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Eric folgte unbeirrbar einer Maxime: »Tu, wovor du dich am meisten fürchtest. Wende die Energie der Angst ins Positive, und du wirst daran wachsen.«
Damit hatte Eric Lionheart wieder zum Champion
gemacht und vor ihm viele andere Pferde geheilt.
Er war zuversichtlich, mit dieser Maxime auch Sir Lancelot wieder
auf den ihm bestimmten Weg führen zu können: »Ich bin ja da, mein
Sohn.« Die Hufe sanken tief in den schweren, feuchten Boden. Gute
Arbeit, dachte Eric, Peter bekam das Wässern der Reitbahn immer
besser in den Griff. Es war wichtig, daß der Boden gut
durchfeuchtet war; das wirkte besänftigend auf das Temperament
eines nervösen Pferdes.
Das Pferd zeigte seine Unruhe, als sie sich der gefürchteten Stelle
näherten.
»In die Ecke, mein Sohn, ja gut so ...« Ein leichter Schenkeldruck,
ein weiches Aufnehmen der Zügel, und der goldbraune Hengst
schnaubte und streckte den Hals. Doch er versuchte nicht, aus dem
Zügel zu kommen; er blieb konzentriert, war jetzt aber gelöster,
nachdem er die gefürchtete Ecke mit Hilfe der sanften Stimme
überwunden hatte; und mit dieser sicher durchlaufenen Ecke war
seine Angst vor allen anderen Dingen, die ihm bedrohlich
erschienen, ein wenig mehr geschwunden. Er fühlte die anerkennende
Hand seines Reiters auf dem Nacken, und der Trab wurde leichter,
raumgreifender. »Siehst du, jetzt wird's.« Er verstand die Worte
nicht, aber er hörte den sanften Klang, die Aufrichtigkeit – das
war keiner, der ihn beschwatzte. Der Mann, der auf ihm saß, der ihm
Arbeit abverlangte, der Mann, der ihn dazu veranlaßte, Dinge zu
tun, vor denen er sich fürchtete – dieser Mann war derselbe, der
ihm Hafer und Heu brachte, der seine Box sauberhielt und abends
leichtes, frisches Stroh darin aufschüttete. Dieser Mann sprach zu
ihm mit einer warmen, freundlichen Stimme und streichelte ihn. Und
manchmal lehnte sich der Mann auch gegen ihn, ganz zutraulich,
wissend, daß er seine Kraft niemals gegen ihn einsetzen
würde.
»Ecken machen gar nichts. Sie sind eben da. – So – ja, schön. Und
ganz hinein. Schön.« Die Stimme beflügelte die Schritte des
Hengstes, die goldfarbenen Beine hoben und streckten sich beinah
unbeschwert, der Rhythmus des Trabes wurde weicher, aber nicht
schneller. Und wieder war da die geliebte Hand, die Liebkosung auf
seinem Nacken.
Ein Jahrhundertpferd für den Dressursport – so hatte die Fachpresse
Sir Lancelot noch vor wenigen Monaten genannt.
Während eines Turniers, gerade als er aus leicht anmutender Piaffe
in das schmale Eck der Dressurbahn einbog, war ein Rottweiler
unvermutet auf ihn zugeschnellt und hatte beim Anprall einen
Schmerz in seinen Schultermuskel gerissen, so daß Sir Lancelot
seine Reiterin aus dem Sattel warf. Fetzen von Erinnerungsbildern
waberten noch immer in ihm, Laute und Gerüche: das Schreien, der
Geruch von Blut.
Es gab kein Entkommen für ihn aus diesem Viereck, das die Menschen
ersonnen hatten, er ertrank in diesem Meer von Gesichtern, wurde
überflutet von Rufen und Schreien, von hektischen Bewegungen um
ihn. Der Instinkt des Hengstes hatte ihm trotz seiner Angst
befohlen, seine Reiterin zu verteidigen. Er hatte sich über ihr
aufgebäumt, um den Hund anzugreifen. Doch im Niederkommen
vermochten seine Augen Hund und Mensch nicht mehr zu
unterscheiden.
Darauf gab es das übliche Geschrei in der Presse – »Pferd tötet
Reiterin!« – und Sir Lancelot wurde als bösartig abgestempelt: Zum
Teufel mit seinem hervorragenden Stammbaum, zum Teufel mit seinen
hervorragenden Leistungen. Vergessen der Glanz, vergessen das
Staunen der Fachkundigen über das Vermögen des gerade Neunjährigen.
Sir Lancelots Schicksal schien besiegelt – Notschlachtung aus
triftigem Grund, nur mehr verwertbar als Hundefutter.
Simon Turner, Sir Simon, Lord of the Mount of Kingsley, zufälliger
Zeuge des unheilvollen Auftritts, erwarb das Pferd zum Spottpreis
und brachte es zu Eric. Simon Turner hatte eine Nase für
schwierige, aber hochgezüchtete und wertvolle Pferde, die er
günstig erwerben konnte, und er hatte in Eric den Spezialisten, der
seit seiner Kinderzeit seine unvergleichliche Einfühlungsgabe und
ebenso seine Reitkunst kultiviert und ausgearbeitet hatte und aus
»Ausschuß« wieder Hochleistungspferde machen konnte. Eric
beherrschte jede Disziplin. Er hatte den Dressursport in den
Fingerspitzen, er warf sein Herz über jedes Hindernis, das ein
verängstigtes Pferd nicht springen wollte, er war ein wagemutiger
Militaryreiter und ein hervorragender Polospieler. Sein Leben war
den Sportpferden gewidmet. Der einstige Waisenjunge, der sich von
klein auf unwiderstehlich von Pferden angezogen fühlte und alles,
was mit dem Pferdesport zusammenhängt, gelernt hatte, war einen
weiten Weg gekommen. Jetzt war er M.R.C.V.S., ein qualifizierter
Tierarzt, auf traumatisierte Pferde spezialisiert.
»Und noch einmal die Ecke, ja, so, schön unverkrampft, streck nur
deinen schönen Hals, hier hast du den Zügel – schön machst du das,
schön.« – Er sprach leise. Der Hengst blies in den Sand der
Reitbahn, seine Tritte blieben weich, sein Hals streckte sich in
der Entspannung – schwarze Schatten flüchteten in diesen
Augenblicken aus seiner Erinnerung.
»Wunderbar, so ist es gut, nicht wahr, gut? Gut, auch für
dich?«
Der goldfarbene Hengst zog das Kinn näher an die Brust, sein Nacken
wölbte sich, seine Beine traten sicher und geschmeidig unter seinen
gesammelten Leib, ganz wie einst, als ein anderes warmes,
verstehendes Wesen auf ihm gesessen und zu ihm gesprochen hatte. Er
wußte, alles war wieder richtig. Alles war richtig, denn er war im
Einklang mit seinem Reiter.
Und dann kam da etwas Schattenhaftes heran – er war nicht
ängstlich, aber aufmerksam, etwas in ihm lauschte dem Geräusch
entgegen. Doch dann – ein plötzliches Kreischen über dem Kies der
Auffahrt, ein quakendes Geräusch. »Nur die Hupe, mein Freund«,
murmelte die sanfte Stimme über ihm, und die ruhige Hand suchte
seine plötzliche Furcht wegzustreichein, und beinah schon war er
wieder beruhigt, doch da schallte eine laute Stimme aus dem
heruntergelassenen Fenster des Wagens zu ihm herüber, er legte die
Ohren an, sein Körper wurde flach, und er schoß voran in
Panik.
Da war kein Ruck am Kopf, kein Reißen im Maul, um ihn aufzuhalten,
wie er es kürzlich kennengelernt hatte, als schlechtriechende
Männer ihn endlos auf Viehtransporter hinauf- und wieder
hinabgezwungen hatten. Da war nur die sanfte Stimme, die zu ihm
sprach. Er begann, wieder auf sie zu hören. Und als er auf sie
hörte, fühlte er leise Gewichtsverlagerungen, die ihn zu einer
bestimmten Richtung überredeten, fühlte Hände auf seinem gewölbten
Hals, die die Zügel nicht führten, nur über sein Fell fuhren und
ihn zur Ruhe brachten.
Schweißnaß kam er in der Mitte der Reitbahn zum Stehen und kaute
heftig auf dem Gebiß der Trense. Schaum zeigte sich unterhalb der
Zügel, am Sattelgurt. Sir Lancelot zitterte.
Erics Gesicht war hochrot, seine kurzen schwarzen Haare sträubten
sich angriffslustig, er ballte die in Handschuhen aus weichem Leder
steckenden Hände und drückte die Zügel zusammen: Was zum Teufel war
denn in Turner gefahren, daß er in einem solchen Tempo auf einen
Pferdehof donnerte und brüllte – und noch dazu Unverständliches –,
wenn einer mit einem Pferd draußen arbeitete.
Eric nahm die Zügel auf, nur für alle Fälle, stützte nachlässig die
Faust auf den Sattel und neigte sein Gewicht leicht nach vorn, sah
den Ankömmlingen entgegen, die jetzt aus dem Wagen stiegen und auf
ihn zukamen: Turners hohe, magere, aufrechte Gestalt – typischer
Militär – und ein schlankes Bürschchen in Reithosen, glänzend
gewienerten, hohen Reitstiefeln und einem dicken blauen Pullover,
unter dessen V-Ausschnitt ein hellblaues Hemd hervorsah. Die
Stiefel sahen nicht aus, als hätten sie schon viel Kontakt mit dem
beißenden Schweiß eines hart arbeitenden Pferdes gehabt.
Er machte sich nicht die Mühe, ihnen entgegenzureiten. Bißchen
Schmutz würde diesen schicken Stiefeln nicht schaden. Flüchtig
glitt sein Blick über seine eigenen Stiefel, mit den hell
gescheuerten Innenflächen, dem müden Schimmer, den altes und
vielgebrauchtes Leder hat. Diese Stiefel waren zehn Jahre alt. Er
trug sie, seit seine Füße nicht mehr gewachsen waren, und das
bedeutete seit seinem 16. Lebensjahr.
Das Pferd unter ihm rührte sich, und er ließ den Blick über dessen
erhobenen Kopf schweifen, zwischen den aufmerksam gespitzten Ohren
hindurch – zum ersten Mal an diesem Tag hatte er Muße, seine
Umgebung zu betrachten, ohne daß seine Gedanken um etwas anderes
kreisten als um das, was er tat. Allein heute hatte er sechs von
Turners Pferden durchgearbeitet, die Schwierigkeiten psychischer
Art hatten; es war ein zufriedenstellender Tag gewesen, und ein
anstrengender; denn auf jedes Pferd galt es sich neu einzustellen
und es entsprechend zu behandeln. Lance hatte er sich als letzten
gelassen. Lance war der Schwierigste von allen; aber er war auch
ein Künstler, ein geborener Tänzer; es war die reine Freude, ihn zu
reiten.
Er sah, daß die Sonne sich neigte und ein leichter Dunst aus dem
Boden zu steigen begann. Malvenfarben hing die kaum merkbare
Feuchtigkeit da in der Ferne, zu den Hügeln hin, über niederen
Büschen und hohem satten Gras, und ein leichter Windhauch spielte
mit den höchsten Spitzen der Gräser und zupfte an den kleinsten
Blättern der Büsche. Eric fühlte den Wind und merkte in diesem
Augenblick, wie verschwitzt und heiß sein Körper war. Die Dusche
heute Abend würde eine Wohltat sein.
Die Ankömmlinge waren herangekommen, ein bißchen außer Atem vom
Stapfen über den schweren Boden.
»Macht sich gut, hab ich von weitem schon gesehen«, sagte Turner,
nahm seine flache Kappe mit dem langen Schirm ab und wischte sich
diskret die Stirn am Ärmel seiner leichten Tweedjacke.
»Irgendwelche Schwierigkeiten gehabt mit ihm heut'?«
Eric blies die Luft aus, es klang wie das leise Schnaufen eines
Pferdes, das sich langweilt.
»Nicht, bis Sie angedonnert sind«, sagte er grimmig. Turner war ein
ehemaliger Militaryreiter. Mindestens zwei Dutzend Sportpokale
hatte er gewonnen, die er bescheiden hinter der Bar in seinem
Herrenzimmer versteckte, so daß man sie erst zu sehen kriegte, wenn
einem ein Gläschen angeboten wurde. Turner hatte einen Adelstitel
und ein gewaltiges Vermögen geerbt und sein Herz und seine schier
unbeschränkten Mittel dem Pferdesport verschrieben. Und dieser
Turner brauste nun auf seinen Hof und benahm sich wie einer, der
von Pferden nicht die leiseste Ahnung hat.
Turner räusperte sich. Offenbar war er hin und her gerissen
zwischen dem Ärger über die unverhohlene Kritik seines Angestellten
und tiefer Zerknirschtheit. Erics Blick verharrte auf den
fliederfarbenen Feuchtigkeitsschatten hinter den nahen Hügeln, und
seine Hand strich leicht über den Nacken des Pferdes.
Turner und Eric kannten einander seit Erics frühen Schultagen;
damals hatte er angefangen, mit Turners Pferden zu arbeiten. Diese
Arbeit hatte ihm sein Studium finanziert, und etliche von Turners
hochgespannten Vollblütern hatte er zu sanfteren Zeitgenossen
gemacht. Sie schuldeten einander nichts.
»Verdammt!« stieß Turner plötzlich hervor, »tut mir leid, ich war
so ... na ja, sozusagen, ich war ein bißchen aufgeregt.« Sein
Begleiter sagte: »Vielleicht sollten Sie uns vorstellen, Sir Simon.
Dann würden wir vielleicht eher zu der Angelegenheit kommen, um die
es geht.«
Eric war erstaunt. Das war die weiche, warme und doch bestimmte
Stimme einer Frau! Was er für einen jungen Mann gehalten hatte,
entpuppte sich als eine Frau mittleren Alters, die ihr Haar unter
ihrer Sportkappe verbarg und die Linien auf der Stirn, um Mund und
Augen hatte. Das Knabenhafte ihrer Figur hatte ihn
getäuscht.
Sofort saß er ab, zog seine Handschuhe aus und streckte ihr die
Rechte entgegen: »Verzeihen Sie meine Unaufmerksamkeit, Madam, ich
hielt Sie ... nun, hm, mein Name ist Eric. Eric
Gustavson.«
»Gustavson«, murmelte sie, ergriff seine Hand, drückte sie leicht
und lächelte ihn an. Ihm fiel auf, wie schön ihre Augen in dem
feinen, dichten Netz der Krähenfüße waren, »ich bin Emily
Fargus.«
Eric unterdrückte einen Pfiff: Fargus! Die Familie Fargus war
bekannt für ihre Pferdezucht.
»Gustavson«, sagte Emily Fargus. »Das ist wohl ein schwedischer
Name?«
»Meine Familie stammt aus Norwegen, Madam.« So hatte man es ihm
erzählt. Er hatte seine Eltern nie kennengelernt.
»Norwegen? Ist es schön da?«
Eric errötete. »Ich weiß nicht, Madam. Ich war nie dort. Ich bin
hier geboren.«
»So? Da haben wir ja eine Gemeinsamkeit, da wir beide es nicht
kennen. Norwegen bedeutet für mich Mitternachtssonne, die Wikinger
und kühles Wetter – und Ibsen. Kennen Sie Ibsen?«
»Ja, Madam, ein wenig. >Nora< habe ich gelesen.«
»Und?«
»Ich – ich fand es beklemmend, Madam. Ich legte es weg, und dann
nahm ich es noch einmal vor. Und ich ...« Er wurde verlegen, wandte
sich dem Hengst zu und verkürzte den Steigbügel, den er nachher nur
wieder in das Loch stecken würde, das zu seinen langen Beinen
paßte. Er wollte jetzt nicht über Bücher sprechen. Und schon gar
nicht über die Bücher, die er las, wenn er beschlossen hatte, daß
die Arbeit für den Tag nun erledigt war, und er eines dieser
altmodischen Bücher vorkramte. Das ging niemanden etwas
an.
Lance war verkrampft, wie immer, wenn Fremde in der Nähe waren, und
stärker noch als Eric spürte das Pferd, daß diese beiden eine
Spannung mitgebracht hatten. Als er den Steigbügelriemen
regulierte, sah Eric, daß der Hengst in seiner Haut kleiner zu
werden schien – genau wie ein Pferd, das im nächsten Augenblick
gezielt, mit der Absicht zu verletzen, ausschlagen wird.
»Zum Teufel!« polterte Turner plötzlich los, so ganz gegen seine
sonstige Art, »was, stehen wir hier rum und reden über Bücher! Es
geht doch um was ganz anderes!«
Die laute Stimme war zuviel für Sir Lancelot: Ausschlagen konnte er
nicht, denn Eric, den er auf keinen Fall verletzen wollte, war zu
nahe. Doch er stieg hoch mit einem wilden Schnauben, starren Augen
und weiten, blutroten Nüstern, und im Aufbäumen warf er sich herum,
um zu fliehen. Der Schrecken ergriff wieder von ihm Besitz.
Menschengesichter, wahrgenommen als helle Flecken, laute Stimmen,
drängende Stimmen – er war wieder auf dem Turnierplatz inmitten der
aufgebrachten Menge.
Eric hielt den Zügel in der Hand und reagierte beinahe noch
schneller als das Pferd. Als es stieg, hielt er den Zügel fest, der
ihm die Rechte zerschnitt, und als die Vorderhufe sich nach dem
Aufbäumen tief in den schweren Boden gruben, zog er sich
blitzschnell in den Sattel, beruhigte das Tier mit seiner Stimme
und seinen Händen und brachte es endlich, schweißgebadet, vor
Turner und Mrs. Fargus zum Stehen. Eine Pferdelänge waren sie
voneinander entfernt, und näher würde er Lance nicht an sie
heranbringen können. Lance würde noch sehr viel Zeit brauchen,
bevor er sich lärmenden Fremden auch nur auf Armlänge nähern
konnte. Eric schüttelte seine aufgerissene Hand und richtete dann,
ohne hinzusehen, den Bügelriemen. Wütend starrte er auf den Boden.
Turner hatte mit seiner Ungeduld, irgendeine wichtige Nachricht
vorzubringen, tief in sein eigenes Fleisch geschnitten. Schließlich
lag es in seinem Interesse, den Hengst bald wieder obenauf zu
haben, so daß jeder ihn reiten konnte.
Womöglich hatte Turner die Rekonvaleszenz des Pferdes um Wochen
zurückgeworfen. In Eric kochte die Wut. Ein paar Tage noch – dann
hätte er behutsam begonnen, den Hengst, der seine Verkrampfung
zunehmend verlor, Geräuschen auszusetzen, ab und an nur ein lauter,
zweifellos störender Ton, doch das Vertrauen des Pferdes zu ihm war
gewachsen, er hätte seine Unruhe beschwichtigen können – und
schließlich hätte er ihn behutsam dahin gebracht, alles Neue mit
Interesse, nicht mit Angst, zu betrachten – hätte ihn letztlich
dazu gebracht, sein Trauma zu überwinden und eine Menschenmenge nur
mehr als ein Meer von bedeutungslosen Gesichtern anzusehen, und die
Vielstimmigkeit dieser Menge nicht mehr zu beachten als das an- und
abschwellende Wispern eines Baches.
Da sagte Turner: »Komm näher, Eric, wir wollen was mit dir
bereden.«
Eric schüttelte erneut seine aufgerissene Hand. »Geht
nicht.«
»Wieso nicht??!«
»Bin froh, daß ich Lance so weit gebracht habe ... nachdem Sie –«
Er machte eine vielsagende Pause und lutschte an seiner
Hand.
Turner sagte ohne Atem: »Nachdem ich was?«
»Nachdem Sie ihn so verstört haben. Ich hab's Ihnen erklärt. Ich
hab Ihnen mehr als einmal gesagt, wo Lances Schwierigkeiten
liegen.«
Sir Simon schnaufte. »Dann steig gefälligst ab und komm zu
uns.«
»Nein. Nein – Sir.«
»Verflucht, warum nicht?!«
»Ich kann das Pferd jetzt nicht allein lassen. Sie haben es völlig
verängstigt.«
»Aber du mußt mit uns kommen! Es ist wichtig!«
»Ich muß mich um Sir Lancelot kümmern. Das ist Ihr Auftrag. Dafür
bezahlen Sie mich.«
Turner schnaufte wütend, sagte etwas zu Emily Fargus – Eric konnte
nur verstehen »manchmal verflucht eigensinnig«
– und kam dann auf ihn zugestapft. Lance warf den Kopf hoch und
trat einen halben Schritt zurück, und Eric nahm die Zügel etwas
kürzer und verstärkte seinen Schenkeldruck, um das Rückwärtstreten
zu forcieren. »Bleiben Sie lieber
stehen«, sagte er und tat, als versuche er, den Hengst anzuhalten,
»Sie bringen ihn bloß wieder in Panik.«
Turner blieb wie angenagelt stehen. »Verflucht, dann steig
gefälligst ab.«
»Wär verdammt unklug. Ihnen muß ich doch nicht sagen, was
Inkonsequenz bei der Ausbildung eines Pferdes anrichtet, sogar
schon bei einem normalen Pferd! Wenn ich ihn heute Abend nicht
durcharbeite wie geplant, kann ich womöglich von vorne anfangen.
Das wissen Sie.«
»Steig ab, verflucht! Mrs. Fargus und ich haben was mit dir zu
besprechen! Steig ab, sag ich.«
Eric lehnte sich unmerklich zurück. Lance schnellte auf die
Hinterbeine, seine Vorderhufe schlugen wirbelnd durch die Luft.
Turner wich ein paar Schritte zurück.
»Hören Sie auf, so zu schreien, um Gottes Willen! Sie machen mir ja
das Pferd völlig verrückt! – Ruhig, ruhig, Lance, nur ruhig.« Er
fuhr durch die helle Mähne, beugte sich über den aufgewölbten Hals
und flüsterte in die ihm zuzuckenden Ohren: »Nur ein Spiel, Lance,
keine Angst. Wir werden ihm schon Manieren beibringen.«
Leise, allerdings nicht weniger wütend, sagte Turner: »Komm da
jetzt runter, steig in den Wagen und fahr mit uns mit. Da ist was
verflucht Wichtiges!«
Eric ließ Lance tänzeln. Die schmalen Hufe rissen die Erde auf, und
die schweren feuchten Sandkörner sprühten in alle Richtungen. »Kann
nicht«, keuchte er. »Sie sehen ja, wie unruhig er ist. Wenn er
heute Abend seine Lektion nicht kriegt, muß ich wirklich wieder bei
Null anfangen. Überlegen Sie doch bloß, Sir Simon, dann wären all
die Wochen umsonst – und all das Geld, das Sie mir bezahlt haben,
um Lance wieder in Ordnung zu bringen.«
Emily Fargus war Turner gefolgt und stand jetzt neben ihm. Ihre
tiefblauen, lebhaften Augen ruhten aufmerksam auf dem goldenen
Hengst. Sie sagte: »Der junge Mann hat recht. Wir sollten die
Lektion heute Abend nicht abbrechen. Was wir mit Eric – mit Mr.
Gustavson – zu besprechen haben, hat auch bis morgen
Zeit.«
»Aber wo sie doch gerade zurückgekommen ist – ich dachte, Eric
sollte sie so bald wie möglich –«
»Sir Simon«, Emily Fargus sah ihm direkt in die Augen, »Sir Simon,
ich denke, dieser junge Mann hier hat recht. Er muß mit dem Hengst
heute Abend arbeiten, besonders, nachdem diese Störung eingetreten
ist, durch uns.« Sie hob den Kopf, blickte zu Eric auf: »Wenn wir
nur am Zaun stehen, denken Sie, daß Sie dann mit ihm arbeiten
können?«
»Ich denke schon, Madam.«
»Gut. Dann wollen wir uns zurückziehen und Ihnen zuschauen. Es
interessiert mich, wie Sie mit... nun ja, gestörten Pferden
arbeiten.«
Eric haßte Prüfungen, er hatte Erfahrung damit: »Und die Dosis für
ein Schwein? Für ein Schaf? Für ein Rind? Und für eine Katze?« –
»Sagen Sie mir doch einmal, was Sie tun würden, wenn ein Rind nach
wilden Zuckungen still und starr, aber noch lebend auf der Weide
liegt. Welche Diagnose würden Sie stellen, und wie würden Sie das
Tier behandeln?«
Eric schüttelte die Erinnerungen ab. Die Ängste, die er vor und
während einer Prüfung ausgestanden hatte, hatten aber auch ihr
Gutes gehabt: sie hatten seine Sensibilität für die Ängste anderer
erhöht – nur was man selbst erfahren und erlebt hat, kann man in
anderen vollständig nachvollziehen, und diese Fähigkeit ist
besonders hilfreich, wenn sich die anderen nicht durch Worte
ausdrücken können, sondern nur durch ihr Verhalten, wie die
Tiere.
Er beobachtete, wie Emily Fargus und Sir Simon Seite an Seite über
den schweren Sand gingen, schließlich den Bohlenzaun erreichten,
der die Reitbahn umgrenzte, und die Unterarme auf die oberste
Stange stützten. Er lehnte sich leicht im Sattel vor. »Das war
haarig, aber wir machen das schon. Die beiden werden eine hübsche
Vorstellung kriegen. Vergiß sie ganz einfach. Ich bin ja da.« Ein
leichter Schenkeldruck, und der Hengst setzte sich in Bewegung.
Zuerst ritt Eric ihn in einem kleinen Kreis, in sicherer Entfernung
von den Zuschauern, aber allmählich weitete er den Durchmesser des
Kreises aus, sprach auf den Hengst ein und beruhigte ihn, bis er
die Gestalten jenseits der Reitbahn kaum mehr beachtete, und dann
ließ er ihn zunächst, versuchshalber, eine Volte traben, die gut
gelang, wechselte darauf von Mitteltrab in gestreckten Trab, und
das Pferd war geschmeidig und konzentriert unter ihm. Er nahm die
Zügel auf und legte die Schenkel fester an das Pferd, und aus
leicht scheinendem fließenden Trab vollzog sich mühelos die
Wandlung zu den kurzen, hohen, anmutigen Bewegungen einer Piaffe,
in der das Pferd unter sich tritt, gesammelt, ganz auf den Wunsch
des Reiters eingestellt.
»Schön.« Eric brauchte nicht nach den beiden Gestalten da am Zaun
zu blicken, um ihrer Anerkennung, ja ihrer Bewunderung sicher zu
sein. »Und jetzt werden wir noch ein kleines Extra dazugeben«,
murmelte er, lenkte Lance in die Mitte der Reitbahn, verlagerte
sein Gewicht, es schien, als spiele er mit den Zügeln, und der
Hengst hob sich scheinbar schwerelos in eine vollendete Levade und
verharrte in dieser gesammelten Position sekundenlang unter seinem
Reiter, bis dieser die Zügel freigab, gleichzeitig die Schenkel
fester nahm – und aus der graziösen Levade wurde eine kriegerisch
anmutende Kapriole.
Eric hörte ein leises Luftschnappen vom Zaun her. Die Kapriole gilt
als die schwierigste Übung der Hohen Schule. Formvollendet springen
sie nur speziell für den Dressursport gezüchtete Pferde, die über
lange Jahre sorgfältig geschult worden sind. Etwa im zwanzigsten
Lebensjahr ist ein Lippizaner, der Inbegriff der Hohen Schule, in
der Lage, diese Übung zu vollbringen. Sir Lancelot war erst neun
Jahre alt, er war ein hochgezüchtetes Englisches Vollblut, und er
stellte alle anderen in den Schatten. Er war ein Naturtalent, wie
es vielleicht einmal in hundert Jahren geboren wird.
»Wunderbar, mein Sohn, wunderbar hast du das gemacht – wunderbar,
und das vor Fremden! Vielleicht gar nicht schlecht, daß sie da
sind, da gewöhnst du dich gleich wieder ein bißchen an Zuschauer –
na, haben dir diese beiden da drüben was getan? – Haben sie nicht.
Du hattest keine Angst vor ihnen, mußtest du ja auch wirklich
nicht. Und so wie die da – so sind eigentlich alle, die zusehen.
Das wirst du lernen
– wieder lernen –, wenn du vor großem Publikum
arbeitest.«
Der Hengst schnaubte. Sein Fell war jetzt trocken. In der
Konzentration auf die Arbeit hatte er seine Angst vergessen. Er war
entspannt: sein Reiter war zufrieden mit ihm; er wußte, er hatte
seine Sache gut gemacht. »Jetzt«, sagte die Stimme über ihm, »jetzt
noch ein kleiner Galopp, um dich zu lockern, dann Trockenreiten –
und Box. Also los!« Die Stimme war auffordernd, die Zügel wurden
nachgegeben – er nahm das Gebiß fester, legte sich in den Zügel mit
seinem sich streckenden Hals, fiel auf den auffordernden
Schenkeldruck seines Reiters in einen zunächst zögernden, dann mehr
und mehr raumgreifenden Galopp entlang der weiten Reitbahn. Eric
klopfte anerkennend seinen Hals. »Wunderbar, wunderbar. Wollen wir
jetzt langsam Feierabend machen? Feierabend.«
Der Hengst fiel auf das vertraute Wort hin in leichten Trab und kam
dann durch einen leichten Zug am Zügel zum Stehen. »Schön. Sehr
fein. Und nun noch ein paar Runden im Schritt.«
Zuerst waren die Tritte schnell, kurz, bereit, doch dann, als keine
andere Reaktion erfolgte als das weiche Nachgeben der Zügel, als
keine Schenkeleinwirkung mehr ihn vorwärtstrieb, da senkte er den
Kopf, kaute auf dem Gebiß, schnoberte in den Sand, zog lässig am
Zügel, und sein Körper wurde lang und entspannt, die Schritte
wurden nachlässig wie die eines weidenden Pferdes. Eric zog
schließlich die Zügel an, und der Hengst stand unter ihm wie eine
Salzsäule.
Aus der Entfernung konnte Eric gerade noch hören, was da drüben am
Zaun gesprochen wurde.
»Wunderbar«, sagte Emily Fargus' weiche Stimme, an Turner gewandt.
»Sie sagten doch, dieses Pferd sei völlig verstört gewesen, als Sie
es gekauft haben. Und jetzt – jetzt! Es ist wieder ein perfektes
Dressurpferd!«
»Solange Eric auf ihm sitzt. Er gewinnt schnell das Vertrauen
verstörter Pferde, ich weiß nicht, wie er's macht, er scheint sie
irgendwie zu verstehen und weiß dann, wie er sie behandeln muß. –
Aber es kostet noch mal soviel Zeit, wie er braucht, sie unter ihm
reitbar zu machen, um sie dazu zu bringen, auch unter einem anderen
gut zu gehen.«
»Es ist einen Versuch wert«, sagte Emily Fargus entschlossen.
»Gott!« Sie schwieg einen Augenblick, und ihre Augen wanderten
verloren über den schweren Boden, hoben sich schließlich von den
trockenen, schmalen Fesseln Sir Lancelots bis zu der glatten Stirn
und dem dunklen Stoppelhaar seines Reiters. »Sie wissen es ja, Sir
Simon – es geht mir nicht mal um Reitbarkeit. Aber so wie's jetzt
ist – die Stute läßt sich nicht einmal mehr anfassen.«
»Ja, ja, ich weiß, ein Jammer – und dazu die beste aus Ihrer
Zucht.«
»Immer war sie so zutraulich, aber seit sie zurück ist, hat sie vor
allem Angst. Keiner kann sich ihr mehr nähern.«
»Eric könnte es, denke ich. Das sagte ich Ihnen ja schon am
Anfang.«
»Ja, jetzt, wo ich ihn beobachtet habe – denke ich das auch. Aber
... aber wird er denn den ganzen Weg bis nach Schottland auf sich
nehmen, bloß um meine Stute wenigstens anzusehen?«
»Das müssen Sie ihn selbst fragen, Madam. Aber ich denke, er wird
es tun. Pferde liebt er über alles. Ich sagte ja schon, er kann
manchmal furchtbar eigensinnig sein – aber immer nur aus gutem
Grund.« Er schwieg einen Augenblick und zog sich den Schirm seiner
Mütze tiefer in die Stirn. »So wie vorhin, um mir meinen Fehler vor
Augen zu führen. Er hat ja auch ganz recht. Ich hätte mich nicht so
aufführen dürfen.«
Emily Fargus überspielte sein Schuldbekenntnis mit einem Lächeln
und sagte: »Ich mag diesen jungen Mann. Er gefällt mir. Ich glaube,
der gibt nicht so leicht auf.«
»Aufgeben?! – Da könnten Sie genausogut versuchen, den Teufel zu
taufen! Eric – Eric, der gibt nicht auf! Wenn der sich mal
festgebissen hat, arbeitet er immer weiter. Noch jedes Pferd, und
sei es noch so verstört, hat er wieder hingekriegt.«
»Ja, dann ... wir sollten ihm den Fall morgen vortragen.«
Es gab noch mehr Gemurmel, so leise jetzt, daß Eric es nicht
verstehen konnte. Dann sah er, wie die beiden sich abwandten,
flüchtig winkte Turner mit eingezogenem Kopf, wahrscheinlich
beutelte ihn die Beschämung jetzt erst richtig. Aber Emily Fargus
blieb nach ein paar Schritten stehen, drehte sich um und
beschattete mit einer Hand die Augen, und hob die andere mit einer
vagen, anrührenden Geste, die Verzagtheit verriet und doch nicht
ganz hoffnungslos wirkte. »Auf Wiedersehen, also morgen, E ...,
Mr.Gustavson.«
Am liebsten hätte er ihr gesagt, sie könne ihn ruhig bei seinem
Vornamen anreden, aber irgendwie war die Situation nicht
danach.
»Ja, Madam.«
Er sah ihnen nach, sie kletterten in den Kombi, der Motor brummte,
und bald war der Wagen fort.
In einem scharf geschnittenen Halbrund stand der Mond am Himmel. Er sandte sein Licht durch die Fenster des Hausflurs aus buntem Glas, als Eric endlich die Tür zu seiner Wohnung aufschloß. Die hölzernen Dielen, die unter jeder kleinen Belastung zu ächzen pflegten, wisperten nur schwach unter seinem leichten Schritt – schon vor vielen Jahren hatte er sich diesen geschmeidigen Gang angewöhnt, der Pferde wegen, mit denen er arbeitete.
Eric ging in die geräumige Küche. Ohne Licht zu machen, tastete seine Hand nach der Zigarettenschachtel und dem Feuerzeug, die auf dem großen Kiefernholztisch an ihrer gewohnten Stelle lagen. Er nestelte eine Zigarette hervor und zündete sie an. Tief zog er den Rauch ein, verfolgte dessen Weg im Geiste bis in die unterste Region seiner Lungen, und hatte gar kein schlechtes Gewissen dabei. Mitunter war eine Zigarette eben notwendig.
Wie heute. Müde wie er war, konnte er doch nicht abschalten. Er rauchte zu Ende und hielt, am offenen Küchenfenster stehend, stumm Zwiesprache mit dem Mond, dem Leitstern seit seiner Kinderzeit. Als die Glut den Filter der Zigarette erreichte, tat er die Kippe in den Aschenbecher, schloß das Fenster, streifte seine Kleidung ab, warf sie in den Weidenkorb in dem winzigen Zusatzraum, der ihm als Waschküche diente, und ging ins Bad. Die Schiebetür der Duschkabine schloß fest, sein Vormieter hatte ganze Arbeit geleistet. Das Wasser schoß über ihn, warm und entspannend, prickelte auf seiner Kopfhaut, spülte den Schaum weg, der Dreck und Schweiß gelöst hatte.
Die Unruhe aber, die konnte nichts wegspülen: Emily Fargus wollte, daß er sich um eine ihrer Stuten kümmerte. Er war aufgeregt wie vor einem ersten Rendezvous.
»Es macht Ihnen wirklich nichts aus, Mr.
Gustavson? Es ist eine ziemlich weite Fahrt.«
Eine ganze Stunde lang hatten sie miteinander gesprochen, und Mrs.
Fargus war noch immer nervös. Eric war ganz ruhig. Der
Pferdeanhänger mit Lance war angekoppelt; seine Bedingung war
erfüllt worden.
Ruhig sagte er: »Ich wollte Schottland schon immer mal
kennenlernen, Madam.«
»Ja.« Sie glitt hinter das Lenkrad, steckte den Sicherheitsgurt ein
und sagte: »Ja, das freut mich. Es ... es ist schön. Wunderschön.
Ich hoffe, Sie werden es mögen.«
»Na ja«, meinte Turner vom Rücksitz aus, »allerhand Schafe und
Hügel und so weiter.«
»Und die marchairs – die fangen doch
jetzt an zu blühen, Mrs. Fargus?«
»Die marchairs – o ja! An einem frühen Morgen, oder auch mitten in
einer Vollmondnacht –« Sie brach ab, als habe sie schon zuviel
gesagt.
»Marchairs«, verlangte Turner
ungeduldig von hinten – er war immer ungeduldig, wenn er nicht
tätig sein konnte –, »was, zum Teufel, ist marchairs?!«
»Das sind die Wiesen auf den Ausläufern der Felsen, die in den
Atlantik ragen. Ein wahres Blumenmeer breitet sich da im Sommer
aus. Sie werden es sehen«, erwiderte Emily Fargus leise. »Sie
werden es sehen und kaum für wahr halten, so schön ist
es.«
Voller Neugier nahm Eric die ihnen entgegensausende Landschaft auf.
Jemand hatte ihm erzählt, Schottland sei so kahl und stumpf wie ein
nasser Felsen – aber da waren in ihrem Blätterschmuck glänzende
Bäume, üppig wuchernde Blumen, satte Wiesen, da waren lebhafte
Bäche, sprudelnde Flüsse, überschäumende Wasserfälle. Eric
verrenkte sich mitunter beinah den Hals, um den Eindruck eines
Anblicks ein wenig länger in sich aufnehmen zu können. Es gab wenig
Verkehr, und alles in allem war dies eine freundliche, stille
Idylle. Und natürlich gab es neben zahlreichen Kaninchen
tatsächlich eine Unmenge Schafe, und sie trugen zu dieser Idylle
bei. Wie Wattebäusche sah man sie auf den schattigen grünen Weiden,
wie nicht ernst zu nehmende Wächter versperrten sie manchmal die
Straße.
Im Rahmen des Studiums hatte er viel über sie gelernt, aber dieses
Wissen schlummerte in ihm, da er es nie brauchte. Pferde waren die
Liebe seines Lebens, und was für ein unverschämtes Glück war es,
daß die Arbeit mit ihnen ihm seinen Lebensunterhalt sicherte.
Spezialisiert wie er auf Pferde war, auf ihre typischen Krankheiten
und Anfälligkeiten, und auf ihre Psychosen und Neurosen, hoffte er,
daß die Arbeit mit ihnen genügend Geld einbringen würde, um einmal
seinen großen Traum zu ermöglichen – ein eigenes Gestüt zu haben,
auf dem er epochemachende Vollblutpferde züchten würde. Er wollte
Land, er wollte Siege, und vor allem wollte er eigene hochblütige
Pferde, die er nicht hergeben mußte, wenn sie wieder zu dem
geworden waren, was von ihnen erhofft werden durfte. Er wollte das,
seit er ein kleiner Junge war. Als Kind hatte er darum gebetet.
Früh war ihm klargeworden, daß es dazu mehr brauchte als Träume und
Können und Gebete, mehr, viel mehr. Dazu brauchte es Kapital, das
groß genug war, um in schwierigen Zeiten ein Polster zu bieten, und
darum lebte er so spartanisch wie möglich und legte jeden Penny auf
die Seite und schlug niemals einen Auftrag aus, selbst wenn es
bedeutete, zwanzig Stunden täglich zu arbeiten.
Aber mehr noch als Ehrgeiz und Sparsamkeit brauchte es zur
Erfüllung dieses Traums den geeigneten Boden, die geeigneten
Pferde, um eine Zucht zu begründen – wie die, über die die Familie
Fargus herrschte. Bald würde er diese Herde sehen und sich sein
eigenes Bild davon machen können. Bei diesem Gedanken schlug sein
Herz schneller.
»Wir sind bald da«, sagte Emily Fargus, und seine geschärften Sinne
nahmen die leise Spannung in ihrer Stimme überdeutlich wahr.
Augenblicklich setzte er sich auf. Von hinten kam ein leises
Schnarchen. Turner war in der Sommerhitze eingenickt.
»Sehen Sie, Mr. Gustavson? Da vorn, hinter dem Waldgürtel, da
liegen die Weiden unseres Anwesens.«
»Sunrise – ich habe mich schon oft gefragt, ob der Name Ihres
Gestüts wohl mit Sham, dem Urvater des Englischen Vollblutes zu tun
hat, aber ich habe es nie herausfinden können.«
»Gewiß.« Sie nickte eifrig. Heute trug sie ihr Haar offen. Es war
eine weiche, wellige, beinah schulterlange Masse von der Farbe
eines Rehfells im Sommer, durchzogen mit einigen Silberfäden. »Sie
wissen, daß Sham das arabische Wort für Sonne ist? Vor vielen
Jahren gelangte die Familie Fargus in den Besitz einer
erbarmungswürdig aussehenden Stute. Sie war schon recht alt, es war
eigentlich nichts mehr von ihr zu erwarten. Sie hatte einen
Kohlewagen gezogen, war auf der abschüssigen Straße gestrauchelt
und gestürzt, niemand konnte sie mehr auf die Beine bringen
–«
»So ähnlich ging es auch mit Sham in seinen schlechtesten Zeiten,
wenn ich mich recht der Geschichte entsinne.«
Sie hatten den Buchenwald erreicht, dunstig grün wurde das Licht
unter dem dichten Laubwerk. Eric hatte das Fenster geöffnet,
lauschte dem Gesang der Vögel und fühlte, daß auch Emily Fargus
darauf lauschte. Er fürchtete, sie werde vergessen, was sie hatte
sagen wollen, fürchtete, daß sie ganz und gar eingenommen würde von
der Freude, nach Hause zu kommen.
»Also dieser Stute ging es ähnlich wie Sham in seinen schlechtesten
Zeiten. Und dann?«
Seine Stimme war so fordernd, daß Emily Fargus antworten mußte:
»Der Mann, von dem ich spreche, kaufte sie für eine Handvoll
Pennies und brachte sie auf seinen Hof, damit sie in Frieden
sterben könnte. Aber sie starb nicht. Sie erholte sich, und eines
Nachts brach ein junger Vollbluthengst in ihre Weide ein und deckte
sie, sie wurde tragend und brachte ein prachtvolles Fohlen zur
Welt. Es wurde der Begründer der Fargus-Zucht.«
»Aber ...« Eric war tief verwirrt. Er brauchte einige Zeit, um
seine Gedanken zu sortieren. »Aber – ich nehme an, Sie wollen
sagen, diese Stute sei ein Nachkomme Shams gewesen
– aber woher nahm Ihr ... Ihr Vor-Ur-oder-was-auch-immerAhn die
Gewißheit, diese Stute sei edelsten Geblüts?!«
»Sie hatte Papiere.« Emily Fargus schaltete, denn jetzt fiel die
Straße steil ab. Sie hatten die Anhöhe des Buchenwaldes hinter sich
und fuhren tief hinein in ein dunkles Tal.
»Papiere!«
»Ja. Als Hugh Fargus sie aus Mitleid erwarb, gab ihm der Besitzer
einen Bogen gerollten Papiers mit dazu. Er sagte, er habe das
Papier bekommen, wie alle Besitzer vor ihm, und es hatte ihm als
Notizpapier gedient, er hatte Zahlen in Kohle darauf gekritzelt –
er hat nicht gewußt, was für eine Kostbarkeit sich in seinem Besitz
befand. Wahrscheinlich konnte er kaum lesen. Dieses Papier besagte,
daß die Stute aus der Linie Man o' Wars stammte, und damit läßt
sich ihr Blut bis auf den Begründer des britischen Vollblutes, bis
auf den Godolphin Arabian, auf Sham, zurückführen.«
»Aber Shams Papiere, sein Stammbaum, ging verloren auf seiner
Odyssee!«
»Shams Papiere, ja, die wohl. Darum durfte er seinerzeit nicht in
New Market zum Rennen antreten, und wie Sie sicher auch wissen,
wurde darum seinem Nachkommen Man o' War die Aufnahme in das
British Stud Book verweigert. Seine Anhänger wünschten daher nichts
sehnlicher, als daß Man o' War in New Market ein Rennen laufen
würde; es hätte diesen Makel in ihren Augen erträglicher gemacht.
Doch Man o' War wurde von seinem Besitzer aus dem Rennsport
genommen, kurz bevor er sein viertes Lebensjahr erreichte; er lief
nie in New Market –«
»Ich erinnere mich«, sagte Eric eifrig, »es war nach seinem
einundzwanzigsten Rennen, in dem er Sir Barton, den großen Sprinter
aus Kanada, um sieben Längen geschlagen hatte. Sein Besitzer wußte,
daß Man o'War als Vierjähriger ein Handicap würde tragen müssen,
höher als je ein Pferd vor ihm. In den Rennen vor dem gegen Sir
Barton hatte er ja schon 130 Pfund tragen müssen, während die
anderen Pferde höchstens 114 Pfund hatten. Und sein Besitzer
fürchtete –« Erics Stimme versandete, plötzlich war die Erinnerung
an Lionheart zu nah.
Emily Fargus vollendete leise seinen Satz, »daß Man o'Wars Beine
sich unter dieser Last beugen und sein großes Kämpferherz darüber
brechen könnte. – Und auch wir haben es immer so gehalten, Mr.
Gustavson, stets steht das Wohl unserer Pferde, der Erben Man
o'Wars, an erster Stelle.«
Eric dachte an das Gespräch am Morgen zurück. Er nickte und
schwieg.
Dann war das Tor zu Sunrise da, und als Emily Fargus stoppte und
Anstalten machte auszusteigen, schlüpfte Eric hinaus und öffnete
das weite Tor. Die Beifahrertür wurde von innen aufgestoßen.
»Kommen Sie, Mr. Gustavson, es ist noch ein gutes Stück bis zu den
Ställen!«
»Ja, Madam.«
Die Auffahrt war gewunden und führte durch einen dichten
Buchenwald. Hier und da stand eine Birke, deren dichtes Haupt sich
mit ihren kleineren und helleren Blättern lebhaft von den Buchen
abhob. Farne, dicht und üppig, säumten den Wegrand, und der
Waldboden war übersät von diesen kleinen weißen und herrlich
duftenden Blumen, deren Namen er immer wieder vergaß. Sie schienen
den Wald mit Licht zu erfüllen.
»Ist das Meer weit weg?« fragte er, da ihn das anhaltende Schweigen
plötzlich bedrückte.
»Nein, Mr. Gustavson. Ein Teil unseres Geländes reicht direkt an
den Atlantik heran. Sie können auf unserem Land die marchairs in
Augenschein nehmen.«
»Was für eine lange Auffahrt! Aber der Wald ist sehr
schön.«
»Es freut mich, daß er Ihnen gefällt, Mr. Gustavson.«
»Sagen Sie doch Eric, Madam, bitte.«
»Vielen Dank – Eric, sehr gern. Wollen Sie mich dann nicht auch bei
meinem Vornamen nennen?«
»Oh, Mrs. Fargus, ich weiß wirklich nicht –«
Turners sonores Schnarchen aus dem Fond riß ihn aus der
eigentümlichen Atmosphäre. Er sah Emily Fargus von der Seite an:
»Sehr gern, Emily. Ist ja auch viel einfacher so.« »Nicht wahr.«
Kurz tauchte ihr Blick in seinen, dann wandte sie das Gesicht
wieder nach vorn. Plötzlich lag das Anwesen vor ihnen. Im
Hintergrund funkelte der Atlantik. Die Wirkung war überwältigend,
so daß Eric ein paar Sekunden brauchte, um zu begreifen, daß Emily
den Wagen angehalten hatte und sie auf der Kuppe eines Hügels
hielten. Er hatte nicht bemerkt, daß sie zuletzt bergauf gefahren
waren – er saß und schaute: Unter ihnen breitete sich ein weites,
von hohen, grünen Hügeln eingeschlossenes Tal mit saftigen Wiesen.
Es gab einen großzügig geschnittenen Abreiteplatz und einige große
Koppeln, aber von deren Begrenzungen abgesehen keine Zäune. Die
Wiesen erstreckten sich bis zu den hochragenden Felsausläufern,
deren Abgründe steil ins Meer stießen.
Das Herrenhaus lag auf der grünen Weite wie eine Perle auf grünem
Samt, eine solide Schönheit mit hohen Bogenfenstern, fein geformten
Erkern, weitläufigen Terrassen und einer breiten Freitreppe. Die
unmittelbar angrenzenden Stallungen befanden sich etwa in der Mitte
des waldlosen Landes, das sich weit unter ihnen dehnte; sie waren
ähnlich großzügig in ihren Ausmaßen, aber sehr viel schlichter.
Eric wandte seinen Blick von den Gebäuden. Hie und da erhoben sich
Felsformationen jäh aufsteigend aus dem glänzenden Grün der Weiden,
einige Trampelpfade durchschnitten das hochstehende Gras; neben der
breiten, nunmehr geraden Auffahrt nahmen sie sich aus wie dünne
Adern. Und während die Auffahrt vor dem Haus in einen weiten Platz
mündete – weit genug, um bequem mit einem Pferdetransporter zu
rangieren –, führten diese schmalen Pfade alle zum Meer, das aus
dieser Entfernung still zu sein schien, eine glatte, funkelnde
Fläche, die unter dem freundlichen Sonnenschein das Blau des
Himmels spiegelte. Eric liebte das Meer, seine Geräusche, seinen
Geruch. Aber er kannte nur die Nordsee, die blasser und nicht so
unberechenbar war wie der Atlantik. Die Schönheit des frischen
Grüns und des leuchtenden, tiefen Blaus nahm ihn für einige
Augenblicke völlig gefangen.
Lance stampfte im Pferdeanhänger, wie Pferde es tun, wenn es nicht
weitergeht. Der Wagen vibrierte unter seinen Bewegungen.
»Lance ist ungeduldig.«
Emily legte den Gang ein. »Gefällt es Ihnen ein bißchen,
Eric?«
»Gibt es jemanden, dem es nicht gefällt?!«
»Ich weiß nicht. Ich kann nur sagen, ich liebe es.«
Langsam rollte der Wagen den steilen Abhang hinunter, gestoßen von
dem schweren Anhänger. Eric hatte selbst mehrfach einen Wagen mit
Anhänger über schwierige Strecken gesteuert, er wußte, daß Emily
sich konzentrieren mußte, und schwieg. Doch als sie sich auf ebener
Fläche befanden, und als einmal mehr Turners Grunzen zu ihnen
drang, sagte er: »Es ist so viel schöner, als ich es erwartet habe,
es – bitte, lachen Sie nicht, Emily, es ist, als ob man in eine
andere Welt kommt, so friedlich, so harmonisch, so –«
»Sie ist alles andere als das«, unterbrach sie ihn beinah
heftig.
Er schwieg.
»Wir sollten das Pferd gleich ausladen, es wird durstig und müde
sein.« Emily parkte den Wagen unmittelbar vor den Ställen. Eric
stieg aus, sein Blick überflog die Gebäude. Solide. Hohe Stalltüren
aus guten, harten Bohlen, ein Mann konnte auf seinem Pferd
hinausreiten; wahrscheinlich müßte er den Kopf nur ein bißchen
einziehen.
Er löste die Verriegelung der Verladetür, ließ die schwere Rampe
langsam zu Boden und sagte: »Keine Sorge, nur ruhig, alter Junge,
ich bring dich jetzt raus aus deinem Schwitzkasten.« Er legte seine
Hand auf Lances Kruppe. Unter der dünnen Haut des Vollbluts war
keine übermäßige Spannung. Seine Schritte klangen hohl auf den
Planken des Transporters, als er zu Lances Kopf ging und seinen
Hals umarmte. »Fein hast du dich benommen, Junge, ganz fein. Ich
hatte Angst, du würdest schreien und schlagen, so wie früher, aber
brav warst du, ganz brav.« Lance versuchte, ihn seinerseits zu
umarmen, wie er es von der Reitbahn gewöhnt war, aber der
Führstrick war zu kurz. Er schnaubte und scharrte
ärgerlich.
»Komm, Junge, ich mach dich los.«
Eric fingerte den Strick frei, dann ein kleiner Druck gegen die
muskulöse Brust des Pferdes, und Lance trippelte vorsichtig
rückwärts über die Rampe des Anhängers, und als er auf ebenem Boden
stand, streckte er den Kopf nach Eric aus. Eric tat den letzten
Schritt, stand jetzt dicht vor dem Pferd, und der schmale Kopf Sir
Lancelots schob sich über seine Schulter und zog ihn mit
unwiderstehlicher Kraft an sich. Eric legte die Arme um den
mächtigen Hals und schloß die Augen. Viele Pferde hatte er geliebt.
Aber Lance – Lance gehörte zu den Auserwählten ebenso wie
Lionheart; und das hatte nichts mit seiner Befähigung zu
herausragenden Leistungen zu tun.
»Wie stolz müssen Sie sein, Eric«, hörte er plötzlich Emilys
Stimme, »daß Sie dieses Pferd, verstört wie es war, so weit
gebracht haben.«
Sir Lancelots Ohren zuckten unruhig. Ihre Stimme war für ihn zu
laut gewesen.
Eric sagte sehr leise: »Stolz – nein, Madam, – oh, hm, Emily.
Dankbarkeit, verstehen Sie? Dankbar bin ich, daß Lance mir
traut.«
»Er liebt Sie. Ist das nicht mehr als Vertrauen?«
»Ich – verzeihen Sie, Emily, aber ich würde ihn jetzt gern in seine
Box bringen.«
Sie verharrte sekundenlang, blickte auf ihn und das Pferd, das
unmittelbar hinter ihm stand und dessen Kinn auf seiner Schulter
ruhte. Mit einer weiten Gebärde wies sie dann auf die Stallungen:
»Sie können ihn überall einstellen. Unsere Pferde sind alle auf der
Weide.«
Eric spürte ihren Unmut, aber er schüttelte das Unbehagen darüber
ab. Er löste die Schnapphalterung des Führstrick, und Sir Lancelot
folgte ihm. Sein Kopf war immer unmittelbar hinter seiner
Schulter.
Gesäuberte Boxen überall, den ganzen ersten Stallgang entlang. Es
war gleich, wo er Lance unterbrachte. Es war schön hier und
weiträumig und sehr gepflegt.
Aber es war auch einsam und gespenstisch, als habe dieser Stall für
lange Zeit schon kein Leben mehr beherbergt.
»Könnte er nicht auf die Weide?« fragte er Emily. Es war ein
unbehaglicher Gedanke, Lance hier ganz allein zu lassen. »Zu den
anderen?«
»Unmöglich, Eric! Dann würde er sich mit Excalibur
auseinandersetzen müssen!«
»Oh, Sie haben einen Hengst auf Ihrem Gestüt?«
»Excalibur. Er ist unser Beschäler. Er ist einer der Nachfahren der
Stute, von der ich Ihnen erzählt habe.«
»Verstehe. Lance bleibt also hinter Schloß und Riegel.« Der Schock
ließ nach und mit ihm seine Höflichkeit.
»Ich hätte Ihnen das eher sagen sollen, Eric, es tut mir leid.
Sehen Sie – ich hoffte, Sie würden mit mir hierherkommen, aber ich
rechnete nicht mit einem weiteren Hengst.«
Er sah ihre Misere und sagte ruhig: »Wie sollten Sie? Wie sollten
Sie wissen, daß ich auf Lance bestehen würde?«
»Ich – ich hätte es mir wohl denken müssen.«
Er betrachtete sie schweigend. Seine Rechte tastete nach Lances
Nase.
Eilig fuhr sie fort: »Wir werden eine Lösung für Sir Lancelot
finden. Vielleicht könnten wir ihn auf eine der Rinderkoppeln
bringen. Denken Sie, er könnte sich mit den Kühen
arrangieren?«
»Ihre Pferde laufen frei, soweit ich das beurteilen
kann?«
»Über das ganze Gelände«, bestätigte sie.
»Aber die Rinder sind eingezäunt?«
»Ja, Sie können die Koppeln von hier aus nicht sehen, sie sind
hinter den Hügeln.«
»Glauben Sie denn, daß ein Zaun, ein einziger Zaun, der sicher
nicht hoch ist, da er ja nur für Rinder aufgestellt wurde, ein
Hindernis ist für einen freilaufenden Hengst, der einen Rivalen auf
seinem Revier wittert?!«
Sie schwieg und senkte den Kopf.
»Emily!« Eric war nahe daran, die Fassung zu verlieren. »Lance
hätte niemals hierherkommen dürfen!«
»Sie ... Sie wären nicht ohne ihn zu uns gekommen, das haben Sie
mehr als deutlich gemacht, und da ... da habe ich nichts von
Excalibur gesagt. Es – ich entschuldige mich, Eric, aber ich
brauche Sie so notwendig, ich brauche Ihre Kunst so sehr – ich
hätte alles getan, damit Sie hierherkommen. Diese Stute
–«
»Vergessen wir mal die Stute für einen Augenblick«, sagte er
bestimmt. »Haben Sie denn wirklich nicht über die Komplikationen
nachgedacht?«
»D ... doch, gewiß ..., aber wenn wir die Hengste weit genug
auseinanderhalten, was soll dann schon geschehen?«
»Aber Sie sagten gerade, Excalibur läuft frei! Und selbst wenn es
Zäune gäbe – ein Hengst mit einer Herde wird immer den Rivalen
wittern und ihn schließlich finden und versuchen, ihn zu
vernichten. Emily, ich verstehe Sie nicht, wie konnten Sie
zulassen, daß Lance mitgenommen wird? Das wird entweder seinen Tod
bedeuten oder den Excaliburs.«
Er hakte den Strick wieder in die Öse an Lances Halfter ein. »Komm,
Lance.«
»Wohin wollen Sie?« Ihre Stimme klang schrill.
»Zurück, was denken Sie? Glauben Sie vielleicht, ich würde das
Leben dieses Pferdes oder das eines anderen Pferdes aufs Spiel
setzen?! Sie haben mich gelinkt, Madam, und ich frage mich, was Sie
sich dabei gedacht haben.«
»Eric, bitte, bleiben Sie! Wenn Sie wüßten, was hier
geschieht!«
»Es interessiert mich nicht im mindesten. Ich sehe nur, daß Ihnen
mein Pferd nichts gilt, daß Sie sein Leben bereitwillig aufs Spiel
setzen, nur um mich hierher zu bekommen. Tut mir leid, aber so
läuft das nicht. Darf ich mir Ihren Wagen borgen? Ich bringe ihn
sofort zurück, wenn ich Lance sicher habe, wo er hingehört. Tut mir
leid.«
Lance prustete, als Eric ihn die Planke hinaufführte, die er gerade
hinuntergestiegen war.
»Du wunderst dich, ich weiß, mein Junge. Vergiß es, nimm's einfach,
wie's kommt. Ich sage bloß: Frauen! – Du verstehst?«
»Eric!« Emily Fargus war plötzlich neben ihm, als er das Seil
sorgfältig festzurrte und sich vergewisserte, daß Lance sich nicht
verletzen konnte. »Eric, es muß doch nicht so sein, wie Sie sagen –
es gibt andere Hengste in dieser Gegend, und Excalibur ist noch nie
ausgebrochen, um sie zu stellen!«
»Andere Hengste in dieser Gegend, Madam, sind wohl nicht zu
vergleichen mit einem Hengst auf dem Territorium Excaliburs.« Er
sprach ruhig, für ihn war die Sache abgeschlossen. Entfernt drang
das anhaltende Schnarchen Turners zu ihm.
Emily Fargus hatte es auch gehört: »Mr. Turner war natürlich von
vornherein im Bilde, ich bat ihn, nichts zu sagen.«
»Turner war im Bilde? Jetzt verstehe ich gar nichts mehr!«
Schließlich ging es um sein Pferd, schließlich war Lance für ihn
eine Investition in die Zukunft; wie konnte er Lance aufs Spiel
setzen?!«
»Eric, Eric, bitte, versuchen Sie doch zu verstehen –«
»Ich kann nicht verstehen, daß –«, er atmete tief, »daß Sir Simon
damit einverstanden ist, daß irgendeines seiner Pferde einer
solchen Gefahr ausgeliefert werden soll, und schon gar nicht ein
Pferd wie Sir Lancelot!«
»Nein, oh nein, Sie mißverstehen das, Eric! Wenn wir Sir Lancelot
im Stall halten, und meinetwegen tagsüber bei den Kühen – wissen
Sie, es gibt Wächter für unsere Kühe, genauso wie es einen Hirten
für unsere Schafe gibt; der würde Excalibur schon verscheuchen,
wenn er versuchen sollte, Sir Lancelot anzugreifen. Und in der
Nacht wäre er ja im Stall, der fest verriegelt werden kann.«
Hoffnungsvoll sah sie ihn an.
»Eric – bitte! Sir Lancelot wird in Sicherheit sein, und Solitaire
... vielleicht können Sie ihr helfen.«
Eric ließ den Strick los. »Solitaire? Ist das ihr Name?«
Bislang hatten sie nur über »die Stute« gesprochen, über ihr
rätselhaftes Verschwinden, ihr ebenso rätselhaftes Wiederauftauchen
und über die erschreckende Veränderung ihres Wesens. Nicht ein
einziges Mal war ihr Name genannt worden.
»Sie ist einzig, darum gaben wir ihr diesen Namen.«
»Einzig? Was bedeutet das, Madam?«
»Morgen werden Sie sie sehen, wenn wir die Herde gefunden und
Excalibur dazu gebracht haben, die Stuten zu uns zu bringen. Bitte!
Bitte, Eric, bleiben Sie!«
»Lance darf nichts geschehen.«
»Es wird ihm nichts geschehen.«
»Also gut... ich bin bereit, es zu versuchen.« Schwer fielen ihm
diese Worte, und das Aufleuchten ihres Gesichts ärgerte ihn. »Ich
bleibe nur, weil mich diese Stute wirklich interessiert. Aus keinem
anderen Grund!« Er hatte noch immer das Bedürfnis, alle Höflichkeit
und Zurückhaltung fahren zu lassen. Er hätte sie packen und
schütteln mögen.
»Oh – ich danke Ihnen, Eric, wenn Sie wüßten – Sie sind unsere
letzte Hoffnung!«
»Wir werden sehen«, sagte er kurz und führte Lance wieder zurück
zum Stall.
Auf dem Stallgang blieb er stehen und löste das Halfterseil: »Keine
Vorschriften außerhalb der Arbeit – das war unsere Vereinbarung,
mein Junge, also geh, such dir den Platz, wo du bleiben willst.« Er
schob Lance mit der Schulter voran, und der Hengst setzte sich in
Bewegung. Vor der dritten Box zur Linken blieb er stehen. Er
streckte den Kopf über die geschlossene Tür, witterte intensiv und
scharrte.
»Nummer drei.« Eric öffnete die Tür. »Nummer drei, bitte sehr.« Der
Hengst tat einen Schritt, und seine Fesseln versanken tief in
duftendem Stroh. Sir Lancelot drehte sich um und schob die Nase in
den leeren Futtertrog.
»Es ist noch keine Futterzeit, Junge.«
Das Pferd erkundete darauf die automatische Tränke und
trank.
»Aber natürlich gibt es Futter für ihn! Er hat ja schließlich eine
lange Fahrt hinter sich!«
Emily trug eilig einen Eimer mit Hafer und Melasse herbei, und
einen zweiten mit zerkleinerten Mohren, unter die Leinsamen
gemischt war. Ihr zarter Körper schwankte unter dem
Gewicht.
»Geben Sie nur, ich mach das schon.« Er nahm ihr die Eimer ab, trat
in die Box und schüttete das Futter in den Trog. Lance machte sich
darüber her. Eric war zufrieden: ebenso fütterte er die ihm
anvertrauten Pferde auch.
Waffenstillstand, dachte er. Aber er würde nicht vergessen, daß
Emily Fargus und Sir Simon ihn getäuscht hatten.
Am Abend holte er das Pferd aus dem Stall, legte ihm eine Trense an, zog sich auf den bloßen Rücken und ritt hinaus. Beim Klang der beschlagenen Hufe auf dem Kopfsteinpflaster des Hofes erhob sich ein grauweißer Schäferhund aus einer Ecke, kam zu ihnen, umkreiste sie mehrmals in vorsichtigem Abstand, lief schließlich voraus, und blieb dann stehen. »Du siehst aus wie ein Wolf«, sagte Eric. Der Hund wedelte und kam etwas näher. »Könntest du uns vielleicht einen Weg zeigen? Ich möchte an einen Ort, an dem uns niemand anstarren kann, weißt du.«
Im Haus hatte ihn jeder angestarrt: der alte Großvater, der seinen knüppelartigen Gehstock immer dicht bei seinem Stuhl oder Sessel stehen hatte, Louise, die fünfzehnjährige Tochter von Emily, Emily selbst, und auch Turner. Alle hatten ihn beobachtet – immer diese kleinen, schnellen Seitenblicke, und das direkte Zuwenden des Gesichts, wenn er sich auch nur räusperte. Er hatte sich oft geräuspert im Verlauf dieses Nachmittags; die eigenartig gespannte Atmosphäre war ihm auf die Nerven gegangen und hatte ihn entsetzlich ermüdet. Was er jetzt brauchte, war frische Luft, Abwechslung, etwas Neues, etwas Anregendes.
Lance, der es nicht gewohnt war, völlig allein zu sein, schien sich nach dem Aufenthalt in dem leeren Stall ähnlich kribbelig und gereizt zu fühlen; seine Ohren zuckten, und sein langer Schweif peitschte die Flanken.
»Bring uns von hier weg«, sagte Eric beschwörend zu dem Hund, der noch immer wedelnd vor ihnen stand. Er konnte förmlich spüren, wie aller Augen im Haus auf ihn gerichtet waren, es war unerträglich. Er mußte allein sein, wünschte nur den Kontakt mit Geschöpfen, die ihn nicht täuschen würden.
Tiere täuschen dich nicht. Wenn sie dich hassen, dann zeigen sie es unumwunden, und wenn sie dich lieben, ebenso. Tiere berechnen nicht, sie wenden keine Tricks an, es sei denn, sie haben sie von den Menschen gelernt.
»Halten Sie sich besser von dem Hund da fern!« rief unvermittelt eine schrille Stimme. Der grelle Ton traf Mann, Pferd und Hund gleichermaßen. Der Hund duckte sich und wimmerte in Abwehr, der Hengst warf den Kopf hoch, scheute und hatte plötzlich blutfarbene Nüstern und zitternde Flanken. Eric drückte ihn mit einer leichten Bewegung nach unten, schüttelte wie betäubt den Kopf und blickte suchend am Haus hoch.
Im oberen Stock wurde hastig ein Fenster
geschlossen. »Bring uns weg, zeig uns einen Ort, wo wir allein sein
können«, wiederholte Eric, und der Hund erhob sich, sah zu ihm
hoch, bellte kurz und lief voraus. Ohne Aufforderung folgte ihm
Lance.
Der Hund stürzte sich in das hohe Gras und verschwand beinahe unter
den Halmen. Eric wurde klar, daß sie einer der schmalen Fährten
folgten, die zum Meer führten. Dann senkte sich der Boden, das Gras
war hier ganz kurz, ein dichter, grüner Teppich, durchsetzt von
einer nie gekannten, kaum vorstellbaren Vielfalt von Blumen; eine
Fülle von Farben, Formen und Düften, die die Sinne nur langsam zu
erfassen vermochten: die marchairs. Benommen drehte er sich nach
dem Haus um und stellte zu seiner Erleichterung fest, daß er es
nicht mehr sehen konnte – der Hund hatte sie auf einen Ausläufer
der Felsen geführt, die unmittelbar in den Atlantik stießen. Eric
glitt von Lances Rücken, stand still und begegnete dem Blick des
Hundes, vor dem man ihn eben gewarnt hatte. Waren diese Augen kalt,
tückisch? »Sicher hast du einen Namen.« Der Hund kam ein wenig
näher, blieb abwartend stehen, wedelte schwach. »Ich weiß deinen
Namen nicht«, fuhr Eric fort und streichelte Lances Kopf, der sich
ihm zuwandte. »Ich würde dich Wolf nennen, denn du siehst aus wie
ein Wolf in der Blüte seines Lebens. Darf ich dich Wolf
nennen?«
Der Hund kam langsam näher, seine Blicke glitten zwischen dem
hohen, starken Pferd und dem Mann mit der sanften, einnehmenden
Stimme hin und her. Er zögerte.
»Wolf«, sagte Eric leise und streckte die Hand aus, so tief, daß
sie bestenfalls die Schulter des Hundes erreichen würde: Hunde, die
einem Fremden begegnen, wollen nicht von oben angefaßt werden. Die
Hand, die sie erreichen will, muß tiefer als in Höhe ihrer Schnauze
angeboten werden, als eine Geste, die um Vertrauen bittet. Der Hund
machte die letzten Schritte, kam zu ihm, ließ sich berühren, dann
drängte er seine Wärme und seinen üppigen Pelz an ihn, schmiegte
sich auch an Lance, der ihn seinerseits interessiert beschnupperte.
Das war ein gutes Zeichen, dachte Eric. Wenn der scheue Lance ein
Wesen in seiner Nähe zuließ, konnte es nicht schlecht sein. Und
hatte Wolf sie nicht an diesen gesegneten Flecken
geführt?
Einmal hatte ihm ein Studienkollege neidisch gesagt: »Ich frage
mich, wie du den Viechern immer gleich so nahe kommen kannst. Ein
Pferd ist dafür bekannt, auszuschlagen und zu beißen – und du gehst
in die Box, und es ist sanft wie ein Lamm. Ein aggressiver Hund,
vor dem alle einen Heidenrespekt haben, frißt dir aus der Hand.
Eine Katze, die jeden kratzen und beißen möchte, ebenso. Wie machst
du das?«
Es gab keinen Trick. Es gab nur sein aufrichtiges Interesse an den
Tieren, nichts weiter. Er ging auf sie zu, weil er sie mochte, weil
er fasziniert war von ihnen. Er hatte keine Vorbehalte, ließ sich
nicht von Vorurteilen beeindrucken, fällte sein eigenes Urteil. So
einfach war das. Bei Menschen allerdings war es anders.
»Wolf!« Der Hund, der ein wenig herumgestreunt war, schnellte
unvermittelt herum, mächtige Muskeln bewegten sich atemberaubend
leicht und geschmeidig unter dem hellen Pelz, und Eric beschlich
ein Gefühl des Entsetzens, denn dieser Hund war eine vollendete
Kampfmaschine. Mühelos würde er ihn niederreißen können.
Unmittelbar vor Eric kam er zum Stehen und schnellte auf die
Hinterbeine, seine Vorderpfoten hoben sich, als wollten sie ihn
niederstürzen, er stieß ein kurzes, dumpfes Grollen aus, sein
scharfes Gebiß war entblößt – und dann erkannte Eric das Lachen in
seinen Augen, wußte, daß das Grollen ein Laut der Freude war, und
er faßte die auffordernd erhobenen Vorderpfoten und ließ sich
einfach in diesen weichen Pelz hineinfallen; in einem Knäuel
rollten sie zu Boden und balgten sich zum Spaß. »Wolf«, keuchte
Eric schließlich atemlos und schob den Hund ein wenig von sich,
»Wolf, du bist ein großartiger Kerl. Ich wette, du hast uns gerade
an deinen Lieblingsplatz geführt.«
Wolf sprang auf, schüttelte sich und stieß Eric mit der Nase
an.
»Ich wußte, du bist ein Freund. Warum mögen die da oben dich
nicht?« Der Hund schnaufte und trottete beiseite, als wolle er ihm
zu verstehen geben, daß alles komplizierter war, als es auf den
ersten Blick schien.
»Scheint mir auch so.« Eric rappelte sich hoch und schnipste
Grashalme von seiner Kleidung. »Lance?« Der Hengst hob den Kopf von
dem kurzen Gras, rührte sich aber nicht. Er war eifersüchtig.
»Lance, er ist ein Freund.« Er stand auf und trat zu Lance, der
sich betont gleichgültig gab. »Wolf, komm her, komm her. So, das
ist gut, ein guter Junge. Siehst du, Lance hier ist ein bißchen
mißtrauisch, seine Erfahrungen mit Hunden sind nicht die besten.
Euer Anfang war doch aber gut?«
Der Hund wedelte und schnupperte nach Lance.
»Ach, Lance! Komm schon! Sei nicht so hochmütig!«
Der Abend malte drei dunkle Silhouetten gegen die glühende Pracht
des Sonnenuntergangs, der das tiefe Blau des Atlantiks in
Purpurtöne verwandelte. Eric hockte unmittelbar am Abgrund und ließ
unbesorgt seine Beine in die Tiefe baumeln; zu seiner Linken saß
Wolf, und Erics Arm lag um ihn, und rechts von ihm stand Lances
fürstliche Gestalt mit entspannt gestrecktem Hals.
Plötzlich sagte eine Stimme hinter ihnen: »Ich dachte, Sie legen so
viel Wert darauf, daß mit diesem Pferd jeden Tag gründlich
gearbeitet wird?«
Eric wandte sich langsam um und sagte so geduldig wie möglich:
»Louise, es war hart für ihn heute, die lange Reise, und im Stall
war er allein und hinter verschlossenen Türen, da Ihre Mutter es
nicht für nötig hielt, mich darüber in Kenntnis zu setzen, daß
dieses Gestüt einen Hengst hat.«
Er fühlte, daß sie eine heftige Entgegnung auf der Zunge hatte. Er
hatte keine Lust auf eine Auseinandersetzung, nachdem es ihm
endlich gelungen war, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Darum
fügte er einlenkend hinzu: »Ein bißchen Ruhe und Meerwind werden
ihm besser bekommen.« Er zog die Beine an.
»Dafür haben Sie Verständnis, aber nicht für das Verhalten meiner
Mutter! Und wie Sie sich heute Nachmittag aufgeführt haben – nicht
nur der Gastgeber hat die Pflicht der Höflichkeit, aber das scheint
Ihnen nicht bewußt zu sein! Und warum haben Sie nicht gefragt?
Warum haben Sie nicht gefragt, ob wir einen Hengst hier
haben?«
Eric erhob sich langsam. »Es gibt Gestüte, die sich der Hengste von
Deckstationen bedienen. Ich habe gelesen, dies sei eines davon.
Warum sollte ich fragen? Und da Ihre Mutter nichts erwähnte ... Und
was Ihre andere Bemerkung anbelangt, ich bin mir keiner Schuld
bewußt. Oder haben Sie erwartet, daß ich die gesamte Unterhaltung
bestreiten würde? Wann immer ich etwas fragte, wurde mir das Wort
abgeschnitten, oder man antwortete mir mit Schweigen. Ich finde das
nicht sehr höflich, Miss.«
»Aber Sie haben ja auch immer von den ganz falschen Sachen
angefangen! Haben Sie das denn nicht gemerkt?«
Eric hob die Schultern. Es war jetzt so dunkel, daß er ihr Gesicht
nicht mehr sehen konnte. Er sprach zu ihrem Schatten, der sich
klein und schmal in einiger Entfernung bebend vor ihm aufgebaut
hatte. »Ich wollte doch nur herausfinden ... ich meine, ich dachte,
wir könnten ganz unbefangen reden, ich habe diese Zurückhaltung
einfach nicht verstanden.«
»Ach!« Sie stampfte mit dem Fuß auf. Seltsam nahm sich das bei
dieser Schattenfigur aus, und ihre Stimme war heftig: »Verstehen
Sie denn nicht, es ist schwer für uns, sehr schwer! Es wird Mutter
leichter fallen, Ihnen alles zu erklären, wenn Sie die Stute erst
gesehen haben. Wie – wie tumb sind Sie denn, daß man Ihnen sowas
sagen muß!«
Sie trat mit einer ungeduldigen Bewegung einen Schritt näher, aber
da ließ Wolf ein dumpfes, unverkennbar feindliches Grollen hören
und stand neben Eric.
Sie trat rasch zurück. »Oh, den haben Sie bei sich?!«
»Was – ich verstehe nicht, was haben Sie und Ihre Leute gegen
diesen Hund? Irgend jemand hat mich vorhin vor ihm gewarnt. Er ist
ein guter Kerl.«
Sie zögerte kurz, und stieß dann hervor: »Guter Kerl? Was kann gut
sein, was von denen da oben kommt?!«
Vielleicht war es ihre Stimme gewesen, die ihn gewarnt hatte. –
Eric sagte: »Von denen da oben? Was meinen Sie?«
»Er gehört nicht zu uns! Er hat hier nichts zu suchen!«
»Aber er ist ein netter Hund! Was spielt es für eine Rolle, ob er
zu Ihnen gehört oder – oder zu denen?«
»Das – das werden Sie noch erfahren!« Sie wirbelte herum und wurde
von der Dämmerung verschluckt. Eric starrte ihr nach und dachte an
seinen Enthusiasmus beim ersten Anblick von Sunrise – offenbar gab
es hier aber mehr Schrecken als Wunder.