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Eric kam an diesem Sonntag nicht in den Genuß des Erdbeerkuchens. Als er an einem knusprigen Hühnerflügel knabberte, klingelte das Telefon. »Es ist der alte Mr. Muir von der anderen Seite
der Hügel.« Claire hielt den Hörer gegen die Brust. »Seine Hündin Duchess hat Wehen, aber es geht nicht voran, sagt er.«
»Oh, aye.« Eric wischte sich hastig Lippen und Hände mit einer Serviette ab und stand auf. »Können Sie mich fahren, David?« »Was für 'ne Frage!«
Nur gut, daß er sich im Krankenhaus Gedanken auch darüber gemacht hatte, was geschehen würde, wenn der Tierarzt der Gemeinde über längere Zeit ausfallen oder gar nicht mehr wiederkommen würde. Schließlich hatte er Medikamente, Operationsmaterial und Instrumente gekauft, da er ahnte, er würde einmal sehr froh darüber sein. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen. Mr. Muir war ein kleiner, gebeugter, weißhaariger Herr mit jungen, lebhaften Augen, die umwölkt von Sorge um seine geliebte Hündin waren. Dennoch war er aufmerksam und freundlich, als er ihnen die Tür öffnete: »Ein neues Gesicht! Freut mich, Sie kennenzulernen, junger Mann. Duchess ist gleich hier, in der Küche.«
Duchess war eine bildschöne West Highland White TerrierDame und in offensichtlich großer Bedrängnis. Ihr kleiner Leib war hochgeschwollen, sie hechelte mit trockener Zunge und verzweifelten Augen. Eric kniete neben ihrem Korb, streichelte sie und sprach beruhigend auf sie ein. Eine Weile regte sie sich nicht, aber dann begann seine Stimme sie zu erreichen; sie winselte schwach und schob ihre Schnauze nach seiner Hand, leckte sie kurz. Als sei diese Anstrengung schon zuviel, ließ sie sich wieder niedersinken und schloß halb die Augen. Ihr kleiner Körper zitterte und flehte um Erleichterung.
»Ich werde dich jetzt untersuchen, Duchess, keine Angst. Nur ruhig – ruhig – ruuuhiig – siehst du ... Da ist ein großer Welpe ganz vorn, Mr. Muir, der liegt quer und versperrt den Ausgang.«
»Oh, aye, verstehe. Können Sie was
tun?«
»Ich richte ihn aus«, sein Finger tat es, während er sprach, »und
ziehe ihn mit dieser Zange heraus. Aber erst muß Duchess noch eine
Spritze bekommen, damit sie weiter pressen kann. Armes Mädchen, sie
ist schon ganz erschöpft.« Er rasierte ein wenig Fell weg,
desinfizierte die nackte Haut, und ließ die Nadel in die gestaute
Vene gleiten. Duchess wimmerte nicht einmal. »Feines, tapferes
Mädchen.« Die kleine weiße Stummelrute klopfte schwach auf das
Deckenpolster, und lächelnd strich Eric ihr über das blütenweiße
Fell. Das kleine Hundegesicht war ihm zugedreht, und er sah einen
Schimmer in den fast schwarzen Augen. Sie wußte, daß er ihr helfen
würde.
»So ein gutes Mädchen, so tapfer ... ich werde den kleinen Kerl
herausziehen, und bis dahin wird die Spritze zu wirken
anfangen.«
»Wird sie das nicht verletzen?« fragte Mr. Muir angstvoll. Eric
zeigte ihm noch einmal die kleine Zange. »Hiermit nicht.«
»Hm! Wenn Sie es sagen ... sieht für mich aus wie 'ne lächerlich
kleine Kuchenzange.«
»Es ist ein Spezialinstrument, Mr. Muir, gedacht für einen Fall wie
diesen. Ich will Ihnen lieber gleich reinen Wein einschenken,
fürchte, der erste Welpe wird nicht mehr am Leben sein. Er war
lange eingeklemmt.«
Eine Wolke tiefer Traurigkeit zog über die bartlosen schmalen
Wangen des alten Mannes, aber er sagte nur: »Oh. Aye.
Aye.«
Eric ging sehr vorsichtig vor, bis er die Backen des Instrumentes
um das nachgiebige Köpfchen des Welpen schloß, dann zog er sehr
sacht und stetig. Das kleine rosige Wesen rutschte ihm entgegen,
und er fing es auf seiner Handfläche auf und legte es sacht
beiseite, wo die Hündin es nicht sehen konnte. Wie er erwartet
hatte, atmete es nicht mehr. Es ist nicht gut, wenn ein Muttertier
mit einem toten Kleinen konfrontiert wird. Und es galt jetzt, sich
um die Lebenden zu sorgen. Behutsam untersuchte er den Uterus der
kleinen Hündin – »die anderen scheinen alle wohlauf zu
sein
– die sind wie Päckchen auf einem Fließband; warten nur drauf, daß
sie endlich an die Reihe kommen. Und die Injektion beginnt schon zu
wirken – sehen Sie, wie sie preßt?«
Mr. Muirs Augen lagen auf dem rosigen Wesen, das den Fortgang der
Geburt so lange behindert hatte, weil es durch die ersten Wehen in
eine falsche Lage geschoben worden war: »Es war nicht deine Schuld,
Kleines.« Mühsam kniete der alte Mann neben dem Korb, streckte die
Hand aus und schob mit zwei Fingern die beinah durchscheinenden
Hinterläufe auseinander: »Hübscher kleiner Rüde wärst du gewesen.«
Er wandte den Kopf ab, und Eric hörte sein trockenes Schlucken. So
entging dem alten Herrn, daß Duchess einen Welpen nach dem anderen
mühelos hervorbrachte, ihn gründlich ableckte, sich schließlich
krümmte, ein wenig ruhte, und sich dann entschlossen aufrichtete,
um die Nachgeburt zu fressen.
Und ihm entging auch, daß Eric währenddessen den kleinen
Totgeborenen auf seiner Handfläche auf den Rücken legte und sanft
in dessen Nasenlöcher blies. Er versuchte es mehrere Male, doch
seine Hoffnung, daß sich das Wunder mit Maudies kleinem Hengst
wiederholen würde, schwand. Doch da tat das Hündchen auf einmal
einen eigenen Atemzug, verharrte dann zusammengekrümmt, als seine
Lunge zum ersten Mal selbst arbeitete. Eric setzte es behutsam in
den Korb zu den anderen, die sich bereits um das geschwollene Euter
ihrer Mutter drängten.
Er sank auf die Fersen zurück, erleichtert und entzückt. Wie
geschäftig die Kleinen waren, wie hungrig auf das Leben! Sie
saugten eifrig an den Zitzen der Hündin, um Kraft zu bekommen für
die Anforderungen, denen sie später würden standhalten müssen. Und
die Hündin schob immer wieder ein kleines blindes Wesen, das sich
verirrt hatte, an ihr Euter zurück. Manchmal hob sie den Kopf und
leckte Erics Hand.
»Nicht doch, Duchess. Du warst ein ganz großartiges Mädchen, weißt
du? Als du so große Schmerzen hattest, hast du dich gar nicht
gewehrt, obwohl ich dir ja fremd bin, und bei dem Pieken hast du
dich nicht gemuckst, feines Mädchen, und so schön kümmerst du dich
jetzt um deine Familie ...«
Er murmelte, und die Welpen seufzten tief zufrieden in ihrer
Hingabe an die mütterliche Fürsorge und die herrliche Milch; und
schließlich fand Mr. Muir durch diesen friedlichen Chorus den Mut,
den Kopf zu wenden, doch bevor er sprach, erfaßte sein Blick David,
der still in einer Ecke stand und sich manchmal kurz über die Augen
fuhr.
»Ist's vorbei, junger Mann?«
»Aye, Sir. Sie haben wunderhübsche stramme Welpen und eine sehr
stolze kleine Mutter.«
»Und das ... Tote, haben Sie's schon weggetan?«
Eric legte ihm die Hand auf die Schulter und zeigte auf den kleinen
Rüden: »Da ist er. Er brauchte bloß ein bißchen länger als die
anderen, um sich mit der Wirklichkeit anzufreunden, Mr.
Muir.«
»Beim heiligen Andreas ... das werd ich Ihnen nie vergessen«, sagte
Mr. Muir mit belegter Stimme und strich dem Welpen mit dem Finger
über den Rücken. »Und jetzt, jetzt sollten wir ... wir sollten das
begießen, denken Sie nicht?«
Eric blickte zweifelnd zu David in seiner Ecke und sah mit
Erstaunen, daß seine Augen gerötet waren. »Wird Claire uns das
verzeihen? Sie wird vielleicht mit dem Tee auf uns
warten?«
»Nay, is schon gut, Junge«, brummte David. »Ein Drink wird uns
allen guttun.«
»Sherry?« bot Mr. Muir an, »Brandy? Malt?«
»Malt.« David barg seine Rührung noch immer hinter
Gereiztheit.
»Junger Mann?«
»Ist mir gleich, Mr. Muir. Was Sie trinken.«
»Na, werd auch einen Malt nehmen. Es gibt nichts Besseres, um einen
wieder ins Gleichgewicht zu bringen, aye, David?«
»Aye.«
Um die unbehaglich gespannte Atmosphäre zu lockern, wurde Eric
sachlich.
»Es könnte sein, Mr. Muir, daß es zu Schwierigkeiten kommt. Wenn
Duchess plötzlich anfängt zu zittern und hechelnd zu atmen, dann
müssen Sie mich sofort anrufen. Egal zu welcher Zeit.«
»Jederzeit?«
»Jederzeit.«
Sie leerten ihren Whisky.
Als Eric und David auf dem Rückweg waren, sagte der Jüngere scheu:
»Ich hab da ziemlich über Ihren und Claires Kopf hinweg eine
Entscheidung getroffen; wenn wirklich eine Komplikation mit Duchess
eintreten sollte, werden Sie ja auch vom Telefon geweckt – ich habe
gedacht, vielleicht sollte ich den Apparat mit an mein Bett
nehmen?«
David blickte weiter auf die Straße und hüllte sich in eine dichte
Rauchwolke, um sein Gesicht zu verbergen. »Nicht nötig.« Seine
Stimme klang noch immer rauh. »So ist's eben, wenn man einen
Tierarzt in der Familie hat.« Er schaltete in den nächsten Gang.
»Ich dachte, Sie wären gut mit Pferden, Junge, aber als ich Sie da
mit dieser kleinen Hündin sah, die anfangs nicht aus noch ein wußte
vor Angst – Sie waren ja gar nicht mehr bei uns. Ich meine, Sie
hatten uns vergessen, den alten Muir und mich, einfach alles um
sich herum; nur die Tiere waren wichtig. Jetzt verstehe ich, was
Billy meinte.«
»Billy?«
»Aye. Er sagte, Sie hängen Ihr Herz dran. Ich hab's heut gesehen,
und verdammt, Sie haben mich zum ... na, lassen wir das. Aber so
ist's schon: Sie hängen Ihr Herz dran.«
»Das kann aber auch nicht immer helfen«, sagte Eric nach einer
langen nachdenklichen Pause.
»Nay. Aber Sie sind einer, glaub ich, der den kleinsten Funken
anfachen kann.«