FÜNFZEHN
Quent humpelte über den schwimmenden Fußweg. Die Schockpistole sicher verwahrt in seinem Stiefel, den Elker in der Hand, den er dort als Gehstock tarnte, und die Augen fest auf sein Ziel gerichtet. Mekka erhob sich vor ihm: eine ungeordnete Ansammlung niedriger, rechteckiger Häuser, die wie ein eckiges, flaches Taj Mahal in der Sonne schienen oder wie ein sauberes, weißes Paris.
Von Marley wusste er, dass die länglich-oval geformte Siedlung von Straßen umschlossen wurde, die sich kreiselnd darum schlängelten, bis nach ganz oben auf den kleinen Hügel in der Mitte. Zwei Hauptdurchgangsstraßen teilten die Siedlung in vier gleiche Teile auf, die alle bis zu einem großen Ring führten, der das Zentrum der Siedlung umschloss, wo sich auch das Quartier von Fielding befand. Je näher sie am Stadtzentrum wohnten, desto größer war der Einfluss der dort ansässigen Einwohner und desto mächtiger waren sie – in diesen Gebäuden, die wie mit dem Plätzchenstecher ausgestochen schienen und von denen Efeuranken wie in Babylon herabhingen.
Quent verschwendete kaum einen Gedanken an Seattle und seine Weggefährten, die sich gerade wahrscheinlich immer noch von dem eins-zwei-zack-ratsch Schock aus seiner Waffe erholten, den er ihnen verpasst hatte, als sie dumm genug waren sich zu weigern, seiner Bitte nach Wasser, Essen und einer Waschmöglichkeit nachzukommen. Er hatte jetzt noch weniger Achtung vor diesem jähzornigen Kopfgeldjäger als vorher, der seinen komplett unfähigen Männern die Arbeit überlassen hatte, während er sich ausruhte.
Wenn er, Quent, ein Kopfgeld in die Finger gekriegt hätte, das sein Ticket in den Ruhestand sein sollte, hätte er sich deutlich besser darum gekümmert.
Die lagen jetzt – buchstäblich – hinter ihm und er war auf dem Weg, um Fielding zu finden. Der einzige Rückzieher war, dass er bei der kurzen Balgerei mit Seattle und den Seinen die Handschuhe verloren hatte, aber Quent war auch immer zuversichtlicher, was seine Fähigkeit anbetraf, die auf ihn einstürzenden Bilder seiner Psychometrie kontrollieren zu können. Noch nie zuvor in seinem Leben war er so absolut fokussiert gewesen und er hatte absolut vor das so zu beizubehalten.
Die Wachmänner an dem Wachhäuschen am Ufer hatten gezögert ihn passieren zu lassen, bis sie von zwei Elektroschocks einfach elend zu Boden gingen. Quent musste zugeben, dass der hochfrisierte Rasierapparat eine verflucht nützliche Waffe war, besonders wenn man so tat, als würde man mit dem in einer Hand gegen sein Opfer stolpern.
Als er so weiterhinkte, kam er auf dem Personensteg an mehreren Leuten vorbei, die in beide Richtungen gingen. Keiner von denen würdigte ihn eines zweiten Blickes, noch erkannte er irgendjemanden wieder. Und als er sich der Insel näherte, sah er auch schon das Gebäude mit den roten Kacheln. Sein Herz klopfte schneller und er fühlte wieder diesen vertrauten, kalten, abgestorbenen Klumpen in seinem Magen.
Das gleiche Gefühl, das er immer empfand, wenn er wusste, er kam in die Nähe seines Vaters.
Es lag über fünfzig Jahre zurück, dass er Fielding zum letzten Mal gesehen hatte, und der Mann vermochte immer noch diesen Einfluss auf ihn auszuüben. Seine Handlungen zu beeinflussen. Ihm schlaflose Nächte zu bereiten und dafür zu sorgen, dass sein Magen ein einziger Knoten wurde.
Sein Leben zu zerstören.
Ob gut oder schlecht, Väter hatten einen unsagbaren Einfluss auf das Leben ihrer Söhne. Quent fragte sich – wie er es schon mehr als einmal getan hatte –, was für eine Art von Einfluss es gewesen wäre, hätte er Eltern gehabt, denen wirklich etwas an ihm gelegen hätte.
Eine Sache, an die er auf diesem scheinbar endlosen Gang nicht zu denken versuchte, war Zoë. Die höhnischen Worte von Seattle spukten ihm immer noch im Kopf herum. Und die Implikationen davon. Er wollte einfach nicht glauben, dass sie sich ihre Freiheit im Tausch gegen seine ausgehandelt hatte, indem sie dem Kopfgeldjäger Informationen über ihn gab im Austausch gegen ... was auch immer.
Bei dieser Möglichkeit wurde ihm ganz kalt und es lähmte seine Gedanken – was eine Ablenkung darstellte, die er jetzt nicht gebrauchen konnte, ganz besonders nicht ohne seine Handschuhe. Also stieß er das alles weg. Wenn er lebend aus Mekka rauskam, würde er sie finden, egal wo sie sich versteckte, und die Antwort herausfinden. Wenn er nicht rauskam, machte es keinen Unterschied.
Zumindest erzählte er sich das. Wieder und wieder. Schritt für humpelnden Schritt.
Als er von dem Steg weg dann Fuß auf das eigentliche Gelände der Siedlung setzte, ging ihm auf, dass es Erde war. Feste Erde – Dreck, Lehm und Stein. Daraus bestand die Oberfläche. Er war sich nicht sicher, wie weit runter das ging; war das hier möglicherweise einfach ein Teil von Nevada oder Kalifornien, der nicht komplett vom Ozean verschlungen worden war, als die pazifischen Küste versank? Oder hatten Fielding und seine Elite-Komplizen irgendwie ein schwimmendes Stück Land erschaffen?
Als er die vielen, omnipräsenten Aquädukte mit fließendem Wasser in Richtung Stadtmitte entlanglief, begegnete er Einwohnern der Gemeinschaft. Die meisten von ihnen trugen weite, schlichte Kleidung aus etwas, was ungefärbtes Leinen zu sein schien. Sie hielten die Augen gesenkt und schienen mit irgendeinem Auftrag unterwegs zu sein, denn sie gingen schnell und zielgerichtet, ohne irgendeinen Kontakt zu den anderen zu suchen. Rikschas eilten vorüber, gezogen von muskulösen, dunkelhäutigen Männern und gelegentlich von einer muskulösen jungen Frau. Die meisten waren leer, aber ab und an saß ein gutgekleideter Mann oder eine gutgekleidete Frau in Weiß darin und schaute gelangweilt in die Runde.
Quent hatte das Gefühl, als wäre er irgendwie per Zeitreise in einem exotischen Erholungsort aus dem neunzehnten Jahrhundert gelandet, und ein unangenehmer Geschmack machte sich in seinem Mund breit. Herrschte sein Vater unumschränkt über dieses mittelalterliche Shangri-La? Hatten sich Fielding und die Mitglieder seines Kults ihr Paradies so vorgestellt?
Weiß und rein und emotionslos.
Der einzig nennenswerte Flecken grün war eine Golfanlage, auf der gerade kein Spieler zu sehen war. Sanfte Hügel und Sandfallen erstreckten sich zwischen hohen Mauern, mehr als neun Löcher gab es da nicht. Und als er daran vorbeilief, fiel Quent auf, dass es sich bewegte. Der Boden wellte sich sanft, buckelte, wurde flach, kippte, als wäre es ein dicker, grüner Teppich und darunter rollte sich ein Riese im Schlaf.
Er blieb stehen und schaute kurz zu, während vier Quadratkilometer Erdreich sich aufrollten, abflachten, sich erhoben und Spitzen bildeten. Als es aufhörte sich zu bewegen, ging ihm auf, dass damit das Terrain des Golfgeländes ganz anders aussah. So dass die Elite niemals die gleichen neun Löcher spielen musste, obwohl sie ihre Insel nie verließen.
Verflucht clever. Und dennoch, gespenstisch.
Einen Kilometer weiter kam er vor dem großen Gebäude zu stehen, das ihn an eine mesoamerikanische Pyramide erinnerte. Ganz oben rum wechselten sich rote Kacheln mit weißen ab und blühende Bougainville-Ranken hingen an den Ecken herab. Spiegelnde Fenster zierten auf allen vier Ebenen die Wände und gaben dem Haus so gläserne Streifen.
„Halten Sie Abstand“, sagte ein Wachmann, der jetzt aus einer kleinen Pforte kam. Er trug weiß, was drauf schließen ließ, er war kristalliert – obwohl Quent unter seinem gestärkten Hemd kein Leuchten erkennen konnte.
Selbst mitten in dieser Siedlung hatte Fielding noch Wachen. Verflucht interessant. Vor wem musste er denn beschützt werden?
Er entschied sich für wagemutige Offenheit als den besten Weg, um in die Gesellschaft seines Vaters zu gelangen. Also sagte er, „informieren Sie Fielding, dass Quent hier ist, um ihn zu sehen.“
Der Wachmann schien zu zögern, aber Quent sprach weiter. „Er wird mich sehen wollen. Und ich garantiere Ihnen, wenn Sie mich wegschicken und er davon erfährt ... nun, ich bin sicher, Sie wissen, wie gründlich Fielding sein kann.“
Der Mann grummelte und schüttelte mit dem Kopf, offensichtlich verärgert. Aber er griff zu einem Telefon. Er sprach ein paar Minuten leise da hinein und seine Augen waren weit aufgerissen, als er hochblickte. „Ich werde Sie hineinbegleiten.“
„Nicht nötig. Sagen Sie mir einfach, wo ich hin muss.“ Er humpelte bedächtig zu dem Tor, das sich leise öffnete.
Innen drin ging Quent an dem Butler vorbei, der nichtsdestotrotz darauf bestand, ihn zu begleiten. Ihm fiel der weiße Marmorfußboden auf: keine schwarzen oder roten Maserungen darin, aber an den Ecken des Zimmers zurechtgeschnitten für diese omnipräsenten Wasserkanäle. Er erfasste prüfend die glatten, weißen Wände, die abgerundeten weißen Decken sowie die spärliche Möblierung. Wegen der vielen Fenster an jeder Wand gab es wenig Platz für weitere Verzierungen, obwohl er gelegentlich weißes Licht aus Wandleuchtern wahrnahm.
Endlich kam er in dem Zimmer an, zu dem man ihn führte. Die transparenten Glastüren standen offen und Quent hielt inne. Der Mund war ihm trocken geworden und dieses bleierne Gewicht hing ihm im Magen.
Er hinkte ins Zimmer.
Da stand Fielding, wartete, beobachtete die Tür.
Einen Moment lang starrten sie einander an und Quent schloss die Tür hinter sich, ohne seine Fingerspitzen zu benutzen. Das einzige Geräusch war das rauschende Wasser, gurgelnd und spritzend, an den Rändern das Zimmers.
Endlich sagte Fielding etwas. „Du bist es. Ich habe mich geweigert es zu glauben, bis ich es sehe.“
Quent wagte es noch nicht zu sprechen. Ekel und Hass kamen ihm aus jeder Pore, schlugen wild in ihm. Er gab Acht seinem Vater nicht in die Augen zu blicken aus Furcht davor, dort den Hass aufblitzen zu lassen.
Komm herein, mein Sohn“, sagte Fielding und machte eine auslandende Handbewegung. „Setz dich. Wir haben so viel nachzuholen und zu erzählen.“
Quents Finger schlossen sich noch fester um seine Gehstock-Waffe. Er kämpfte mit sich, um nicht über den Mann auf der anderen Seite des Zimmers herzufallen. Noch nicht. „Das würde ich auch meinen“, war alles, was er herausbekam. „Womit hast du dir denn die letzten fünfzig Jahre vertrieben?“
Fielding lächelte und ging rüber zu einem Glastisch mit einer Vase von Orchideen. „Ich muss zugeben, gar nicht so viel. Ich lebe jetzt ein Leben der Erholung und Entspannung. Obwohl es Zeiten gibt, da ich mich um die Dinge kümmern muss. Das ist eben so, wenn man von Inkompetenz umgeben ist.“
„Du musst nicht viel tun, um für deine Sicherheit zu sorgen? Für das Regieren von deinem neuen ... was ist das hier? Ein Land? Ein Königreich?“
„Ich höre da einen missbilligenden Unterton in deiner Stimme, Quent“, sagte Fielding, als er sich ein Glas von etwas Bernsteingoldenem einschenkte. „Ich kann mir nicht vorstellen warum. Da du – mit Fug und Recht – ... da du der Erbe von all dem sein würdest, was ich erbaut habe. Als mein einziger Sohn.“
Er trug einen Anzug, der nach Armani aussah, aber wahrscheinlich eine postapokalyptische Kopie davon war. Schiefergrau, mit einem schwarzen Hemd, poliertem Schuhwerk. „Scotch?“, fragte er mit einem Blick zurück zu Quent. Ohne dessen Antwort abzuwarten, goss Fielding ein zweites Glas ein. „Es tut mir Leid, dass ich keinen Dalmore da habe. Wir sind in diesen Zeiten etwas eingeschränkt.“
„Eingeschränkt?“, schaffte Quent zu erwidern. „Wie schade. Du kannst ewig leben, aber nicht alles haben.“
Fieldings Gesicht verfinsterte sich kurz, dann lächelte er: das Lächeln, das die Welt umgarnt, seine Konkurrenten betört, seine Kollegen berauscht hatte. „Aber schau dir an, was ich habe, Quent. Und was auch deins sein könnte. Ich habe alles, was ich je haben wollte. Für immer.“ Er nahm einen großen Schluck von seinem Scotch und einen Moment lang dachte Quent, er wäre aus der Fassung geraten.
„Wo ist Starla?“
„Es tut mir Leid, dir das sagen zu müssen, aber deine Mutter hat den Wechsel nicht mit überstanden. Es war geradezu tragisch, wirklich. Sie war auf einem Filmset in – ach, irgendwo. Ich weiß es gar nicht mal mehr.“ Sein Lächeln blieb haften, als er das Glas herüberbrachte und auf einem Tisch neben Quent abstellte. „Sie verdiente es nicht mitzukommen.“
„Und das Gleiche hast du offensichtlich von mir gedacht.“
Fielding legte den Kopf auf eine Seite. „Ist es das, was du denkst? Unglücklicherweise hat noch nie jemand – das schließt dich mit ein – je meine Pläne voraussehen können. Im Gegenteil, ich hatte gewisse Dinge für dich arrangiert. Denn schließlich bist du mein einziger Sohn. Mein Nachkomme. Wer sonst sollte denn sonst in meine Fußstapfen treten?“ Er nippte noch einmal, diesmal war er etwas gefasster. „Ich hatte eigentlich nicht mehr mit deinem Erscheinen gerechnet – es ist fünfzig Jahre her.“
„Arrangiert? Wovon zum Teufel sprichst du denn? Du hast nichts damit zu schaffen, dass ich jetzt hier bin.“ Quent holte tief Luft und ermahnte sich gelassen zu bleiben. Fielding blühte auf, wenn er seine Gegner aus der Fassung brachte.
„Ist es das, was du glaubst?“ Fielding schaute auf ihn herab, ungeachtet der Tatsache, dass Quent größer war. Es war ein Manierismus, den er perfekt beherrschte. „Um die Wahrheit zu sagen: du bist einzig und allein wegen mir hier.“ Er setzte sein Glas ab, zog sich die Jacke aus und hänge sie über eine Stuhllehne, genau wie er es viele Male in der Vergangenheit getan hatte. Normalerweise war dies die Überleitung dazu, eine Reitgerte hervorzuholen oder eine andere Form der Zerstreuung.
Diesmal wäre Quent auf ihn vorbereitet. „Ich weiß, dass du an deine absolute Macht glaubst, aber das ist unmöglich. Vater.“ Widerwillig presste er dieses Wort heraus, das Wort, das er sich geweigert hatte auszusprechen, seit er zwölf war.
„Aber du irrst dich, mein Sohn“, sagte Fielding mit honigsüßer Stimme. „Ich hatte es alles unter meiner Kontrolle. Du warst in Sedona, als die Evolution kam, nicht wahr?“
Quent nickte. „Weit weg von dir und deinem Kult von Atlantis.“
Fieldings Augen lachten jetzt. „Ah, zumindest da hast du zwei und zwei zusammengezählt. Ich hatte gehofft, du wärst intelligent genug dafür, war mir aber nicht sicher. Ich hatte vor, dass du Mitglied wirst, weißt du – wenn die Zeit dafür reif wäre. Aber die Dinge haben sich zu schnell entwickelt, als dass ich dich hätte initiieren können. Die Gelegenheit ergab sich und ich musste sie ergreifen. Also habe ich beschlossen bis nach der Evolution zu warten. Ich hätte mir nie träumen lassen, es würde fünfzig Jahre dauern, bis du mich findest, aber ich nehme an, das sollte mich nicht allzu sehr überraschen.“
Quent hielt den Mund geschlossen. Es war zu früh, um seiner Wut nachzugeben. Er wusste nicht, wo Fielding seinen Kristall hatte; obwohl ihn das nicht abhalten würde. Es wäre ihm ein Leichtes den Mann niederzuringen und es herauszufinden. Der eine Vorteil davon, aus jener Höhle in Sedona rauszuspazieren, waren die übermenschlichen Kräfte, die mit seinen psychometrischen Fähigkeiten mitgeliefert worden waren.
„Ich wusste, du würdest in Sedona sein. Ich hatte es so geplant“, sagte Fielding.
Quent schaute ihn an und ließ die Ungläubigkeit deutlich in seinen Augen sehen. „Du hast es geplant.“ Es kostete viel Mühe, nicht über diese absurde Idee zu lachen. Sein Vater hatte keinerlei Einfluss auf sein Leben, geschweige denn Zugang zu seinem Terminkalender.
Fielding nickte und nippte nochmal. „Ich weiß, wir waren ... einander fremd geworden ... schon eine ganze Weile, aber ich wusste, dass du nach der Evolution wieder auf meiner Seite sein würdest. An meiner Seite. Ich wollte das so.“
Quent griff nach dem Scotch und nahm einen Schluck. Es war der einzige Weg, wie er nicht auf den Mann hier vor ihm losgehen würde. Noch nicht. Noch–
Zoë.
Er schüttelte den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen. Er schaute sich das schwere Glas in seiner Hand an, wo die Bilder und die Erinnerungen drohten wieder in seine Gedanken einzusickern. Zoë. Unmöglich. Aber er spürte sie. Fühlte ihre Präsenz.
Quent konzentrierte sich auf die weiße Wand ihm gegenüber, kämpfte gegen die Unmöglichkeit, den wirren Strom der Bilder, versuchte sein Gesicht ausdruckslos zu halten, den inneren Kampf zu verbergen, vor seinem allzu scharf beobachtendem Vater.
„Mein Sohn?“, sagte Fielding und unterbrach damit seine Gedanken. Schon allein der Klang dieser Anrede aus dem Mund von Fielding verursachte Quent Brechreiz und es hatte den weiteren Effekt ihm dabei zu helfen, wieder die Kontrolle zu erlangen. „Was ist mit dir? Erkennst du jetzt endlich, was ich für dich getan habe?“
Quent presste die Lippen zusammen und drückte die Augen ganz fest zu und nahm sich diesen Moment, um die Bilder genau zu prüfen. Kontrolliert. Guter Gott, es war Zoë – sie war hier gewesen. Vor kurzem. Freiwillig.
Rasch stürzte er den Rest des Getränkes aus seinem Glas hinunter. Die brennende Wärme schoss durch ihn hindurch und füllte seinen etwas wackligen Magen. Aber es nahm seiner neuen Erkenntnis nichts von ihrer Schärfe.
„Ich fühle mich geschmeichelt. Überwältigt“, schaffte Quent zu sagen. Er konzentrierte sich auf den beruhigenden Klang von fließendem Wasser und versuchte sich zu sammeln. Dann schaute er zu Fielding hoch, betete, dass der Schock und die Verwirrung nicht in seinen Augen stand und dass sein Vater dort sah, was er suchte – erwartete – zu sehen. Ehrerbietung. Oder zumindest Dankbarkeit. „Das hast du für mich getan?“
„Nicht nur für dich“, erwiderte ihm sein Vater. „Sondern für uns beide. Für mich, der den Weg aufzeigt, und für dich, der dann in meine Fußstapfen tritt. Der an meiner Seite steht.“
„Und du glaubst dafür gesorgt zu haben, dass ich in Sedona war.“ Quent mühte sich wieder in die Konversation reinzukommen.
„Du denkst doch nicht etwa, es war zufällig, dass du von dem verlorenen Anasazi-Schatz gehört hast? Ich habe es arrangiert, dass du davon zu hören bekommst und auch dafür, dass du die Dokumente erworben hast, von denen du geglaubt hast, sie würden dich dahin führen.“
„Du hast mich hinters Licht geführt?“
„Mithilfe deines Assistenten ... wie war noch sein Name? Trevor? Tracy?“ Fielding machte eine vage Handbewegung, ein Smaragdring blitzte im Licht auf. „Ich konnte mir seinen Namen nie merken. Aber er hielt mich über deinen Terminkalender auf dem Laufenden. Und andere relevante Informationen.“
„Warum wolltest du mich in Sedona haben?“
„Es ist ein Mekka der Energie, Quent. Sag mal. Selbst du weißt das. Und die Fusion der Erdenergie würde dann gelenkt und noch stärker werden, wenn die Erde sich während der Evolution physikalisch verändert. All diese Ley-Linien und Kraftzentren, die einander überschneiden und miteinander kämpfen. Ich wusste, da würde etwas passieren. Und jetzt sehe ich das Ergebnis.“
„Ich war ein Experiment.“
„Eines, das noch besser verlaufen ist, als ich es mir hätte vorstellen können. Denn du hast dich ja kein bisschen verändert. Bist du unsterblich?“, fragte er neugierig.
Quent machte sich nicht die Mühe zu antworten. Er wusste nicht, ob er Fielding glauben sollte. Aber wenn er das in Betracht zog, was er über den Mann wusste, dann nahm er an, es könnte was Wahres dran sein. Und wenn er nicht wissen müsste, was Zoë hier gemacht hatte, hätte er dieser grauenvollen Diskussion hier und jetzt ein Ende gemacht.
„Aber es macht nichts“, fuhr Fielding fort. „Ich lasse dich kristallieren.“
„Was tust du so? Womit füllst du deine langen, unsterblichen Tage?“, fragte Quent. „Fünfzig Jahre sind eine lange Zeit. Du hast alles.“
„Fast alles.“ Zum ersten Mal schien Fieldings Freude etwas erzwungen. „Die Frauen, das Essen, die Zerstreuungen. Nicht ins Büro gehen oder an irgendeiner Strategie-Sitzung teilnehmen zu müssen, vor den Vorstandsmitgliedern Rede und Antwort stehen zu müssen. Alles, was ich je haben wollte, alles mein. Für immer.“
„Ich habe den Golfplatz gesehen“, sagte Quent. „Wie oft ändert der sich?“
Fielding lächelte. „Das habe ich mir ausgedacht. Ich lasse ihn etwa alle vierzehn Tage neu gestalten.“ Er strich sich das Hemd glatt und Quent schaute nach dem Leuchten des Kristalls darunter. „Ich kann alles essen, wonach mir der Sinn steht, wann immer ich will. Ich kann jeden Tag – so oft ich darauf Lust habe – Sex haben mit so vielen verschiedenen Frauen, wie ich möchte. Das Leben ist luxuriöser, als du dir vorstellen kannst.“
„Das Gleiche Tag für Tag. Keine Herausforderungen, keine Veränderungen.“ Quent schüttelte den Kopf. „Es ist ja nicht so, als könntest du nach Paris jetsetten. Oder nach Tokio oder Tahiti. Die sind jetzt einfach scheißplatt gemacht. Was ist der Reiz?“
„Macht.“ Fieldings Lächeln schien bemüht. „Es gibt nichts Lohnenswerteres, Quentin.“
„Über was? Es gibt nichts mehr zu kontrollieren. Ein paar Tausend Menschen und einen vernichteten Planeten?“ Quent hielt mit dem Hohn nicht hinterm Berg. „Was ist denn das für eine Leistung? Du hast es verdammt nochmal alles in die Luft gejagt. Es nichts mehr übrig.“
„Ich muss dir widersprechen. Mekka, so nennen wir diese Stadt hier, hat alles, was ich mir wünschen könnte. Alles, was ich in Paris erlebt hätte, oder in Rom oder auf Moorea. Alles hier vor Ort: es wird mir gebracht, wird hier für mich wieder geschaffen.“
Quent erhob sich und begann im Zimmer umherzuwandern, wodurch er hoffte mehr über Zoës Besuch in Erfahrung zu bringen. Durch welche der drei Türen sie hereingekommen, durch welche sie hinausgegangen war; hatte sie sich hingesetzt, gestanden ... was könnte er erfahren? Er erinnerte sich daran, noch zu humpeln, und benutzte seine Waffe als Gehstock, so dass er sie immer bei sich hatte.
Ein Teil von ihm war bereit sie jeden Augenblick einzusetzen. Ein anderer Teil wollte Fielding zum Weitersprechen ermutigen, um zu sehen, was er erfahren könnte.
„Hast du Atlantis gefunden?“, fragte Quent, während er den Tisch berührte. Zoës Essenz sickerte sofort durch ihn durch. „Ist das der Weg an die Kristalle heranzukommen?“
„Ja, in der Tat. Die Kristalle kommen aus Atlantis.“
Diese gelassen ausgesprochene Feststellung weckte sein Interesse und Quent hielt inne. Wider Willen und trotz der Abneigung, die er für Fielding empfand, durchschoss ihn ein Schaudern. „Ihr habt Atlantis gefunden?“, sagte er und drehte sich um, um seinem Vater seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen. Sein Pulsschlag war jetzt am Limit und seine Neugier geweckt.
Die gleiche Erregung, die er spürte, war auch dem anderen Mann am Gesicht abzulesen. Ich habe nicht gesagt, dass wir Atlantis gefunden haben, nur dass es wirklich existiert. Es trifft die Sache genauer, wenn man sagt, Atlantis hat uns gefunden.“
In diesem Augenblick war Quents Hass für seinen Vater erst einmal vollständig versickert. „Es hat wirklich existiert? Atlantis? Was ist damit passiert? Bist du dort gewesen?“
Fielding schien die Begeisterung seines Sohns zu gefallen. „Ich wusste, dass von allen Leuten du meine Begeisterung und meinen Enthusiasmus dafür teilen würdest. Wenn wir uns doch nur nicht so lange Jahre fremd gewesen wären! Ich hätte dir gestattet den Ruhm mit mir und den anderen Mitgliedern des Inneren Kreises zu teilen.“
„Wir sind uns fremd geworden, wie du es so hübsch formuliert hast, weil du mich grün und blau geprügelt hast“, rief ihm Quent ins Gedächtnis zurück. „Und ich glaube keine einzige Sekunde lang, dass du den Ruhm mit irgendjemanden – geschweige denn mit mir – geteilt hättest.“
Fielding schüttelte den Kopf. „Aber Quent, du hast Unrecht. Ich musste dich in deiner Jugend formen und dafür trainieren, stark zu sein, damit du allen Herausforderungen des Lebens standhalten konntest. Mein Plan ist aufgegangen, wie du selbst sehen kannst. Sieh dich nur an! Wenn ich meinen Ruhm mit irgendjemandem teilen würde, dann wäre es mit meinem eigenen Fleisch und Blut. Nicht mit solchen Typen wie Remington Truth oder Liam Hegelsen. Selbst Liam weiß nicht, was ich weiß, begreift nicht so richtig, was Atlantis alles zu bieten hat.“
Quent musste es wissen. „Erzähl mir von ihnen. Den Atlantern. Ist Atlantis vom Grunde des Ozeans wieder aufgestiegen? Es gibt eine neue Landmasse im Pazifik. Hat das den Wechsel verursacht?“
„Dafür dass du nicht bei der Elite warst, bist du gut informiert“, antwortete Fielding mit einer Spur Überraschung im Gesicht. „Aber dann, du bist schließlich mein Sohn.“
Er erhob sich und ging auf Quent zu und kam schließlich neben ihm vor dem Glastisch zum Stehen, wodurch er ihm näher kam, als es in vielen Jahrzehnten der Fall gewesen war. Ein raffinierter Duft begleitete ihn: die Essenz des Wohlstands und guter Kleidung, schottischer Whisky ... und noch etwas, das fast unangenehm war. „Ich weiß, du hast viele Fragen. Und ich freue mich darauf, dir alles zu zeigen, was ich in den letzten zweiundsechzig Jahren erreicht habe. Und ja“, sagte er, „all das begann lange bevor die tatsächliche Evolution stattfand.“
„Wie hat es angefangen?“
„Ich werde es dir zeigen.“ Fielding lief zu der Wand neben einem der Wasserkanäle. Während Quent zuschaute, klappte er ein kleines Paneel auf und schien einen Code einzutippen. Dann schloss er die kleine Klappe und die Wand glitt auf.
Quent packte seine Gehstock-Waffe etwas fester und schlug mit dem anderen Fuß gegen den Stiefel mit der Schockpistole, um sicherzugehen. Alles war an Ort und Stelle. Ihm lief ein unangenehmes Kribbeln über die Schultern und er ging jetzt auf Fielding zu, die Anspannung machte, dass ihm der Puls raste. Er traute seinem Vater keine miesen drei Schritte weit – das hier konnte eine Art Falle sein, obwohl es nicht klar war, warum er zu solchen Mitteln greifen musste, da ja niemand wusste, dass Quent hier war. Aber es war wahrscheinlich nichts weiter als das, was es zu sein schien: Fieldings Gelegenheit mit seiner Macht und seinen Geheimnissen zu prahlen.
Und Quents Chance etwas mehr über die Leute zu lernen, von denen die Welt zerstört worden war.