SIEBEN

 

 

„Woher kommen sie?“, fragte Quent. 

„Die Ganga?“ Zoë hielt sich krampfhaft an dem Griff in der Tür des Trucks fest und versuchte ihr hämmerndes Herz zu beruhigen. 

Sie war sich nicht sicher, ob ihr Puls wegen dieser grauenvollen Fahrt hier – schnell, im Dunkeln mit halb abgeblendeten Scheinwerfen, damit man sie nicht näherkommen sah – so raste oder weil sie vielleicht tatsächlich Raul Marck wiederfinden würde. Das Schwein endlich töten. 

Quent hatte gesehen, wie etwa acht Kilometer entfernt ein Paar Scheinwerfer sich langsam einen Weg bahnte, und sie hatten keine Zeit verloren alles zusammenzupacken und ihnen nachzusetzen. Wenn es nicht Marck war, dann war es jemand ebenso Gefährliches. 

„Jep. Wohin gehen sie tagsüber? Wenn sie an dunklen Plätzen schlafen, um das Sonnenlicht zu meiden. Warum greifst du sie nicht einfach dann an? Tagsüber? Warum setzt du dich der Gefahr aus sie nachts zu jagen?“ 

Zoë keuchte entsetzt auf und schloss fest ihre Augen, als plötzlich ein großes Objekt vor ihnen auftauchte. Quent riss den Truck herum und sie fiel hart gegen die Tür, dann wieder zurück in die Mitte des Sitzes, als er wieder geradeaus fuhr, wobei die Reifen seltsame Geräusche im Straßendreck machten. 

Wenn ich je lebend aus diesem Truck hier herauskomme, werde ich den verdammten Boden küssen. Ich werde den Dreck abknutschen und mich im Gras wälzen und mich in Blätter und Wildblumen einwickeln. 

Nachts zu fahren und viel schneller, als gut für sie war, mit einem halben Mond und den abgedunkelten Scheinwerfen zur Beleuchtung. Er ist kom-gottogott-plett verrückt. Er wird uns beide umbringen. 

Sie öffnete die Augen und sah eine Reihe von Gebäuden vor ihnen und eine Andeutung von orangefarbenen Zombie-Augen weiter weg, aber – glücklicherweise – keine großen Objekte mehr auf ihrem Weg dorthin. 

Dann erinnerte sie sich wieder an seine Frage. „Sehr oft kommen sie aus dem Wasser. Die Ganga. Wenn die Sonne anfängt aufzugehen, gehen sie schnurstracks zum nächsten Gewässer und laufen einfach verdammt rein – ganz hinein, bis sie verschwinden. Und wenn die Sonne dann untergeht, kommen sie wieder raus. Wasser, Sumpfgebiet, auch Höhlen oder so was. Dunkle Gebäude. Aber meistens Wasser. Sie gehen immer Richtung Westen, wenn die Sonne untergeht – in Richtung Ozean.“ 

„Du bist ihnen nie gefolgt? Um sie zu fangen?“ 

Sie zuckte mit den Schultern und wagte einen Blick nach draußen durch die Frontscheibe. „Ein paar Mal habe ich einige in Gebäuden angetroffen und ein paar Pfeile abgeschossen. Wenn mir Ganga über den Weg laufen, gibt es keine Überlebenden, bis ich fertig bin. Wenn ich sie finde, sind sie hinüber.“ Sie unterdrückte einen Schrei. „Pass auf, du verdammter Idiot!“ 

Aber er schien völlig entspannt, als er abdrehte, um einem tiefschwarzen Schatten aus dem Weg zu gehen, der eine Art Grube zu sein schien. Eine Grube. In die er sie beinahe hineingefahren hätte. Durchgeknallter Vollidiot. 

„Das hier ist nicht halb so schlimm wie das Fahren in Peru. Zumindest hat der Truck hier Türen.“ 

„Wo? Keine verdammten Türen?“ Zoë rüttelte am Griff, um sicherzugehen, dass die Tür noch dran war. 

„Peru.“ Er sah sie an, als ob er auf irgendeine Reaktion von ihr warten würde. „In der Nähe von Machu Picchu. Je davon gehört?“ 

„Pass auf, wo du hinfährst!“, schrie sie. „Schau Scheiße noch mal nicht mich an!“ 

„Aber es ist so eine Freude dich anzuschauen“, sagte er mit diesem Klang in seiner Stimme, der ihr Inneres zu Wackelpudding werden ließ. Es war eine ganze Weile nicht mehr da gewesen – diese weiche, samtweiche Art, wie er sie ansah oder mit ihr redete. 

Aber da war es wieder ... zumindest eine Minute lang, so in etwa. Und dann sah sie, wie sein Mund wieder hart wurde und seine vollen Lippen schmal, als er seine Aufmerksamkeit wieder dem Gelände vor ihnen zuwandte. 

„Werden sie uns nicht kommen hören?“, fragte sie. 

Er nickte. „Das wäre durchaus möglich. Ich werde ein bisschen langsamer fahren müssen, wenn wir näher dran sind, aber es wird ein Punkt kommen, da müssen wir riskieren, gesehen zu werden, oder wir müssen aussteigen und versuchen ihnen zu Fuß zu folgen.“ 

Zu Fuß klingt doch wie ein guter Plan. 

„Ich werde am besten hier anhalten und dann erst mal auf den Baum da steigen. Schauen, ob ich sie immer noch sehen kann. Wir müssen näher dran sein, wir sind ziemlich schnell gefahren.“ 

Erzähl keinen Scheiß. 

Aber bevor Zoë antworten konnte, hatte er den Fuß runtersausen lassen und der Truck bockte und schlingerte, rutschte noch ein bisschen über den unebenen Boden, bis er anhielt. Bis sie endlich ihr Herz wieder aus ihrem Hals nach unten verpflanzt hatte, war der Idiot schon ausgestiegen und kletterte den Baum hoch. 

Verdammt. Er war fast so schnell wie sie selbst und obendrein noch geschmeidig und ehe sie bis drei zählen konnte, war er schon im Laubwerk verschwunden. Es schimmerte und glänzte im Mondlicht und dann tauchte auf einmal der Umriss von Quent in der Nähe der Spitze auf – sein Kopf bildete eine etwas unansehnliche Beule in der Schöpfung von Mutter Natur. 

In der Schöpfung von Mutter Natur? Scheiße nochmal, das klingt wie etwas, was Naanaa sagen würde. Was zum Teufel ist nur mit mir los, dass ich arschblöden Bockmist wie das denke? 

Während sie die Augen über sich selbst verdrehte, öffnete Zoë die Tür vom Truck und schnappte sich ihren Bogen. Die Gangaaugen da waren etwa eine Meile entfernt gewesen ... es juckte sie dort rüber zu rennen und ein paar von ihnen den Garaus zu machen. Aber zuerst holte sie sich besser das Update von Tarzan. 

„Was siehst du denn?“, rief sie nach oben. 

„Nichts. Absolut Scheiß gar nichts.“ Sein Ärger war deutlich. Baumäste begannen sich zu schütteln, als er wieder herunterkletterte. 

„Verflucht! Bist du da sicher? Scheiße nochmal.“ Zoë spürte, wie ihre Hoffnung versickerte. „Ich dachte, du weißt, wo sie sind. Du hast gesagt, du siehst da ein paar markante Punkte! Wo zum Teufel sind die hin?“ 

„Die habe ich auch gesehen. Wir sind fast dort, wo ich sie gesehen habe – siehst du den Kirchturm da drüben? Das dünne Ding. Sieht aus, als wäre es von einer Kirche? Sie waren genau links – östlich – davon, als ich die Scheinwerfer gesehen habe.“ 

„Sie sind weg, verflucht.“ Sie stieß mit dem Fuß nach einem Stein und er flog durch die Luft, schepperte gegen die Seite vom Truck. Sie hoffte, da war jetzt eine richtig große Beule in dem blöden Vehikel. 

Quent ließ sich vom Baum herabfallen und landete genau neben ihr auf dem Boden. Sein blondes Haar – unbedeckt, war ja klar – schien im Mondlicht. Dicht und wirr. Sie konnte nicht umhin seinen Körper nur für einen kurzen Moment zu bewundern: diese breiten, kantigen Schultern, die in einem dünnen Hemd steckten, das zwar vorne zugeknöpft war, aber immer noch ein kleines bisschen von dem goldbraunen Haar sehen ließ, dass aus dem V da oben hochkletterte. Das Hemd steckte in einer weiten Hose, mit Gürtel oben und mit vielen Taschen, von denen manche recht ausgebeult aussahen, wohl voll von unterschiedlichsten Dingen. Wer wusste schon, was er da alles drin hatte? 

„Wir fahren jetzt dorthin, wo ich die Scheinwerfer gesehen habe, und verbringen dort dann die Nacht. Morgen früh suchen wir dann wieder nach den Reifenspuren“, sagte er, als er an ihr vorüberging, um wieder in das Vehikel zu klettern. „Kommst du?“ Dieser weiche Ton, der vorhin in seiner Stimme gelegen hatte, war weg und sie waren wieder bei dem kühlen, emotionslosen Ton angelangt, was sie ihren bewundernden Betrachtungen jäh entriss. 

Wer zum Teufel hat dir das Oberkommando übertragen?, wollte sie ihn fragen. 

Aber gegen seine Logik kam sie nicht an. Verdammt. 

Zoë kletterte wieder rein, obwohl sie den Boden weder geküsst noch sonst wie abgeknutscht hatte, und sie war jetzt richtig scharf drauf, ein paar Ganga fertig zu machen. „Fahr da lang, dann kann ich noch ein paar von den Zombs kaltmachen“, sagte sie und zeigte dahin, wo sie das orangene Glühen gesehen hatte. 

„Vielleicht sollte ich dort rüber laufen und mich von ihnen mitnehmen lassen ... vielleicht wissen die, wo der Truck hingefahren ist“, sagte Quent. In der Zwischenzeit hatte Quent, Wunder oh Wunder, ihren Anweisungen Folge geleistet und war in die Richtung losgefahren, die sie ihm angezeigt hatte. 

„So verlockend der Gedanke von dir als Ganga-Happen auch ist“, sagte sie, „würde ich es doch vorziehen, wenn du einfach nahe an sie ranfährst und mich schießen lässt. Ich könnte sicher einige von ihnen erlegen, so wie du Scheiße nochmal fährst.“ 

„Ich dachte, ich fahre viel zu wild“, sagte er und unter dem Lenkrad machte sein Bein eine abrupte Bewegung und Zoë erwischte sich wieder dabei, wie sie sich am Sitz festkrallte. 

Dieser Vollidiot. „Genau so ist es und du fährst auch zu schnell. Es ist die Geschwindigkeit, die mir eine Chance geben würde ein paar von ihnen kalt zu machen, bevor sie flüchten können, nicht dieses beschissene Schlingern und Ruckeln.“ 

„Halt dich fest“, sagte er grimmig. 

„Ich halte mich schon scheißfest“, schaffte sie noch zu erwidern, irgendwie sogar recht gelassen, als er wieder einmal wild schlingerte. Diesmal kippte der Truck doch Scheiße tatsächlich zur Seite, auf zwei Rädern, und sie stieß einen kleinen Quietschschrei aus und presste sofort die Augen zusammen. „Lass das! 

Sie hätte schwören können ein böses kleines Lachen zu hören. 

„Also, warum hast du es getan?“, fragte er mit einem kurzen Seitenblick auf sie und sie sah, dass sein Gesicht jetzt definitiv wieder ganz starr war. 

„Was getan?“ 

„Dich aus meinem Bett und meinem Zimmer geschlichen.“ 

Zoë antwortete nicht sofort. „Weil ich keinen Klotz am Bein mitschleppen wollte.“ 

„Dummes Gewäsch. Du weißt genau, ich bin kein Scheißklotz an deinem Bein.“ 

„Ach ja? Wie soll ich das wissen? Alles, was ich von dir weiß, ist was für eine gottverflucht scharfe Nummer du im Bett bist“, knallte sie zurück. Dann verschloss sie den Mund. Fest. 

Das, genau das, passierte, wenn man die meiste Zeit seines Lebens alleine verbrachte. Wenn du auf jemanden triffst, mit dem du reden kannst, redest du zu viel. Shit. 

„Ich bin also gottverflucht scharf im Bett?“ 

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu, von dem sie wusste, dass er ihn nicht sehen konnte. „Sei kein Idiot.“ 

„Dann warum, Zoë? Du könntest mir wenigstens verraten, warum. Die Wahrheit. Warum bist du gegangen? Schon wieder. Nachdem wir uns einig waren, dass ich mitkomme?“ 

„Wir waren uns nicht einig, Quent, du hast darauf bestanden und mich erpresst, hast mir gedroht und arschblöde Gründe erfunden, warum du mitkommen musst.“ Gründe, auf die ich verdammt viel zu schnell reingefallen bin. 

„Dann willst du also lieber alleine sein.“ Seine Stimme klang kalt und ausdruckslos vor dem Hintergrund der Motorengeräusche. 

Ihre Handflächen waren wieder feucht, was es ihr erschwerte ihren Bogen festzuhalten und den Griff an der Tür fest zu packen zu bekommen. Warum stellst du mir all diese verdammten Fragen? Ich will darüber nicht reden. 

Dann sah sie die orangenen Augen. Gerettet. „Genau da, Quent!“ Sie zeigte mit dem Finger und begann die Fensterscheibe herunterzukurbeln – eine Sache, die sie heute im Laufe eines sehr heißen Nachmittags gelernt hatte. „Fahr näher ran.“ 

Er tat, wie sie ihm gesagt hatte, und sie riss sofort einen Pfeil aus ihrem Köcher, den sie zwischen den Knien hielt. Der Truck ruckelte und zuckelte, was es ihr etwas erschwerte den Pfeil richtig anzulegen ... aber sie hatte eine gute Sicht. Aus nächster Nähe. 

„Halt mal kurz an“, sagte sie und bemerkte kaum, wie er das Vehikel abrupt zum Stehen brachte. Sie waren nur ein paar Meter von den Ganga entfernt, die sich umgedreht hatten, um zu ihnen herzusehen, als der Truck herangerollt kam. Wahrscheinlich dachten sie, es wäre Raul Marck oder ein anderer Kopfgeldjäger. Hirnamputiert. 

Sie zielte auf den nächsten Ganga, während sie auf der Kante des offenen Autofensters saß. Und für einen Augenblick ging ihr auf, wie verdammt praktisch es war, so ein Vehikel zu haben. Dann spannte sie die Bogensehne und ließ den Pfeil lossausen. 

Das Geräusch vom fliegenden Pfeil, das glatte Zzzing und das darauffolgende Wooosch trösteten sie – aber als die Spitze in die Stirn dieses Ganga hier einschlug, das war der Moment, in dem Zoë das echte Hochgefühl erfasste. Geschafft. 

Ein Zombie weniger, der Menschen zerfetzte. 

Sie hatte nicht bemerkt, wie Quent jetzt auf einmal neben ihr im Auto war, aber als sie den nächsten Pfeil in die Kerbe legte und sich dabei noch weiter aus dem Fenster lehnte, befahl er, „rein ins Auto!“ 

Sie kletterte sofort wieder in den Truck, wirbelte auf ihrem Platz herum, als das Vehikel sich mit einem Satz wieder in Bewegung setzte. „Was zum Teufel?“, schrie sie – wütend, dass er sie beim Schießen unterbrochen hatte. 

Dann sah sie, dass er – während er fuhr – halb stand, den Kopf teilweise aus dem Fenster gestreckt. Seine linke Hand schnellte hoch und zum Fenster hinaus und warf etwas über das Dach des Trucks in Richtung der Ganga. 

Boom! 

Die Explosion machte, dass der Boden bebte und ließ Zombies zerfetzt zurück. Einzelteile und Trümmer flogen durch die Luft. 

Und schon rasten sie davon, viel zu schnell, das Holpern war fast außer Kontrolle. Zoë verbiss sich gerade noch einen Schrei, als der Truck schrecklich ins Schlittern kam, um Haaresbreite einen Baum verfehlte, dann gerade noch an einem großen, rostigen Metallding vorbeischlingerte. 

„So“, sagte er und warf ihr jetzt, da er den Arsch wieder auf seinem Sitz hatte, wieder einen Blick zu. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, der Scheißkerl, und er schien genauso gelassen, wie ein Katze beim Mittagschlaf. „Das waren dann alle davon. Wohin jetzt?“ 

Zoë rutschte auf ihrem Sitz weiter nach hinten und knirschte mit den Zähnen. Beschissener Angeber. Sicher, sie hätte die Monster eines nach dem anderen erlegen können und dabei fünf oder sechs Pfeile benutzt, die sie sich dann wieder holen müsste, und hätte dafür etwa zehn Minuten gebraucht ... oder sie könnte ihn sein scheißcooles Sprengstoff-Dingens einsetzen lassen und es alles auf einen Schlag erledigen. 

Er schaute wieder zu ihr her. „Wenn wir es unbemerkt und präzise machen müssen, dann ist dein Weg der Weg. Aber du musst zugeben, meiner ist effizienter.“ 

„Du kannst mich mal gern haben.“ 

Das war sein Stichwort, seine Stimme zu senken und zu sagen, Sag mir nur wo und wie und wann, Süße. 

Aber er sagte nichts dergleichen. Stattdessen schaute er wieder zu ihr und sagte, „ich denke wir sollten uns dorthin aufmachen, wo ich die Scheinwerfer gesehen habe. Wir können dort übernachten und am Morgen dann alles genau unter die Lupe nehmen oder weiter durch die Nacht fahren und nach mehr Ganga suchen.“ 

Sie starrte wütend in die Nacht hinaus. Ein Teil von ihr musste unbedingt wissen, wie er diese Bomben bastelte, denn dieser Scheißkerl hatte Recht. Schon wieder. 

Der andere Teil von ihr war stinksauer, weil sie wusste, dass er sie mit voller Absicht ärgerte. Und ein weiterer Teil von ihr war ... nun, fühlte sich verletzt. 

Tief drinnen. Sie fühlte sich seltsam leer und verloren. Nur deswegen, weil er nicht mehr mit ihr flirtete? Weil er jetzt so kühl war? 

Und auf einmal war sie müde. Schlaf wäre jetzt gut – sie waren seit Tagesanbruch unterwegs und Mitternacht war schon lange vorbei. Ihre Haut prickelte, wenn sie daran dachte, sich zum Schlafen niederzulassen. Mit Quent. Ihr Bauch kitzelte sie und hüpfte ein klein wenig und das Herz schlug ihr schneller. Mit Quent ... warm und vertraut. Und sicher. 

Sie sollte lieber an was anderes denken. „Sie haben vielleicht ihre Truck-Schweinwerfer ausgeschaltet. Über Nacht einen Halt eingelegt. Womöglich sind sie noch da.“ 

Quent nickte. „Stimmt. Also wollen wir uns lieber zu Fuß nähern. Etwas weiter entfernt parken.“ 

Schweigend fuhren sie weiter, wobei Zoë nur etwa ein Drittel der Zeit die Augen geschlossen hielt. Statt die Hälfte der Zeit. Und ihre Finger um den Türgriff lockerten sich sogar etwas – ab und an. Fortschritt. 

„Ich parke hier“, sagte Quent, wie sie sich gerade ein paar heruntergekommenen Reihenhäusern näherten. 

Zoë war einverstanden mit seiner Wahl: es war dunkel und das Auto stand tief in den Schatten, als er es zwischen zwei nahe beieinander stehenden Gebäuden abstellte. Und als er es ganz nah an eines der beiden Häuser ranfuhr, wo es auch noch hinter einem Busch war, konnte sie nur zustimmen. 

Aber als sie die Hand ausstreckte, um die Tür zu öffnen, lehnte er sich zu ihr herüber und legte eine Hand auf den Türgriff. „Warte.“ 

Sie drehte sich um und er war nah. Sehr nah. Sein Arm – nackt, dort, wo der Ärmel hochgerollt worden war und eng an seinem recht großen Bizeps anlag – streifte ihren Bauch. Aus irgendeinem idiotischen Grund stotterte ihr Puls plötzlich und ihr fiel auf – urplötzlich und absurderweise –, dass dies der längste Zeitraum gewesen war, den sie zusammen verbracht hatten, ohne sich in den Laken zu wälzen oder sich an der Wand zu quetschen oder in der Dusche Haut an Haut aneinander lang zu rutschen. 

Und jetzt war er hier. So nah, dass sie die leichte Wärme seines Atems spüren und gerade noch den Umriss seines Kinns erkennen konnte, kleine Büschel von struwweligem Haar. Aber seinen Gesichtsausdruck konnte sie in keinster Weise erkennen. Er nahm seinen Arm da weg und lehnte sich auf seinem Sitz zurück. 

„Sei vorsichtig, Zoë“, sagte er. „Sei bitte ... vorsichtig.“ 

Dann wandte er sich ab. Sie ließ ihren Atem wieder kommen und schluckte ihr Herz wieder hinunter, hinab an die richtige Stelle. 

Bis sie das erledigt hatte, war er schon aus dem Truck geschlüpft und hatte seine Tür leise geschlossen. Sie folgte auf dem Fuße, den Bogen in der Hand und den Köcher über der Schulter, und stellte fest, dass auch er seinen Sack bei sich trug und dass er noch etwas anderes in der Hand hielt. Das Mondlicht fiel glänzend darauf und sie sah, dass es so lang wie eines ihrer Beine war und schmal und aus Metall. Eine Art Eisen- oder Metallrohr. 

Sie nickte insgeheim. Der Kerl war nicht so gut mit Pfeil und Bogen wie sie, er musste etwas haben, womit er den Ganga das Hirn zertrümmern konnte. Heiße Scheiße. Würde mich nicht stören, ihm damit in der Hand bei der Arbeit zuzusehen, Muskelpakete in Aktion, voll geschmeidig und verschwitzt. 

Ganz sicher kein Klotz am Bein, trotz allem, was sie vorhin von sich gegeben hatte. Nicht der Mann, der ihr zuhörte, wie sie die Geschichte vom Massaker an ihrer Familie erzählte, und der sich davon mitgenommen fühlte, auch nicht der, der ihren Eintopf aß und dem es schmeckte, und auch nicht der, der genauso viele – na ja, fast genauso viele – gute Ideen hatte, wie man das hier anpacken musste wie sie. Und da war noch gar nicht mit drin, was er alles mit seinen Händen und seinem Mund und diesem – heilige Scheiße – verdammt heißen Körper anstellte. 

Sie gingen etwa drei Kilometer, hielten sich immer an die Schatten und lauschten nach Geräuschen wie dem Gestöhne von Ganga oder Stimmen. Oder auch dem Grollen eines Motors, das einem kalt den Rücken runterlief. Aber die Nacht war ganz still bis auf die Geräusche der Natur: das ferne Heulen von Wölfen, das Scharren von nachtaktiven Tieren, das leise Rufen einer Eule. Gelegentlich sauste eine Fledermaus vor ihnen nieder und schwang sich dann wieder lautlos hoch. 

Zoë roch sie, bevor sie es hörte. Ganga. 

Quent hob im selben Augenblick den Arm, um sie am Weitergehen zu hindern, und sie schaute zu ihm hoch. Ihre Blicke trafen sich und er nickte. Zoë machte eine Geste nach rechts, wo lange, dunkle Schatten lagen, und er nickte erneut. 

Als sie auf die Schatten zu schlich, ging ihr auf, wie reibungslos das alles vonstatten ging. Wie ... total normal. Wortlos Blicke auszutauschen, angespannt. Mit einem Partner zu kommunizieren. 

Und dann schob sie es grob beiseite, denn die Ganga waren schon da, strömten plötzlich aus einem Gebäude vor ihnen. Als hätten sie auf sie gewartet. Die Kreaturen stanken, ihr graues, fauliges Fleisch bildete Säcke unter den brennenden, orangenen Augen und um die offenen, stöhnenden Mäuler. 

Aber sie sagten nicht mehr ruu-uuuthhhh, wie sie es früher getan hatten, solange sie zurückdenken konnte. Sie seufzten und stöhnten jetzt etwas wie duuu-aaahne ... duuu-vanne ... liiii ... vaaane... 

Zehn von diesen Kreaturen, und sie kamen überraschend schnell auf sie zugestolpert. Und sogar mit ein bisschen mehr Beweglichkeit. Ohne Quent auch nur anzuschauen, legte Zoë einen Pfeil an und schoss. 

Genau zwischen die Augen. Der Ganga stolperte, stieß mit einem seiner Mitgenossen zusammen und beide fielen hin, kopfüber, ein wilder Haufen unbeholfener Beine und ins Leere greifender Arme. Ein kühles Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie blitzschnell nach einem weiteren Pfeil griff und auch den lossausen ließ. 

Mittlerweile waren die Zombies schon recht schnell auf sie zugekommen und Zoë stellte überrascht fest, dass sie Position wechseln musste ... rückwärts. Normalerweise war sie hoch oben und außer Sichtweite der Monster – diese Lektion hatte sie schon sehr früh gelernt. Aber diesmal waren sie beide von denen überrascht worden. Ihnen auf Augenhöhe entgegenzutreten war nicht ganz so einfach, wie von einem Ast oder einem Hausdach aus zu schießen. 

Neben ihr holte Quent mit dem Metallrohr nach einer der Kreaturen aus – die ihn um ein, ja zwei Meter überragten – und schaffte es, den Ganga mit Wucht seitlich am Kopf zu erwischen. Sein ständiges Duuu-vaaane kam ins Stocken, aber es nahm es wieder auf, als das Monster auf seinem Angreifer zu vorpreschte. Während er sich unter dem grabschenden Arm der Kreatur hindurch duckte, wich Zoës blonder Einstein nach hinten aus, um den schwankenden Ganga herum und ließ das Rohr abermals auf seinen Kopf niedersausen. 

Der Zombie ging wie ein Stein zu Boden und Quent sprang behände aus dem Weg, wobei er mit dem Rohr auch noch kraftvoll gegen ein weiteres Monster ausholte, das gerade auf etwas unkoordinierten Beinen vorwärts rannte. Die Waffe traf den Arm und dieses Körperglied flog in die andere Richtung durch die Luft davon, was den – ehemaligen – Besitzer aber nicht abbremste. Aber Quent war schneller auf den Beinen und entwischte, indem er über einen umgestürzten Baumstamm sprang. Das Geschöpf folgte ihm, stolperte und kam aus dem Gleichgewicht. Quent schlug mit seiner Waffe hart auf den Kopf des Geschöpfs, der auch gleich hörbar entzweibrach. 

Zoë griff nach einem dritten Pfeil und stellte fest, sie war zu nahe dran, um gut zu zielen. Dicke Scheiße, waren diese Zombies irgendwie auf Droge? Schneller, stöhnten was anderes... Sie rannte ein paar Schritte zurück, während sie den Pfeil in Position brachte, und schrie, „wo sind denn deine Superbomben jetzt?“ 

„Ich brauche eine Sekunde, um eine rauszukramen“, rief er zurück, während er auf zwei sich nähernde Zombies eindrosch. „Kannst du sie kurz ablenken?“ Verdammt. Er schien viel zu scheißgelassen und cool. 

Aber dann, er war in guten Händen und wusste das auch. 

„Alles klar“, sagte sie, als ihr Pfeil schon durch die Luft sauste. 

Sie beobachtete, wie Quent blitzschnell einem angreifenden Ganga seitlich auswich und dann um ein verrostetes Auto herumschlich, das neben einem der Gebäude hier stand. Das Auto würde keinen Schutz bieten, außer als Schutzschild für kurze Zeit, aber das wäre hoffentlich genug Zeit, damit er eine seiner Sprengsätze hervorholen könnte. 

Ihr Puls raste und Adrenalin pumpte durch sie hindurch, als Zoë dem Zombie, der Quent gerade nachsetzte, von hinten einen Pfeil ins Hirn jagte. Der Pfeil rammte sich ihm in den Schädel und er schwankte und fiel dann hin. Vier von vier. Heiße Scheiße. 

Es waren etwa drei oder vier Ganga übrig und Zoë wirbelte herum, bereit einen fünften aufzuspießen, als sie sah, dass der Anführer über einen seiner gefallenen Mitstreiter gestolpert war. Sie war drauf und dran Quent zuzuschreien, er solle den Sprengsatz besser nicht vergeuden, dass sie die restlichen drei erledigen könnte, als sie in der Dunkelheit etwas wahrnahm. 

Silhouetten ... zwei, nein, drei ... drinnen am Fenster, vor dem er sich hingeduckt hatte. Da drinnen war es schwach beleuchtet, als würde eine kleines Licht dort brennen, um das Innere für Menschen zu erleuchten. 

Sie legte einen weiteren Pfeil an den Bogen an und teilte ihre Aufmerksamkeit jetzt auf: zwischen der kleinen Gruppe von Ganga und dem Anblick, der sich da drinnen bot, während sie sich hinter einen großen Metallgegenstand duckte, den man Müllcontainer nannte. Was auch immer das nun genau war, es verschaffte ihr einen Moment lang Deckung vor den Hirnamputierten ... und einen besseren Blick ins Innere von dem Haus da. 

Leute, die sich in dem Gebäude versteckten? Oder noch mehr Ganga? Quent war beschäftigt und auch weit genug davon entfernt, was immer es nun war. Sie wollte ihn nicht ablenken ... oder die Aufmerksamkeit der Ganga und dieser Leute da auf die Stelle lenken, wo er sich gerade neben dem Auto versteckt hielt. 

Sie schaute noch einmal, spähte um die Eckte dieses verrosteten Metalldings da. Drinnen am Fenster – das waren ganz sicher Menschen, zu klein, um Zombies zu sein. Keine brennenden, orangenen Augen. Zwei größere, ein kleinerer. 

Sie sah wieder zu den Ganga und ließ ihren Pfeil losschnellen, auf den nächsten zu, der – ehrlich gesagt – ungemütlich nah rangekommen war. Das Metallgeschoss ploppte ihm satt und tief in die faulige Nase. Treffer! 

Zoë griff wieder in den Köcher und merkte, wie wenig Pfeile ihr noch blieben – nur noch vier übrig schätzte sie in dem Augenblick. Shit. Als sie einen rauszog, schaute sie wieder zu dem Fenster hin. Scheiße verflucht! Die Gestalten da drin bewegten sich und sie erkannte einen kleinen Kristall, der sich bewegte und der glühte. Genau vorne an einer der drei Gestalten. 

Ein Fremder! Sie spähte in die Dunkelheit, Erregung und Angst erfassten sie gleichermaßen. Womöglich zusammen mit Raul Marck? Da drin? War heute ihr Scheiß-Glückstag? In Gedanken hin- und hergerissen wog sie die Situation genau ab und legte den Pfeil an. Dann schaute sie hoch. 

Scheiße! Der Ganga war genau vor ihr, genau vor dem Müllcontainer. Fuck! 

„Quent!“, schrie sie und stellte plötzlich fest, dass ein weiterer Zombie aus der anderen Richtung um das Ding kam. Dann, als Quent sich gerade aufrichtete, sah sie die Flasche in seiner Hand. „Warte!“, rief sie, als sie sich gerade vorstellte, wie die Bombe vor ihren Füßen landete– 

Sie stolperte, als sie sich rückwärts bewegte, verdammt, fiel zu Boden, hielt den Bogen aber weiter fest umklammert. Mist, verdammter. Beim Aufprall blieb ihr kurz die Luft weg und ehe sie sich’s versah, grabschte schon eine dieser riesigen, grauen Pranken nach ihr, fegte zu ihr runter. Starke, stinkende Finger packten sie an der Schulter, aber sie stach mit dem Pfeil in ihrer Hand nach oben, stach damit genau in ein orangenes Auge hinein. 

Etwas platschte auf sie runter, etwas Verrottendes und Klebriges und Nasses, und sie rollte sich gerade noch weg, als das Monster zitterte und dann langsam vornüber kippte. Zoë rappelte sich gerade wieder rechtzeitig auf, um Quent zu sehen, wie er von hinten auf den letzten der Ganga zu rannte. 

Es war ein atemberaubender Moment, seinen Händen – in Handschuhen – zuzusehen, wie sie das Metallrohr hinten auf das Monster niedersausen ließen, dann hierhin und dorthin flink auswich, auf behänden Füßen, drum herum und dahinter, das verwirrte Monster verprügelnd. Vielleicht war es hier ein bisschen Angabe von ihm, wie er sich Zeit ließ beim Töten des Monsters, aber das war Zoë egal. Er war schnell und kraftvoll und ihm zuzuschauen machte, dass ihre Knie butterweich wurden. Es dauerte nur einen Moment, bis auch der letzte ihrer Angreifer zu Boden ging, sein Gehirn dort im Dreck auslief. 

„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte Quent, als er zu ihr rüber kam. „Was hast du denn da im Gesicht?“ „Zombiehirn“, sagte sie und benutzte das untere Ende von ihrem Trägerhemdchen, um sich den letzten Tropfen der funkelnden Drecksbrühe von der Wange zu wischen. Dann zog sie ihn am Hemd, zerrte ihn hinter den Müllcontainer auf den Boden dort, und zeigte mit dem Finger. „In dem Gebäude. Ich habe drei Leute gesehen – einer von ihnen ist ein Fremder. Ich habe den Kristall leuchten sehen.“ 

„Raul Marck auch?“ 

„Das hoffe ich, Teufel nochmal“, sagte sie. „Sie wissen sicher, dass wir hier sind. Dass wir die Ganga geschlagen haben.“ 

„Wette, die haben uns kommen hören und uns dann die da auf den Hals gehetzt. Sie sind wahrscheinlich schon über alle Berge.“ 

Zoë nickte. Sie war zum gleichen Schluss gekommen. Sie öffnete den Mund, um was zu sagen, und merkte dann, dass er sie gerade anschaute. In dem trüben Licht – aus solcher Nähe – konnte sie die Hitze in seinen Augen erkennen. Die gleiche Gier, bei der ihr der Magen immer irgendwohin wegsackte und die ihre weiblichen Körperteile zum Prickeln brachte. Der Atem stockte ihr und sie wusste, ihre Stimme kam jetzt etwas belegt heraus. „Was?“ 

„Dir zuzuschauen – wie schnell und geschmeidig und cool und verdammt gut du bist – da vergesse ich glatt, wie stinksauer ich auf dich bin – dafür, dass du dich heute Morgen rausgeschlichen hast. Ich möchte dir sämtliche Kleider vom Leib reißen und wild mit dir schnakseln, Süße. Auf der Stelle.“ 

Schnakseln? Was auch immer das war, es klang gut in ihren Ohren. Sie lächelte, war nicht imstande, die Lust und das Vergnügen in seinen Worten wegzuschieben. „Jederzeit, Blondie.“ 

Seine sexy Lippen zuckten und es drängte sie davon zu kosten. „Ich würde dich ja gerne küssen, wenn du nicht gerade Zombiehirn im Gesicht hättest.“ 

„Das bringt der Job so mit sich“, sagte sie. Und sie stand auf, zog ihn auch hoch, um hinter dem Müllcontainer nach vorn zu spähen. „Siehst du sie?“ Durch das Fenster sah sie noch einen schwachen Lichtschein, aber keine Umrisse von sich bewegenden Gestalten. 

„Nichts. Lass uns hingehen und uns das mal genauer anschauen.“ Er ging voran und sie ließ ihn vorangehen, als sie aus dem Schatten des wuchtigen Metallcontainers herausschlichen, hin zu dem Auto, hinter das er sich gekauert hatte. Sie stellte fest, dass er mittlerweile das Metallrohr gegen etwas Besseres eingetauscht hatte. In seiner behandschuhten Hand hielt er etwas Kleineres. Eine Pistole. 

„Wo hast du die denn her?“, flüsterte sie. „Funktioniert die?“ Funktionierende Waffen waren so rar wie fahrbare Untersätze und gehörten dann meistens auch den Fremden. Zoë hatte im Laufe der Jahre ein paar verrostete Gewehre und Pistolen gefunden, aber nur eine davon hatte funktioniert – und bis sie herausgefunden hatte, wie das ging, hatte sie alle Kugeln verfeuert. Und konnte keine weiteren finden. 

„Aus meiner Tasche. Natürlich funktioniert die.“ 

„Warum zum Teufel hast du die dann nicht gegen die Ganga eingesetzt?“ 

„Ich sehe dich so gern in Aktion. Außerdem“, fügte er hinzu, ganz nah an ihrem Ohr, „ist die nützlicher bei einer anderen Art von Bedrohung.“ 

Genau. 

Sie waren über die Straße geschlichen, wobei Zoë einen Blick auf die Ansammlung toter Ganga warf, denen immer noch ihre Pfeile in den Schädeln steckte. Sie hatte jetzt keine Zeit, die wieder aufzulesen, aber es waren nur noch drei im Köcher. Und das war eine Menge Arbeit, die da draußen jetzt verstreut herumlag, fett in Gangahirnen vergraben. 

Sie und Quent näherten sich dem kaputten Fenster. Die Welt war still, aber die Haare an Zoës Nacken stellten sich leise auf und sie spürte ... etwas. Sie waren hier irgendwo ... der Fremde. Raul Marck. Es musste er sein. Sie hoffte, es war er. 

Neben ihr wurde auch Quent unruhig und sie wusste, dass er es auch spürte. Warm und kräftig bewegte er seinen Arm, als er sich umdrehte, um hinter sie zu schauen. 

Nichts. Keiner von ihnen sah etwas. Keine ungewöhnlichen Geräusche. Und sogar das Gefühl, dass da jemand wartete und sie beobachtete, ließ nach. 

„Ich gehe da rein“, sagte Quent und machte eine Geste zum Fenster. „Kommst du mit? Oder möchtest du Wache schieben?“ 

Zoë war überrascht, dass er überhaupt daran gedacht hatte, sie um ihre Meinung zu fragen – sie hätte es nicht getan –, und dachte nach. Sich zu trennen war eine gute und zugleich schlechte Idee – sie könnte von hier aus alles beobachten und wenn sie sich trennten, könnten sie nicht zusammen in eine Falle geraten. Sie konnte sehen, was er da drinnen machte, während sie hier Wache schob... „Geh.“ Und sie hätte vielleicht die Gelegenheit, da rüber zu huschen und ein paar Pfeile aus dem Hirnbrei zu fischen. 

Sie schaute zu, wie Quent durch das Fenster hineinkletterte, die Pistole in seiner Hand leuchtete kurz metallisch auf, bevor er in den Schatten verschwand. Während sie da neben dem Gebäude stand, schaute sie sich um und lauschte und witterte nach Ganga. Nichts. 

„Nichts“, rief Quent leise von der anderen Seite der Mauer. 

Zoë nickte und ging – mit ihrem Pfeil immer noch schussbereit – die paar Meter auf das Schlachtfeld der Ganga-Überreste zu. Sie schaute kurz zum Fenster zurück, sah wie Quent dort herumging und bückte sich, um einen Pfeil rauszupulen. 

Als sie ihn rausgezogen und das letzte bisschen Pampe dran weggeschleudert hatte, schaute sie zufällig an einem alten Auto zu ihrer Rechten vorbei ... und sah ihn. Er stand gerade mal einen langen Pfeilschuss von ihr entfernt. Sein silbriges Haar, wie Mondlicht, streng aus dem Gesicht gekämmt, das sie bis in ihre Träume verfolgte. Sein schlanker, fast skelettartiger Körper. 

Er bemerkte sie zunächst nicht; sie war versteckt, hinter dem völlig verrostetem Fahrzeug. Er schaute jemand anderen an – kleiner, zierlicher und mit einem Kristallleuchten auf seiner Brust. Jetzt hörte Zoë die leisen Geräusche von Fleisch und Knochen gegen Fleisch und Knochen, unterlegt von angestrengtem, leisem Grunzen, als die beiden Männer da gegeneinander kämpften. 

Das Herz hämmerte ihr, Zoë schaute zu dem Fenster, hinter dem Quent immer noch hin und her ging, und sie versuchte ihn auf sich aufmerksam zu machen. Sie könnte einen Pfeil da hineinfeuern, aber das wäre Verschwendung. Stattdessen griff sie sich einen Stein und warf ihn zu dem offenen Fenster, dann lenkte sie ihren Blick wieder nach vorne. Der kleinere Mann – der aus der Elite – schien mit Raul Marck zu kämpfen. 

Wo war der dritte Kerl? 

Aber ihr Kampf oder ihre Auseinandersetzung schien ein ausgezeichneter Grund sich ihnen zu nähern. Um eine bessere Schussmöglichkeit auf den Mann zu haben, der Zoë ihr ganzes Leben gestohlen hatte. In gebückter Haltung schlich sie sich näher ran, leise und immer schön unten, und beobachtete, wie der Elite mit etwas Glitzerndem ausholte und Zoës verdammtes Zielobjekt aufschlitzte. 

Wag das ja nicht! Der gehört Scheiße nochmal mir! 

Sie legte an ... er war ein bisschen zu weit weg. Dieser Schuss musste sitzen. 

Der Arm von dem Elite-Typen machte eine rasche Bewegung und Zoë sah, wie Raul kurz nach hinten stolperte, aber dann seinen Gegner wieder angriff. 

Hinter ihr bewegte sich etwas, ein Schatten kam ihr in den Rand ihres Gesichtsfeldes und fast wäre sie in Ohnmacht gefallen, bevor sie merkte, dass es Quent war. Er musste ihr Zeichen begriffen haben und war hier draußen zu ihr gestoßen. 

Er war immer noch ein paar Meter von ihr weg und ließ sich in den Schatten nieder. Zoë beachtete ihn nicht. Du würdest ihn einfach kaltblütig erschießen? 

Scheiße, ja. 

Sie rückte ein klein wenig vor, legte den Pfeil an die richtige Stelle, hielt den Atem an und hoffte, dass Raul von seinem eigenen Kampf zu abgelenkt war, um zu merken, wie sie sich an ihn ranschlich. Der Pfeil passte genau in die Kerbe. 

Sie war nahe genug dran ... sie konnte das Blut erkennen, das Raul über den Arm lief, und genau in dem Moment, als sie den Bogen anhob, einen tiefen Atemzug tat, stach der kleinere Mann noch einmal nach Raul. Als er rückwärts stolperte, schrie Zoës Nemesis laut auf, während der kleinere Mann in die Dunkelheit verschwand. 

Zoë schaute zu Quent, aber er war jetzt noch tiefer in den Schatten und sie konnte ihn da nicht mehr erkennen. Sie sah wieder zu ihrem Zielobjekt hin, das jetzt näher gekommen war. Jetzt war er so nah, dass sie seinen Hemdkragen erkennen konnte, die hochgekrempelten Manschetten von seinem Hemd und den dunklen Fleck, der sich über das Hemd ausbreitete. 

Nahe genug, um einen guten Schuss zu setzen. 

Sie spannte den Bogen, spannte ihn bis hinter ihr Ohr, ganz ruhig ... Augen klar und kalt. 

Willst du nicht wissen, warum? 

Es ist egal. Er hat mir alles genommen. 

Und sie ließ den Pfeil los.