EINS
Dreiundsechzig Jahre später
Die Stadt Envy
Im Laufe der Jahre hatte Quent es oft bereut, damals nicht mit dem Golfschläger auf seinen Vater losgegangen zu sein und all der Angst und der Tortur eine Ende zu machen ... aber niemals hatte er es mehr bereut als jetzt.
Quentin Brummell Fielding schaute das Objekt auf dem Tisch vor sich an: ein klarer Kristall, etwa so groß wie der Daumennagel eines großen Mannes. Seine Klarheit war so rein. Der Stein war eingefärbt mit einem makellosem Blau und einem zarten Grau ... aber wenn man ihn gegen das Licht hielt, ließ er den Lichtstrahl ungehindert und ungetrübt durch sich hindurch wandern. Ein schwaches Eisblau.
Zarte Tentakel sprossen aus den Seiten und hinten am Stein hervor, wie stilisierte Strahlen einer Sonne. Oder in diesem Fall hier, eines Vollmonds. Gleich schmalen Glasfaserfäden sahen die Tentakel wie Venen aus, die aus einem herzähnlichen Kristall hervorbrachen – vielleicht ein oder zwei Millimeter dick, wie sie da aus dem Stein herauswuchsen und sich zusehends verjüngten, bis sie an den verzweigten Spitzen nur noch die Breite eines Haares hatten.
„Das hier ist es also, was das Ganze bewirkt. Was sie unsterblich macht?“ Quent stupste den Kristall mit einer kleinen Zange. Seine Hände zitterten. „Wegen dem hier haben sie die Welt zerstört.“ Er schaute hoch zu seinem Freund Elliott, der diesen Stein in einem Kampf auf Leben und Tod aus einem der unsterblichen menschlichen Wesen herausgehackt hatte. Die Wesen, die man auch die Fremden nannte.
Den Kristall aus ihnen zu entfernen, war der einzige Weg sie zu töten.
„Yep“, sagte Elliott, den seine Freunde auch unter dem Namen Dred kannten. „Wenn der Kristall erst einmal in sie hinein operiert wurde und in dem weichen Körpergewebe liegt, dann schlägt er quasi Wurzeln im Körper.“
Quentin stupste den Stein noch ein bisschen kräftiger an. Die Spitze von einer der Tentakeln brach ab und funkelte wie eine winzige Glasscherbe. Wenn er an jenem vermaledeiten Tag vor gut sechzig Jahren den Golfschläger benutzt hätte, wäre sein Vater tot gewesen. Und vielleicht wäre die Erde immer noch die gleiche wie vorher – und nicht dieses überwucherte Ödland, das aus ihr geworden war.
Aber er hatte es nicht getan. Quent hatte sich unter das Bett gerollt, sich am Schläger festgeklammert – außer Reichweite dieses hinterhältigen Angriffs, wund, blutend, zerschunden, halb ohnmächtig vor Schmerzen – und hatte einen weiteren Tag keinen Mord auf dem Gewissen.
Und dann, dreizehn Jahre später, hatte Quents Vater dabei geholfen, die Welt zu zerstören. Alles für einen kleinen Kristall, der es Fielding ermöglichte, ewig zu leben.
Wenn Quent gewusst hätte, was seine Selbstbeherrschung die Menschheit kosten würde...
„Bist du sicher, du möchtest den Versuch starten den Kristall zu lesen?“, fragte Elliott. Er war Arzt gewesen, Trauma Chirurg, damals in Chicago, bevor sich alles verändert hatte ... bevor Elliott und Quent und drei andere Männer in Arizona in der Nähe von Sedona in eine Höhle hineingegangen waren, als sie einer Karte folgten, die Quent erworben hatte und die angeblich zu einem verborgenen Anasazi-Schatz führte.
Sedona war ein Ort, dem im Volksmund mystische Eigenschaften und eine Konzentration von Energie zugeschrieben wurde, aber keiner von ihnen hatte sich irgendeine Vorstellung davon gemacht, wie mystisch er tatsächlich war und welche sonderbaren Energieströme dort wirkten.
Sie waren fünfzig Jahre später wieder ans Tageslicht gekommen, nur um zu entdecken, dass die Menschheit fast ausgelöscht worden war und die Zivilisation des 21. Jahrhunderts komplett untergegangen war. Irgendwie waren sie herausgekommen, ohne zu altern und unbehelligt von all der Zerstörung, die sich ein halbes Jahrhundert zuvor ereignet hatte. Und jetzt, nachdem sie sieben Monate lang versucht hatten, ihr Leben wieder in halbwegs geordnete Bahnen zu lenken, hatten die fünf immer noch keine Erklärung, was das Wie und das Warum anbetraf.
Wie konnte die Zeit fünfzig Jahre lang für sie einfach nur so stehenbleiben?
Warum zum Teufel ausgerechnet für sie?
Und was zum Teufel gab es für sie noch in dieser Welt, die ihnen nichts mehr von ihrem früheren Leben zu bieten hatte – außer Kummer und schlechten Erinnerungen?
Quent schaute den Kristall an und versuchte dabei, die Welle aus Hass zu unterdrücken, die bei dem Anblick in ihm hochkam. Und das tiefe, Übelkeit erregende Ziehen in seinem Magen.
Dieser spezielle Stein gehörte nicht seinem Vater, aber irgendwo in dieser fremden, neuen Umgebung, die man nur als postapokalyptisch beschreiben konnte, trug Parris Fielding einen dieser Kristalle im Fleisch seines Körpers. Fünfzig Jahre lang hatte der ihn am Leben und ihn auch in dem gleichen Zustand erhalten, genau wie vor dem Ereignis, das alle den Wechsel nannten.
„Ja“, erwiderte er. „Ich will es versuchen.“
Unter den wachsamen Augen von Elliott streifte Quent sich die Handschuhe ab, die er jetzt eigentlich immer trug, wenn er sich in einer ungewohnten Umgebung aufhielt. Sie schützten ihn vor dem Ansturm aus Erinnerungen, Bildern und Eindrücken, der ihn stets überfiel, wenn er etwas Fremdes berührte. Wenn er nicht geschützt war, konnte ihn die psychometrische Fähigkeit, unbelebte Objekte zu lesen, lähmen, indem sie ihn hineinsaugten – in was auch immer für schreckliche oder gewalttätige Dinge der Gegenstand miterlebt hatte. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte Elliott Quent in einer Gasse gefunden, wo er zusammengebrochen war, kaum bei Bewusstsein, völlig verloren in einem Strudel von Erinnerungen, die nicht einmal seine eigenen waren.
Seither war Quent sehr viel vorsichtiger damit geworden, was er berührte, und vor allem damit, wie er Gegenstände anfasste ... aber mit diesem gespenstischen, krakenartigen Kristall vor sich, schämte er sich nicht zuzugeben, dass er für die beruhigende Präsens von Elliott dankbar war.
Nur für den Fall.
Er blickte kurz zu Elliott hoch, sah dessen ruhigen, blauen Augen und nickte ... dann sah er wieder nach unten und berührte vorsichtig das Zentrum des Kristalls mit der Fingerkuppe seines linken Zeigefingers.
Sofort spürte er einen Ansturm ... von Wasser. Das Gefühl, sich unter Wasser zu befinden, tief eingetaucht, umgeben von einem schweren, flüssigen Gewicht, das ihn niederdrückte ... das Meer? Es schwappte und brandete gegen ihn und um ihn herum, mit Wucht und unablässig, dunkel und ohne Gnade. Und kalt. Der Kristall war im Meer gewesen.
Quent stützte sich ab, entzog sich dem Sog, der ihn in die Bewusstlosigkeit hinunterziehen würde, und konzentrierte die Hälfte seines Verstands auf das Zimmer, in dem er sich befand, auf den Tisch unter seinen übrigen Fingern, seinen Freund, der ihn beobachtete, den Stuhl unter seinem Hintern ... und ging noch ein bisschen tiefer in die Erinnerungen des Kristalls hinein, indem er einen zweiten Finger an den Stein legte.
Weißes Licht betäubte ihn, schockierend und grell, es schnitt durch die dunkle See ... und dann Dunkelheit. Pulsierende, rauschende, pochende Dunkelheit ... er rutschte auf dem Stuhl hin und her, setzte seine Beine fest auf dem Boden auf, schaffte sich so ein Art Erdung ... aber öffnete seinen Geist und seinen Verstand noch etwas weiter, versuchte die Gesichter voneinander zu unterscheiden, die in einem Wirbelsturm um ihn herum sausten...
Und dann spürte er, wie jemand an seinem Arm stark zupackte, und das Zimmer knallte ihm wieder ins Bewusstsein. Der Kristall war weg, seine auf dem Tisch zusammengekrümmten Hände leer und Elliott beugte sich über ihn.
„Bist du okay?“
Quent nickte und war sich vage bewusst, dass er seinen Atem wieder unter Kontrolle bringen musste. „Ich bin okay. Warum hast du ihn weggenommen?“
Elliott lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, sein Gesicht, das von den meisten als attraktiv empfunden wurde, jetzt angespannt und erschöpft. „Du warst über dreißig Minuten weg. Dein Atem und dein Puls gingen immer schneller, dein Gesicht wurde immer bleicher. Es war Zeit zurückzukommen.“
„Dreißig Minuten?“ Quent versuchte den Anflug von Unbehagen abzuschütteln. Sich für eine halbe Stunde zu verlieren – und es hatte sich wie ein paar Sekunden angefühlt. Dieses beschissene Fähigkeit von ihm jagte ihm eine Heidenangst ein. Manchmal.
Im Grunde immer.
„Hat es sich gelohnt? Hast du etwas Wichtiges herausgefunden?“
Quent zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir nicht sicher. Ich habe eine Menge Gesichter gesehen ... manche von ihnen kamen mir verflucht bekannt vor – Mitglieder des Kults, klar ... aber sie flogen so schnell an mir vorbei. Aber bei einer Sache bin ich mir verdammt sicher.“ Er blickte auf den Kristall hinab und dann wieder hoch zu Elliott. „Das da kommt aus dem Ozean. Ganz tief aus dem Ozean.“
Genau da unterbrach sie ein leises Klopfen. Elliott erhob sich rasch und ging die Tür öffnen, wo man jetzt drei Neuankömmlinge auf der Schwelle sehen konnte: Wyatt, Theo und Lou. Hinter ihnen lag ein weiterer, fensterloser Raum, voll von Computern, Monitoren, Druckern und einem alten KFZ-Zeichen, das an der Wand hing.
Eine Frau mit kupferblondem Haar saß an einem der Schreibtische, drei Monitore vor sich, ihre Finger tippten unablässig vor sich hin, dünne Kabel von Kopfhörern baumelten unter ihrem Haar hervor. Er wusste aus Erfahrung, dass nichts außer einer zweiten Apokalypse Sage von ihrer Arbeit ablenken würde.
Und wenn er es in Wirklichkeit nicht besser wüsste, hätte Quent annehmen können, in ein Kontrollzentrum der NASA oder in ein Computer Call Center zu blicken ... aber außerhalb dieses verborgenen, unterirdischen Computerlabors gab es funktionierende Elektronik schlicht nicht und auch niemanden, der sie zu bedienen wusste.
„Wir haben nicht gewartet“, sagte Elliott, als die Neuankömmlinge einer nach dem anderen hereinkamen. „Quent hat schon sein Ding gemacht.“
„Wie ist es gelaufen?“, fragte Wyatt. Er war einer der fünf Männer, die mit Elliott und Quent in der Sedona Höhle gewesen waren. Er schaute von dem Kristall zu Quent, als wolle er den Schaden abschätzen. Sein raues Gesicht war ausdrucklos und ernst.
Die beiden anderen Männer, Lou und Theo Waxnicki, hatten seit dem Wechsel hier in der Stadt Envy gelebt. Es waren diese zwei – selbsternannte „gottverdammte Computergenies“ – gewesen, die in dem halben Jahrhundert nach der Massenzerstörung das geheime Computerlabor zusammengetragen und aufgebaut hatten. Die Zwillingsbrüder hatten als Tandem alles darangesetzt, eine Untergrundbewegung gegen die Fremden aufzubauen, indem sie ein geheimes Computernetzwerk zusammenstellten, das sowohl zur Forschung als auch zur Kommunikation taugte. Die treibende Kraft hinter der Widerstandsbewegung war: je mehr sie über diese unsterblichen Menschen wussten, die den Wechsel herbeigeführt hatten, desto besser würden sie darauf vorbereitet sein, gegen sie zu kämpfen und sie dann zu zerstören.
Quent, Elliott, Wyatt und die beiden anderen Männer, die mit ihnen in der Höhle gewesen waren – Simon und Fence –, waren im Laufe der letzten paar Wochen zu Schlüsselfiguren des Widerstands geworden, was teilweise an den übersinnlichen Fähigkeiten lag, die einige von ihnen erworben hatten. Und teilweise auch an ihrer einzigartigen Kenntnis des 21. Jahrhunderts, also der Zivilisation vor dem Wechsel, aus der auch die Fremden stammten.
Denn natürlich hatten sie damals dort gelebt.
„Das Experiment war ein bisschen extrem“, sagte Elliott, bevor Quent die Chance bekam es einfach runterzuspielen.
„Und?“, fragte Lou. Obwohl seine Augen intelligent und lebenslustig funkelten, verrieten die Falten in seinem Gesicht und die etwas gebeugten Schultern sein Alter von fast achtzig Jahren. Aber trotz der Erfahrung, den Wechsel mit all seinem Horror und dem schwierigen Wiederaufbau danach durchlebt zu haben, hatte er immer noch etwas Jugendliches an sich und hatte sein langes, silberfarbenes Haar im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Eine Brille, die 2010 der letzte Schrei unter den Nerds gewesen war, balancierte auf seiner schmalen Nase und heute trug er ein knallgelbes T-Shirt mit der Aufschrift „Vergiss den Scheiß, hier kommen die Sex Pistols“ in schreiend Pink.
Quent war sich nicht sicher, ob es ein Shirt war, das Lou in seiner Jugend getragen hatte, oder eines, das er jetzt irgendwann gefunden hatte. Wo auch immer es herstammte, es entsprach jedenfalls nicht seinen Vorstellungen davon, was ein Siebzigjähriger trug.
Lous Zwilling wiederum, Theo, war nun eine ganz andere Geschichte und auch der Grund, warum die Waxnicki Brüder bereit waren, den fünf Männern aus Sedona die Geheimnisse der Widerstandsbewegung anzuvertrauen. Theo war während des Wechsels in so was wie einer unterirdischen Computer-Sicherheitskammer eingesperrt gewesen. Irgendetwas hatte ihn dann dort in eine Art Schlafmodus versetzt – vielleicht etwas ganz Ähnliches, was Quent und seinen Freunden passiert war. Aber Lou hatte ihn nur eine paar Tage nach der Zerstörung gefunden und es war ihm gelungen, Theo aufzuwecken.
Aber im Laufe der nächsten fünfzig Jahre war Theo kaum gealtert. Erst seit ganz kurzem wuchsen ihm vereinzelt graue Haare auf dem Kopf und es sprossen ihm Bartstoppeln, die er sich nun abrasieren musste. Also sah er nicht älter als dreißig Jahre alt aus, obwohl er (genau wie Lou) die Monate und Jahre nach dem Untergang der Welt mit durchlebt hatte. Und genau wie Quent, Elliott und Simon hatte auch er eine eigene übermenschliche Fähigkeit erworben.
„Von dem, was ich da erkennen konnte“, erklärte Quent noch einmal, „kommen die Kristalle aus dem Ozean. Tief aus dem Ozean.“
„Das ist wenig überraschend, in Anbetracht dessen, was wir schon herausgefunden haben“, sagte Theo. Er trug sein nachtschwarzes Haar um Ohren und Hals kurz geschnitten, fast wie ein Militärschnitt, aber nach oben hin wurde es länger und stand stachelig ab. „Mit all den verdammten Kristallen und der neuen Landmasse, die anscheinend im Pazifik hochgeschossen kam – und dann wissen wir dank dir ja auch, dass die Fremden vor dem Wechsel alle Mitglieder im Kult von Atlantis waren: mit all dem Wissen führen uns sämtliche Hinweise immer in die gleiche Richtung.“
Quent nickte. Atlantis. Es war in der Tat er gewesen, der das Symbol, das die Fremden benutzten, erkannt hatte. Erkannt als ein Symbol, das eine Gruppe von Leuten als einen Zusammenschluss definierte, zu dem auch Fielding gehört hatte. Er hatte bis vor ein paar Wochen keine Ahnung gehabt, dass der Kult von Atlantis wesentlich mehr als ein exklusiver Klub von mächtigen und reichen Global Players gewesen war. Sein Wissen, als es dann mit den Informationen zusammengebracht werden konnte, die Lou und Theo über das letzte halbe Jahrhundert zusammengetragen hatten, hatte zu alptraumhaft verstörenden Resultaten geführt.
„Fünfzig Millionen US-Dollar, nur um dem beschissenen Kult beizutreten“, sagte Lou, während er den Kopf schüttelte, seine Augen hochgradig besorgt. „Gemäß dem, was Simon von dieser weiblichen Fremden hat herausfinden können.“ Die jetzt auch tot war – trotz ihres unnatürlichen Kristalls.
„Was für ein bescheuertes Unsterblichkeitsschnäppchen“, sagte Quent. Sein Kopf pochte ihm jetzt und alles fühlte sich angespannt und eng an. Immer wenn er an seinen Vater dachte und an die Rolle, die dieser ziemlich sicher bei der Herbeiführung des Wechsels gespielt hatte, fühlte er sich so.
Es wusste natürlich niemand genau, wie es vor sich gegangen war, aber etwa ein Jahr, nachdem die Hölle losgebrochen war, hatte sich das wissbegierige Duo Lou und Theo in Satelliten eingehackt und gesehen, dass der Rest der Welt genauso in Mitleidenschaft gezogen worden war wie Envy. Und sie konnten im Pazifischen Ozean einen neuen Kontinent erkennen, der womöglich die Ursache für all die großen Erdbeben, Tsunamis und die extremen Wetterumschwünge gewesen war, die nach dem Wechsel fast zwei Wochen angedauert hatten.
Quent stellte fest, dass ihm der Kiefer schmerzte, weil er ihn zu fest zusammenbiss, und dass seine Schultern quasi erstarrt waren. Ich werde ihn umbringen. Ich werde ihn finden und diesmal werde ich ihn verdammt noch mal umbringen.
Ich hätte es schon vor Jahren tun sollen.
Das war sein erster Gedanke gewesen, als er ein Foto von seinem Vater gesehen hatte, auf dem er neben zwei anderen stand. Alle zusammen kannte man sie als das Triumvirat der Fremden. Einer von ihnen war jetzt schon tot. Zwei blieben übrig. Und dann noch unzählige weitere Mitglieder des Kults.
Er stand auf, plötzlich überkam ihn das Bedürfnis, diesem Zimmer zu entkommen.
„Ich gehe jetzt“, erklärte er den anderen und wusste, seine Entscheidung war etwas abrupt. Aber in Elliotts Augen konnte er auch Verständnis erkennen. „Rauf. Wir sehen uns morgen früh.“
Wenn Fence, der große Typ mit der Glatze, der immer einen Witz – ob nun passend oder unpassend – vom Stapel lassen musste, hier wäre, hätte er sicher eine Bemerkung darüber fallen lassen, ob Quent nun alleine nach oben ging oder nicht. Und zugegebenermaßen war Quent genau deswegen sehr dankbar, dass der große Schwarze nicht hier war.
Denn er hätte damit wahrscheinlich mitten ins Schwarze – gewissermaßen – getroffen.
„Es regnet“, sagte Wyatt.
Ein Achselzucken von Quent. Aber sein Freund schaute ihn mit klugen Augen an und das verstärkte noch das Gefühl ein kompletter Volltrottel zu sein. „Bis dann“, erwiderte er, sammelte seine Handschuhe ein und verließ das Zimmer.
Er ging hinter Sage vorbei, die doch tatsächlich hochschaute, als er vorbeirauschte, aber keiner von beiden unterbrach, was er gerade tat, um zu plaudern. Sie schenkte ihm ein vages Lächeln und kehrte dann wieder zu ihren fünf Computerbildschirmen zurück, die Tasten klackerten laut, blassblaue Augen auf die Monitore gerichtet.
Auf der Wendeltreppe, die sich nach oben hin in einen Aufzugschacht schlängelte, traf Quent Simon, der höchstwahrscheinlich herkam, um zu versuchen, Sage von ihrer Arbeit weg und dann nach oben in sein Bett zu bugsieren, da es schon auf Mitternacht zuging.
Sei die verdammte Macht mit dir, Kumpel.
Mit den Handschuhen wieder an seinen Händen wusste Quent, dass er jetzt gefahrlos wütend auf die Zahlentasten pressen könnte, mit denen man in der alten Zeit das Stockwerk aussuchte oder die Tür zum Aufzug öffnete, die jetzt aber als Zugangscode fungierten, um einzutreten oder das geheime Treppenhaus zu verlassen, das zu dem Computerraum führte.
Was für einen verflucht dämlichen Sinn für Humor die Waxnicki Brüder hatten, viel zu gottverdammt viele Spionagefilme. Die hielten sich verdammt noch mal wohl für James Bond.
Dennoch akzeptierte Quent die Tatsache, dass das Computernetzwerk und die Informationen, die sie sammelten, geheim gehalten werden mussten, nicht nur vor den Fremden, sondern auch vor allen anderen in Envy. Sehr wenige Leute glaubten an oder wussten auch nur von den Gräueltaten, die ihre Mitmenschen in der Gewalt der Fremden erlitten hatten – sowohl was den Wechsel betraf als auch in den fünfzig Jahren danach. Und da die wenigen, die versucht hatten ihr Wissen darüber publik zu machen, verschwunden oder auf andere Arten mundtot gemacht worden waren, hielten sich die Waxnicki Brüder an ihre Strategie der Verschwiegenheit.
Der Aufzugschacht öffnete sich und Quent trat in den breiten, dunklen, heruntergekommenen Gang von dem, was einmal ein Casino in Las Vegas gewesen war. In diesem abgelegenen Trakt des Gebäudes, in einem Teil, der nach dem Wechsel nicht instand gehalten worden war, schien der Flur öde und verlassen – ein Zustand, den die Waxnickis sorgfältig aufrechterhielten, trotz ihrer täglichen Besuche im Computerlabor.
Er könnte den Weg in die sechsundzwanzigste Etage einschlagen, vorbei an dem bewohnten Teil des Casino-Hotels, wo man ihm ein Hotelzimmer als Wohnsitz gegeben hatte. Aber als es an der Zeit war abzubiegen, um in die richtige Richtung zu gehen, ging er geradeaus weiter.
Draußen goss es. Reichlich und viel, und der Regen fiel schnurgerade herab, so dass es aussah wie ein grauschwarzer Vorhang, der sich vor der Nacht zugezogen hatte.
Sollte Quent gehofft haben, Wyatt hätte falsch gelegen oder dass es nur ein kleiner, sanfter Schauer wäre, wartete jetzt eine saftige Enttäuschung auf ihn.
Aber trotzdem, da er nicht viel erwartet hatte – so bescheuert war er dann doch nicht – aber weil er das Bedürfnis hatte etwas zu fühlen, trat er aus dem Gebäude heraus und in den Regenguss hinein.
Seit dem Wechsel hatte sich das Klima in Vegas von dem einer trockenen Wüste zu einem fast tropischen Klima gewandelt. Es regnete viel und oft, die Temperaturen waren mild oder heiß und die Luft feucht und bisweilen zu stickig.
Da er bis zu seinem achtzehnten Geburtstag in England gelebt hatte – da war er dann einen Ozean weiter weggezogen, weg von Fielding und seiner Reitgerte –, war Quent Feuchtigkeit gewohnt.
Und jetzt, als der heftige Regen auf ihn niederprasselte, lief er einfach los, ließ sein Hemd aus Stretch-Seide restlos durchweichen, ebenso seine Wildlederjeans und seine Ledersandalen. Gute, praktische Kleider waren nicht immer leicht zu finden, aber er hatte Glück gehabt und hatte zufällig einen Koffer gefunden, voller Klamotten von einem Typen, der ungefähr seine Größe hatte. Und der Typ hatte auch noch guten Geschmack, was eine echte Hilfe war.
Die Stadt, die man als New Vegas, N. V., oder noch eher als Envy kannte, war die größte Ansiedlung von Menschen in einem Umkreis von Hunderten von Meilen – und soweit man das mit den beschränkten Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten sagen konnte, war es die größte überhaupt, weltweit. Die feine Ironie, dass die ehemals vergnügungssüchtige Stadt mit all ihrem Glitz und Bling jetzt die Wiege der Menschheit sein sollte, sprang jedem ins Auge, der je die berühmte Prachtmeile von Vegas, den Strip, gesehen hatte – und so auch Quent.
Mit der enormen Verschiebung von Landmassen und tektonischen Platten lag das, was der Norden des Strip gewesen war, jetzt unter Wasser: geflutet vom Pazifischen Ozean, der – unglaublich aber wahr – jetzt ganz Kalifornien und Teile von Nevada und Washington bedeckte. Nur ein kleines Grüppchen von Hochhäusern, allesamt ehemalige Casinos und ihre Urlaubshotels, waren nicht eingestürzt und von denen waren einige in einem baufälligen Zustand.
Die Neonlichter des Strip leuchteten immer noch rot, blau, gelb und grün, aber deutlich schwächer als ein halbes Jahrhundert zuvor. Und auf dem Teil des Strip, der immer noch zu sehen war, waren keine Leute zu sehen – ein Anblick der damals unvorstellbar gewesen wäre.
Quent konnte nicht anders. Er schaute hoch, versuchte die spitzen Kanten der Dächer und der Fenster ohne Fensterscheiben über ihm zu erspähen, auf der Suche nach einem zierlichen Schatten, schlank und selbstsicher und geschmeidig.
Aber alles, was er als Lohn für seine Mühe bekam, war ein Gesicht, auf das die Regentropfen eindroschen und einen weiteren Anflug von Wut.
Auf sich selbst. Natürlich. Wegen seiner Dämlichkeit. Weil er seine Zeit verschwendete.
Weil er vor rund sechzig Jahren nicht mit diesem beschissenen Golfschläger ausgeholt hatte.
Scheiße. Hätte diese eine Entscheidung von ihm etwas geändert? Hätte das den Wechsel verhindert? Er hätte dann womöglich den Rest seines Lebens im Gefängnis verbracht, aber zumindest hätte er was vom Leben gehabt.
Quent holte tief Luft, ein sauberer, feuchter Atemzug, und atmete dann wieder aus. Lenkte seine Gedanken von der Wut weg, die niemals ganz von ihm abließ.
Bei diesem Wetter wäre Zoë sicher nicht unterwegs, um in den Schatten herumzulungern, wie sie es sonst so gerne tat. Sie würde nicht heruntergleiten, vom Scheitel bis zur Sohle warm und schlank und mutig, um ihm in einer dunklen Ecke Gesellschaft zu leisten, hitzig und drängend und kühn.
Eine Kombination aus Lust und Wut ließ ihn die Zähne zusammenbeißen, brachte ihn zum Stehen.
Was zur beschissenen Hölle veranstaltete er hier im Scheißregen?
Er war auf der Suche, dämlicher Idiot, der er nun mal war.
Alles, was er tun wollte,war Fielding zu finden und ihn zu töten. Quents Leben, seine Daseinsberechtigung, war nur noch auf das Eine zusammengeschmolzen.
Alles andere war nur ein beschissener Zeitvertreib.
Selbst ziellos im Regen herumzuirren. Selbst mit Zoë ein Bett gründlich zu zerwühlen.
Ihm war nicht kalt, obwohl er so durchnässt war, als wäre er geschwommen, und er atmete auch immer noch den einen oder anderen Regentropfen ein. Nasses Gras und feuchte Büsche streiften seine nackten Zehen, als er von dem besiedelten Stadtgebiet weg stapfte. Der frische Geruch von sauberem Regen vermischte sich mit dem darunter liegenden Moderduft von Verfall und Schimmel hier in diesem schmalen Durchgang. Zwei Gebäude erhoben sich rechts und links, halb kaputt, zerklüftet und überwuchert, das eine links höher und furchteinflößender als das rechts. Wenn er seine Arme nach beiden Seiten ausstreckte, konnte er mit den Fingerspitzen gerade das Mauerwerk berühren. Nasse Blätterklumpen und das sanfte Nachgeben von aufgeweichtem Dreck machten den unebenen und angegriffenen Beton unter seinen Füßen weicher.
Das erste Mal, als er Zoë getroffen hatte, hatte sie ihm das Leben gerettet, war aus dem Nichts aufgetaucht, um den Ganga aufzuspießen, der ihn angegriffen hatte. Sie hatte einen Pfeil abgeschossen, der sich tief in den Schädel des zombieähnlichen Monsters eingrub und sein Gehirn zu Brei machte, und der Ganga war tot zusammengebrochen.
Kaum lag das Monster am Boden, hatte sie von Quent verlangt, dass er ihr den Pfeil zurückgab.
Er war sich nicht einmal sicher gewesen, ob sie eine Frau oder ein sehr schlanker junger Mann war ... bis sie nahe genug heran kam, um sein Gesicht zu berühren.
Und jenes erste Mal, als sie ihn berührte – nur ein ganz leichtes Streicheln der Fingerspitzen an seiner Wange, als ob sie es nicht gewohnt war derlei zu tun –, es war ihm unter die Haut gegangen, warm und zärtlich. Zögerlich und doch ... handfest.
Jetzt lehnte Quent sich an die von Efeu überwucherte Wand, was einen weiteren Tropfenschauer aus dem Laub fallen ließ. Und er schaute wieder hoch in die unnachgiebige Dunkelheit. Immer noch auf einer Scheißsuche.
Und wieder wurde er blind vom Regen und er wandte sich ab, frustriert.
Nach ihrer ersten Begegnung verschwand sie, schlüpfte wieder in die Schatten zurück, ohne ihren kostbaren Pfeil. Den hatte er mitgenommen, hierher nach Envy, aber bevor er sich zum Gehen abwandte, hatte er ihr nachgerufen, in die Dunkelheit hinein, und hatte sie eingeladen jederzeit vorbeizukommen und sich den Pfeil zu holen.
Ein paar Tage später spürte sie ihm dann in Envy auf, während er einen Spaziergang im hellen Mondlicht machte, und wieder hatte sie von ihm die Rückgabe ihres Pfeils verlangt. Trotz ihrer kampflustigen Haltung und ihrem absolut grauenvollen Haarschnitt musste Quent sie einfach küssen.
Und das war alles, was sie beide brauchten, um loszulegen. Es war, als wäre ein Schalter umgelegt worden, etwas sprang an ... raste los.
Der Sex jener Nacht – und auch der von den paar Malen danach, als sie emsig zugange gewesen waren – war heiß und schnell und nicht zu bremsen gewesen. Er hatte hinterher geradezu geschnurrt, war atemlos gewesen – und trotz der Heftigkeit ... hinterließ es ihn entspannt. Friedlich.
Bis sie sich ohne ein Wort in die Nacht hinaus fortstahl. Und ihre kostbaren Pfeile mitnahm.
Nach jener ersten Nacht war es zu einer Art Spiel geworden. Hoch oben von einem Hausdach oder aus einem hoch gelegenen Fenster würde sie einen Pfeil dorthin schießen, wo er ihn sicher fand, um dann wieder in der Nacht zu verschwinden. Ein oder zwei Tage später würde Zoë auftauchen, voll selbstgerechter Empörung und verärgert und würde ihn zurückverlangen, als hätte er ihn direkt aus ihrem Köcher gestohlen ... und dann waren sie schon wieder zugange. Auf dem Bett. Im Treppenhaus. Hinten an der Rückwand vom Hotel. Wo immer es ihnen gelang, einander die Kleider vom Leibe zu reißen. Das lief jetzt schon zwei Wochen so, aber es war ihm unmöglich, sie auch nur für kurze Zeit zu vergessen.
Plötzlich fuhr er herum, der Schlamm unter seinem Fuß machte ein schmatzendes Geräusch und dann prallte sein Fuß an den Bordstein, fast stolperte er. So eine verdammte Kacke.
Was zum Teufel machte er hier nur, im Regen herumzulaufen, auf der Suche nach einer verzogenen Robin-Hood-Tante, während drinnen jede Menge paarungswillige Frauen warteten?
Mit neuem Antrieb machte er sich auf den Rückweg.
Aber als er dann drinnen eintraf und der Regen platschend von Haar und Hemd herunterfiel und ihm an den Nähten der Jeans entlanglief, wusste Quent, dass er in diesem Aufzug dort im Pub nur wenig Staat machen konnte. Obwohl die Pints sich schnell wieder füllten und die Bedienungen freundlich waren und Elliotts Geliebte, Jade, oft auf der Bühne ein Lied zum Besten gab, als wäre es geradezu eine Art von Vorspiel, ging Quent an der Tür vorbei. Seine Ledersandalen gaben feucht Laut.
Vielleicht nachher, wenn er sich umgezogen hatte – die Wildlederjeans schrumpften schon vor Nässe – und wenn er etwas mit seinem Haar angestellt hatte, vielleicht änderte er dann seine Meinung. Aber eher unwahrscheinlich.
Was er wirklich tun sollte ... was er auf einmal tun wollte ... war, zurück ins Labor zu gehen und diesen Kristall nochmal anzufassen.
Wenn Elliott ihn vorher nicht unterbrochen und den Stein weggezogen hätte, wäre Quent vielleicht in der Lage gewesen, mehr von dem Edelstein herauszufinden. Dieser Strom aus Gesichtern wäre vielleicht von dem Fast-Forward-Modus eines Videos in den Modus einer gemächlichen Parade gewechselt und er hätte vielleicht noch ein paar Erkenntnisse sammeln können. Jemanden identifiziert. Seinen Vater gesehen.
Er hätte entdecken können, wo die Fremden lebten oder woher sie kamen. Und dann könnte er tun, was er tun musste.
Danach ... daran verschwendete Quent keinen Gedanken, denn er würde dabei wahrscheinlich sterben, weil sicherlich würde man ihm nicht gestatten, einfach einen der Anführer der Fremden zu töten und dann einfach davon zu spazieren.
Quent ging in seinem Zimmer sofort zum Schrank und suchte vorsichtig tastend dort an der Regalhalterung danach. Macht der Gewohnheit, das machte er immer als Allererstes, wenn er in seine Höhle zurückkehrte. Und als er merkte, dass er gerade überprüft hatte, ob der letzte von Zoës kostbaren Pfeilen immer noch da war – und das war er –, packte ihn wieder die Wut, weil er immer noch dieses dämliche Spiel spielte.
Es immer noch spielen wollte.
„Da versteckst du sie jetzt also.“
Quentin erstarrte. Zorn und Wut kamen ihm hoch, seine Knie drohten plötzlich nachzugeben, und seine Mundwinkel wollten nach oben, widerstreitend und lähmend, all das überrumpelte ihn. Kurz nur. Er riss sich zusammen, setzte ein gleichgültiges Gesicht auf und drehte sich um.
„Was zum Teufel hast du denn so lange da draußen im Regen getrieben?“, sagte Zoë mit ihrer tiefen, rauen Stimme. Sie sah wie eine Bollywood Schauspielerin mit einem beknackten Haarschnitt aus – exotische Gesichtszüge, zimtfarbene Haut und das kurzgeschorene, nachtschwarze Haar fiel wild durcheinander um hohe Wangenknochen und Kinn. Ein voller Mund, spitzes Kinn, hohe, handtellergroße Brüste und lange, schlanke Beine vervollständigten das Päckchen.
Sie lehnte auf der anderen Seite des Zimmers lässig an der Wand hinter der Tür, durch die er gerade gekommen war. Köcher und Bogen, die sie sonst über die Schulter geschlungen trug, lagen jetzt friedlich auf dem Boden. Alles an ihr schrie nur Herablassung und Kampfbereitschaft heraus – bis auf ihre dunklen, mandelförmigen Augen. Selbst in dem schummrigen Zimmer, in dem nur eine kleine Lampe in der Ecke etwas Licht gab, spürte Quentin das Gewicht ihrer Blicke aufeinander. Heiß.
Das Blut pumpte wild in ihm. „Hast du auf mich gewartet?“, fragte er, sein abweisender Blick im Gleichschritt mit seiner Arroganz. „Oder war es nur, weil du mein neuestes Versteck noch nicht gefunden hast?“
Sie löste sich von der Wand, anmutig und schlank in ihrem engen Muskelshirt und der weiten, tief sitzenden Cargohose, und tat noch einen Schritt von der Tür weg. Ins Zimmer hinein. Musterte ihn. Sein Mund wurde trocken. Das Blut in ihm pumpte schneller, sein Herz hämmerte.
„Du bist reichlich kreativ geworden im Vergleich zum Anfang, als du sie nur unters Bett geschoben hast.“
Verdammt, ja. Quent erinnerte sich immer noch an seinen nutzlosen Wutanfall, als er entdeckte, dass Zoë in sein Zimmer gekommen war und sich noch einen Pfeil zurückgeholt hatte ... ohne ihn zu treffen. Ohne das Spiel zu spielen.
Ohne diese wilde, heiße Nummer da auf dem Bett oder den Fick an die Wand, den er mittlerweile erwartete.
Sein Körper fühlte sich lebendig an, wach, bereit, aber er behielt den nichtssagenden Gesichtsausdruck und die gleichgültige Haltung bei ... obwohl er das Gefühl hatte, sein tropfnasser Zustand nahm seiner vorgetäuschten Unbekümmertheit etwas von ihrer Glaubwürdigkeit. „Was ist denn so besonders an diesen Pfeilen, dass du sie dir immer zurückstehlen musst?“, fragte er und ließ seine Stimme sorglos klingen, als er den letzten vom Schrankregal holte. Er hatte ihn so oft berührt, dass ihm das jetzt gar nichts mehr ausmachte; genau wie mit allen anderen Dinge in diesem Raum.
„Was so besonders daran ist?“, konterte sie. „Hast du auch die geringste Ahnung, wie scheißschwer es ist, die zu bauen?
Quent warf ihr einen Blick zu, der deutlich sagte, das wäre ihm egal und dass er sich über andere Dinge den Kopf zerbrach, und wurde belohnt, als er sah, wie sie schluckte. Schwer. Er unterdrückte ein Grinsen ... und zarte Hoffnung. „Aha, verstehe. Du baust sie also selber?“
Er kippte den Pfeil von einem Ende zum anderen und innen drin rollte das kleine Metallgewicht vom einen Ende des hohlen Schafts zum anderen. Es war ein verflucht cleveres Design und er konnte gut verstehen, wie schwierig es sein musste, so einen zu machen, ganz zu schweigen von Mehrfachpfeilen der gleichen Art. Wenn der Pfeil mit Wucht sein Ziel traf, dann schoss das kleine Gewicht in die Pfeilspitze. Es verhakte sich dort in einem Mechanismus, der Metallhaken strahlenförmig an der Spitze austreten ließ.
Perfekt geeignet, um ein Gangahirn zu Brei zu machen. Eine verflucht gute Methode diese Kreaturen zu töten, wenn man nicht gerade einen kleinen Sprengkörper wie die Flaschenbomben im Handgepäck trug, wie er und seine Freunde sie benutzten.
„Jep, ich baue die selber, Einstein. Und es geht verflucht scheißviel Zeit dabei drauf. Ich wäre dir also dankbar, wenn du mir den zurückgeben würdest.“ Sie streckte die Hand aus, als ob sie wirklich erwartete, er würde den Pfeil da reinlegen.
„Komm und hol ihn dir“, sagte Quent. Seine Stimme jetzt ganz tief, und er schaute ihr in die Augen.
Sie schaute direkt zurück. Heiß. „Meine Kleider werden nass.“
Er lächelte. Nicht aus Heiterkeit oder Freude, eher wie ein Versprechen.
Ihre Lippen bewegten sich, öffneten sich ein ganz kleines bisschen und versprachen so einiges.
Scheiße. Er hatte eine Latte wie ein Stück Gartenzaun und sie hatte ihn verdammt noch nicht mal angefasst.
„Na dann“, sagte er, hielt sich eisern im Griff und die Stimme ungezwungen.
„Du kannst deine Kleider ja ausziehen. Dann werden sie auch nicht nass.“
Sie drehte sich plötzlich weg und für einen Moment, einen kurzen Atemzug lang, dachte er, sie würde nach der Tür greifen. Den Knauf drehen, gehen. Aber dann, immer noch mit dem Rücken zu ihm, hatte sie sich mit einer schnellen, gekonnten Bewegung ihr Muskelhemdchen abgestreift. Und warf es in hohem Bogen von sich.
Quent lächelte – jetzt vor Erleichterung und Vorfreude. Aber er bewegte sich nicht. Noch nicht.
Ihr nackter Rücken war glatt und angespannt und ihre Cargohose schmiegte sich tief unten um ihre sanft geschwungenen Hüften. Bis jetzt hatte er das noch nie sexy gefunden. Grob geschorenes, schwarzes Haar streifte ihren Nacken, aber dieses lange, glatte Stück Haut zwischen ihren Schultern und ihrem Hintern von der Farbe dunkler Schokolade, ließ sie wie einen schlanken Shiva aussehen.
Sie warf die Schuhe von sich, einfache schwarze Dinger, die gegen die Wand klatschten, und dann hörte er das leise Schnappen – Aufschnappen – von einem Verschluss. Zoë drehte sich wieder zu ihm um und obwohl er es nicht wollte, hielt er die Luft an.
Mit den Händen an ihren Hüften war sie offensichtlich bereit sich die Hosen abzustreifen, ihre schlanken, muskulösen Arme an den hohen Brüsten mit den harten, dunkelrosa Brustwarzen, die jeweils exakt eine Handvoll ergaben ... die dunkle Vertiefung an ihrem Hals und die Schatten an ihren zarten Schlüsselbeinen ... ihr langer, schmaler Hals. Und das arrogant erhobene Kinn. Reizte ihn aufs Neue.
Verdammte Hölle, verfickt. Wusste die, wie sie mit ihm spielen konnte.
„Worauf“, sagte sie und ließ ihren Blick langsam lüstern an ihm herunterwandern, „zum Teufel“ – sie zog den Reißverschluss ihrer Hose auf – „wartest du noch? Zieh die nassen Klamotten aus.“ Die Hose fiel runter, schlanke Beine kamen zum Vorschein und ein kleines weißes Dreieck von Höschen, etwas zerknittert.
„Komm her“, sagte Quent in dem verzweifelten Versuch hier noch irgendwie die Oberhand zu behalten.
„Du bist klatschnass ... da wird mir kalt bei.“ Ihr Blick war eine Kampfansage, schweifte über ihn hinweg und er wusste: ihm würde es in nächster Zeit nicht kalt sein.
„Wenn ich dir eins versprechen kann, dann dass dir dabei nicht kalt sein wird“, versprach er ihr und warf den Pfeil zur Seite. Sie schien es nicht zu bemerken.
„Ach wirklich?“, forderte sie ihn heraus, ihre Stimme rau.
„Was glaubst du?“
Als Nächstes waren ihre Körper ineinander verkeilt. Irgendwie klebte ihre warme, glatte Haut plötzlich an seinen nassen Kleidern. Ihre Hände schoben sich ins nasse Gewirr seiner Haare, seine Handflächen packten diesen Hintern mit seinem Höschen, ihre Münder grimmig, gierig.
Oh Gott. Ja. Danke.
Und dann war alles nur noch Zoë. Außer ihr existierte nichts – würzig, warm, geschmeidig und stark. Ihr Mund weich und voll, passte genau auf seinen, war weg, quälend, kam wieder, forderte mehr ... ihre Brüste pressten gegen sein nasses Hemd, ein Bein von ihr legte sich besitzergreifend um ihn. Ihre Hüften hoben sich und rieben sich an ihm, heftig.
Das Bett stieß gegen seinen Schenkel und er stieß sich das Knie hart an, gegen die Tischkante daneben, aber er merkte es kaum, als sie auf die Brokatüberdecke runterfielen. Er bekam nicht genug von ihr – der Geschmack ihrer Haut wie eine Andeutung von Zimt, genau wie die Farbe ihrer dunklen Haut, die Kraft in ihren Beinen, die sich um ihn schlangen, sich zwischen seine schoben, genauso begierig danach, wie er es war.
Ihre Finger machten sich an den Knöpfen seiner Jeans zu schaffen, schwierig, weil die Knopflöcher mit dem Regen geschrumpft waren, und Quent erwischte sich fast dabei, laut aufzulachen, als sie fluchte und zerrte und zickte, wenn sie ihn nicht gerade mit Küssen in den Wahnsinn trieb.
Grundgütiger. Konnte die küssen. Ihre Zunge witschte tief und kraftvoll in ihn hinein, neckte und stieß zu, während sie saugte und leckte und nibbelte, sich dann zurückzog und einen wüsten, wütenden Fluch ausstieß. Dann wieder zurückkam, für noch mehr, mit vollen, feuchten Lippen, die sich seinen anpassten, sich anschmiegten, rutschten und glitten, als ihrer beider Atem sich vermischte und ihre Finger fummelten.
„Lass mich“, sagte er schließlich, wobei er widerstrebend die Hände von ihrer glatten Haut löste, wo sie erneut Bekanntschaft mit dieser langen, geschwungenen Rückenlinie schlossen, runter bis zu ihrem Baumwollhöschen. Zoë bog sich nach hinten durch, ihr Atem warm und heftig an seinem Hals, als sie sich zur Seite drehte, neben ihm auf des Bett plumpste.
Einen Herzschlag lang lagen sie da, der Atem rau und stoßweise, und ihre Blicke trafen sich. Gefangen. Quent fühlte sich, als hätte ihn etwas Scharfes und Plötzliches aufgespießt, etwas Ungemütliches, und sah, wie Zoë die Luft anhielt und dann ihre Augen dichtmachte. Er schob das beiseite, indem er brutal am störrischen Hosenlatz seiner immer weiter schrumpfenden Jeans zerrte. Das verfickt letzte Mal, dass er Wildleder trug. Die Knöpfe explodierten, poppten weg und fielen runter, als hätte er nur eine Reihe Druckknöpfe geöffnet, und dann war sie da, glitt mit Händen voller harter Schwielen hinunter und hinein in sein warmes Päckchen.
Er stöhnte laut auf, als sie ihn bedeckte, kundige Finger sich um ihn schlossen, das pochende Zentrum seines Universums freilegten. Und dann das kleine Stöhnen von Zoë, als er ihr kurz entschlüpfte – das hätte ihn fast ans Ende gebracht.
Die Jeans immer noch um seine Hüften, feucht und schwer und hinderlich, presste er sie zurück auf das Bett, halb auf ihr und glitt mit seiner Hand hinunter, vorbei an dem ausgeleierten Gummiband ihres Höschens bis zu ihrer feuchten Wärme. Oh Gott, sie war voll und nass und bereit und sie schob sich und seufzte, schob sich in seine Hand hinein.
„Bist du sicher nur wegen dem Pfeil hier?“, fragte er und beobachtete ihr Gesicht, während er sie dort befingerte.
Ihre mandelförmigen Augen, halb im Schatten in dem dämmrigen Licht, waren geschlossen, ihre Lippen geöffnet für ein kleines Hauchen. „Scheiße nochmal ja... Der gehört mir.“
Er bewegte seine Finger, spielerisch, an ihr, gegen sie, neckte und streichelte, beobachtete, wie ihr Atem sich veränderte, ihre Augenlider flatterten. „Warum holst du ihn dir dann nicht einfach“, schlug er vor. „Lass dich von mir nicht aufhalten.“
Er legte seinen Mund jetzt auf die harte, hervorstehende Brustwarze, die ihm am nächsten war, saugte plötzlich grob daran, als sie sich anspannte und neben ihm nach hinten durchbog ... dann durchschoss ihn Hitze wie Feuer, als sie keuchte und ihr Orgasmus unter seinen Fingern und Lippen erzitterte.
Oh ja, Süße, da wären wir dann. Lass dir von mir zeigen, wie gut das hier tut.
Er holte alles aus ihr heraus, was er konnte, wartete, neckte sanft, bis sie sich zurücklehnte, und besorgte es ihr dann wieder. Diesmal ließ er sie nach Luft schnappen, sogar ein bisschen zappeln ... und die Hand nach ihm ausstrecken.
„Denke, ich geh dann jetzt“, sagte sie mit einer rauen Stimme. Ihre vollen Lippen zuckten. „Wo du gerade davon sprichst.“ Ihre Finger schlossen sich um ihn und machten zwei – zähl sie, zwei – lange Stöße an ihm entlang ... und dann war sie über ihm und hoch und auf der anderen Seite vom Bett runter.
Quents Atem explodierte in einem schnellen, heftigen Ausatmen und er drehte sich blitzschnell herum, auf sie zu. Aber anstatt schon halb durchs Zimmer gekommen zu sein, wie er befürchtet hatte, stand sie da, direkt neben dem Bett, ein hämisches, hämisches Lächeln auf ihren reichlich zerküssten Lippen. Nackt.
„Zoë“, sagte er und es war ihm egal, ob er verzweifelt klang. Er war’s. Oh verdammte Hölle, Scheiß nochmal, er war verzweifelt ... so verzweifelt, er war kurz davor, zu betteln. Der verdammte Quent Brummell Fielding bettelte eine Frau an.
„Kein Scheiß: wenn du dir diese verfluchten Klamotten ausziehen würdest, würde ich mich überreden lassen“, sagte sie. „Die sind scheißkalt und auch noch klebrig.“
Quent entfuhr ein belustigter Atemzug, als er realisierte, dass er tatsächlich noch vollständig bekleidet war, bis auf den wütenden Steifen, der ihm aus dem Latz ragte. Er riss sich das Hemd vom Leib und schälte sich aus der verfluchten Jeans und als er das nasse Bündel auf den Boden knallte, schaute er hoch.
Sie kam auf ihn zu, schob ihn rückwärts auf das Bett, nicht gerade sanft. Als Nächstes hatte sie sich schon auf seinen Hüften niedergelassen, ihre Hände flach und warm auf seiner Brust, und senkte sich. Oh Gott ... Gott...
Er presste die Augenlider zusammen, seine Hände wie Schraubstöcke an ihr, um diese verdammte Wildkatze davon abzuhalten, sich zu bewegen, bis er wieder die Kontrolle hatte. Ihr tiefes, leises Lachen verspottete ihn wie eine rauchige Peitsche und als er die Augen öffnete, um in ihre zu blicken, sah er dort die gleiche Lust brennen.
Sie packte ihn fester, tief, und er stöhnte, als das Hämmern härter wurde, verlor fast die Kontrolle und kam nochmal zurück.
Und ... nein. Auf diese Weise hätte er die Kontrolle. Mit einer raschen Bewegung drehte er sie auf den Rücken. Zoë lachte halb, halb keuchte sie vor Überraschung und Entzücken, als er übernahm, und er verlor keine Zeit, sie beide in den langen, feuchten Rhythmus gleiten zu lassen.
Der Ritt wurde wild, wahnsinnig, und Quent verlor jedes Gefühl für alles andere, nur diese leisen Seufzer und das Stöhnen, das Gleiten der Beine, das Kratzen der Nägel, weiche Lippen, das Ansteigen, Sammeln von Lust, und alles wurde feucht und heiß und wummerte durch ihn hindurch, trieb ihn zum Rand des Abgrunds hin ... und dann darüber weg.
Im letzten Augenblick dachte er noch daran, irgendwie, und drehte sich mit einem tiefen Grunzen der Erlösung und der Anstrengung weg ... blinde Lust tobte durch ihn, als er den langersehnten, dringend benötigten Höhepunkt erreichte. Und hielt sich fest, als er in den hart erarbeiteten, sanften Schlaf hinüberglitt.