26
Der Frühling kam in diesem Jahr wie ein Eroberer. Über Nacht brachte er lauen Wind und sanft wärmende Luftmassen mit, die die Erde liebkosten und ihr dichtes Gras und die ersten zarten Blumen
entlockten. Noch ein wenig schüchtern zwitscherten Vögel auf den kahlen Bäumen. Das Land erwachte.
Solitaire bummelte mit gesenktem Kopf über die Koppel und naschte an den ersten zarten Grasspitzen. Der weiche Wind streichelte unter ihrer Mähne entlang, zupfte an den noch vereinzelt stehenden Büscheln ihres Winterfells und koste ihren Leib. Sie war schon recht stark. Seltsam nahm sich dieser große Leib an ihrem zierlichen Körper aus, denn ihr übriges Äußeres hatte sich nicht verändert. Noch immer besaß sie diesen feinen Kopf mit den großen, beredten Augen, ihr Hals wölbte sich anmutig, und ihre Fesseln waren unverändert schlank.
Seit jenem Tag, an dem stumme, doch überwältigende Panik sie niedergeworfen hatte, seit Eric zumindest den größten Teil der Nacht neben ihr verbrachte, war sie ruhiger geworden. Er würde da sein, wenn es geschah. Sie würde nicht allein sein, wie damals. Wenn er da war, würde es einen Ausweg geben.
Wie die meisten Tiere hatte sie ein sehr feines Zeitempfinden. Langsam ging sie zum Koppelzaun und lehnte ihr kleines Maul auf eine der massiven Bohlen, um auf die Auffahrt zu blicken. Bald würde er kommen.
Aus der Ferne hörte sie den Wagen, lauschte auf das vertraute Geräusch, als das Tor geschlossen wurde.
Solitaire war nicht die einzige, die wartete: ein dumpfes Trommeln näherte sich stetig – Excalibur und seine Stuten kamen aus den Hügeln. Als der kleine Morris vor dem Stall hielt, überschwemmte die Woge der Pferde die für gewöhnlich leeren Weiden außerhalb der Koppeln. Excalibur löste sich aus dem Pulk und kam auf Eric zu, den Schweif hoch getragen. Er erhob sich halb auf die Hinterhand und prustete übermütig.
»Hallo, Wildfang.«
Excalibur sank nieder, verharrte und neigte neugierig den Kopf: Da war eine Veränderung im Wesen seines Freundes. Heute würde es wohl keine übermütigen Spielchen geben. Er schob die Nüstern vor und versuchte zu ergründen, was es war. Der Fellball, den Eric immer bei sich hatte, wedelte heftig, seine Schnauze war weit offen und seine Zunge fuhr immer wieder über seine Lefzen.
Excalibur kam zwei Schritte näher, und die Gestalten von Mann und Hund verschwammen endgültig vor seinen weitblickenden Augen. Er blieb stehen und stellte fragend die Ohren vor.
Eric kam zu ihm und streckte die Hand aus. Der Hengst näherte sich dem vertrauten Geruch, bis sie unmittelbar voreinander standen.
»Weißt du ...?« Die Stimme klang gepreßt, als
sei nicht genug Raum für sie in der Kehle.
Excalibur drückte sein Maul gegen Erics Schulter und
wartete.
Nach einer Weile sprach die Stimme wieder, leichter jetzt
– »Denk nur, Excalibur: ich werde Vater! Kannst du dir das
vorstellen?!« Er preßte sein Gesicht gegen den roten Hals und grub
seine Hände in die lange Mähne. Excalibur fühlte, wie heiße Nässe
über seine Haut lief. Er drehte den Kopf und schob Eric damit
dichter an sich. Ihre Gedanken begegneten einander.
Sanft schmiegte der harte Pferdeschädel den Mann an seine Brust.
Die feinen Nüstern schnoberten über Schultern und Nacken und
schienen Vertraulichkeiten in seine Ohren zu flüstern.
Eric richtete sich nach einer Weile auf und fing den zutraulichen
Kopf ein.
»Dank dir, mein Freund. Jetzt ist's leichter. – Sonst wäre ich wohl
jedesmal in Tränen ausgebrochen, wenn ich's jemandem gesagt hätte.
Beim heiligen Andreas, niemals hätte ich gedacht, daß mich das so
tief ... es liegt wohl daran, daß ich Elaine so sehr liebe.« Seine
Stimme wurde fester. »Ich wußte nicht, daß ich mir ein Kind
wünsche.«
Emily kannte wie die Pferde die Zeit, in der Eric zu ihnen kam. Als
sie ihn jetzt neben Excalibur stehen sah, bemerkte sie die
Veränderung an ihm: Immer schon hatte er sich aufrecht gehalten,
das war ihr gleich aufgefallen. Aber dieses Leuchten, das plötzlich
um ihn war, hatte sie niemals bemerkt. Es überwältigte sie
geradezu, als sie sich ihm näherte, und unerklärlicherweise fühlte
sie bereits einen Stich von Neid.
Sie blieb in vorsichtiger Entfernung stehen, und der Hengst wandte
sich um und trabte zu seinen Stuten. Er wollte nicht in der Nähe
von Menschen sein, die ihn fürchteten. Sie reichte Eric die Hand.
»Es ist gerade Zeit zum Abendessen.« Auf Sunrise wurde früh zu
Abend gegessen. »Kommen Sie, Eric, leisten Sie uns
Gesellschaft.«
»Vielen Dank, aber nein, danke.« Neben so etwas wie einer leisen
Verlegenheit hatte auch sein Lächeln eine unbestreitbar strahlende
Qualität. Fragend blickte sie zu ihm auf.
»Wir – Elaine und ich –, wir möchten ein kleines Festessen
veranstalten, wissen Sie, nur wir beide und die Tiere.« Er nickte
zu Wolf und Solitaire hin.
»Oh, ich verstehe.«
Sie verstand nicht. Normalerweise machte ihr das nicht viel aus;
sie war an leere Floskeln gewöhnt. Aber jetzt überwog ihre Neugier:
»Ein Festessen? – Wäre es sehr indiskret zu fragen, was Sie feiern
wollen?«
Eric blickte kurz über die Schulter zu Excalibur, der seine Herde
in fliegendem Trab zu den Hügeln trieb.
»Wir wollen feiern, daß wir ein Kind bekommen«, sagte er
einfach.
Ihre Augen weiteten sich für einen Sekundenbruchteil. Zorn, sogar
etwas wie Haß glitt auf dem Hintergrund dieser Augen vorüber, und
gab dann einem falschen Strahlen Raum: »Wie mich das freut, Eric!
Meinen herzlichen Glückwunsch!«
»Vielen Dank.« Fragend tauchte sein Blick in ihren, versuchte, die
darin huschenden düsteren Schatten einzufangen.
Pures, dunkles Blau leuchtete ihm entgegen aus einem bleich
gewordenen Gesicht. Es war, als sei eine Falltür vor ihre
Empfindungen gelassen worden.
In diesem Augenblick vernahmen seine feinen Ohren ein vertrautes
Geräusch, seine Aufmerksamkeit wich von Emily zurück und richtete
sich auf die Auffahrt. »Entschuldigen Sie mich bitte.« Als der
elegante blaue Wagen auf sie zuglitt, lief er ihm voll ungestümer,
jungenhafter Ungeduld entgegen.
Aus der Entfernung beobachtete Emily brütend, wie er die Fahrertür
aufriß, Elaine sanft aus dem Wagen half und sie in seine Arme
schloß. Sie sah den glühenden Kuß und die Zärtlichkeit seiner
Hände, die über die langen roten Locken glitten.
Mit einer heftigen Bewegung wandte sie sich ab.
Elaines Gegenwart auf ihrem Gestüt hatte sie zähneknirschend
hingenommen. Zwar hatten die beiden ihre Beziehung sehr diskret
gehalten, und als Emily am ersten Abend in den Stall getreten war,
hatte sie nur das leise zivilisierte Murmeln ihrer sich
unterhaltenden Stimmen gehört. Sie hatte sich zurückgezogen in der
Erwartung, daß Elaine bald wieder fahren würde. Aber als eine
Stunde danach der Stall verriegelt wurde und der blaue Wagen bis
zum Morgen im Hof stehenblieb, ahnte sie, daß es für sie keine
Hoffnung mehr gab.
Und nun hatte sie die bittere Gewißheit.
Ein Kind! Wenn sie ein Kind miteinander wollten, war es eine sehr
ernste Sache zwischen ihnen. Ihre Erinnerungen schweiften
sehnsüchtig zu Everett zurück, zu seinem Lächeln und der Berührung
seiner Hände, die ihr das Gefühl gaben, etwas Einmaliges zu sein
... sie erinnerte sich, wie heftig sie ihn begehrt, wie sehr sie
sich ein Kind von ihm gewünscht hatte.
Ihr Blick wandte sich über die Schulter zurück.
Diese Frau war von Beginn an ihre Widersacherin gewesen. Im
Krankenhaus hatte sie die Macht aufgrund ihrer Qualifikation
gehabt. Jetzt hatte sie die Macht, weil er sie liebte.