24

» You took your life as lovers often do but I could have told you, Vincent, this world was neuer meant for one as beautiful as you.«

Vier hohe schlanke Kerzen erleuchteten Elaines Wohnzimmer, eine in jeder Ecke. Elaine kam herein und kniete hinter Eric nieder, der bei ihrer Stereoanlage kauerte. Sie umarmte ihn von hinten und schmiegte ihr Gesicht an seine Schulter. »Es ist schön, nicht wahr«, flüsterte sie. »Wenn es nur nicht so traurig wäre.« Die leise Klage für Vincent van Gogh klang aus. »Such doch etwas anderes aus«, bat sie. »Traurige Musik ist nicht die richtige Untermalung für einen stimmungsvollen Abend, und wir haben doch immer so wenig Zeit füreinander. Warum spielst du nicht Henry?«

Sie sah, daß er etwas aus seiner Tasche nestelte, aber bevor sie erkennen konnte, was es war, sagte er: »Mach einen Moment die Augen zu, ja?« Lächelnd gehorchte sie.

Sie kannte das Lied nicht, das gleich darauf erklang, aber die Geschichte berührte sie, und ein unerklärliches Beben breitete sich in ihren Muskeln aus, als sie den Refrain hörte: »Some of God's Greatest Gifts ... Are Unanswered Prayers.« Fragend blickte sie ihn an.

»Ich bin nicht sehr begabt dafür, jemanden auf die Folter zu spannen«, sagte er und strich über ihre Wange. »Schon gar nicht jemanden, den ich liebe.«

Leise, stockend, berichtete er von dem Gespräch mit Mr. Sims und der Entscheidung, die er getroffen hatte. Fassungslos starrte sie ihn an. »Aber es war das Wichtigste in deinem Leben«, hauchte sie. »Was hat dich dazu gebracht, deine Meinung zu ändern?!«
»Was hat dich dazu gebracht, deine zu ändern?«
Sie führte seine Hand an ihre Lippen. Tränen glitzerten in

ihren Augen. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich will nicht, daß du ein so großes Opfer für mich bringst. Es ... irgendwann würdest du es bedauern und mir dann vielleicht die Schuld geben. Selbst wenn du niemals auch nur ein Wort sagen würdest ... ich würde es wissen und mir Vorwürfe machen, und ich würde leiden, weil ich wüßte, daß du leidest, und weißt du, ich –«

Er mußte schlucken, bevor er sagen konnte: »Komm, kleine Fee.« Er ließ sich der Länge nach zu Boden gleiten und zog sie mit sich. »Ich will versuchen, es zu erklären. Ich meine, ganz verstehe ich es selbst nicht. Das macht es nicht einfacher. – Es ist ... plötzlich ist es weg. Ich wollte dieses Gestüt, so lange ich denken kann; – so sehr, daß es zuweilen richtig weh tat.«

Verlegen streifte seine Hand kurz über seine linke Brustseite. »Ich habe die ganze Zeit gegrübelt, seit ich von Sims weggefahren bin. Ich glaube, dieser Wunsch nach einem Gestüt war wie Mutter und Vater für mich, tröstete mich über alles hinweg ... wann immer etwas schiefgegangen war, flüchtete ich zu ihm, wie ein Kind in die Arme der Mutter. Und als du gesagt hast, wie sehr du dich deiner Heimat verbunden fühlst... und ich konnte fühlen, daß sie dir so viel bedeutet wie mir mein Traum – als ich glauben mußte, daß es keinen Sinn hat mit uns beiden, da verbiß ich mich noch mehr. Wenn ich schon nicht mit der Frau Zusammensein konnte, in die ich mich verliebt habe, dann wollte ich diesen Traum verwirklichen, und zwar so schnell wie möglich. Nicht einmal meine Gefühle für David und Claire hätten mich daran hindern können.«

Schweigend und nachdenklich hatte sie ihm zugehört, den Kopf an seine Schulter geschmiegt. Jetzt richtete sie sich ein wenig auf. »Die beiden lieben dich wirklich sehr, weißt du. Vielleicht mehr als ihren eigenen Sohn.«

»Und ich ... liebe sie auch. Immer habe ich mir Eltern wie sie gewünscht. Aber –«
Er runzelte die Stirn, zögerte. Es war nicht leicht, die richtigen Worte zu finden. Elaine half ihm. »Kinder verlassen nun mal das Elternhaus.«
»Ja«, sagte er, erleichtert, »so wird's wohl sein.«
»Aber du warst noch nicht fertig. Ich hab dich aus dem Konzept gebracht.«
»Nein, kleine Fee.« Er zog sie wieder dichter an sich und spielte mit ihrem Haar.
»Und dann, an diesem Tag auf dem Weihnachtsmarkt, als ich endlich begriff, daß es dir ernst ist –« Eine Ewigkeit schien seither vergangen; dabei waren es nur einige wenige Tage, aber seine ganze Welt hatte sich seit diesem Tag völlig verändert, »als ich das begriff, Elaine, Fayre Elaine... du warst so bezaubernd... und ... ich werde nie vergessen, wie du mich angesehen hast –«, die Erinnerung überwältigte ihn für einen Augenblick, »weißt du, ich habe nie Zugang zu Menschen finden können, wie es bei den Tieren möglich ist – «
»Weil du Angst vor ihnen hast – hattest?« ergänzte sie hoffnungsvoll.
»Ich weiß nicht«, sagte er wahrheitsgemäß. »Ich will dich nicht anlügen; ich weiß es einfach nicht.«
»Aber vor mir doch nicht?!«
»O nein! Das wollte ich eben sagen – als ich das begriffen hatte, schien eine Mauer einzustürzen, die bislang zwischen den Menschen und mir gestanden hatte.« Seine Arme schlossen sich fester um sie.
»Dieses Lied, das du mitgebracht hast«, sagte sie schließlich leise,»Unanswered prayers ... es hat mit deiner Entscheidung zu tun, nicht?« Langsam, zaghaft noch, gewöhnte sie sich an die Vorstellung, daß er nicht gehen würde, daß sie nicht gehen mußte, um ihn nicht zu verlieren.
»Manchmal«, sagte er versonnen, »beten Menschen um das Falsche. Als Kind betete ich um dieses Gestüt, und später setzte ich alles daran, um es zu bekommen. Wirklich alles. Und mit einem Schlag erkannte ich, daß ich bereits viel mehr habe, als mir das Gestüt geben könnte. Mein Leben ist so reich –« Er neigte sich über sie und streichelte ihr Gesicht. »Ich habe jetzt eine wundervolle kleine Fee in meinem Leben
–« Für lange Sekunden verlor sich sein Blick in ihrem, dann fuhr er ein wenig mühsam fort, »... und ich habe ... ja, denk nur«, sagte er, und es klang ganz erstaunt, »Elaine, ich habe Eltern. Sechsundzwanzig ist vielleicht ein etwas ungewöhnliches Alter, um sich Eltern zuzulegen, aber ich bin dankbar, daß es sie gibt. Ich habe mich noch nie so ... gefühlt.«
»Geborgen?«
»Ja ... geborgen gefühlt.« Er küßte ihre Nasenspitze. »Du findest immer die richtigen Worte, kleine Fee.«
»Du sagst niemals >meine<, so wie andere Männer.«
Er sah erstaunt aus. »Wie könnte ich? Du gehörst mir nicht. Kein Geschöpf kann einem anderen gehören. Das ist wider die Natur. Ich sage vielleicht manchmal, >meine Pferde< oder >mein Hund<, aber eigentlich nur, um die Sache nicht zu verkomplizieren, und dann auch nur, wenn ich genau weiß, daß die Geschöpfe bei mir bleiben wollen. Aber was ich eigentlich sagen wollte, weißt du, was das Lied anbetrifft – ich habe außer Menschen, die ich liebe und die mich lieben, einen wunderbaren Beruf, und ich bin in einem Land, wie ich es mir schöner nicht vorstellen könnte – worum mehr könnte ich Gott bitten? Unerhörte Gebete können manchmal wirklich die größten Gaben sein.«
Sie hatte nicht zu hoffen gewagt, jemals Worte wie diese von ihm zu hören.
»Du meinst das ganz ernst?« Ihre Stimme war vorsichtig. Er durfte nicht hören, wie wichtig ihr die Antwort war.
»Ich habe jetzt mehr, als ich je hätte, wenn ich einsam auf meinem Gestüt sitzen würde«, wiederholte er.
»Aber du wärst ja nicht allein«, wandte sie gegen ihr heftiges Wünschen ein. »Ich wäre ja auch da.«
»Aber ich will ja gar kein Gestüt mehr.« Es war ihm wirklich ernst. Sie konnte es nun in seinen Augen sehen. Sie war sich dessen sicher, weil sie seiner Liebe sicher war.

Eric lehnte sich gegen die behaglich feste Stütze der Couch und hielt Elaine in seinen Armen. Wolf streckte sich zufrieden zu ihren Füßen. Manchmal hob er den Kopf, blickte zu ihnen hin, wedelte und streckte sich wieder aus. Sein Schäferinstinkt war ruhig. Wenn diese beiden zusammen waren, war er immer ruhig. Aber es war gut, nach dem Erwachen aus einem mehr oder weniger abenteuerlichen Traum sicher zu gehen.

Elaine lehnte ihren schmalen Rücken an Erics Brust und nippte an ihrem Weißwein.
Abende wie dieser waren kostbar. Abende, an denen sie Zeit miteinander verbringen konnten: Oft wurde sie sehr lange im Krankenhaus festgehalten, oder er mußte die halbe Nacht in Kälte, Schmutz und Blut zubringen.
Sie hatten es sich angewöhnt, einander anzurufen, wenn sie aufbrachen. Eric hatte jetzt zwei Heime: und wenn es sich irgend einrichten ließ, verbrachten sie die Nacht gemeinsam in Elaines Wohnung. Abende wie der heutige waren selten und würden es auch bleiben. Abende ohne das Klingeln des Telefons, ohne das aufdringliche Quiecken des Piepers.
»Weißt du«, sagte sie, »ich habe heute kurz mit Claire telefoniert. Ich wollte wissen, wie es ihr geht.«
»Ich weiß schon«, sagte er leise. »Davy.«
»Glaubst du das? Daß er über die Feiertage nicht kommen kann, weil er sich um seine Freundin sorgt, die im Krankenhaus liegt?«
»Vielleicht hat er eine Freundin. Aber daß sie im Krankenhaus liegt, glaub ich nicht.«
»Es wird wohl kein schönes Fest für die beiden werden, wenn ihr Sohn sich unter einem fadenscheinigen Vorwand davor drückt, es mit ihnen zu feiern.«
»Zumindest wird es ihren unterschwelligen Groll nicht mindern. – Ich verstehe diesen Burschen nicht. Wer so wunderbare Eltern hat, sollte jede Gelegenheit nutzen, um mit ihnen –«
Ein zarter Finger verschloß ihm die Lippen. »Du solltest ihn nicht zu hart beurteilen, Eric. Er ist nicht anders als viele, die hier aufwachsen. Du kennst das Land jetzt. Es ist einsam. Es bietet einem lebenshungrigen, auf Vergnügungen bedachten jungen Menschen nicht das, was er will. Das weißt du.«
»Aber ich verstehe nicht, daß es ihm nicht gefällt. Ihm, und den anderen. Ich meine, Diskotheken und so sind doch wirklich scheußlich –«
»Schließen Sie nicht von sich auf andere, Dr. Gustavson.«
»Nun ... hm ... ja, richtig. Aber davon abgesehen .. wie kann er Claire und David das antun? Er muß doch wissen, wie sehr es sie verletzt.«
»Vielleicht verletzt es ihn noch mehr, zurückzukommen und sich wieder in die Tage seiner Kindheit zurückversetzt zu fühlen. Davy und die anderen, die gegangen sind, wollen eben einfach mehr, als es hier gibt. Und wenn sie es haben, wollen sie es nicht mehr aufgeben, nicht einmal für ein paar Tage. Ich glaube, es ist nicht so sehr die Zeit, die sie hier verbringen würden. Es sind vor allem die Erinnerungen.«
»Ich glaube, ich weiß, was du meinst. – Aber ich verstehe es nicht«, wiederholte er.
»Das mußt du nicht. Aber weißt du, ich dachte, es wäre nett, wenn wir vier Weihnachten hier verbringen würden. – Oh, entschuldige, Wolf. – Wir fünf, sollte ich sagen.« Sie beugte sich über den plötzlich erhobenen Kopf des Hundes. »Ich habe dich natürlich nicht vergessen, Lieber. Das darfst du nicht denken.«
»Hier bei dir?« fragte Eric erfreut. Ihre Hände trafen sich in Wolfs Pelz.
»Hier bei uns«, korrigierte sie sanft. Nie zuvor hatte sie einem Mann den Schlüssel zu ihrer Wohnung gegeben: Dies war ihre Burg. Niemand konnte hinein, wenn sie es nicht wünschte. Nicht einmal Alan besaß einen Schlüssel.
»Mein Truthahn ist vorzüglich«, sagte sie lockend. »Claire wird er gefallen, und wenn er ihr gefällt, werdet ihr, du und David, ihn auch mögen. Und dazu geschmorte Pilze und ...«
»Hör lieber auf. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.
– Das wird ein schönes Fest.«
Doch Erinnerungen verdüsterten plötzlich seine Augen: Weihnachten war immer so kalt gewesen. Die Ruhe auf den Straßen. Die vorbeihuschende, so ganz und gar nicht alltägliche Freundlichkeit der Menschen – die nichts mit ihm zu tun hatte. Er stand ausgeschlossen, er hatte keinen ihm nahstehenden Menschen, zu dem er eilen konnte.
Es gab die Pferde. Sie wußten nichts von dem Fest, aber er gab ihnen eine zusätzliche Futterration und redete mit ihnen. Es war gut, die sich ihm zuwendenden Köpfe zu sehen, die intelligenten Augen in den schönen Gesichtern, die aufmerksamen Ohren, die feinen Nüstern, die in ihr Futter schnoberten. Er hatte die Erinnerung an diese Wärme und Zufriedenheit sorgfältig in seiner Seele verwahrt und mit nach Hause genommen, damit sie ihn wie eine zusätzliche Decke einhüllte. Manchmal hatte er es sogar vorgezogen, im Stall zu schlafen; wenn die Erinnerungen an die zankhaften Weihnachtsfeiern im Waisenhaus zu lebhaft waren.
Er erinnerte sich auch an brennende Tränen, die er als Vierjähriger tief in der Nacht in seinem Bett vergossen hatte: niemand wollte ihn haben. Gerade zur Weihnachtszeit gab es viele Adoptionen: Babys um ihn herum wurden adoptiert, und die Erwachsenen, die das kleine Bündel in Empfang nahmen, sahen so unbeschreiblich glücklich aus. Ältere Kinder als er wurden adoptiert. Er wurde von vielen kritischen Augenpaaren gemustert, aber niemals zeigte jemand Interesse. Das Waisenhaus blieb sein Heim. – »Du bist anders als andere Kinder«, wurde ihm gesagt. »Du hast etwas an dir, das in Menschen Ablehnung hervorruft.«
Wie ein Feuermal waren diese Worte gewesen. Tiere lehnten ihn nicht ab. Und er hatte diese Vorliebe für Pferde. Es bedurfte nur eines einzigen Fotos eines Pferdes, und bis tief in die Nacht zeichnete er Pferdeköpfe mit langen Mähnen, schlanke Pferdebeine in graziöser, kraftvoll voranschnellender Bewegung. Er folgte Kutsch- oder Reitpferden, denen er in der Stadt oder in der ländlichen Umgebung begegnete, über viele Meilen zu ihrem Heim. In ihrer Nähe, wenn sie versorgt worden waren, gab es Ruhe, Geborgenheit, Zuneigung; ganz, wonach er sich sehnte. – So hatte er begonnen, sie verstehen zu lernen. Er hatte begriffen, was für sie wichtig war.
Und dann war da Ted gewesen: der erste Mensch, der ihm das Gefühl gab, etwas wert zu sein: »Kleiner, du bist was Besonderes. Viele Kinder wollen Pferde tätscheln und reiten lernen, aber wenn sie erst mal herausfinden, welch harte Arbeit es ist, reiten zu lernen – ein Pferd zu führen, statt es zu zwingen! – geben sie auf. Oder sie werden zu harten Reitern, und dann gibt's keine Verbindung mehr zwischen Pferd und Reiter – gib mir mal deine Hände!«
Der alte Mann hatte seine kleinen Bubenhände ergriffen und war mit erstaunlich zarten Fingerkuppen über deren dünne Innenflächen gefahren. »Du hast gute Hände, Junge. Feine, aber starke Sehnen, und dünne Haut. So was nennt man sensible Hände. Versuche nie, die Kraft dieser Hände – und sie werden einmal sehr stark sein – gegen ein Pferd einzusetzen. Am Anfang magst du siegen, doch Pferde lernen sehr schnell, und bevor du dich versiehst, wird das Pferd einen Trick aufgetan haben, um sich deiner Kraft zu entziehen. Sie sind viel stärker als Menschen. Wenn du sie grob behandelst, geht der Schuß mit Sicherheit nach hinten los.«
»Ich weiß.«
»Ja, du weißt. Ein seltsames kleines Kerlchen bist du. – Nutze die Empfindsamkeit in deinen Händen. Laß diese Haut«, erneut rieb er kurz über die dünnen Innenflächen der Kinderhände, »laß sie niemals rauh und hart werden. Trag Handschuhe, wann immer es sich einrichten läßt. Keine Wolle, hörst du? Niemals Wolle. Leder. Einfaches, dünnes Leder. Nach zwei Minuten hast du schon wieder den Kontakt mit dem Pferdemaul, als würdest du mit bloßen Händen reiten
– und es schützt. Es gibt nichts Besseres als Leder. Es war einmal lebendig. In Leder ist immer noch ein bißchen Seele drin. Und du brauchst jedes Quentchen Seele, das du bekommen kannst, wenn du es mit einem wirklich schwierigen Pferd zu tun hast.«
Sanftmut, unendliche Geduld und Sensibilität für die Tiere waren die Werkzeuge, die Ted in ihm verfeinert hatte bis zur Vollendung.
»Eric!« Elaine sprach ihn zum dritten Mal an und fühlte sich bereits besorgt angesichts dieser starren Augen und des bleichen Gesichts.
»Eric!« Sie packte seinen Arm und schüttelte ihn.
»Ja?« Er blinzelte und war wieder bei ihr. »Du, du hast gesagt, daß wir alle Weihnachten feiern sollten, nicht?«
»Ja.« Sie umarmte ihn, um mit ihrer Körperwärme wieder Farbe in sein entsetzlich blasses Gesicht zu bringen. »Das wäre schön«, murmelte er. Ein Weihnachtsfest im Kreis der Lieben – so ähnlich hieß es doch? Und zum ersten Mal in seinem Leben begann er zaghaft, sich darauf zu freuen.

»Weißt du, wann ich mir klar darüber wurde, daß ich dich liebe?« Er stellte sein Glas nieder, ergriff ihre Rechte und liebkoste die Hand mit den Lippen.

»Und habe ich dir schon gesagt, daß du mir so noch besser gefällst als früher?« Sie zupfte an der dunklen Haarwelle, die ihm zwischen die Brauen fiel.

»Tatsächlich? Und ich wollte das Ding abschneiden. Ich hab's nur immer wieder vergessen.«
»Tu das nicht«, bat sie. »Hugh wäre auch ein guter Friseurmeister geworden. Aber als Krankenpfleger ist er mir lieber. Er ist wirklich unentbehrlich für unser Haus.«
»Aber du wolltest doch nicht über Hugh sprechen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Eigentlich«, begann sie zögernd, »eigentlich hätte ich an diesem Abend ... in dieser Nacht längst Feierabend haben sollen. Aber ich konnte nicht gehen, ich mußte einfach wissen, wie es mit ihm weitergehen würde. Es war im Herbst, ein junger Mann, der schwer von einer Heumaschine verletzt worden war. Nach der Operation war er natürlich noch lange bewußtlos, und ich hätte eigentlich schlafen sollen. Ich war so erschöpft, daß man mich in irgendeine Ecke hätte stellen können, und ich wäre eingeschlafen. Ich hätte daheim sein sollen. Aber in dieser Nacht war es anders. Ich kauerte auf meinem Stuhl im Dienstzimmer und hoffte, daß er überleben würde. Ich sagte mir, daß ich mein Bestes getan hatte und daß ich schlafen müsse, aber es ging nicht. – Er erinnerte mich so an ... dich – «
»Ja?«
»Er sieht ganz anders aus als du, er hat blondes Haar und helle Augen ... aber er ist groß und jung und kräftig ... alte Patienten machen mich schwach, aber junge Menschen schwer verletzt vor mir zu sehen ist einfach furchtbar. Ich habe mir schreckliche Sorgen um ihn gemacht, aber ich wußte, daß ich ihm nichts nützen könnte, wenn es Komplikationen geben und ich übernächtigt an sein Bett treten würde. Ich wollte so unbedingt schlafen, aber es ging nicht. Mir war so sehr kalt, und elend ... bis ich mich erinnerte ...« Ihre Stimme erstarb. Sanft sagte er: »Erinnerte.«
»Ja. Oh – ja! Ja – an den Tag, unseren Tag auf den marchairs. Und ich stellte mir vor, daß du wieder die Arme um mich legst und deine Wärme um mich ist. In Gedanken war ich bei dir, und es war so wie jetzt ...« Sekundenlang schwieg sie und kostete dieses unvergleichliche Gefühl tiefer, vertraulicher Geborgenheit mit geschlossenen Augen aus, »und ich fühlte mich leichter, viel leichter. Ich fühlte deine Arme. Und dann ... konnte ich schlafen.«
Er schloß sie fester in seine Umarmung, und sie lehnte den Hinterkopf an seine Schulter.
»Wie ging's weiter mit ihm?« fragte er leise.
»Nachdem ich ein wenig geschlafen hatte, war ich wieder ganz ruhig. Und ich konnte ihn beruhigen, als er aufwachte. Er hatte Angst, daß er vielleicht seine Hände nie wieder gebrauchen könnte; sie waren wirklich schlimm zerschnitten gewesen, aber nach ein paar Tagen war ich ganz sicher, daß sie wieder heilen würden. Er blieb einige Zeit bei uns, und letztens sah ich ihn wieder, auf seiner Pflugmaschine, fröhlich pfeifend. – Er hat sich kurz nach seiner Entlassung überschwenglich bei mir bedankt ... als ich des Morgens kam, standen in einer Vase dreißig Rosen auf meinem Tisch –«
»Rote?«
»Nein, keine roten. Verschiedene Rosatönungen und weiße, einige pfirsichfarbene, und Schleierkraut. Ein wunderbarer Strauß. Ganz zarte Farben, sehr geschmackvoll.« Sie blickte zu ihm auf, erst jetzt verwundert. »Höre ich da etwas wie einen Anflug von Eifersucht, Dr. Gustavson?«
Mit jäh verdunkelten Augen neigte er sich über sie. »Mehr als nur einen Anflug, Dr. Mercury.« Er küßte sie ungestüm. – Zögernd nur löste sie die verlangende Umschlingung um seinen Nacken und sah in sein bleich gewordenes Gesicht, an dessen linker Schläfe die kleine Ader zu pulsieren begonnen hatte. »Du bist eifersüchtig! – Eric, du bist wirklich eifersüchtig!«
»Sehr!« erwiderte er hitzig.
»O je, da habe ich mich ja auf etwas Schönes eingelassen – einen Othello!«
Er stand auf und hob sie hoch. Ganz leicht. Sie fand seine Kraft noch immer ein wenig bestürzend.
»Nicht doch.« Ein zärtliches Lächeln nistete in seinen Augenwinkeln. »Othello war ein armer, in die Irre geleiteter Tropf. Yago war der eigentliche Mörder, Othello hörte ja nur auf seine Einflüsterungen.«
»Und du?«
»Und ich?! Was meinst du?«
»Eric! Er war nur ein Patient für mich!«
»Und ... ich?!«
»Da haben wir's! Doch ein Othello.«
Unversehens wurde sie von der warmen Geborgenheit seiner Brust hoch über seinen Kopf gehoben. »Du! ... Laß mich sofort runter!« verlangte sie ungestüm, unterdrückte ein helles Auflachen und strampelte ein wenig. Er ließ sie noch ein wenig zappeln und dann sanft an sich heruntergleiten.
Sie war außer Atem. »Du .. du warst vom ersten Augenblick an etwas Besonderes. Und sei nicht so dumm!« verlangte sie. »Als ob ich je einen anderen als dich gewollt hätte!«