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Als Claire nach ihrem Nickerchen in die Messe der Watson kam, zeigte der Fernseher die Übertragung eines amerikanischen Programms. Nicht die Nachrichten, nicht einmal ein Baseball- oder Footballspiel, wie sie von den Seeleuten erwartet hätte, die bequem herumsaßen, Kaffee tranken und das Programm verfolgten.

Sie mußte zugeben, daß die klischeehaften Vorstellungen über Seeleute, die sie bisher akzeptiert hatte, zumindest im Fall dieser Männer irrig gewesen waren. Sie waren beweglich, intelligent und diszipliniert, ohne starr zu sein. Selbst jetzt wahrten sie bei allen schlauen Blicken, die sie ihr aus den Augenwinkeln zuwarfen, eine geziemende Zurückhaltung. Sie war sich sehr wohl bewußt, daß die Besatzungsmitglieder seit mehr als einem Monat keine Frau aus der Nähe gesehen hatten. Es war wie ein gleichförmiger Unterton an Bord, eine Sache der Körpersprache und zu langer Blicke, nichts, wogegen sie Einwände hätte erheben können, und von seiten der Männer vielleicht nicht einmal bewußt. Aber es war da. Immerhin hielten sie es zurück, so gewissenhaft und ordentlich wie ihre gebügelten blauen Uniformen.

Das Fernsehen zeigte einen Informationsfilm über Mikrobiologie, in dem DNS-Moleküle sich wie bunte, tanzende Schlangen unter einem wachsamen Elektronenmikroskop ringelten. Die Begleitmusik hörte sich wie ein elektronisch verfremdetes barockes Cembalo an. Die Stimme des Kommentators erklärte den einzigartigen Stellenwert, den die Ionen von Phosphorverbindungen in unserer Biologie einnahmen, glaubte darin Ordnungen zu erkennen, die er auf Ideen des 15. Jahrhunderts vom Uhrenbau und Planetenbahnen zurückführte, die er wiederum mit der Entwicklung der bürgerlichen Freiheiten in der modernen Welt verband. Die Musik ging zu Beethoven über. Darwin trat auf, dann modernistische Drucke, die den Lebensüberdruß illustrierten, und dann wurde über Prädestination und Freud gesprochen.

Die heitere, die saubere Wissenschaft. Das sollte offenbar die Botschaft dieses sonderbaren Potpourris von Wissenschaftswerbung sein. Daß man solche Reklame überhaupt nötig zu haben meinte, ließ den Schluß zu, daß der Fortschrittsglaube auch in den Kreisen seiner Verfechter brüchig wurde. Jedenfalls hatte das alles nichts mit dem Herumkriechen in einer Höhle zu tun, oder mit der Suche nach einem Etwas, das tödliche Gammastrahlen aussendete. Damit natürlich nichts. Sie nahm einen Plastikbecher des schrecklichen Kaffees in die Hand und ging auf Deck.

Die Nachtkälte vermochte ihrer dicken Jacke nichts anzuhaben. Sie ging langsam nach achtern, plump und tapsig in den schweren Stiefeln, die sie von der Marine bekommen hatte. Radarantennen verschiedener Formen und Größen rotierten unaufhörlich über ihr, geräuschlose Begleitung zum ewigen Vibrieren der Maschinen und dem Rauschen des Wassers am Schiffsrumpf.

George Schmitt überwachte die Arbeit auf dem Hubschrauberdeck. Arbeitstrupps warteten und betankten die beiden Maschinen, während andere das große würfelförmige Objekt festmachten. Sie dachte an das steinerne Artefakt unter all den Schichten von Metall und speziellen Dämm- und Kunststoffen. Der schmutzigweiße Verschlag, der es nun beherbergte, war von Materialexperten zusammengesetzt worden, weil man die Singularität im Inneren des Blocks so lange wie möglich darin festhalten wollte. Eine besondere Gruppe von vier Mann mit tragbaren Meßinstrumenten überwachte den Würfel ständig. Während Claire zusah, unternahmen sie einen weiteren Rundgang und hielten dabei ihre Instrumente gegen die Seiten.

Soweit hatte es keine Schwierigkeiten gegeben. Dennoch war sie in der Nähe des Würfels nervös. Der lange Flug von Boston an Bord einer Transportmaschine der Luftwaffe war ihr ein Alptraum gewesen, bis John zufällig erwähnte, daß das Artefakt nicht an Bord war. Es wurde separat in einer Maschine mit reduzierter Besatzung befördert.

Sie hatte angenommen, daß ihre Gruppe und Carmodys Spezialisten die Operation allein durchführen würden. Doch als sie auf einem NATO-Luftstützpunkt in Italien landeten, kamen weitere Männer an Bord, und es gab Begleitmaschinen, und allmählich ging ihr auf, wie groß dieses Unternehmen aufgezogen worden war. Und wie ernst man die Berechnungen einiger Physiker und Mathematiker nahm. Es war aufschlußreich für das Maß, in dem der Sicherheits- und der militärische Bereich von den Physikern abhingen, die seit 1945 die Mandarine der Wissenschaft waren.

Vor drei Tagen hatte sie an einer Sitzung teilgenommen und einer detaillierten Studie über die möglichen Folgen einer Wiedervereinigung der beiden Singularitäten tief im Erdinneren gelauscht. Diese Studie war notwendig geworden, weil einige einflußreiche Persönlichkeiten sich dafür ausgesprochen hatten, die beiden einfach unter dem Atlantik zusammentreffen zu lassen, wo die Auswirkungen minimal sein würden. Wenn aber, so erklärten die Verfasser der Studie, nur einhundert Kilo der vereinten Masse in Energie umgewandelt würden, so könnte dies schwere Erdbeben im Bereich des Atlantik erzeugen, gefolgt von Flutwellen, die beide atlantischen Küsten verheeren würden. Die geduldige, vernünftige Art und Weise, wie die Verfasser ihre Gleichungen und graphischen Darstellungen erläuterten, hatte etwas niederdrückend Überzeugendes gehabt. Vor allem war Claire betroffen von der leidenschaftslosen systematischen Weise, wie sie weitreichende Schlußfolgerungen zogen und vertraten. In der Archäologie wurde jedes kleinste Fundstück auf seine mögliche Bedeutung untersucht. Die Forscher wußten, daß sie es mit menschlichen Hervorbringungen zu tun hatten, geformt von Regungen und Bedürfnissen, die sich im Laufe der Jahrtausende vermutlich wenig geändert hatten. Es gab ermutigend menschliche Maßstäbe. Eine unerwartete Wendung konnte einen nicht plötzlich an den Rand eines Abgrundes stoßen, wo man in hallende, kalte, unmenschliche Perspektiven hinabstarrte. Der Unterschied war so enorm, daß man kaum geneigt war, beide Gebiete gleichermaßen als Wissenschaften anzusehen.

»Lampenfieber?« fragte eine Stimme neben ihr. George Schmitt lehnte entspannt an der Reling. Er schien immer unbesorgt und gelassen, ob er am Grab oder in Boston oder auch hier arbeitete. Es mußte ein Geschenk des Himmels sein, dachte sie.

»Nein, ich gehe nur die Möglichkeiten durch«, antwortete sie.

Als die ganzen Ausmaße des Vorhabens klar wurden, hatte sie vorgeschlagen, George beizuziehen. Nur er und sie kannten das Grab gründlich, und er allein hatte eine gute Vorstellung von der strukturellen Festigkeit der Wände. Niemand wußte, was geschehen würde, und es bestand ein erhebliches Risiko, daß der Schauplatz der Wiedervereinigung Schaden davontragen würde, und Claire fühlte sich für das Kuppelgrab verantwortlich. Zuerst hatte sie verlangt, hineinzugehen und die Leute zu beaufsichtigen, um allfällige Beschädigungen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Carmody hatte das ausgeschlossen, bis Arditti und andere argumentiert hatten, daß es nützlich wäre, jemand dabeizuhaben, der das Grab und seine Umgebung kannte. Der Plan verlangte ein Minimum von zwei Hubschraubern, und sie hatte vorgeschlagen, daß George mit dem ersten und sie mit dem zweiten fliegen sollte.

Zu ihrer Überraschung war George einverstanden gewesen. Zwei Agenten hatten ihn nach Boston gebracht. Da sie ihn gut kannte, entging ihr nicht, daß er unter seiner beiläufigen, kühlen Art aufgeregt war, und daß die Atmosphäre von Geheimhaltung und Macht ihn faszinierte. Carmodys Leute waren praktisch denkende Männer von vielseitiger Tüchtigkeit, und die Beschäftigungen, denen sie nachgingen, mußte für einen jungen Archäologen, der seine Tage an der Columbia-Universität mit der Reinigung, Einordnung und Katalogisierung alter Fundstücke zubrachte, eine willkommene Abwechslung sein.

Claire war auf die Teilnahme an dem Unternehmen geradezu versessen gewesen. Die stärkste Opposition war von John gekommen, der sie überhaupt nicht an dem Vorhaben hatte beteiligen wollen. Aber sie ließ sich von niemand beiseitestoßen. Sobald John das begriffen hatte, war er zu widerwilliger Neutralität übergegangen. Dann hatte sie mit Carmody fertig werden müssen. Seine altmodische fürsorgliche Beunruhigung war bloß ein weiterer müder Vorwand, eine Frau aus der Sache herauszuhalten; sie sah das sofort, und schließlich gelang es ihr, seine vorgeblichen Bedenken zu zerstreuen. Sie war mit dabei. Nicht im ersten Hubschrauber, nein, aber sobald die Verhältnisse sich beruhigt hätten, würde sie ins Grab gehen, um zu retten, war übrig war. Sie schuldete es ihrem Beruf und sich selbst.

»Daß es dazu kommen würde, hätten wir uns nicht träumen lassen, wie?« sagte George. Seine Finger trommelten auf die Reling.

»Archäologie, das Fach mit Zukunft.«

»Obwohl es sich mit der Vergangenheit befaßt.«

»Darüber zerbreche ich mir den Kopf«, sagte sie. Die Männer brachten Kabel an dem Verschlag an, der das Artefakt enthielt. Die Kabel führten zu einer Winde am Bauch des ersten Hubschraubers.

»Was der Würfel bedeutet?«

»Ja. Kubisches Artefakt, kubische Singularität. Kann kaum zufällig sein.«

»Die Hersteller behauten den Fels, daß er von außen wie das Ding im Innern aussehen sollte. Wäre das eine Möglichkeit?«

Sie blickte ihn überrascht an. »Ja, aber warum? Welche Beziehung hatte das Ding zu dem oder denen, die in dem Kuppelgrab bestattet wurden?«

»Vielleicht war der Tote der Entdecker.«

»Und wo sollte er es entdeckt haben?«

»Was weiß ich? Er könnte es ausgegraben haben. Aus einem Steinbruch.«

»Könige arbeiten nicht in Steinbrüchen, und Steinbrucharbeiter haben keine vornehmen Gräber.«

»Vielleicht war es eine Kriegsbeute. Das Elfenbeinplättchen mit der Ritzzeichnung könnte ein Hinweis darauf sein.«

Wieder blickte sie überrascht zu ihm auf. Seit Wochen hatte sie daran nicht gedacht. Die primitive Skizze auf Elfenbein, die Kreta und Santorin zeigte. Kontos mußte sie inzwischen gefunden haben, unter den Ausgrabungsgegenständen, die nach Athen geschafft worden waren.

»Gewiß. Aber die Erbauer des Grabes müssen gewußt haben, daß die Singularität gefährlich war. Ich frage mich, wie sie darauf gekommen sind.«

Auf einmal kam ihr eine Erleuchtung. »Die Meißelspuren an der Vorderseite! Erinnerst du dich? Sie könnten davon herrühren, daß jemand versuchte, die Singularität herauszubekommen.«

Er schaute skeptisch. »Wer?«

»Grabräuber?«

»Das Ding sieht nicht wie etwas aus, was einen Grabräuber reizen könnte. Ganz abgesehen von seinem Gewicht.«

»Oder Johns Idee. Daß, wenn Diener mit dem toten König eingemauert wurden, sie versucht haben könnten, sich zu befreien.«

»Es gibt praktisch keinen Hinweis, daß welche begraben wurden, dachte ich. Außerdem war das bei den mykenischen Griechen nicht üblich, soweit wir unterrichtet sind.«

»Richtig. Aber nur angenommen, es sei so gewesen. Sie konnten sich nicht beim Eingang hinausgraben, der mit Erdreich und Geröll zugeschüttet war; das wußten sie. Also waren sie verzweifelt. Arbeiteten im Dunkeln. Sicherlich hatten sie gehört, daß das Ding in dem Würfel, was es auch sein mochte, Licht von sich gab.«

»Demnach hätten sie versucht, an dieses Licht heranzukommen?«

»Ja! Es kann durch Gestein bohren, nicht wahr?«

»Komm schon, Claire! Damals müssen noch beide Singularitäten beisammen und inaktiv gewesen sein. Woher hätten sie wissen sollen, daß eine abgetrennte Singularität sich durch den Felsen bohren würde?«

Doch sie ließ sich von ihrer Idee nicht abbringen. »Es paßt alles. Die Diener wußten, was im Würfel war. Alle müssen es gewußt haben.«

»Vielleicht. Aber sie kamen nie hinter den ersten Block. Der Mörtel war intakt.«

»Ja. Nicht genug Zeit. Vielleicht dachten sie, sie könnten die Singularität aus dem Fels befreien? Sahen eine Gottheit darin, die ihnen Hilfe bringen könnte?«

George beobachtete die Arbeiten der dunklen Gestalten unter den zwei bananenförmigen Rümpfen der Hubschrauber. »Du gehst nicht logisch vor«, sagte er. »Wenn die eingeschlossenen Bediensteten – angenommen, es habe sie gegeben – das Innere des Kuppelgrabes nicht verlassen haben, können sie nicht an den Würfel herangekommen sein, der jenseits der Mauer lag. Folglich können sie die Meißelspuren am Würfel nicht verursacht haben. Diese müssen bereits vorher entstanden sein, ehe der Würfel an seinen Platz gebracht wurde. Aber ich fürchte, wir werden mit diesen Spekulationen nicht weiterkommen, solange wir keine neuen Hinweise auf den Zweck des Würfels und seines Inhalts finden.«

»Wenn wir hier fertig sind, wird vielleicht nicht mehr viel vom Grab übrig sein.«

»Das werden wir sehen. Dazu sind wir schließlich hier, nicht wahr? Die archäologischen Interessen zu wahren.«

»Und dann zu verschwinden«, sagte Johns Stimme hinter ihnen.

Claire wandte sich um und sah, daß er ganz in einem schwarzen Tauchanzug steckte und in unpassenden blauen Turnschuhen etwas unbeholfen dastand. Eine wortlose, nervöse Erregung sprang zwischen ihnen über, George aber schien vom Anblick des Tauchanzuges ernüchtert und sah auf die Uhr. »Ah, wird allmählich Zeit, nicht?«

»In fünf Minuten. Wenn das Schiff verlangsamt, gehen wir über Bord.«

Claire blickte forschend in Johns Gesicht, konnte aber keine Gemütsbewegung erkennen. Er überspielte seine Nervosität mit Lockerungsübungen. »Die Muskeln müssen warmgehalten werden.«

George lächelte. »Lassen Sie sich nicht stören!«

»Sie fliegen mit Maschine A, wie?« sagte John grunzend zwischen seinen Streckübungen.

»Ja. Wir kundschaften das Grab aus.«

John nickte, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und zog die Ellbogen rhythmisch zurück, wobei er den ganzen Körper spannte und auf die Zehenspitzen hob. Es erinnerte Claire an die Aufwärmübungen vor einem Spiel.

Sie glaubte genau zu wissen, was er dachte. Er war hinter ihrem Rücken zu Carmody gegangen und hatte etwas mit ihm ausgehandelt. Sie sollte mit Maschine B fliegen – nicht A, die den Würfel trug. George sollte als Erster zum Grab vordringen. John tat zu ihrem Schutz, was er konnte. Sie hatten wegen ihrer »dickschädeligen Störrigkeit«, wie er es nannte, bereits dreimal Krach gehabt, aber sie hatte sich durchgesetzt. Sie nahm an der Aktion teil, und dafür sah sie ihm diese unbedeutende und eher liebvolle Täuschung kommentarlos nach.

»Ich dachte daran, Zaninetti eine Nachricht zu schicken«, sagte John.

»Carmody hat völlige Funkstille angeordnet«, sagte George.

»Das Telegramm kann hinausgehen, sobald wir fertig sind. Oder, noch besser, dann kann ich es stornieren.«

»Ich folge dir nicht«, sagte Claire.

John grinste. »Es gab einmal einen großen Mathematiker namens Hilbert, der nach Berlin telegraphierte, er habe eines der hervorragendsten ungelösten Probleme der Mathematik bewiesen, die sogenannte Riemannsche Vermutung. Sie hat mit den Wurzeln einer bekannten Funktion zu tun. Er schickte das Telegramm nach Berlin und kündigte an, daß er kommen und einen Vortrag halten wolle. Die Fachwelt geriet in Aufregung. Hilbert kam und hielt seinen Vortrag und sagte nichts über das Problem. Hinterher kam jemand zu ihm und fragte, was ist mit der Riemannschen Vermutung, wie lautet die Lösung? Und Hilbert sagte, er habe keine. Er war das erste Mal mit dem Flugzeug geflogen und ziemlich nervös, und hatte das Telegramm für den Fall geschickt, daß er bei einem Absturz ums Leben käme.«

George lächelte. »Auch ein Weg, sich einen Platz in den Büchern zu sichern.«

»Wie mit dem berühmten verlorengegangenen Bishopschen Beweis der Riemannschen Vermutung, wie?« sagte Claire.

»Du hast es erfaßt«, sagte John mit Heiterkeit. Er hob die Hände und zuckte die Achseln.

Zusammen gingen sie weiter und überließen George seinen Pflichten.

»Fünf Minuten?« fragte sie halblaut.

»Ja.«

»Ich sehe noch immer nicht ein, warum es so schnell gehen muß. Es hat nur ein paar Tage zum Nachdenken gegeben, zum…«

»Es ist dieser Krieg. Er liefert eine perfekte Ablenkung. Und sollte je etwas schiefgehen, so werden die Leute es als irgendein türkisches Unternehmen abschreiben, das gescheitert ist.«

»Davon sagte Carmody nichts.«

»Brauchte er auch nicht. Es ist offenkundig.«

»Aber du mußt zugeben, daß, wenn wir noch eine Woche Zeit gehabt hätten…«

»Inzwischen hätte der Geist aus seiner Flasche dort entweichen können«, sagte er mit einer Daumenbewegung zum Hubschrauberlandeplatz. »Und wir hätten alle Hände voll zu tun, ihn wieder hineinzubringen.«

Sie stimmte widerwillig zu. »Ich sehe noch immer nicht, warum einer mathematischen Kuriosität soviel Aufmerksamkeit geschenkt wird.« Nachrichten von einer ebenso wichtigen Entdeckung auf dem Gebiet der Archäologie, überlegte sie, würden eine Figur wie Carmody – wenn überhaupt – allenfalls nach einem oder zwei Jahrzehnten erreicht haben.

»Es ist viel mehr. Die mathematischen Berechnungen legen den Schluß nahe, daß solch energiereiche Partikel von hoher Masse nützlich sein können. Kompakte Energiespeicherung. Eine vielseitige Strahlungsquelle. Könnte man solch ein Ding unter Kontrolle bringen, so wäre es möglich, das ganze Erdinnere zu erforschen.«

»Wie?«

»Wenn du zwei Singularitäten hast, könntest du die zweite genau gegenüber von der ersten auf der anderen Seite der Erde placieren. An Ort und Stelle verankern oder was. Dann würde die gegenseitige Anziehungskraft die andere Singularität durch den Mittelpunkt der Erde herüberziehen. Die Messung der Durchgangszeit und die Rate ihrer Vorwärtsbewegung würde Aufschluß über die Dichteverhältnisse und die materielle Zusammensetzung von Mantel und Kern geben. Zumindest könnte man damit auf kostensparende Weise Tiefbohrungen durchführen.«

»Oder Bomben bauen.«

Er nickte. »Das auch.«

»Dann ist klar, welche Anwendung im Vordergrund stehen wird. Deshalb hält Carmody uns von der Presse fern.«

»Gewiß. Das wird eine Weile klappen. Aber auch er weiß, daß es nicht lange dauern kann. Die wissenschaftlichen Aspekte sind zu interessant. Vielleicht könnte er dich und mich zum Stillschweigen vergattern, aber Zaninetti ist eine zu bedeutende Figur, als daß er ihm einen Maulkorb verpassen könnte.«

»Tröstlich.«

»Ja.«

Sie waren ein Stück zum Vorschiff gegangen, und nun hörten sie das Rauschen der Bugwelle hinter sich. Die Schaumstreifen schienen einen schwachen phosphoreszierenden Schein zu haben. Die Watson lief mit halber Fahrt. Ihre Schlingerbewegungen waren träge wie die Dünung. Claire lehnte sich an ihn. »Zwei Minuten«, sagte sie. »Worüber reden wir?«

»Liebe und Tod.«

»Wessen?«

»Unsere.«

»Darf ich zwischen beiden wählen?«

Er küßte sie. »Tust du mir einen Gefallen?«

»Sicher, Matrose. Willst du es gleich hier auf Deck? Ich glaube, es ist dunkel genug.«

»Geh nicht in den Hubschrauber.«

Sie schaute ihn an und sah ein verletzliches, offenes Gesicht, und sie bereute, daß sie so frivol mit ihm gewesen war. Aber es war zu spät, und beide wußten sie es.

»Ich… du mußt verstehen, daß ich eine Verpflichtung habe.«

»Ich weiß. Ich bin nicht einverstanden, aber ich weiß.«

»Ich… ich muß.«

»Soviel zum Tod. Halten wir uns an die Liebe!« Er legte die Arme um sie.

»Ist dies, was es damit auf sich hat?«

»Gewiß. Natürlich muß es nach den Regeln des unterkühlten guten Geschmacks geschehen.« Er küßte sie.

»Wir in Boston lassen uns Zeit.«

Er lächelte zu ihr hinab. »Du versteckst dich bloß dahinter.«

Sie sagte nachdenklich: »Das ist wahr.«

Er küßte sie wieder.

»He!« rief Ardittis Stimme vom Achterschiff. »Bishop! Wollen Sie eine Einladungskarte?«

Artefakt
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