7

Gegen Mittag riß der Wind die tiefhängenden Wolken auf, ganz wie David es prophezeit hatte, so daß sich ein tiefblauer Sommerhimmel über ihren Köpfen spannte. Dies also war die Macht

des Golfstroms. Aber das launische Wetter war im Augenblick Nebensache: Sie hielten im Geländewagen auf einer Hügelkuppe und blickten sich nach der Herde der Zuchtstuten um, nach denen sie seit heute morgen suchten. Dicht gepackt saßen auf dem Rücksitz Turner, Louise und Grandpa Fargus, der durchaus darauf bestanden hatte, mitgenommen zu werden. Als Beweis für seine Unabkömmlichkeit hatte er Emily eine abgewetzte Metallpfeife entgegengestreckt: »Everett hat ihn immer damit gerufen!«

»Aber Vater, ich kann damit auch umgehen. Ich kenne Everetts Signal.«
Doch der alte Mann war unnachgiebig geblieben, und nun saß er da im Fond, blickte sich nach allen Seiten um und genoß als einziger sichtlich diesen Ausflug. Louise bohrte ihren mißbilligenden Blick zwischen Erics Schulterblätter, daß er meinte, sie wollte ein Loch in ihn hineinstarren, zwischen Emily und ihm hing jene Beklommenheit wie eine klamme kalte Decke, die sich einzustellen pflegt, wenn Gefühle vorschnell oder ungeschickt geäußert werden, und Turner sah grau, elend und tief beschämt aus; sein üblicher Zustand nach einer Alkoholorgie. Und sie alle miteinander hatten es gründlich satt, nach den Pferden zu suchen.
Außer Grandpa. Er spielte unablässig mit der Pfeife und nahm den neuerlichen Halt zum Anlaß, um steifbeinig auszusteigen und das in die Luft zu schmettern, was als »Everetts Signal« bezeichnet wurde, eine Kaskade von kurzen und langen Tönen in einer bestimmten Reihenfolge, die Eric während der vergangenen Stunden nun schon so oft gehört hatte, daß er sie bis in die feinste Nuance auswendig kannte.
Wenn sie die Stuten fanden, würden sie die gesamte Herde zu den Ställen bringen müssen, obgleich es nur um Solitaire ging. Das hatte mit dem Verantwortungsbewußtsein des Hengstes zu tun: so wenig wie er einer Stute gestatten würde, sich allein zu weit von der Herde zu entfernen und sich seiner Aufsicht zu entziehen, so wenig duldete er es, wenn eines seiner Schutzbefohlenen, Stute oder Fohlen, von fremder Hand entfernt wurde.
Nur wenn er die Stute oder das Fohlen sicher auf der Koppel oder im Stall nahe Sunrise-House wußte, gab er die Verantwortung ab. Dann sorgten sich die Zweibeiner um seinen Schützling. Er akzeptierte das.
Aber wo war die Herde? Und warum folgte Excalibur nicht dem Laut der Pfeife? Sie waren bereits am Rudel der Einjährigen vorbeigekommen, kräftige Jungtiere mit einer Haut, die zum Platzen stramm saß, und die sich eines wie das andere zu prachtvollen großen Vollblutpferden entwickeln würden, wenn im Augenblick auch die Beine noch zu lang, die Kruppe oder der Widerrist zu hoch waren und der Rumpf zu dünn oder zu plump erschien.
Wo aber waren die Zuchtstuten? Die Herde konnte ganz in der Nähe sein – in der nächsten Schlucht vielleicht – oder auch meilenweit entfernt. Solange Excalibur sich nicht entschloß, freiwillig zu ihnen zu stoßen, konnten sie nur hoffen, die Stuten durch weiteres Suchen zu entdecken.
Eric hatte das Bedürfnis, seine langen Beine zu strecken. Stundenlang hatte er jetzt vorn im Wagen neben Emily gesessen, und weil er den Sitz aus Höflichkeit gegenüber den anderen im Fond ganz nach vorn geschoben hatte, fühlte er sich schon ganz verbogen. Er trat neben Grandpa. »Wir könnten es mit Hafer versuchen, Sir«, schlug er in respektvollem Ton vor.
»Tja, junger Mann, wenn wir Excalibur wenigstens in Sichtweite hätten – wenn er den Hafer riechen könnte –«
»Mir ist da ein Gedanke gekommen«, sagte Eric.
»So, was denn?«
»Ich zeig's Ihnen, wenn ich darf, Sir.«
Grandpa hatte es offenkundig gern, respektvoll behandelt zu werden. Er stützte sich fester auf seinen Knüttelstock. »Da bin ich ja mal gespannt«, sagte er, und es hätte nur noch einer hoheitsvoll gestattenden Handbewegung bedurft, um ihn wie einen der Chiefs wirken zu lassen, die im alten Schottland die glanzvolle Stellung des Königs auf ihren Ländereien innegehabt hatten.
Eric ging zum Kofferraum, um den Hafereimer zu holen, und warf durch die Heckscheibe einen Blick auf das eingefallene alte Gesicht mit dem sorgfältig gestutzten Backenbart und der ebenso sorgfältig gepflegten Mähne aus schlohweißem Haar, an der der Wind zerrte. Er vermutete, daß Everett ihm sehr ähnlich gesehen hatte. Wenn dem so war, konnte er verstehen, daß Emily »wie geblendet« von ihm gewesen war, denn unter all diesen Runzeln ließ sich die aristokratische Knochenstruktur erkennen, das langgestreckte scharf gezeichnete Kinn, die hohen Jochbögen, die hohe breite Stirn. Der Mund war noch immer fest und hatte wohl auch immer schon diesen Zug von Eigenwillen und Persönlichkeit besessen, und die Augen, obgleich ihre Farbe ausgeblichen und die Augäpfel gelblich waren, blickten noch immer gerade, hellwach, intensiv und aufmerksam. Er fand, daß Grandpa Ehrfurcht verdiente, gleichgültig, was Turner über ihn sagte.
Er kam mit dem Hafereimer wieder zu ihm, stellte ihn auf den höchsten Punkt der Umgebung, suchte sich einen kleinen, kräftigen Ast, und begann gegen den Eimer zu schlagen. »Würden Sie jetzt bitte noch einmal pfeifen, Sir?«
Grandpa tat das, und fragte dann: »Wozu soll das gut sein?«
»Das Pfeifen trägt sehr weit; gerade bei diesem Wind. Ich bin sicher, daß Excalibur die Pfeife gehört hat. Aber er ist trotzdem nicht gekommen.«
»O je.« Grandpa betrachtete die Pfeife auf seiner ausgestreckten Hand. »Sieht aus, als hätten Sie nicht unrecht, junger Mann. Haben Sie eine Idee?«
»Das Geräusch, das ich eben verursachte – es müßte ihn an das Klappern von Hafereimern erinnern. Und wenn es das tut, dann dürften seine Magensäfte jetzt schon gewaltig arbeiten.«
Wieder schlug Eric gegen den gefüllten Eimer. Ein satter, dumpfer Klang erhob sich, wurde vom Wind erfaßt und weit über das Land getragen, gefolgt von einem dünnen Quietschen, als Eric heftig den metallenen Henkel auf und nieder bewegte. »Wenn Sie noch einmal die Pfeife benützen würden, Sir? Vielleicht stellt Excalibur dann eine Verbindung her. Sie rufen ihn doch immer mit dieser Pfeife und geben ihm dann Hafer, damit er Ihnen folgt.«
»Oh – hm, beim letzten Mal taten wir's nicht. Wir hatten es eilig.«
»Verstehe«, murmelte Eric. Excalibur ließ sich nicht an der Nase herumführen. Er war getäuscht worden; erinnerte sich an das letzte Mal und sagte sich jetzt, daß es überhaupt keinen Grund gab, seine Stuten von wer weiß woher zu führen, ohne auf eine Belohnung hoffen zu können. Ein intelligentes und mißtrauisches Pferd. Wie gut, daß Lance nun außerhalb seiner Reichweite war!
Wieder schlug er gegen den Eimer. Die anderen waren nun auch ausgestiegen und beobachteten Erics seltsames Treiben aus der Nähe. »Wieso machst du das?« fragte Turner. Er hielt eine flachgewölbte Hand über seine schmerzenden Augen, um sie vor der Sonne zu schützen, die hell von einem nunmehr wie blank geputzten Himmel strahlte.
»Ja, Eric, was bezwecken Sie damit?« fragte auch Emily und trat etwas dichter zu ihm. Louise beobachtete dies mißlaunig und sagte plötzlich laut: »Er spielt sich auf! Er macht sich wichtig! Das ist alles!«
»Louise! Wo bleiben deine Manieren!« Grandpa richtete sich an seinem Knüttel auf. »Kürzlich erst diese Vorwürfe im Stall, und nun dies!«
»Du hältst ihm ja bloß die Stange, weil er so vor dir buckelt!« schleuderte sie ihm entgegen. »Aber gestern Abend hättest du ihn erleben sollen, vor dem Haus, wie er da mit mir umgesprungen ist! Er wollte mir Angst machen –«
»Ich habe Ihnen angst gemacht, junge Lady«, sagte Eric sehr langsam. Wenn er so sprach, nahm seine Stimme einen sehr tiefen, sehr bösen Tonfall an. Seine Pferde fürchteten diese Stimme. »Sie wissen, daß all diese Vorwürfe, die Sie mir, seit ich hier bin, an den Kopf geworfen haben, ohne Grund sind. Ich weiß nicht, warum Sie das tun, aber ich weiß, daß ich Sie gestern Abend an den Rand der Wahrheit gedrängt habe; Sie fürchteten, ich wollte Ihre Beweggründe für Ihr Verhalten gegen mich herausbringen.« Er trat näher, in der gleichen Haltung wie gestern, und sofort wich sie zurück. Er blieb stehen. Ein kleines Lächeln nistete in seinen Augenwinkeln. »Louise, sie sind – ein Kind.«
Es schien, als wolle sie mit einem Wutschrei und gegen ihn gerichteten Nägeln auf ihn zuschießen – da ertönte plötzlich etwas wie unterirdischer Donner aus der Ferne, aber er verhallte nicht, sondern kam näher und schwoll an.
»Sie kommen!« rief Emily und tat einen Freudensprung. »Oh, Eric, Sie Teufelskerl, Sie haben Excalibur zu uns gebracht!« Sie hastete zum Abgrund und verharrte in zitternder Spannung. Ein Pferdekopf erschien schließlich da drüben auf der gegenüberliegenden Höhe.
»Das ist Resistance, unsere Leitstute«, erklärte Grandpa Eric. Sie standen dicht beieinander, ebenso wie Emily ganz nahe am Abgrund, ebenso wie sie begierig auf das Donnern der Hufe lauschend.
Resistance erklomm den gegenüberliegenden Hügelkamm – einen Lidschlag lang hob sich ihre vollendete Gestalt vor dem strahlenden Licht ab, als sie sich orientierte – und schoß, ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern, den steilen, von Schrunden zerfurchten Abhang hinunter, mit der Sicherheit einer Bergziege. Ebenso trittsicher, ebenso geschmeidig erreichte die Herde die Kammhöhe und folgte ihr über den steil niederschießenden Grund. Die Fohlen, offensichtlich bereits erfahren in solchen Parforcejagden, folgten ihren Müttern, als bände sie noch eine unsichtbare Nabelschnur an sie, rutschten neben ihnen auf den Hinterläufen die Hänge hinunter, flogen in weitem Sprung über Felsbrocken und trügerische, morastige Flecken mit einer Sicherheit, die der der Stuten in nichts nachstand – es war eine atemberaubende Flut von Füchsen und Falben und Kastanienroten und einigen wenigen Rappen, ein Stürmen blonden und roten, weißen und schwarzen Langhaars – einander vergnügt stoßend, schlagend und beißend – eine Pracht glänzender, vor Gesundheit strotzender Pferdeleiber.
»Mein Gott!« Eric konnte kaum Atem schöpfen. Diese Herde, diese Masse von Pferden – inmitten dieser wilden Landschaft, die sie geformt und genährt, sie zu dem gemacht hatte, was sie waren – die leichtfüßige Kraft, die unerhörte, unglaublich scheinende Geschmeidigkeit war atemberaubend; und da war endlich – er: Excalibur.
Er drängte ein paar Nachzügler über den Kamm, jagte sie über den Abgrund, sie umkreisend, sie in die Schenkel zwickend, Seite an Seite mit ihnen galoppierend und sie mit seinem sich langstreckenden Körper in die Richtung, in die er sie haben wollte, drängend – eine machtvolle, rotschlängelnde Flamme.
»Wir haben Resistance schon lange als Leitstute«, rief Grandpa über den Donner der Pferdehufe. »Die beste seit Erie, die mein Großvater besaß.«
Eric hörte ihn nicht. Er sah ihn nicht. Er sah auch die Stuten und Fohlen nicht; nicht wirklich. Selbst Solitaire war für den Augenblick vergessen. Sein Blick war wie festgenagelt an Excalibur.

Excalibur, der Nachfahre des großen roten Rennpferdes Man o' War, Nachfahre auch des feurigen kleinen goldfarbenen Araberhengstes Sham, konnte sein Erbe nicht leugnen, wie viele Blutlinien auch immer in seine lange Ahnenreihe eingekreuzt worden waren; in ihm schien sich das Erbgut der beiden einzigartigen Hengste zu einer Symbiose verschmolzen zu haben: Er besaß die massive körperliche Präsenz und die ganz eigenartige Farbe von Big Red, ein leuchtendes Rotgold, und ebenso die Grazie Shams: die hohe Kruppe, den kompakten Rumpf, die trockenen langen Beine, die tiefe weite Brust, die sehr weiten Nüstern, die den Wind begierig tranken, und den langen Hals, der sich stolz und muskelbepackt aufwölbte. Er kam heran wie vom Wind getragen, in mühelos federndem Trab. Er beachtete die Menschen da auf dem Kamm gar nicht, sondern ordnete resolut seine Stuten. Schließlich, nachdem er sich einmal mehr Gehorsam verschafft hatte und seine ungestüme Herde auf der Talsohle angelangt war, erklomm er mühelos die steile Anhöhe.

Voll natürlicher Würde kam er schnurgerade auf sie zu. Für Eric war es reine Glückseligkeit, dem Spiel dieser Muskeln unter dem schimmernden Fell zuzusehen, dem mühelosen Ausgreifen der langen kräftigen Beine, die ihn stetig in schnellem Tempo, doch ohne jegliche Hast, über die Steigung trugen. Das reiche Langhaar Excaliburs war ein wenig heller als sein Fell und umwehte ihn wie fliegende Fahnen. Der Hengst näherte sich ihnen, die weiten, dunklen Augen auf den Kamm gerichtet, die feinen Ohren straff gespitzt, vor dem Wind laufend, leidenschaftlich neugierig, ohne einen Anflug von Furcht.

Als er den Kamm beinahe erreicht hatte, wichen alle außer Turner und Eric um mehrere Meter zurück. Turner murmelte: »Da soll mich doch ...!« und starrte beinah entgeistert den riesigen Hengst an.

»Kommt zurück!«, rief Emily. »Geht weg von ihm! Man kann ihm nicht trauen!«
Turner wich zurück zu der kleinen Gruppe, doch Eric wandte sich nur nach Emily um. »Wie meinen Sie das?«
Sie schrie auf: »Eric! Vorsicht!« und er wurde sich einer gewaltigen Präsenz in seiner unmittelbaren Nähe bewußt, und gleich darauf, noch bevor er sich umwenden konnte, spürte er eine blitzartige Bewegung, als Excalibur mit dem Kopf nach dem Hafereimer schlug, den Eric in der Hand hielt. Er zog den Eimer instinktiv weg, und der Hengst steilte voller Zorn, sein Leib eine gewaltige Masse unmittelbar über Eric, der dessen hitzige Wärme fühlte und gegen den strahlenden Himmel den Wirbel der Vorderbeine hoch über sich sah. »Streuen Sie den Hafer auf die Erde, Eric! Bitte! Er kennt es nicht anders! Oh, bitte!« Emily schluchzte beinah.
Eric wich dem mächtigen Körper behende aus, und als der Hengst landete, verpaßte er ihm rechts und links einen gehörigen Klaps auf die Kinnbacken. Excalibur schnaubte verwirrt und stand still. Er wartete ab, zu verblüfft für den Moment. So etwas war ihm noch nie geschehen.
»Dir hat wohl nie jemand Benehmen beigebracht?« Erics Stimme hatte diesen langgezogenen, dunklen Klang. Die Ohren des Pferdes schoben sich langsam nach vorn. Eric nahm eine Handvoll Hafer aus dem Eimer, den er mit der anderen Hand hinter seinem Rücken hielt, und bot Excalibur Hafer von seiner Handfläche an. Der Hengst prustete empört, die Körner wurden auf die Erde geblasen. Er warf den Kopf heftig auf und trat zwei Schritte von dem Geruch der menschlichen Hand zurück. Doch seine weiten Nüstern dehnten sich nach dem verführerischen Geruch des Hafers, der ihm erneut hingehalten wurde, und Erics Stimme wurde sanft, einschmeichelnd, es war die Stimme, die er für Lance hatte, für die übrigen sechs Pferde von Turner, mit denen er arbeitete, es war die Stimme, die Lionheart aus dem Verließ seiner Box gelockt und wieder zum Champion gemacht hatte. »Komm, mein Junge, nimm es aus meiner Hand. Sei nicht gar so erhaben. Excalibur ...« Der mächtige Hengst stand unschlüssig. Da war der Hafer, den er wollte – für den er gekommen war –, und da war überdies eine nie zuvor gekannte Kraft in der Stimme eines dieser Zweibeiner, die er immer nur als Wesen angesehen hatte, die Hafer und Heu und Wasser gaben ... aber dieses zweibeinige Wesen schien ihn gar nicht zu fürchten. Excalibur streckte den Kopf weit vor und atmete den Geruch dieses Fremden ein. Er bemerkte nicht die Spur von Angst. Fragend ließ er die Ohren spielen.
»Du kannst Hafer haben«, sagte Eric. »Einen ganzen Eimer voll. Aber zuerst nimmst du ihn aus meiner Hand.«
Er hörte schweres Atmen von der ganzen Gruppe hinter sich. Er hatte Zuschauer nicht gern; er kam sich dann immer so vor wie ein Schmierenkomödiant, wenn schwierige Pferde plötzlich etwas taten, das nicht von ihnen erwartet wurde. Aber er fühlte die Strömungen zwischen dem Hengst und sich. Sie waren zwei vom gleichen Stamm. Er wußte, was in Excalibur in diesen Augenblicken vorging; wußte um das stumme Aufbegehren, das sich nur in dem leisen Flattern seiner starken Flanken zeigte, wußte um den damit widerstreitenden Wunsch, geborgen in einer starken Hand zu sein, einer Hand, die Nahrung und Schutz gab – die ihn einmal, endlich einmal, ruhen ließ.
»Komm nur, Junge. Komm zu mir.«
Excalibur reckte den Kopf nach ihm. Eric trat einen halben Schritt zurück, und der Hengst folgte ihm.
Ein ganzer Schritt rückwärts. Excalibur zauderte, scharrte, warf einen prüfenden Blick zu seinen Stuten, dann konzentrierte er sich wieder auf Eric. »Komm, mein Junge, komm zu mir.« Der Hengst schnaubte, scheute halbherzig mit kaum erhobenen Vorderläufen, aber seine Augen waren beständig auf Eric gerichtet, der nicht einen Millimeter Boden preisgab, ihm nur weiter die ausgestreckte Hand voller Hafer hinhielt. Dann stand er still, am ganzen Leibe zitternd vor Spannung über dieses unerklärliche, nie dagewesene Ereignis; und doch fühlte er nicht den Wunsch zu kämpfen, sondern vielmehr Vertrauen. – In diese Hand, die ihm den köstlichen Hafer hinhielt, konnte er die Verantwortung für seine Herde legen, ebenso seine nie endende Wachsamkeit; zu dieser Hand konnte er in einem schweren langen Winter kommen, und sie würde die Furcht vor der Macht des weißen Sturms von ihm nehmen.
Excalibur sog Erics Wesen noch einmal tief in sich hinein, ließ die Ohren spielen, wandte den Kopf in den Wind und kam wieder zu der Hand zurück. Endlich dann schob sich sein samtiges Maul in Erics Handfläche und las behutsam die Körner mit den Lippen auf. Seine großen dunklen Augen ruhten fragend und verwundert auf diesem unbegreiflichen Geschöpf.
Eric ging noch einen Schritt weiter. Er nahm den Hafereimer hinter seinem Rücken hervor und präsentierte ihn Excalibur. Wieder wich der Hengst zurück – der Geruch des Metalls war ihm widerlich.
»Schütten Sie den Hafer aus, Eric! Er wird Sie doch schlagen, wenn Sie es nicht tun!« »Schütten Sie ihn aus! Sogar Vater hat das immer getan!« »Schütten Sie den Hafer auf den Boden, Junge! Der bringt Sie um!« »Ruhe! Eric weiß schon, was er tut!«
»Würdet ihr alle endlich mal still sein!« flüsterte Eric wütend. Oh, er haßte Zuschauer! Da – sie hatten das Band zwischen dem Hengst und ihm zerstört; Excalibur jagte über den Abhang davon, schnaubend, mit hochgerecktem Schweif und fliegender Mähne.
Wütend raffte er den Eimer an sich, bereit, zum Wagen zurückzugehen – da, ein Flüstern: »Oh mein Gott, er kommt zurück!« und noch bevor er die Worte völlig erfaßt hatte, war der riesige rote Hengst wieder da. Er stand still nach seinem fliegenden Lauf, mit stolz hoch gewölbtem Hals und wartete. Eric löste sich aus der Gruppe, trat zu ihm, streckte ihm einmal mehr den Eimer entgegen. Excaliburs Nüstern zitterten. Eric sprach leise zu ihm. Niemals hatte der Hengst eine solche Stimme gehört. Sie vergewisserte ihn seiner eigenen Kraft und gestattete ihm doch, sich der Entspannung hinzugeben, seinen Kopf in den Eimer mit Hafer zu tauchen, in dem allmählich nicht nur die Nase, sondern auch die Augen verschwanden – neben seinen unablässig spielenden Ohren seine wichtigsten Sinne, um über seine Stuten zu wachen.
»Mußt dich nicht um sie sorgen, mein Junge«, sagte die leise dunkle Stimme wohltönend und beruhigend. »Ruh dich ein wenig aus, ich achte auf sie.« Und tatsächlich blickte Eric beständig entweder auf die ruhig grasende Stutenherde oder auf Excaliburs bildschönes Gesicht, das in den Hafer eintauchte und mahlend wieder daraus hervorsah. Während er den langsam leichter werdenden Eimer hielt, begannen Erics Gedanken zu schweifen. Auf seine Frage, wie die Pferde eingebracht würden, hatte ihm Grandpa geantwortet: »Wir rufen Excalibur mit der Pfeife. Wir geben ihm Hafer, aber nur wenig, damit er auf den Geschmack kommt. Dann stellen wir den Hafereimer in den Kofferraum und achten darauf, daß er sieht, was wir tun. Wir fahren langsam vor ihm her, und er folgt uns, weil er den ganzen Eimer Hafer will, nicht nur das bißchen. Und die Stuten folgen ihm.«
Was für eine entwürdigende Prozedur! Und alles nur aus Angst vor einem freien, starken Geschöpf! Und wie entwürdigend für einen stolzen Charakter wie Excalibur! Eric wußte, er kam nicht wegen des Hafers, jedenfalls nicht nur deswegen. Er war wie ein König, der sich bereit erklärt, einen anderen König anzuerkennen; eine Allianz zu schließen. Nur
– da war kein anderer König. Es hatte Everett gegeben, und nach ihm Emily, die erschrocken zurücksprang, wenn er sich nur näherte.
Das mußte sich ändern, dachte Eric. Der Herr über die Zuchtstuten und der Herr über das Gestüt sollen zusammenarbeiten; und so ließ er schließlich den leeren Eimer stehen, senkte eine Hand in die lange Mähne und legte die andere leicht auf den hohen Widerrist; es gab ja keinen »Herrn« auf diesem Gestüt. Excalibur stand still und wandte ihm kurz den Kopf zu, blickte dann wieder nach seinen Stuten. Fast unmerklich schwang Eric sich auf den mächtigen Hengst, der während seines acht Jahre dauernden Lebens nie von menschlicher Hand berührt und niemals geritten worden war. Excalibur ging hoch, schlug aus; aber da war diese Stimme über ihm, die ihm Hafer gegeben hatte, diese starke, wohltuende Stimme, und freundliche, ganz sanfte Berührungen, wie er sie nie zuvor erlebt hatte. Er stand still und blickte sich um nach dieser Gestalt; sehr unschlüssig. Er mochte dieses Gewicht auf seinem Rücken nicht.
Eric genoß es, mit einem intelligenten Pferd zu tun zu haben, das niemals Ängste hatte ausstehen müssen, die es nicht begreifen konnte. Bei Excalibur galt es nur, ihn zur Mitarbeit zu veranlassen. Bei ihm mußten keine Traumata beseitigt werden. Er schob seine Hände unter die lange, windverwirrte Mähne des Hengstes. »Ich verlasse mich auf dich – bringen wir sie ein, Excalibur.« Sanft ermunterte er ihn durch Gewichtsverlagerungen, durch seine Stimme, zu Schritt, zu Trab, langsam die Senke hinunter, auf die Stuten zu, und schließlich schien der Hengst ihn vollständig auf seinem Rücken vergessen zu haben: worauf Eric mächtig schwindelig wurde, denn die blitzschnellen, schlangengleichen Manöver, die ruckartig ausgeführten Aufbäumungen, das heftig drohende Heranpreschen und abrupte Steilen über dem Genick einer widerspenstigen Stute, das geschickte Ausschlagen mit verkürzter Hinterhand eines Hengstes, der seine Stuten antreibt, hatte er nie erlebt – er hatte auf bockenden Pferden gesessen, die alle Tricks beherrschten, um sich des Reiters zu entledigen, doch dies war anders: er wurde durchgeschüttelt wie von einem Erdbeben, seine Schenkel gerieten immer wieder zwischen ineinander krachende Pferdeleiber, und nicht einen Augenblick lang war der Körper des Hengstes gerade unter ihm, sondern in einer ständigen Wellenbewegung, so daß er hin und her geschleudert wurde und sich manchmal nicht einmal mehr auf seinen sonst so ausgewogenen leichten Sitz verlassen konnte, sondern sich an der Mähne festklammern mußte.
Er verlor nicht den Kopf. Er mußte Excalibur beweisen, daß eine Zusammenarbeit zwischen Hengst und Mensch nicht nur möglich, sondern erstrebenswert ist. Excalibur hätte sich, nachdem er den ganzen Eimer leer gefressen hatte, leicht entscheiden können, seine Schützlinge wieder weit in die Ferne zu bringen; darum verwandte er sein ganzes reiterliches Geschick darauf, daß der Hengst die Stuten tatsächlich nach Sunrise-House trieb. Dies war das härteste Stück Reitarbeit, das er je geleistet hatte; sein Meisterstück.
Er war mehr als zufrieden, als er auf dem Rücken des großen Hengstes hinter der letzten Stute in die Koppel trabte, aber auch froh, wieder auf seine eigenen zwei Beine zurückgleiten zu können, im Bewußtsein, daß ihm sämtliche Muskeln gezerrt worden waren.
»Eric!« Emily war plötzlich außerhalb der Koppel, und Excalibur warf den Kopf kampflustig auf. »Sie haben die Pferde wunderbar eingebracht – denken Sie, Sie könnten uns helfen, sie auch in den Stall zu bringen?«
Eric hielt Excalibur die leere Handfläche vor die Nase. Der Hengst schauderte, schnaubte, stieg: Die Kraft des Pferdes forderte die seine einmal mehr heraus, ein vibrierender, zerreißender, stummer Kampf der Willen, in dem ungestüme Vorderbeine um ihn wirbelten und Schaumflocken um ihn flogen und furchteinflößendes Schnauben seine empfindlichen Ohren lautstark, zornig, drohend erfüllte. Eric blieb ruhig. Er kannte das seit Kindesbeinen – fliegende Pferdehufe um ihn herum, steilende Pferde, die sich seinem Willen widersetzen wollten. »Laß das«, sagte er dunkel, als der Hengst unmittelbar vor ihm seine Vorderläufe niederkrachen ließ, und gab ihm einen kurzen Schlag auf den Hals. Excalibur schnaubte heftig, streckte ihm dann aber den Kopf entgegen. Sein Maul fuhr prüfend und auch verspielt an Erics Kleidung auf und ab; plötzlich nahm er einen Hemdknopf zwischen seine Zähne und versuchte, ihn abzubeißen. Darauf gab es einen Klaps auf seine rechte Wange. »Dummer Kerl! Willst du sterben an so was? Excalibur!« Er schnaubte, aber nicht eigentlich wütend, sondern stand still und schien zu überlegen. »Kommst du«, sagte Eric dann ruhig und schob die Rechte unter sein Kinn. Excalibur folgte ihm. Und mit ihm all seine Stuten. Sie fluteten zunächst um sie, doch als sie nur eine Hälfte der Flügeltüren geöffnet fanden, neben der einer der Stallarbeiter, bewaffnet mit einer Gerte, stand –, stauten sie sich vor dem Gebäude und betraten dann gesittet, eine hinter der anderen, den Stall und verteilten sich von allein auf die Boxen, die immer schon ihre gewesen waren.
Nie waren die Zuchtstuten auf Sunrise leichter eingebracht worden.

Darauf gab es emsiges Arbeiten: Hafereimer und geschnittene Mohren wurden in die Futterkrippen geschüttet, Heu wurde aufgeschüttet und über die Boxentüren geschleudert; Excalibur allein weigerte sich, in den Stall zu gehen. Eric verstand das. Der Hengst war ein Geschöpf des Windes, der unbegrenzten Weite, und wie kann man den Wind in vier Wände sperren und erwarten, er werde noch derselbe sein?

Er geleitete ihn auf die nahe Koppel zurück, wo er beständig ein Auge auf den Stall und seine Stuten haben konnte, ohne auf dreimal drei Meter eingepfercht zu sein. Selbst die Umzäunung der Koppel mußte schrecklich für ihn sein; nur erduldbar, weil er sich niemals von seiner Herde trennen würde. Edward kam mit einem weiteren Eimer Hafer für ihn gelaufen: »Sir, so etwas habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen, was Sie da gemacht haben! Einen wilden Hengst reiten und ihn dazu bringen, die Stuten –«

»Was ist in dem Eimer? Etwa Hafer?«
»Sicher, Sir.«
»Mann Gottes, soll denn dieses Pferd eine Kolik kriegen?

Denken Sie doch bloß, er hat seit Monaten nur Gras gefressen, und jetzt plötzlich zwei Eimer Hafer?! Geben Sie ihm lieber kleingeschnittene Mohren, aber nicht zu viel, nur ein paar Handvoll, und einige Forken Heu – zwei oder drei. Und sehen Sie zu, daß er genug Wasser hat. Aber nicht zu kalt!«
»J-ja, Sir!«
Als Eric durch den Zaun schlüpfte, fand er Grandpa, der

auf ihn gewartet hatte. »Die anderen sind schon ins Haus gegangen, Junge«, sagte er und legte Eric die Hand auf die Schulter, während sie nebeneinander hergingen. »Wie fühlen Sie sich?«

»Schätze, wie ein Stück Schlachtfleisch, das Bekanntschaft mit dem Fleischwolf gemacht hat, Sir.«
»Aye, das glaub ich gern. War 'n richtiges Husarenstück, Junge. Sind jetzt wohl bereit für ein gutes Mittagessen?«
»Ja, Sir, das bin ich wirklich.« Er bemerkte plötzlich, daß er Grandpa ganz leicht verstehen konnte. Er hatte dank Claire und David keine Schwierigkeiten mehr mit der breiten Mundart. Nicht lange, dachte er, und ich spreche ebenso. »Eigentlich wollte ich erst noch Solitaire ansehen –«
»Nay, kommen Sie ins Haus. Sie müssen sich ein bißchen frisch machen und ausruhen, und vor allem essen und trinken.« Grandpa musterte die staub- und schaumbedeckte Kleidung, bürstete einige Sandklumpen von Erics Schultern, »Ihre Art gefällt mir, Junge«, setzte er überraschend hinzu und klopfte Erics Schulter. »Sie stellen die Kuh über den Eimer. Kein Drumherumgerede. Hatte nie viel für Schwätzer übrig. Sie sind einer, der was tut.«
Bevor sie das Haus betraten, sah sich Eric noch einmal um. Excalibur hatte den Kopf über die oberste Bohle des Zauns geschoben und sah ihnen nach. Grandpa folgte Erics Bewegung und verharrte. »Das hab ich noch nie gesehen«, sagte er offenherzig. »Wenn er sonst auf seine Stuten wartete, rannte er ruhelos herum oder blickte nach dem Stall. Aber niemals nach dem Haus. Der guckt Ihnen nach, Junge.«
Eric blickte Excalibur fest ins Auge, und der Hengst warf kurz den Kopf auf.

Beim Mittagessen gab es kein anderes Thema als seinen Ritt auf Excalibur. Eric schwieg lange dazu und dachte an diesen Blick des Einverständnisses, mit dem der Hengst ihm nachgesehen hatte. Wenn schon keiner der Anwesenden zu fassen vermochte, weswegen er dieses waghalsige Abenteuer auf sich genommen hatte – der Hengst wußte es und erkannte es an.

Aber als Turner nach seinem dritten Glas Wein ihn gar mit Alexander dem Großen verglich, und Excalibur mit Bucephalos, legte er mit einem leisen Klappern sein Besteck auf den Teller. Hungrig wie er war, war sein Interesse am Essen erloschen. Sein Blick begegnete dem Turners wie ein Pfeil. »Sir Simon«, sagte er dennoch ruhig. »Mir scheint, Sie bringen da etwas durcheinander. Die Legende besagt, daß Bucephalos Angst vor seinem eigenen Schatten hatte. Niemand konnte ihn besteigen, weil niemand die Möglichkeit in Betracht zog, daß ein Pferd von dieser Wucht und Stärke Furcht vor etwas haben könnte. Alexander beobachtete, wie die besten Reiter aufzusteigen versuchten. Er fand den Grund für seine Angst, stellte das Pferd gegen das Licht, bestieg es und konnte es fortan reiten. Es war ein Trick. – Es gibt aber nichts, wovor Excalibur sich fürchtet, außer dem Verlust seiner Stuten.«

»Sie hatten ja wohl auch einen Trick mit Excalibur?!« Je öfter er sie hörte, desto verhaßter war ihm Louises Stimme. Bis jetzt hatte auch sie sich nicht an dem Gespräch beteiligt. Betretenes Schweigen breitete sich aus, als alle aufhörten zu essen und erschrocken den Atem anhielten. Das gleichmäßige Klicken der Wanduhr erschien auf einmal aufreizend und störend.

»Nein«, sagte Eric kühl in dieses allgemeine Schweigen und mechanische Klicken. Er hatte schon geahnt, daß da noch ein Pferdefuß sein müsse. Bisher war alles zu glatt gegangen.

Aller Augen waren strafend und entsetzt auf Louise gerichtet, die ihren glühenden Blick starr und feindselig auf ihn richtete und unbeirrt fortfuhr: »Bestimmt haben Sie etwas in seinen Hafer getan, das ihn ruhiger machte. Wir haben's bloß nicht gesehen, weil wir alle auf den Hengst schauten. – Wieso sonst hätten Sie so lange da stehen sollen, ihn Hafer aus dem Eimer fressen lassen, statt ihn wie sonst auf den Boden zu streuen – Sie haben gewartet, bis das Zeug zu wirken anfing.«

»Hätte es ein Zeug gegeben, Louise, dann hätte es auf dem Boden wohl ebenso gewirkt wie im Eimer.« Sein erster Impuls war, sich über den Tisch zu lehnen und ihr ein paar gehörige Ohrfeigen zu verpassen. Was war nur los mit dem Mädchen? Doch er zuckte nur gleichgültig die Achseln: Es war ihm egal.

Grandpa schnitt diese Bewegung ins Herz. Er war zornig und tief beschämt über das Verhalten seiner Enkelin. »Louise«, sagte er langsam, mühsam beherrscht. »Du vergißt etwas ganz Entscheidendes. Du vergißt, daß Master Eric ganz allein vor diesem riesigen, sich bäumenden Pferd stand und es fertigbrachte, es Hafer aus seiner Hand fressen zu lassen. Und wenn du dein Gehirn ein wenig bemühen würdest, bevor du unseren Gast auf unverzeihliche Weise beleidigst, würde dir einfallen, daß der Hengst den Hafer aus der Hand nahm, bevor Eric ihm den Eimer reichte. Ich muß dich wirklich bitten, zu denken, bevor du etwas äußerst. – Und noch etwas: Er hat uns bewiesen, daß Excalibur keineswegs so unnahbar ist, wie wir immer glaubten. Das wird uns in Zukunft eine große Hilfe sein.«

Louise schwieg bockig und matschte in ihren Kartoffeln herum.
Eric nahm sein Besteck wieder auf und schnitt ein Stück Rinderbraten von der dicken Scheibe auf seinem Teller ab. Es war ein Versuch, die häßliche Szene zu überspielen. Aber er wünschte, er könnte im Cottage der Hickmans sein und seinen Lunch mit ihnen verspeisen, statt mit diesem ekelhaften kleinen Biest – und mit Emilys Hand auf seinem Arm, den sie beruhigend drückte.
Zu ihrer Tochter gewandt, sagte sie: »Du bist offenbar nicht in der Lage, Liebling, zu verstehen, was für eine großartige Leistung Eric vollbracht hat. Natürlich hat er nichts in Excaliburs Hafer getan. Wäre der Hengst betäubt gewesen, hätte er sich anders verhalten. Aber er brachte die Stuten nicht anders ein als gewöhnlich, nur – williger.«
»Ich habe es genau gesehen – bei einigen Manövern, wenn Excalibur sich unvermutet bäumte, knallte Erics Stirn gegen seinen Hals, aber der Junge blieb oben«, sagte Grandpa. »Eine Meisterleistung! – Dieser Hengst war nicht anders als sonst auch, junge Dame.« Er maß Louise mit einem strafenden Blick. »Der einzige Unterschied ist, daß er diesmal seinen Meister trug. Und du begreifst das besser, Louise.«
»Nein«, sagte Eric schnell, »bitte verzeihen Sie, Sir, aber >Meister< ist ein schreckliches Wort. Ich versuche immer, die Achtung des Pferdes zu erringen. Wenn es sich selbst achtet und mich achtet, dann ist kein Raum mehr für Angst oder Zorn. Achtung schafft Vertrauen.« Er sprach nicht gern über diese Dinge.
»Ach!« kam es da auch sofort spitz von Louise. »Sie bilden sich wahrhaftig ein, Sie hätten die Achtung, das Vertrauen dieses roten Teufels? Ich sage Ihnen jetzt mal was
– mein Vater war ein großer Pferdekenner, aber er sagte immer, Excalibur sei ein großartiger Vererber, aber ein wahrer Drache, wenn es zum Kontakt mit Menschen komme. – Und da er heute friedlicher war als gewöhnlich, wird mich niemand von dem Gedanken abbringen können, daß Sie ihm irgendein Zeugs in seinen Hafer gemischt haben, als wir's nicht sahen.«
Eric konnte alles von seinen Pferden ertragen. Er konnte ihr Mißtrauen, ihre Wut, ihre Aggressivität ertragen, die Schmerzen und auch die Enttäuschungen, die sie ihm zufügten. Aber menschliche Dummheit und Starrköpfigkeit verursachten ihm Übelkeit. Sacht führte er die Serviette an seine Lippen. »Bitte entschuldigen Sie mich«, sagte er leise und verließ den Raum.
Emily sprang auf, um ihm zu folgen.
»Setzen Sie sich, Emily«, sagte Turner, auf einmal wieder ganz nüchtern. »Lassen Sie ihn. Wenn er verletzt worden ist, sind ihm Menschen nur hinderlich, verzeihen Sie, wenn ich das so offen sage. Er geht dann zu den Pferden. Bei ihnen findet er Ruhe.«

Eric brauchte frische Luft. Eine Minute noch, und er hätte ihr in klaren, unmißverständlichen Worten zu verstehen gegeben, daß ihr Vater ganz offensichtlich keine Ahnung von Pferden gehabt hatte. »Mein Vater war ein großer Pferdekenner.« – Großer Pferdekenner, oh ja, aber absolut! Ein Gestütsleiter, der den Zuchthengst fürchtet! Ihn so sehr fürchtet, daß er nicht einmal versucht, ihn zur Zusammenarbeit zu bringen, sondern sich schäbiger Tricks bedient, um sein Ziel auf leichte und gefahrlose – und für beide Seiten entwürdigende – Weise zu erreichen. Hätte Everett auch nur das Geringste von Pferden verstanden, dann hätte er das als zukünftigen Zuchthengst ausersehene Füllen zumindest an die Gegenwart der Zweibeiner gewöhnt, hätte ihm auf sanfte Weise beigebracht, daß der Hengst dem Willen der Menschen, zumindest dem Willen eines Menschen, eben dem, dem er traut, gehorchen muß. Statt dessen hatte Everett zugelassen, daß die prachtvolle Vollblutherde verwilderte unter der Herrschaft eines wilden Hengstes. Generationen vor ihm hatten es offenbar ebenso gehalten, man konnte Everett eigentlich gar keinen Vorwurf machen. Es war ja kein Zufall, daß es kaum Zäune auf Sunrise gab. Auf einem gut organisierten Gestüt gibt es Koppeln – mitunter sehr weitläufige Koppeln –, auf denen die Pferde frei streifen können, aber es gibt auch Zäune, und Zäune bedeuten die Herrschaft des Menschen. Und diese Zäune sind da, weil Menschen Pferde zu einem bestimmten Zweck halten. Vollblutpferde läßt man nicht zum Spaß herumlaufen. Sie werden gehalten, um zu arbeiten. Aber es hatte ganz den Anschein, als sei die großartige Herde der Fargus' verkommen zu einem Rudel zufällig Gebärender, von deren Leibesfrüchten dann Wunderpferde erwartet wurden, die gewissermaßen aus ihrer großartigen Abstammung heraus hervorragende Leistungen erbringen sollten, ohne bis über ein bestimmtes Alter hinaus je auch nur die lenkende Hand eines Menschen erfahren zu haben. Das Potential war ohne Zweifel vorhanden, doch fehlte ihm die Führung und Regelung zur angemessenen Zeit.

Niemals würde er das Herz aufbringen, Louise die schwerwiegenden Fehler ihres Großvaters und seiner Vorfahren, ihres Vaters und ihrer Mutter nicht nur in der Gestütsführung, sondern auch in der Handhabung der Pferde, insbesondere des Zuchthengstes, vor Augen zu führen. – Was hieß überhaupt – das Herz aufbringen?! Louise war ein unleidliches Geschöpf, verwöhnt, verbohrt. Warum sie mit Rücksicht behandeln? Sie kannte keine Rücksicht auf andere.
– Er würde dennoch nichts sagen. Wenn er versuchte zu erklären, würde es wie eine Rechtfertigung klingen, und rechtfertigen muß sich nur der, der sich im Unrecht wähnt.

Excalibur stand nahe des Zaunes und rupfte Gras. Seine Ohren waren gegen den Stall gerichtet, zu seinen Stuten, sein Schweif schlug nach den Fliegen. Er war so entspannt, wie es ihm sein immer wacher Instinkt nur gestatten konnte. Eric beobachtete Excalibur bei seinem ruhigen Grasen, stellte sich vor, das Gras sei seine Wut, und jedes gerupfte und zerkaute Maulvoll Gras werde durch die gemächlichen Kaubewegungen vernichtet, und mit jedem Mundvoll fühlte er sich ruhiger werden; schließlich schlüpfte er durch die Bohlen und sprach den Hengst an, während er langsam auf ihn zuging. Die aufmerksamen Ohren richteten sich ihm zu. Eric blieb stehen und wartete. Er sah den Hengst dabei nicht an, sondern stand ein wenig abgewandt von ihm und ließ den Blick schweifen, um jegliche Spannung zwischen ihnen zu vermeiden. Excalibur hob schließlich den Kopf. Ein paar Gänseblümchen ragten zwischen seinen Lippen hervor, während die Kiefer langsam weitermahlten. Dann begann er wieder zu grasen, sich dem stillstehenden Mann langsam, wie unabsichtlich, nähernd, bis er auf Reichweite heran war. Der Mann könnte doch jetzt den Arm ausstrecken und ihn streicheln, wie vorhin, auf den Hügeln? Aber er rührte sich nicht.

Excalibur war sehr unschlüssig. Der Stolz des Wildlings kämpfte mit dem Wunsch nach nie zuvor erfahrener freundlicher Berührung. Das hatte ihm noch besser gefallen als ein warmer Mairegen auf seinem Fell oder Sonnenschein.

Er tat einen kleinen Schritt vorwärts, verharrte; er atmete schwer, als sei er schnell gelaufen, und Eric mußte sich Gewalt antun, um sein Lächeln zu verbergen. Es hatte etwas Rührendes, wie sich das Pferd an ihn heranschlich und dabei versuchte, ganz unbeteiligt zu tun; eine Veränderung seiner Mimik hätte auch eine Veränderung seiner Körperhaltung zur Folge gehabt, und der Zauber wäre vielleicht gebrochen worden. So aber, da der Mann sich gar nicht rührte, nicht einmal in seine Richtung sah, faßte sich Excalibur schließlich ein Herz und stieß ihn vorsichtig an.

»Hallo, mein Junge«, sagte Eric, als habe er ihn erst jetzt bemerkt. Er drehte sich zu ihm um und hielt ihm die flachen gespreizten Hände entgegen, die der Hengst beschnoberte. Dann begann er, mit seiner rauhen Zunge das Salz von den Handflächen zu lecken. Eric hielt still, obwohl das Kitzeln bis zu seinen Zehen hinunter rieselte: »Weißt du, daß das im Mittelalter eine beliebte Foltermethode war?« Seine beherrschte Stimme war leise und weich. Excalibur stellte neugierig die Ohren nach vorn, als frage er, was Eric meinte.

»Sie banden den Missetäter an einen Pfahl, streuten ihm Salz über die Füße, und ließen es von einer Ziege auflecken. Eine Ziege hat eine noch viel rauhere Zunge als ein Pferd, es muß furchtbar für die armen gefesselten Würstchen gewesen sein. Es heißt, viele haben sich regelrecht totgelacht.« Dann erzählte er von der Wassertortur, von der Eisernen Jungfrau – nur um zu reden, und streichelte währenddessen Excaliburs Gesicht, dann seinen Hals, seine Beine, und lehnte sich schließlich gegen seinen Rumpf, die Arme locker auf seinem Hals liegend.

Er sprach jetzt nicht mehr. Es war nicht nötig. Er lehnte die Wange an den mächtigen Hals; es hätte nur eines Rucks dieses eisenharten Pferdeschädels gebraucht, um seinen Kopf nach hinten zu schlagen und ihm das Genick zu brechen, aber er wußte, das würde nicht geschehen. »Schön hier in der Sonne, nicht?« murmelte er schläfrig.

Seine Müdigkeit schien in das Pferd einzusinken; Excalibur senkte immer häufiger den Kopf, schläfrig nickend. Seine Beine beugten sich schließlich, und er ließ sich langsam zu Boden sinken. Als er sich auf die Seite legte, nahm er seine Beine in acht, damit sie Eric nicht streiften. Der ließ ihn nicht los, sondern ließ sich niedersinken. Excalibur schloß halb die Augen. Dieses Versprechen, und noch manche andere, hatte er in der Hand des Mannes gewittert; diese Wärme und Freundschaft und Vertrautheit, die Zusicherung von Sicherheit und Entspannung.

»Ich glaube, du hast dich nie ausruhen können, nicht einmal im Schlaf«, murmelte Eric da und schmiegte sich enger an den Hengst. »Immer auf der Wacht, ob nun da draußen oder hier nahe den Ställen. Mußt dich jetzt aber nicht sorgen. Sie haben gefressen, sie haben Wasser, soviel sie nur wollen, und nette Boxen. Denk nur, auch die Fohlen haben ihren Teil davon – ein Teil dieses herrlichen fetten Hafers wird ja in die Milch der Stuten eingehen.« Lässig strich seine Hand über Excaliburs Hals. Der Hengst erschauerte wohlig. Sein Kopf glitt über das Gras und stupste Eric noch dichter an seine Brust. Dann streckte er ihn lang aus und lag ganz still – dieser gewaltige Hengst mit all seiner zerstörerischen Kraft ruhte entspannt wie ein kleines Füllen flach auf der Erde, und Eric lag zusammengerollt auf seinem Hals und sank sacht ein in die namenlosen Tiefen des Schlafes, eingelullt von den starken, ebenmäßigen Atemzügen des schlummernden Hengstes.

»Das ist ja nicht zu glauben! Seht euch das an!«

Grandpa Fargus, dem das lastende Schweigen, das Erics Fortgehen hervorgerufen hatte, schließlich so sehr auf die Nerven gegangen war, daß er seine Serviette auf den Teller geworfen hatte, war aufgesprungen und zum Fenster gehumpelt. Jetzt legte er, um Beherrschung ringend, die Arme hinter den Rücken und neigte sich der Scheibe noch näher zu, als zweifle er an seiner Sehkraft.

»Emily! Sieh dir das an!«

Emily hastete an seine Seite. »Oh! O Gott, das ... ich kann es kaum glauben!«
Louise schlich sich näher und spähte aus dem anderen Fenster. Sie sah Eric und den mächtigen roten Hengst in stiller Eintracht auf der Koppel liegen – den unbesiegbaren Hengst besiegt!
Turner tauchte hinter ihr auf, sehr aufrecht, sehr militärisch. »Was sagen Sie nun, junge Dame?«
Louise barg das Gesicht in beiden Händen und begann zu schluchzen wie ein Kind. Emily wollte zu ihr laufen, um sie in die Arme zu schließen, doch die knorrige, noch immer starke Hand Grandpas hielt sie zurück, und auch Turner machte über Louises Schultern hinweg eine abwehrende Bewegung. »Sie sehen doch jetzt wohl, daß er mit Pferden umgehen kann«, sagte Turner, »besser als irgendein anderer. Er ist ein Zauberer mit Pferden, junge Miss.«
Sie fuhr herum zu ihm und starrte ihn aus verquollenen Augen an. »Er ist ein Scharlatan! Es ist immer noch die Auswirkung des Mittels, das er ihm gegeben hat! – Er ist – nicht besser – nicht besser als mein Daddy! Er will ihn verdrängen! Seine Stelle will er einnehmen, das ist es! Dazu bedient er sich dieser Tricks!«
Der Raum wurde nach ihrem Aufschrei wieder so still, als gäbe es die anwesenden Menschen gar nicht. In der Stille hörte man einmal mehr das leise Klicken der großen Wanduhr, die die Zeit gleichgültig maß.
Turner fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Er biß sich auf die Zunge und schwieg. Aber es war auch Besorgnis in seinem Schweigen, denn plötzlich sah er in der Erinnerung wieder Emilys Hand auf Erics Arm ruhen, und sein Blick suchte eine Antwort in ihren tiefblauen Augen.
»Louise, du gehst besser auf dein Zimmer«, sagte Emily ruhig. »Du hast uns wirklich unmöglich gemacht vor diesem jungen Mann. Ich wünsche, daß so etwas künftig nicht noch einmal vorkommt, hast du verstanden?«
»Ja, Mutter.« Aber unter den verquollenen Lidern lauerten Widerstand und Aufruhr.
Emily bemerkte es sehr wohl. »Du wirst dich gesittet in seiner Gegenwart aufführen, Louise, ja?«
Louise biß die Zähne zusammen und schwieg.
»Geh auf dein Zimmer! Wann immer Eric im Haus ist, wirst du dein Zimmer nicht verlassen! Wenn er zum Essen bleibt, wirst du deine Mahlzeit auf deinem Zimmer einnehmen! Ich will nicht noch einmal einen solchen Affront erleben wie heute; ist das klar?!«
»Ja, Mama.«
»Gut. Später werden wir sprechen.«
»Ja, Mama.«

Eric erwachte, als die Sonne ein wenig weiter gewandert war und ihm die Nase kitzelte. In der Tiefe seines Schlafes spürte der Hengst die Veränderung und hob sofort den Kopf, noch ehe Eric sich auch nur gerührt hatte. Eric setzte sich mühsam auf. Es würde einige Tage brauchen, bis er sich wieder so leicht bewegen konnte wie sonst. Er sagte zu den aufmerksamen Ohren des Hengstes: »Du stehst doch jetzt auf? Könntest du mir helfen? Ich hab das Gefühl, als könnte ich mich nicht mehr rühren.«

Excalibur rollte sich auf die Brust. Er fühlte sich nach dem kurzen Schlaf ausgeruht wie nie zuvor. Eric legte ihm die Arme um den Nacken, und der Hengst spürte in dieser Berührung, daß auch dieses starke Geschöpf Schwäche empfinden konnte; so wie er, wenn er seine Herde durch unbarmherzig kalten Schnee und heulenden Wind an einen sicheren Ort gebracht hatte, und sich widerwillig seine Erschöpfung eingestehen mußte, und doch nicht ruhen konnte. Ebenso ging es jetzt dem Mann. Excalibur stieß ihn sacht an, stemmte die Beine auf, zog ihn mit sich, und stand. Eric lehnte sich gegen ihn. »Danke, mein Junge. Ich hätte eine Ewigkeit gebraucht, um von selbst hochzukommen.« Er strich vom Widerrist zum Kopf über das seidige Fell, und der Hengst ließ die Ohren spielen. Er folgte Eric bis zum Zaun, blieb dicht bei ihm. Als Eric sich durch die Bohlen zwängte und vor Schmerz dabei tief atmete, drängte er Hals und Brust gegen die Balken und schlug aus. Eric streichelte seinen Kopf, der sich heftig über die oberste Planke schob. »Ich kann nicht bei dir bleiben, Junge, so gern ich unsere Siesta fortsetzen würde. Aber es geht nicht.« Er lächelte und zauste Excaliburs dicken Schöpf. »Muß mich um deine Verlobte kümmern, weißt du?«

Der Hengst stampfte und wieherte, als Eric steifbeinig über den gepflasterten Hof zum Stall ging. Eric blieb am Eingang des dunklen Stalls stehen und drehte sich noch einmal um. Der Hengst warf den Kopf zurück, schnellte in die Luft und vollführte ein paar übermütige Bocksprünge wie ein Fohlen.

Sein Leben lang hatte er sich mit den Menschen arrangiert. Er war eher widerwillig mit ihnen ausgekommen, doch da war nun dieser, so unähnlich allen anderen, so aufrichtig in seiner Stärke wie in seiner Schwäche. Sie waren vom gleichen Stamm.