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Solitaire lag flach auf der Seite. Manchmal hob sie den Kopf und roch an ihrem Leib, der sich schon ein wenig wölbte.
Sie sank zurück. Ihr Instinkt war stark genug, um ihr zu diktieren, daß sie sich ruhig verhalten mußte. Doch die Angst war um sie. Angst und Haß. Ihr Gedächtnis wanderte zurück, wieder und wieder. Es war ganz ruhig gewesen seit dem Tag im Meer, außer wenn Edward auftauchte, doch seit dem Augenblick, in dem sie den kalten Regenguß des intuitiv erfaßten Schreckens gefühlt hatte, regte es sich wieder, und sie hatte seither immer wieder böse Stunden, so wie jetzt, die sie nur aufgrund ihrer großen Geduld ruhig ertrug:
Da waren harte Hände und laute Stimmen, der Druck von ungeheuren Gewichten, die sie zerbrechen wollten, und dieses entsetzliche Schreien. Noch in der Erinnerung rebellierten ihre Nerven dagegen. Sie erinnerte sich daran, wie sie gefangen worden war: Ein wenig abseits von der Herde hatte sie gestanden, friedlich grasend, eine Stute unter vielen, sich ihrer Einmaligkeit nicht bewußt. Dann war da ein Stechen in ihrem Hals gewesen – ein aus einem Blasrohr abgeschnellter Pfeil, dessen Spitze mit einem Betäubungsmittel getränkt war. Als der Hengst ihr Niedergehen bemerkt hatte, war er näher gekommen, hatte sie berochen und mit der Nase angestoßen, und sich dann schnaubend abgewandt. Excalibur hatte ihren Tod hingenommen und seine Herde fortgetrieben über die weiten Hügel.
Und sie war in einen dunklen Stall geschleppt worden. Als die Tür sich in derselben Nacht das nächste Mal öffnete, hatte sie in die Schwärze eines Transporters gestarrt. Jemand hatte das Halfter gepackt und daran gezogen, aber sie hatte sich vor seinem Geruch geekelt und die Beine gegen den Boden gestemmt. Sie war an sanfte Behandlung gewöhnt. Immer war sie zuerst angesprochen worden, bevor man sich ihr näherte. Davon konnte hier nicht die Rede sein, an diesem düsteren Ort. Die anderen waren gekommen und hatten sie von hinten zu schieben versucht, aber sie hatte sich geweigert, bis sie auf dem Lehmboden saß und den Kopf wie einen Kolben schwenkte, um freizukommen. Da war sie geschlagen worden, zum ersten Mal in ihrem Leben. Die Empfindung der Beleidigung war viel stärker als der Schmerz. Ihr Geist hatte sich unter diesen Schlägen gekrümmt wie der stolze und freie Geist eines Kindes, das ungerechtfertigte Prügel empfängt.
In diesen Augenblicken hatte sie gelernt zu
hassen. Als sie nicht auf die Beine zu bringen war, hatte man sie
niedergeworfen. Sie fühlte wieder die knieende Gestalt auf ihrem
Hals, die ihr das Ohr verdrehte. Sie hatten ihr das Maul mit
schmutzigen Tüchern zusammengebunden und ihre Beine
aneinandergefesselt. Über Stunden hatte man sie liegen gelassen.
Dann hatten sie wieder versucht, sie auf den Transporter zu
zwingen, und als sie erneut gegen sie kämpfte, hatten sie ihr
Gewichte aufgepackt, die ihr die Beine gebeugt hatten, schwer auf
ihren stolz erhobenen Nacken drückten.
Sie war ihnen entkommen, als sie ihr die Beine auseinanderbinden
mußten für einen weiteren Versuch, sie auf den Transporter zu
treiben. In diesen Minuten hatte sie das gezielte, tödliche
Schlagen gelernt, und eine brennende panische Angst vor
Zweibeinern.
Ihr Kopf streckte sich lang und entspannt über das Stroh. Sie war
frei. Er hatte sie befreit. Er war alles für sie. Er hatte ihr die
Furcht genommen.
Doch die Quelle der Angst konnte er ebensowenig auswischen wie die
Erinnerung an die jagenden Stimmen, die ihr gefolgt waren, als ihr
der Ausbruch gelungen war, diese Stimmen, die sie über das Gelände
getrieben hatten, auf dem sie, halb erstickt von den Fetzen um ihre
Nase, immer wieder von dem glänzenden Drahtzaun aufgehalten worden
war. In tiefster, angstvollster Verzweiflung schließlich hatte sie
sich nach Tagen zwischen den Drahtsträngen hindurchgezwängt und war
zu ihrer Herde gestoßen. Die Stimmen waren ihr gefolgt; doch der
Hengst, wirbelnd wie ein roter Orkan, war gegen die Eindringlinge
gestürmt und hatte sie vertrieben. Die Stimmen waren
wiedergekommen, beinahe jedesmal, wenn die Herde sich in der Nähe
des Grenzzauns aufgehalten hatte. Nur Stimmen, keine Gestalten, die
Excalibur hätte angreifen können – und so hatte er begonnen, diese
Gegend zu meiden. Doch da war Solitaire der Klang einer
menschlichen Stimme bereits unerträglich geworden. Bis zu jenem
Tag, an dem sie in eisiges Wasser getrieben worden war und gelernt
hatte, auf diese weiche dunkle Stimme zu hören.
Wieder hob sie den Kopf und roch an ihrem Leib.
Er wünschte, daß sie dieses Leben austrug. Er hatte ihr das
Vertrauen zurückgegeben. Sie würde ihm geben, was er sich
wünschte.