlegte. „Ich werde alles hier liegen lassen und du lässt ihn herkommen. Wenn ihr einen Schritt auf diese Brücke tut, bevor er nicht die Hälfte davon zurückgelegt hat, schieße ich. Wenn er erst einmal bei mir ist, könnt ihr Euch die Tasche holen.“
„Und was wird ihn davon abhalten, die Tasche auf dem Weg einfach mitzunehmen?“
„Ihr kontrolliert die Brücke, ihr Vollidioten. Ihr könnt sie lockern und uns zu den Haien werfen.“ Sie schaute zu Quent und er wusste, sie würden wie vom Teufel höchstpersönlich gejagt rennen müssen, wenn dass hier funktionierte. Denn Liam würde sie so oder so da runter befördern.
Er setzte sich in Bewegung: auf sie zu. Beobachtete sie, wie sie mit ihrem Pfeil konzentriert auf die drei Männer hinter ihm zielte. Als er an dem Pfeil anlangte, der die Tasche auf der Brücke festnagelte, zögerte er. Ein Kristall von Atlantis. Es juckte ihn in den Fingern sie an sich zu reißen und loszurennen ... aber er wusste, das würden sie nie schaffen.
Er hatte die panische Angst auf dem Gesicht seiner mutigen Zoë gesehen, als sie in der Kapsel waren. Sie war mit ihm zurückgegangen, schon zweimal war sie wieder umgekehrt. Er würde vielleicht sein eigenes Leben aufs Spiel setzen, die Tasche packen und losrennen – und auch schwimmen – dafür. Aber ihres würde er nicht mehr aufs Spiel setzen.
Also lief er daran vorbei.
Er erkannte ihre Erleichterung an ihren Schultern, sah zu, wie sie sich bückte, um ihren Köcher an sich zu nehmen, in dem kein einziger Pfeil mehr steckte. Verdammte Scheiße. Sie waren im Arsch, wenn sie schießen müsste.
Er begann loszurennen und Zoë tat es ihm nach, in Richtung Küste. Die Brücke schwankte und bog sich durch und er fühlte das Hämmern der Schritte hinter ihm, als Liam und seine Männer auf den Kristall zu rannten.
Etwa als er am Ufer anlangte, das Wachhäuschen direkt vor ihm, hörte er einen Wutschrei von da hinter ihm, dann das Hämmern schwerer, schneller Tritte. Quent wagte nicht zurückzublicken, denn die Wächter waren aus ihrem Häuschen herausgekommen und schnitten Zoë den Weg ab. Sie zögerte nicht, sondern ließ noch im Rennen ihren letzten Pfeil durch die Luft sausen.
Er traf einen der beiden Wächter an der Schulter und er kippte nach hinten weg. Als Quent heranpreschte, fischte er die Schockpistole aus seiner Hosentasche und setzte den zweiten außer Gefecht, gerade als er die Hand nach Zoë ausstreckte.
Dann erwischte Quent sie am Arm und sie rannten in den Wald hinein, ihr Köcher schlug ihr schwer gegen den Rücken.
„Die sind uns direkt auf den Fersen“, keuchte sie. „Was würdest du tun?“, sagte er und lupfte sie hoch, als sie über einen umgefallenen Baumstamm sprangen. Er war schneller als sie und um Lichtjahre stärker, also trug er sie jetzt fast in seinen Armen. Der Köcher schwang nach vorne um ihre Schulter rum und schlug hart gegen ihn. Und das war der Moment wo ihm aufging, was passiert war. „Du hast den Kristall behalten?“
Sie legte ihre Arme um seinen Hals, als er durch den Wald raste. Die Schreie hinter ihnen waren immer noch zu hören, aber sie schienen nicht näher zu kommen. „Aber klar doch. Wir sind für das verdammte Ding fast draufgegangen. Und egal wie furchterregend es nun sein mag, ich konnte das denen einfach nicht überlassen.“
„Wie?“, fragte er, beschränkte seinen Teil der Unterhaltung auf das Nötigste, um sich die Luft für das Laufen aufzusparen. Er erblickte einen guten Kletterbaum vor sich und traf blitzschnell eine Entscheidung. „Wir gehen hoch“, sagte er, kam stolpernd daneben zum Stehen. „Dann können wir gut sehen und werden selbst nicht gesehen. Da oben werden die uns nicht finden.“
Zoë machte keine Einwände und als er sie mit Schwung hochschob, zu einem Ast gerade über seinem Kopf, packte sie zu und fing an, sich absolut sicher hochzuhangeln. Sie legte eine kurze Pause ein, um ihre Schuhe auszuziehen und in einer Astgabel festzustecken, und kletterte dann behände weiter hoch.
Er war direkt hinter ihr – und tapfer widerstand er der Versuchung unter ihr kurzes Kleid zu schauen. Dafür wäre später noch genug Zeit. Hoffte er.
Als sie sich dann auf einem breiten Ast hoch oben zwischen den Blättern niedergelassen hatten, schaute er rüber zu der Skyline von Mekka. Die Brücke war ganz deutlich zu sehen und er sah eine große Gruppe von Leuten zur Küste rüber eilen. Liams Suchtrupp. Er drehte sich wieder zu Zoë. „Sie kommen, aber wir sind im Vorteil. Wenn sie hier entlang kommen, können wir von Baum zu Baum weiterziehen.“
„Und wenn die Sonne erst aufgegangen ist, sehen wir vielleicht ein paar Mustangs“, sagte Zoë. „Ich mache mir keine Sorgen. Das hier ist scheißviel besser als auf der gruseligen Insel da zu sein.“
„Wie hast du sie nur reingelegt? Ich bin dir auch auf den Leim gegangen.“
„Ich habe den Kristall gegen ein Stück von den Trümmern eingetauscht. Ich hatte mir eins genommen, als ich mir die Schuhe anzog, weil mir aufging, es hatte so in etwa die Größe von dem Kristall. Ich dachte mir, es wäre nicht blöde, eine Attrappe zu haben. Als ich den Kristall in meine Tasche steckte, als ihr da alle zugeschaut habt, habe ich ihn in Wirklichkeit in meinen Köcher gesteckt. Ich habe die beiden direkt nebeneinander gelegt und der Rest war ein Taschenspielertrick.“
„Heiße Scheiße, Zoë“, sagte er und kam auf dem Ast näher zu ihr rüber, um ihr ein Stück Rinde von der Wange zu streichen. „Du bist eine Scheißwucht.“
„Ich weiß“, sagte sie bescheiden. „Aber ich musste die Pfeile auskippen, so dass sie nicht sehen könnten, dass ich meinen Köcher da festhielt, also haben wir Scheiße nochmal keine Munition. Und was auch immer sonst noch in deiner Tasche war, ist jetzt auch futsch.“
„Ist mir egal. Ich habe alles, worauf es ankommt, genau hier“, sagte er und drückte sie an sich.
Sie drehte sich auf dem Ast zu ihm hin, die Beine baumelten rechts und links runter – viel Bein, das aus wenig Kleid rausschaute – und hob ihr Gesicht hoch für einen Kuss. „So ein Pech, dass wir uns so scheißhoch hier oben verstecken mussten“, sagte sie, nachdem sie seine Lippen sanft losgelassen hatte, aber ihre Hände immer noch an seiner Brust ließ ... zur Balance. „Es ist nicht gerade der beste Ort für ‚Gottseidank-sind-wir-mit-dem-Leben-davongekommen‘ Sex.“
Er lachte und hob ihr Kinn an, um ihr in die Augen zu sehen. „Und zählt es jetzt, da wir mit dem Leben davongekommen sind und ich weiß, dass ich nicht sterbe, wenn ich dir sage, dass ich dich liebe?“
Sie lehnte sich zurück, etwas weg von ihm, ein seltsamer Ausdruck in ihrem Blick. Traurigkeit? Zärtlichkeit? In dem schwachen Licht hier konnte er es nicht so genau erkennen. „Nicht so schnell, Einstein“, sagte sie. „Wir könnten vom Baum runterfallen, wenn wir hier ‚Gottseidank-sind-wir-mit-dem-Leben-davongekommen‘ Sex haben.“
Er grinste. „Hast du Lust?“