VIERZEHN
Quent warf seinen ersten Blick auf Mekka durch große Bäume und sanft geschwungene Hügel hindurch. Aus dieser Distanz war sein erster Eindruck von der Stadt: alles war weiß, sauber und rein.
Was für eine Ironie...
Die gesamte Siedlung befand sich draußen im Ozean, genau wie Marley gesagt hatte. Sie hatte geschätzt acht Kilometer von der Küste. Aber als sie es sich ansahen, waren Fence und Quent sich einig, es waren nicht mehr als fünf. Weiße Wände umgaben die Stadt wie eine mittelalterliche Burg und ihren Burghof. Bunt zusammengewürfelte Dächer sowie ein paar rechteckige Türme bildeten unregelmäßige Spitzen. Einen Bergfried auf einem Hügel umgeben von Behausungen, die den Dienern gehörten, gab es nicht, obwohl es in der Mitte des Ganzen eine kleine Erhebung gab.
Die Anlage der Gemeinde von etwa vier Quadratkilometer dort beherbergte fünfzig bis siebzig der einflussreichsten Elitemitglieder, darunter auch der Innere Kreis. Sie lebten dort mit ihren Dienern, von denen es mehrere Hundert gab und – von dem, was Quent wusste – waren nicht alle von denen auch Menschen, die man in die Falle gelockt, entführt oder sich als Sklaven herangezüchtet hatte. Durch Kopfgeldjäger oder andere kristallierte Sterbliche.
Die Elite verließ, wenn überhaupt, nur selten die Siedlung, weil sie es – wie Marley es ausdrückte – vorzog sich sicher außer Sichtweite zu halten und so auch nicht Gefahr liefen, durch nicht-weiterentwickelte Menschen kontaminiert zu werden. Während der Großteil ihrer Nahrung woanders angebaut wurde und durch Kopfgeldjäger, durch KS und ein paar Sterbliche herangeschafft wurde, wurden bestimmte Luxusgüter – Kakao und Kaffeebohnen zum Beispiel, ebenso wie Seidenraupenzuchtstationen – nur auf der Insel selbst produziert.
Ein langer Steg oder Brücke verband die Siedlung mit dem Festland. Am Ufer, auf dem weder Gebäude noch Vegetation zu sehen waren, befand sich ein Haus der Wachtposten. In einem schlichten Kino hatte es mehr Sicherheitsvorkehrungen gegeben. Damals. Als es noch Kinos gab, dachte Quent bei sich. Hier gab es nur ein einziges Häuschen und einen langen, schwimmenden Steg. Es schien seltsam offen und ungeschützt. Aber Marley hatte ihm versichert, dass niemand zur Siedlung hinüber gelangte, ohne vorher überprüft zu werden. Abgesehen davon lebten laut ihren Angaben Haifische in den Gewässern um die schwimmende Siedlung. Man hielt sie mittels einer Art Sonarapparat in der Nähe, der dort unter Wasser Signale aussandte. Die angriffslustigen Haie waren dazu angehalten, alles und jeden dort im Wasser anzugreifen. Weswegen die Boote, die genehmigte Ladung zur Insel brachten, mit speziellen Kristallen ausgestattet waren, die Signale an die Haie sandten, um sie auf Abstand zu halten. Jedes andere Boot – oder auch Person – würde die Bestien anlocken und in Stücke gerissen werden.
Als sie näher heranritten, fiel Quent auf, wie viel stiller Fence zu werden schien. Weniger Witze und Kommentare, und sein nackter Schädel glänzte vor Schweiß.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte Quent, dem klar wurde, sein eigener Puls war gerade schneller geworden. Jetzt ging es los.
„Die Brücke sieht verflucht instabil aus“, erwiderte der schwarze Kerl. „Wie das so auf dem Wasser schwimmt.“
„Marley sagt, außer einem geschützten Boot sei das der einzige Zugang zur Insel und davon weg.“
„Die Mauern sind nicht sonderlich hoch“, fuhr Quent fort. „Könnten einfach wegkrachen. Ins Wasser runter. So wie das Ganze mit den Wellen schwankt.“
„Es scheint nicht sehr sicher zu sein“, stimmte ihm Theo zu. „Aber da kommen gerade ein paar Pferde drüber gelaufen und es scheint okay zu sein.“
Fence schnaubte und verfiel dann wieder in Schweigen, als sie sich einer Gruppe dicht stehender Bäume näherten. Der Anblick von Mekka war nun vollständig verdeckt vom Waldrand und von einer alten Tankstelle.
„Hier ist ein guter Rastplatz“, sagte Quent, der zum Halten kräftig an der Mähne seines Pferdes zog. „Ich habe eine kleine Änderung im Plan.“
„Kommt nicht in die Scheißtüte“, sagte Theo. „Wir haben das alles abgesprochen und du wirst das hier jetzt nicht vermasseln.“
Quent schüttelte seinen Kopf. „Sorry. Besondere Umstände.“ Aber es tat ihm überhaupt nicht Leid. Er sah keinen Sinn darin, dass Theo und Fence sich auch noch den Arsch frittieren ließen. Für seine Todesmission. Und abgesehen davon sah Fence aus, als wäre ihm mehr als nur ein bisschen übel.
„Wir werden das hier jetzt so machen. Ich gehe da runter und dann rein – ich habe die besten Chancen, denn Fielding wird einfach nur in Schock sein wegen meines unerwarteten Erscheinens. Warum sollte nicht auch er angenommen haben, ich wäre wie all die anderen ebenfalls vor fünfzig Jahren gestorben? Aber wenn ich getan habe, was ich tun muss, stehen die Chancen für mein Rauskommen echt Kacke. Die werde mich wohl kaum einfach davonspazieren lassen, wenn er tot ist.“
„Ja, das haben wir diskutiert“, sagte Theo kurz angebunden. „Aber–“
„Die Umstände sind anders“, sage Quent und schnitt ihm das Wort ab.
„Seit wann?“
„Seit heute Morgen. Ich hatte einen Besucher.“ Er warf ihnen einen ernsten Blick zu. „Hört mir einfach erst mal zu. Ich rechne nicht damit, da wieder rauszukommen, und es gibt jemand, um den man sich kümmern muss, falls ich demnächst dahinscheiden sollte.“
„Zoë?“
Quent fragte nicht nach, woher Theo von ihr wusste. Elliott, vermutete er mal. „Für den Fall dass sie schwanger ist – was möglich ist –, muss sich jemand um sie kümmern. Hinter ihr sind Scheißkopfgeldjäger her. Sie lebt alleine. Sie reitet jede Nacht aus und jagt Zombies.“
„Hey, Mann, du musst da nicht rübergehen. Vielleicht finden wir einen Weg Fielding da raus zu locken? Wenn er wüsste, dass du hier bist, würde er kommen.“
Kopfschüttelnd unterbrach Quent Fence. „Nein, er würde nur seine Männer auf mich hetzen und ich würde es eventuell nicht lebend schaffen, ihn zu sehen. Wer weiß, vielleicht will er mich lieber tot sehen als lebend. Und außerdem wäre in dem Fall das Überraschungsmoment hin.“ Er setzte sich auf dem etwas unruhigen Pferd zurecht. „Und ich muss das hier tun. Ich hätte es schon vor sechzig Jahren tun sollen, dann wäre vielleicht nichts von all dem hier passiert.“
Theo schnaubte wütend. „Tut mir Leid, dir das hier zu sagen, Superheld. Aber dein Vater war nicht der einzige Kerl mit seinen Fingern im Spiel. Sein vorzeitiges Dahinscheiden hätte keinen Unterschied gemacht.“
„Es hätte für mich einen Unterschied gemacht.“ Quent rieb sich mit der Hand über das Gesicht. „Fence, du musst für mich hier bleiben. Versprich mir, dass du Zoë findest, wenn ich da nicht wieder rauskomme, und dass du dich um sie kümmerst. Selbst wenn sie nicht schwanger ist. Ich muss einfach wissen, dass jemand ein Auge auf sie hat. Okay?“
„Du willst also da hineingehen und weißt, dass du vielleicht ein Kind hinterlässt?“
„Ich gehe da nicht rein und möchte sterben, Hölle nochmal. Ich würde verflucht gerne auf der anderen Seite wieder rauskommen. Ich weiß, die Möglichkeit, dass ich das nicht schaffe, besteht durchaus, aber das hier muss erledigt werden. Und ich bin derjenige, der es erledigen kann. Aber ich werde besser bei der Sache sein, wenn ich weiß, dass sie in Sicherheit sein wird. Alles klar?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, gab er Fence eine Beschreibung, wie man zu Zoës Versteck gelangte. „Sie benutzt es als ihre Basisstation. Irgendwann wird sie dort aufkreuzen.“ Wenn sie nicht von einem Kopfgeldjäger gefangen genommen wird.
Bei dem Gedanken schloss Quent erneut die Augen und öffnete sie dann wieder. „Kann ich mich auf dich verlassen, Fence? Oder wie auch immer du in echt heißt.“
„Bruno. Aber ja, Kumpel. Kannst dich drauf verlassen.“ Fence streckte seine Pranke aus und Quent schüttelte sie. Zumindest das war eine Sache weniger, um die er sich Sorgen machen musste.
„Das war die einzig andere Sache, die ich vor meinem Tod noch bereut hätte“, witzelte Quent mit einem trockenen Lächeln. „Hatte Angst, ich würde deinen echten Namen nie erfahren. Das und dann wie du zu so einem bescheuerten Spitznamen wie Fence gekommen bist.“ Er schaute ihn an. „Danke.“
„Kein Problem“, erwiderte Fence mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Und die Geschichte erzähle ich dir auf der anderen Seite.“
Quent glitt von seinem Pferd herunter und nahm seine Tasche. „Ich möchte, dass ihr jetzt geht, damit ihr für den Fall, dass irgendwas passiert, schon weit weg seid. Ich habe keine Ahnung, was für einen Empfang man uns da bereiten wird.“
Fence schaute ihn recht lange an, nickte dann. „In Ordnung. Ich bin dann weg.“ Er wandte sich Theo zu. „Pass auf dich auf, Kumpel.“ Und er war weg.
Theo nickte und schaute zu Quent. „Du lässt mich also mit reingehen?“
„Nein.“ Quent hielt die Hand hoch, um jedes weitere Argument abzuwehren. „Lou braucht dich und die Widerstandsbewegung auch. Aber ich möchte, dass du meine Deckung bist. Für den Rückzug. Bleib einfach hier und wenn mir alles gelingt, feuere ich diese Leuchtraketenpistole ab. Dann kannst du–“
Quent kam nie dazu, seinen Satz zu Ende zu sprechen, denn auf einmal tauchten vier Leute von hinter den Bäumen auf und umzingelten sie. Bevor er reagieren konnte, sah Quent Fence – zu Fuß und mit einer Pistole auf seine Schläfe gerichtet –, wie er von einem fünften Mann grob aus den Büschen gelotst wurde, der fast ebenso riesig war wie sein Gefangener.
„Was zum Teufel ist hier los?“, sagte Quent. Sie hatten nichts Verdächtiges getan. Ja, waren nicht einmal in die Nähe des Wachhäuschens gekommen. „Sind wir hier auf privatem Grund und Boden oder was?“, fragte er und merkte, wie seltsam das klang.
Ein Mann mit langen blonden Dreadlocks und einer tiefgebräunten Haut lächelte, seine Zähne weiß und schief. Vor seiner Lederweste hielt er, die Arme verschränkt, locker eine Pistole. „Nein, seid ihr nicht. Aber du hast mich gerade zum glücklichsten aller Männer gemacht.“
Ein merkwürdiges Kribbeln lief Quent den Rücken hinunter. „Was meinst du damit?“ Er blickte zu Theo, dessen Hand sich gerade an die Schockpistole in seiner Hosentasche herantastete. Aus der Distanz hier würde es nicht viel helfen, aber es war besser als nichts. Seine eigene Pistole befand sich hinten in seiner Jeans und er bewegte langsam die Hand hoch zu seiner Hüfte. Je näher, desto besser.
„Ich habe es ja nicht für möglich gehalten“, sagte der Typ mit den Dreadlocks. Als er näher herantrat, sah Quent die Narbe auf seiner linken Wange, die sich bis zum Kinn runterbog. „Aber hier stehst du vor mir. Leibhaftig. Quent Fielding.“
Woher zur Scheißhölle wusste der Kerl seinen Namen? Das seltsame Kribbeln an seinem Rücken wurde zu einem schweren Klumpen in seinem Magen. „Nun, du bist hier also im Vorteil“, erwiderte er gelassen, obwohl es in seinem Kopf fieberhaft arbeitete.
„Tut mir so Leid. Nun, eigentlich eher nicht“, antwortete der Mann. Dann rückte er die Schusswaffe in seinen Armen zurecht. „Warum zum Teufel nicht? Es ist kein Geheimnis. Seattle, so mein Name.“
Quent fühlte sich, als habe man ihn in die Magengrube geschlagen. Seattle. Es konnte kein Zufall sein, dass der Kopfgeldjäger, mit dem Zoë „sich geprügelt“ hatte, hier aufgetaucht war, als hätte er ihn erwartet. Und wusste seinen Namen.
Es schmeckte wie Sägemehl in seinem Mund. „Wo ist sie?“, sagte er und ging auf den Kopfgeldjäger zu. „Was hast du ihr angetan?“
Seattle hob die Pistole an und zielte damit auf Theo. Nicht auf Quent, was so einiges verriet. „Keinen Schritt weiter oder ich puste ihm den Kopf weg. Er ist nichts wert.“
Quent anscheinend schon. Wie zum Teufel hatte dieser Kerl rausgekriegt, wer er war? „Was hast du ihr angetan?“, fragte er noch einmal, sein Herz hämmerte so heftig, dass seine Finger zitterten. Er hätte sie niemals gehen lassen sollen. Er hätte sie zwingen sollen zu bleiben.
Seattle lächelte und ließ dabei Zähne sehen, die aussahen, als hätte man sie oben mit Fäusten nach innen geschlagen. „Ich habe gar nichts getan. Sie ist auf ihren eigenen zwei Beinen davonspaziert, nachdem sie bekommen hat, was sie wollte. Wenn du mich fragst, hat sie die Arschkarte vom Deal bekommen, aber hey, weiß man’s?“ Er winkte und zwei der Männer kamen jetzt auf Quent zu. „Kommt sie nicht zurück, habe ich dich. Kommt sie zurück, habe ich dich und was sie sonst noch angeboten hat.“
Er war so schockiert von den Worten des Kopfgeldjägers, dass Quent eine Weile brauchte, um zu reagieren. Er streckte die Hand nach der Pistole, aber bevor er sie ganz zu fassen bekam, fuhr eine Peitschenschnur scharf durch die Luft und schlang sich um seine Beine. Als Nächstes war er schon am Boden und die Pistole war ihm entglitten. Aber er fing sich wieder ein und rollte sich schnell auf den Rücken, wobei er die Knie wie zum Sitzen an sich zog. Als einer seiner Angreifer über ihn herfiel, trat er nach ihm und schleuderte ihn durch die Luft wie ein kleines Spielzeug.
Als Quent rasch wieder auf die Füße kam, seinen zweiten Angreifer abstreifte, erklang ein Schrei, gefolgt von einem Schuss. Quent erstarrte und sein Blick kreuzte den von Seattle, der einmal hart nickte, als er hinter ihn schaute. „Sieh dir nur an, was ich wegen dir tun musste.“
Quent wirbelte herum. Theo lag auf dem Boden. Bewegte sich nicht. Als er anfing auf ihn zuzugehen, sah Quent den roten Fleck, der sich auf dem Hemd seines Freunds rasch ausbreitete. Aber bevor er bei ihm anlangte, ließ ihn das Geräusch eines Revolverhahns innehalten.
Der Mut schwand ihm, als Quent rüber zu Fence blickte, der – festgehalten von dem breiten Mann da – immer noch aufrecht stand. Der Mann mit der Pistole, bei der man gerade den Hahn gespannt hatte. Direkt neben seinen Augen. Ihre Blicke trafen sich und Fence schüttelte langsam den Kopf.
Wut ließ ihn ganz kalt werden und Quent drehte sich wieder zu Seattle um. „Ich komme mit dir mit, wenn du sie gehen lässt.“
Der Kopfgeldjäger grinste höhnisch. Er erinnerte Quent an ein Kind kurz vor seiner Collegezeit – groß und schlaksig, der sich unglaublich wichtig vorkam und nur dumm war. Wenn Franklin Dover sich Dreadlocks hätte wachsen lassen und seinen bleichen Hintern gebräunt hätte, würde er so ziemlich genau wie dieser Kopfgeldjäger hier aussehen.
Quent zuckte mit den Achseln. „Du erschießt ihn“, und er machte eine Geste zu Fence, „und du hast überhaupt kein Verhandlungsspielraum mehr, was mich betrifft. Es ist mir scheißegal, ob ich krepiere. Und tot bin ich für dich einen Dreck wert.“ Er ignorierte alle dort, als er zu Theo ging und neben ihm niederkniete.
Scheiße. Er war in schlechter Verfassung. Quent verbarg sein Entsetzen und versuchte einen Weg zu finden, um die Blutung etwas zu stillen, die aus der Wunde in der Brust austrat. Wahrscheinlich die Lunge. Zu weit oben für das Herz. Hoffte er. Als er sich hinkniete und dabei sein Hemd für einen Verband in Streifen riss, glitt Quent mit seiner Hand in Theos Hosentasche und holte sich heimlich die Schockpistole raus, die er in seinem Stiefel verschwinden ließ.
„Ich werde kooperieren, wenn du sie gehen lässt. Er muss medizinisch versorgt werden und glaub mir, sollte er sterben“, sagte Quent zu Seattle, „wird man Jagd auf dich machen.“
„Sehe ich aus, als würd’ ich mich da drum scheren?“, erwiderte Seattle. „Die können Jagd auf mich machen, so viel sie wollen, wer auch immer die sind, aber es wird ihnen nichts nützen.“ Quent konnte das Nääh Nääh Nääh bei Seattles Verhöhnung fast mithören.
Als die Schockpistole bequem an seinem Knöchel anlag, stand Quent auf. „Lass sie gehen und ich spiele brav mit. Falls nicht, werde ich mir den Weg hier raus erkämpfen und du hast rein gar keine Verhandlungsmasse mehr.“
Seattles Gesicht wurde hart, was die Narbe an seinem Kinn noch länger machte, aber er musste kapiert haben, dass er hier keine Wahl hatte. Quents überlegene Kraft und Verhandlungsposition gaben ihm die Oberhand hier. Fürs Erste.
Der Kopfgeldjäger nickte dem breiten Kerl, der Fence in seiner Gewalt hatte, kurz und heftig zu und die Pistole wurde gesenkt. Fence warf Quent einen bedeutungsvollen Blick zu – Wollen wir die Dreckskerle vermöbeln? –, aber Quent schüttelte nur kurz den Kopf.
Theo brauchte Hilfe und es galt keine Zeit zu verlieren. Die Chancen ihn rechtzeitig nach Envy zurückzubringen standen miserabel, aber zumindest könnte Fence es versuchen. Und zumindest würde Lou dann Theo wiedersehen können.
Und außerdem, wenn Seattle vorhatte Quent für ein Kopfgeld – vermutlich bei Fielding – einzutauschen, dann würde das ihn näher ans Ziel bringen: nach Mekka hinein zu gelangen. Und von dort aus könnte er es dann selbst erledigen.
„Ich will, dass die alle hier bleiben“, sagte Quent mit einer Handbewegung zu Seattles Männern. „Während meine Begleiter gehen.“
„Wer hat hier das Sagen?“, sprach der Kopfgeldjäger mit einer Stimme, die sich recht weinerlich anhörte.
„Ich“, sagte Quent mit einem bitterernsten Lächeln zu ihm. Warte erst ab, wenn sie weit genug weg sind. Dann wirst du wirklich sehen, wer hier das Sagen hat. Blöder Wichser.
Fence wartete nicht weiter ab. Er eilte rüber und hob Theo mit seinen wuchtigen Armen mühelos hoch und ging dann in den Wald hinein, wo vermutlich sein Pferd noch stand. Sein letzter Blick zurück zu Quent wünschte diesem Glück und Entschlossenheit.
„Also dann“, sagte Quent ein bisschen später. „Was jetzt?“
„Komm mit mir“, sagte Seattle, jetzt deutlich weniger der Maulheld wie vorher. Als er das bemerkte, spurte einer seiner Handlanger anscheinend nicht schnell genug, denn der Kopfgeldjäger hob seine Waffe und drückte ab. Nicht das geringste Zögern.
Quent drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um den Mann zu Boden fallen zu sehen. Noch so ein Volltreffer. Dieser hier genauso tödlich wie der in Theos Brust.
„Nicht gerade der beste Weg das Personal bei Laune zu halten“, kommentierte Quent trocken.
Jetzt da er wieder klar gemacht hatte, wie groß sein Schwanz war, brüllte Seattle im Kommandoton. „Fesselt ihn.“ Diesmal spurten seine Männer sofort. Zwei von ihnen eilten herbei, um Quents Hände hinter seinem Rücken zusammenzubinden, und er ließ es zu, denn er wusste, das Endergebnis war genau das, was er wollte. Sie klopften ihn ab, überprüften all seine vielen Taschen, aber – dummerweise – nicht seine Stiefel.
Als Nächstes wurde etwas Dunkles und Muffliges grob über seinen Kopf gestülpt und damit war der Startschuss gefallen.
. . .
Was für ein verfickt-beschissener Ort dieses Mekka doch war.
Zoë fühlte sich allein dadurch, dass sie dort in dem engen Raum zwischen zwei Gebäuden stand, schon erdrückt und eingeengt. Und dieses Gefühl hatte nichts damit zu tun, dass sie auf der holprigen Reise über Wasser in einen Behälter mit Wolle eingezwängt gewesen war.
Verfluchtes Schwein, dass sie keinen schwachen Magen hatte. Oder sie hätte gekotzt und den kratzigen, stinkenden Scheiß ganz sicher ruiniert. Sie hoffte nur, dass die dieses Zeug wuschen, bevor sie daraus Kleider machten oder niemand würde das tragen wollen. Und sie würde noch eine Woche nach Schaf stinken.
Die zwei Gebäude erhoben sich rechts und links von ihr, das Weiß davon machte fast blind. Alles sah gleich aus – glatt, weiß und rechtwinklig. Außer in Bodennähe, wo das Weiß ein bisschen schmutzig und fleckig geworden war.
Von weit weg sah die Stadt wie ein perlmuttartiger, wunderschöner Ort aus. Aber aus der Nähe zeigten sich der Schmutz und die Scheiße unter der Oberfläche. Genau wie alles andere auch.
Wasser rauschte da hindurch, in Kanälen an den Fußwegen entlang, und ergoss sich über Rutschen oder in Form von Wasserfällen von höheren Ebenen. Und da sie Marley Huvane getroffen hatte, verstand sie auch warum. Wie Bilder von den verlorenen Gärten Babylons, so hing Efeu von jeder Ebene an vielen der Gebäude herunter. Ab und an fanden sich rote, rosa und gelbe Blüten auf einem Balkon oder entlang der Kanäle. Aber abgesehen davon gab es sehr wenig organisches Wachstum. Nur weiß, glatt und makellos. Eine beschissene Gruselkammer.
Als sie sich einen weiteren Fusel der verdammten Wolle von ihrem Hemd pflückte, entfernte Zoë sich schnell vom Verladeplatz am Hafenbecken auf der nördlichen Seite der Stadt außer Sichtweite von der Küste. Niemand schien ihr viel Beachtung beizumessen, denn im Hafen hier herrschte so reges Treiben, wie sie es in Filmen immer gesehen hatte. Eine Menge Dinge standen rum, Leute luden Kisten von den Booten ab, brüllten und schrien Befehle.
Mit ihrem Bogen über der Schulter und ihrem Köcher immer noch am Rücken wusste Zoë: sie hatte nur wenig Zeit hier wegzukommen, bevor sie dann doch noch jemanden auffiel. Sie hielt die Augen gesenkt, wenn sie an Passanten vorüberging, und packte ihren Bogen fest mit der Hand.
Um Quent machte sie sich keine Sorgen. Er könnte nicht sicherer sein als mit Seattle, der das wertvolle Lösegeld mit seinem Leben beschützen würde – bis Quent ihm entkam, was unvermeidlich war. Seattle konnte Quent intelligenzmäßig nicht das Wasser reichen. Ebenso wenig an Kraft und bei den kühlen Nerven. Weswegen sie eben Seattle ausgesucht hatte und nicht Ian Marck.
Und wenn es Quent dann doch nicht gelingen sollte zu entfliehen, hatte sie einen Plan B, der Seattle ebenso glücklich machen würde. Alles, was sie hatte tun müssen, war Remington Truth zu erwähnen, und er hatte über den ganzen, von ihr vorgeschlagenen Deal geradezu gesabbert.
Aber jetzt brauchte Zoë einfach erst ein bisschen Zeit, einen Aufschub. Das würde ihr die Gelegenheit bieten zu tun, was sie tun musste.
Als sie nach dem Gebäude mit den roten Vierecken darauf suchte, hielt sie sich die Hand über die Augen wegen der brennenden Sonne. Sie hatte das Richtige getan. Ganz klar hatte sie das Richtige getan.
Quent wäre in Sicherheit und er würde das Risiko nicht auf sich nehmen müssen.
Er würde nicht mit der Entscheidung leben müssen.
Sie fand das Gebäude mit den roten Vierecken, die das Dach einrahmten, und ging darauf zu, eine schmale Straße hoch und eine andere wieder runter. Jetzt, da sie weiter vom Hafen entfernt war, waren die Durchgangsstraßen hier ruhig, nur gelegentlich ein Passant. Zoë kam an einem verglasten Gebäude vorbei, das aussah, als wären darin nur Pflanzen. An einer anderen Straße lag ein kleiner Garten, wo drei junge Leute in der Sonne die Beete rechten und Unkraut pflückten. Die Stadt war geisterhaft still und schien fast zu schlafen. Gar nicht so wie Envy, wo Leute die ganze Zeit in den bewohnbaren Teilen davon unterwegs waren und das Geräusch von Stimmen und spielenden Kindern ständig die Straßen erfüllte.
Sobald sie den Fußweg zu Fieldings rotgekacheltem Haus gefunden hatte, hielt sie kurz inne und schaute hoch. Ihre Handflächen waren ein wenig feucht und sie packte ihren Bogen fester. Das Haus sah wie eine oben flach abgeschnittene Pyramide aus vier Stockwerken aus. Eine kleine Grünanlage, sauber gestutzt und kurz geschnitten, bildete zwei kleine Rechtecke vor dem Eingang hinter einem großen Tor.
Sie näherte sich mutig den beiden Wachtposten. „Sagt Fielding, dass Raul Marcks Killer hier ist, um mit ihm zu sprechen. Und zwar zackig.“
Einer von ihnen starrte sie mit offenem Mund an, während der andere zu einer Apparatur griff, die wie ein altes Telefon aussah. Zoë hatte einen Pfeil angelegt und sie hielt ihren Bogen bereit, aber auf den Boden gerichtet. Sie wartete, während der Wachmann leise in den Hörer sprach.
Endlich legte der Wachmann den Hörer auf und sagte, „er will dich sehen.“
Zu ihrer Überraschung verlangten sie von ihr nicht ihre Waffen zurückzulassen. Aber dann: was konnten Pfeil und Bogen einem Elite schon anhaben?
Der Wachmann schickte sie den Fußweg hoch, wo die hohe Doppeltüren sich öffneten, als sie näherkam. Sie waren aus massiven Glasstücken gemacht, gefasst in Silber, und dahinter konnte sie den glatten Marmorboden und ein großes Foyer sehen.
„Folgen Sie mir“, sagte ein in Weiß gekleideter Mann mit farblosem Haar und blassen, blaugrauen Augen. „Mr. Fielding erwartet Sie.“
Wenig später fand sich Zoë allein in einem großen Zimmer wieder. Natürlich weiß. Grundgütiger Kack, hatten die Fremden ein Problem mit den Pigmenten? Oder versuchten sie sich einfach von ihrer eigenen Reinheit und Unschuld zu überzeugen? Das Geräusch von rauschendem Wasser fing allmählich an ihr auf die Nerven zu gehen.
Unruhig lief sie in dem Raum umher, strich mit der Hand über den blitzblanken Glastisch, in den Seemuscheln eingearbeitet worden waren, schaute sich einen Kristallkrug voll Wasser mir den passenden Gläsern dazu an, der auf einem durchsichtigen Tablett stand.
„Sie behaupten also Raul Marck getötet zu haben. Ich habe gehört, es war sein Sohn, der für die Tat verantwortlich zeichnet.“
Die Stimme überraschte sie. Ihr vertrauter Akzent, ein bisschen abgehackter und formeller als Quents, machte, dass ihr das Herz etwas lauter schlug. Und als sie sich umdrehte, um Parris Fielding anzusehen, verdrehte sich Zoë kurz der Magen.
Auf den ersten Blick sah er Quent viel zu ähnlich. Groß, aber nicht so breit und muskulös. Eleganter, überaus gepflegt und vielleicht zwanzig Jahre älter. Sehr attraktiv, gekleidet in eine schiefergraue Jacke und passende Hose. Ein schwarzes Hemd, am Hals aufgeknöpft. Blitzblank polierte, schwarze Schuhe. Einen Gehstock in der Hand, den er nicht nötig zu haben schien.
Er war nicht alleine. Drei wunderschöne Frauen, alle in bodenlange silberne Gewänder gekleidet, die auf ihre Körper gemalt zu sein schienen, betraten mit ihm das Zimmer. Eine dunkelhäutige Dunkelhaarige an seinem Arm, eine Dunkelblonde und eine Platinblonde, die hinter ihm hereinschwebten. Hinter ihnen her kam noch ein junger Mann mit lockigem, kupferfarbenem Haar. Er trug ein glänzendes, weißes Hemd, halb aufgeknöpft, und eine dunkle Hose. Er war barfuß. Ein Kristall leuchtete schwach auf seiner rechten Seite durch das dünne Material seines Hemdes.
Zoë konzentrierte sich auf Fielding. „Ian behauptet Marck getötet zu haben? Und woher hat er, was glauben Sie denn, sich endlich ein paar Eier beschafft, um das zu tun? Ich war das.“
„Sie sind hergekommen, um damit anzugeben? Ich frage mich wozu?“, Fielding spazierte gemächlich weiter ins Zimmer hinein. Die Frau an seinem Arm schaute anbetungsvoll zu ihm auf, aber er beachtete sie gar nicht. „Sind Sie vielleicht hergekommen, um mich um Vergebung zu bitten? Dafür, meinen besten Kopfgeldjäger kaltgestellt zu haben?“
Zoë schaute ihm in die Augen. Sie waren nicht wie Quents, obwohl sie auch die gleiche braunblaue Farbe hatten. Die von Fielding waren distanzierter. Da war kaum ein Funken Neugier zu sehen.
Mit dem Arm an ihrer Seite spürte sie die schwere Waffe aus Metall, die unter ihrer weiten Hose hing, von der Hüfte bis zum Knie. Sie könnte sie binnen Sekunden aus ihrer Tasche ziehen und in der Hand haben. Es war ihr auch egal, ob es Zeugen gab. Fieldings Begleiter schienen alle einen seltsam leeren Gesichtsausdruck zu haben. Und abgesehen davon hatte sie ja noch Pfeil und Bogen bei sich.
Aber auf welcher Seite hatte der Mann denn den Kristall sitzen? Zur Hölle verflucht nochmal. Das Kristall von dem jungen Mann befand sich rechts. Und Zoë erinnerte sich, dass der von Marley links gewesen war. Hing das mit dem Geschlecht zusammen? Oder war es beliebig? Shit. Sie konnte nichts tun, bevor sie sich nicht sicher war.
„Bitte, setzen Sie sich“, bot Fielding ihr an und zeigte auf ein langes, weißes Sofa. Die zwei Schwebe-Frauen nahmen sein Angebot an und ließen sich darauf nieder. „Es war ein fürchterlich anstrengender Tag und ich verspüre keine Lust noch länger zu stehen.“
Aus irgendeinem unerfindlichen Grund fand die Platinblonde diese Bemerkung witzig und sie kicherte. Fielding tätschelte ihr über den Kopf, als er hinter das Sofa ging. „Ja, in der Tat, Leila, du warst mir sehr behilflich bei der Jagd nach meinen Golfbällen. Ich wäre noch erschöpfter, wenn ich dich nicht da rumrennen gehabt hätte. Auf Knien und Händen.“
Zoë sah fasziniert zu, wie Fielding zu dem schönen, jungen Mann hinüberging und dessen Hemdkragen zurechtrückte und ihm dann recht intim die Brust tätschelte. „Viel besser. Wenn du es nach meinen Anweisungen hättest bügeln lassen, hättest du mich nicht so wütend gemacht.“
„Es wird nicht wieder vorkommen“, erwiderte der Mann.
Dann sah er wieder zu Zoë und breitete seine Hände verzweifelt aus. „Wenn ich ihnen nicht helfen würde, wären sie einfach zu nichts nütze.“ Er strich sich mit den Händen über die Hose und stemmte sie dann in die Hüften, wobei er die Jacke, die er trug, nach hinten zog. „Was ist denn nun der Zweck Ihres Besuchs? Sie unterbrechen meine Nachmittagsmassage.“
„Und deine Maniküre.“
„Und dein Treffen mit Liam“, sagte die dunkelhaarige Frau. Sie hing immer noch an Fielding, während er sich durch das Zimmer bewegte, als wüsste er gar nicht, dass sie ihm am Arm hing.
„Oh, verdammt. Liam. Der Mann kann keine Entscheidung fällen, selbst wenn sein Leben davon abhinge“, sagte Fielding. „Wenn ich nicht hier wäre, ... ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es hier sonst aussähe. Dreckig, alles heruntergekommen, kaputt, desorganisiert.“ Er schüttelte kummervoll den Kopf und Zoë ging da urplötzlich auf, dass er nicht scherzte. „Es bin immer ich, der einen Plan hat, der den Plan in die Tat umsetzt. Alle warten einfach immer nur darauf, dass ich ihnen sage, was zu tun sei.“
„Das muss eine schreckliche Last sein“, sagte Zoë und versuchte verzweifelt nicht sarkastisch zu klingen. Sie war sich nicht sicher, ob es ihr gelang, als Fielding sie daraufhin scharf anblickte.
Seine Augen waren jetzt kalt. „Sie verschwenden meine Zeit. Was wollen Sie?“
„Ich möchte mit Ihnen alleine sprechen“, sagte sie zu ihm.
Er hob eine Augenbraue. „Ach wirklich? Und warum – glauben Sie – würde ich einer solchen Forderung zustimmen?“
„Weil“, sagte Zoë, „Sie offensichtlich der intelligenteste Mann in Mekka sind und ich weiß, ich könnte Ihnen helfen. Sie wollen sicherlich nicht, dass alle hier von Ihrer Geheimwaffe erfahren.“
Er schürzte die Lippen. „Ich brauche niemandes Hilfe.“
Zoë hob lediglich die Augenbrauen. „Wenn der Rest Ihrer Leute so inkompetent ist wie dieser Typ Liam und wie Raul Marck, dann brauchen Sie meine Hilfe ganz sicher.“
Fielding betrachtete sie einen langen Moment lang, dann machte er eine scharfe Bewegung mit dem Kinn. Ohne ein weiteres Wort standen die drei Frauen und der junge Mann auf und verließen den Raum.
„Hm, das war ja ein ziemlich guter Trick“, sagte Zoë. Das Herz schlug ihr jetzt schneller. Wenn sie nur herausfinden könnte, wo sein Kristall saß, war das ihre Chance.
„Du verschwendest meine Zeit“, sagte er grob. „Du hast zwei Minuten, du schlecht-erzogene Schlampe. Der einzige Grund, warum ich dich noch nicht den Haien zum Fraß vorgeworfen habe, ist, weil du behauptest Raul Marck getötet zu haben. Ich wollte ihn seit über fünf Jahren tot sehen, also kann ich nur annehmen, du hast etwas Lohnenswertes. Aber verschwende meine Scheißzeit nicht. Sag verdammt nochmal, was du hast.“
„Raul Marck war ein Stück gequirlte Scheiße. Ich habe dir weiteren Ärger mit ihm jetzt erspart. Ich bin ein Meisterschütze mit Pfeil und Bogen.“
„Und wie könnte mir dein Talent mit Pfeil und Bogen nützen?“ Er ging durch das Zimmer zu einem hüfthohen Wasserkanal und ließ seine Finger darin spielen. „Und warum willst du mir helfen?“
„Ein Mann wie du braucht einen Meuchelmörder, von dem niemand was weiß.“
Wenn er seine Jacke abnahm, könnte sie vielleicht sehen, auf welcher Seite der Kristall leuchtete. Wie zum Teufel würde sie ihn dazu bringen, das zu tun? Verdammt. Sie hatte nicht mit dieser Art von Katz-und-Maus-Spiel um den scheißheißen Brei gerechnet. Dafür taugte sie nicht. Auch mit dem Männchenmachen hatte sie so ihre Probleme.
„Ich werde einen Nachweis für deine Fähigkeiten brauchen, bevor wir irgendetwas weiter diskutieren.“
Zoë nickte. „Klar.“
Fielding schaute sie da sehr lange an und sie fühlte sich, als würden ihr hundert Spinnen das Rückgrat raufkriechen. Keinen Hauch von Schwäche. Nirgends. Auch keine Nachgiebigkeit oder Weichheit. Nichts als Kälte.
In den Büchern und in den Episoden von Law & Order schafften es die Bullen immer, die weiche Seite zu finden, die – wie hieß das noch? – die Achillesferse vom Täter. Sie kriegten raus, was ihn aus der Fassung brachte, und drehten das Gespräch dann so hin.
Aber das war nicht ihr Ding. Ihr Ding war das Metallgeschoss in ihrer Hand und sorgfältig kalkulierter Wagemut. Weibliche cojones.
Fielding schien eine Entscheidung getroffen zu haben, denn er ging rüber zu dem Glastisch und fing an die Kristallgläser zu einer großen Pyramide aufzubauen. „Schieß auf das Oberste.“
Aber Zoë war nicht zufrieden. „Das kann ich mit verbundenen Augen.“
Sie ging zu dem Tisch und stellte die Gläser um, so dass sie jetzt viel dichter beieinander standen, aber immer noch wie eine Pyramide. Die Lücken waren jetzt viel kleiner und sie nahm die Orchideen, pflückte die einzelnen Blüten auseinander und steckte jede davon in ein Glas, insgesamt fünf. Sie stellte die Blüten so hin, dass sie immer zu einer Lücke standen. Gerade groß genug, dass einer ihrer Pfeile durchpasste.
„Drei Blüten. Drei Pfeile. Die Gläser lasse ich stehen“, sagte sie.
Ah. Endlich eine Reaktion. Seine Augenbrauen zuckten und ein kleiner Funken Interesse war da zu sehen.
Sie stand so weit weg, wie das Zimmer es ihr gestattete, legte den Pfeil in die Kerbe und ließ den ersten lossausen. Ein ganz leises Klirren von einem Glas, dann das Zong, als die Pfeilspitze in die Wand schlug, die Orchidee aufspießte.
Sie legte einen zweiten Pfeil an und wiederholte das Ganze einwandfrei. Sie schaute Fielding an, hob eine kühne Augenbraue und sagte, „reicht das?“
„Das war recht brillant.“ Die Bewunderung in seinem Gesicht war echt und das Lächeln wurde jetzt fast sogar charmant. „Ich glaube tatsächlich, dass ich eine Frau wie dich gebrauchen könnte. Hat sonst irgendjemand hier noch Kostproben deines Talents gesehen?“
Sie schüttelte den Kopf. „Niemand außer dir und Raul Marck. Aber bei ihm macht es nichts mehr aus.“
Fielding erdolchte sie wieder fast mit seinem scharfen Blick. „Erzähl niemandem davon.“
Sie nickte. „Duh.“
„Wie war nochmal dein Name?“
„Zoë.“ Das Herz hämmerte ihr ganz schrecklich. Heiliger Bockmist. Mit dem Lächeln sah er noch mehr wie Quent aus. Einen Augenblick war sie wie angewurzelt, als ihr aufging, sie würde ihn wahrscheinlich nie wieder sehen.
„Zoë. Ein zauberhafter Name.“ Seine Augen glitten an ihr entlang, jetzt deutlich aufmerksamer als der flüchtige, abschätzige Blick, den er ihr vorhin zugeworfen hatte. Jetzt schien er sich mehr für die Details zu interessieren. „Vielleicht könnte deine Garderobe etwas überarbeitet werden.“ Seine Lippen kräuselten sich leicht.
„Dem Scheißopfer ist es egal, was sein Mörder trägt“, schoss sie zurück. Unter seinem Blick wurde sie plötzlich nervös und schlenderte deswegen gespielt gleichgültig zu der Pyramide und stellte die Gläser wieder auf das Tablett.
Fielding lachte kurz auf. „Ich nehme an, das stimmt. Aber deinem Boss ist es nicht egal.“ Da war ein Klang wie Stahl in seiner Stimme. „Und wir haben deine Bezahlung nicht besprochen. Das könnte ein Deal Breaker sein.“
Shit. Darüber hatte sie nicht nachgedacht. Zoë ließ sich Zeit mit dem Ordnen der Gläser und dachte nach. Sie musste jetzt das Richtige sagen. „Ich will, was alle wollen“, sagte sie und drehte sich um, so dass sie ihn wieder anschaute. „Ich will ewig leben.“