Der Abend des langen Messers
Die höchst delikate Situation unseres Miniaturstaates verlangt es nun einmal, dass wir unseren lieben Kleinen bereits von der Wiege an ein militärähnliches Training angedeihen lassen. Nun gut, vielleicht nicht immer von der Wiege an, aber zumindest ab Kindergarten ist ein guterzogenes Kind hierorts durchaus in der Lage, zurückzuschlagen. Diese Fähigkeit wird in den sommerlichen Ferienlagern weiter gefördert, indem kampferprobte Sportlehrer demonstrieren, wie man einen bewaffneten Überfall von zwölfjährigen Kriegern abwehrt. Ich spielte das einmal zu Hause durch.
Diesmal war ich dran. Frau Spiegel hatte angerufen und uns zum Tee geladen. Nicht genug damit, ihr Mann hatte mir im Büro einen Zettel folgenden Inhalts hinterlassen:
»Sie müssen unbedingt kommen. Schragele ist aus dem Ferienlager zurück!«
Es hat wenig Zweck, es leugnen zu wollen: Wir waren verzweifelt. Nicht etwa, dass wir irgendetwas gegen die Spiegels gehabt hätten, ganz im Gegenteil, wir respektierten sie ungemein als ehrliche Steuerzahler, aber deswegen nun drei oder vier Stunden mit ihnen und einer Tasse Tee dazusitzen? Und auch noch mit Schragele?
Nein!
Also erklärte ich der besten Ehefrau von allen:
»Ich jedenfalls gehe nicht. Wenn es keinen anderen Ausweg gibt, um aus der Geschichte herauszukommen, dann gehst du eben allein hin und sagst, ich hätte ganz plötzlich die Asiatische Grippe bekommen . . .«
Um es kurz zu machen, den Spiegels tat es leid, dass ich allein gekommen war, und sie wünschten meiner Frau gute Besserung. Dann setzten wir uns hin, sprachen über den drohenden Ausbruch des Dritten Weltkrieges und stopften ein Stück Schokoladentorte mit Sahne in uns hinein. Soweit war es also ganz nett.
Bis die Tür aufging und Schragele erschien. »Schragele«, zischte Spiegel seinem Sohn zu, »hast du Schalom zu dem guten Onkel gesagt?«
»Nein«, antwortete Schragele klar und offen und wandte sich mir zu: »Onkel, geh mit einem Messer auf mich los.«
»Wie bitte?« Ich blickte etwas hilflos von Schragele zu seinem Erzeuger. »Was will der Knabe von mir?«
Die Mienen der Spiegels leuchteten auf in elterlichem Stolz.
»Tun Sie, was er sagt«, bat Herr Spiegel mich freudestrahlend. »Gehen Sie mit einem Messer auf ihn los.« »Wie komme ich denn dazu?« protestierte ich. »Er hat mir schließlich nichts getan . . .«
Geduldig erläuterte mir daraufhin Frau Spiegel, dass ihr Schragele im Ferienlager an einem Intensivkursus für Judo teilgenommen und dadurch die Fähigkeit erlangt hätte, jedweden Erwachsenen, der sich unvorsichtigerweise erdreiste, ihn anzugreifen, flach auf das Parkett zu befördern. Ich möge deswegen die Liebenswürdigkeit besitzen, etwas mehr Sinn für Kooperation zu zeigen.
Ich bemühte mich, dieser unangenehmen Situation zu entrinnen, indem ich auf den Umstand hinwies, in solchen Angelegenheiten auf so gut wie keine praktische Erfahrung zurückgreifen zu können. Ich gestand, dass ich mich nicht erinnern könnte, wann ich das letzte Mal ein Kind mit einem Messer attackiert hätte.
Meine Ausführungen fielen nicht auf fruchtbaren Boden. Herr Spiegel erhob sich schließlich und ließ deutlich erkennen, dass er nicht gewillt war, länger auf den Beginn der Demonstration zu warten.
Er nahm das Messer von der Obstschale, drückte es mir in die Hand und schubste mich in Richtung Schragele.
Ohne zu zögern trat der Knabe mit derartiger Wucht gegen mein linkes Schienbein, dass ich mich vor Schmerz krümmte. Als mir klar wurde, dass er sich fest vorgenommen hatte, danach auch meinem rechten Schienbein diese Behandlung zukommen zu lassen, stürzte ich mich mit dem Gebrüll eines ernstlich verstimmten Löwen auf Schragele. Schragele seinerseits ließ einen panischen Schrei ertönen und flüchtete aus dem Zimmer.
Mit einem Ruck zog ich das inzwischen im Türrahmen steckende Obstmesser wieder heraus und lief ihm nach. Wollte er nun, dass der Onkel mit dem Messer auf ihn losging oder wollte er nicht?
Ich bekam Schragele am untersten Treppenabsatz kurz vor der Haustür zu fassen, aber er wand sich heulend und jammernd aus meinem Griff, so dass mir nur sein Hemd in den Händen blieb. Ich zerfetzte es mit wenigen Schnitten.
Unterdessen waren Herr und Frau Spiegel meinem Amoklauf voll tödlichem Entsetzen gefolgt und schrien mich an, was ich denn da eigentlich mache?
»Ich gehe mit einem Messer auf ihn los«, antwortete ich keuchend. »Warum fragen Sie?«
Dann, das blitzende Obstmesser in der geballten Faust, jagte ich Schragele durch das gesamte Straßenviertel. Inwieweit dieses Ereignis für seine Charakterprägung und damit den späteren Lebenslauf von Bedeutung sein wird, muss die Zukunft zeigen.
Über die Situation nicht informierte Leute aus der Nachbarschaft umzingelten mich schließlich vor dem Friseurgeschäft, als ich gerade im Begriff stand, hinter Schragele her den Laternenpfahl zu erklimmen. Ich leistete nur unbedeutenden Widerstand.
Ich habe das dunkle Gefühl, dass wir von Spiegels nie wieder eingeladen werden. Judo ist schon etwas Schönes.
Herzl - Schmerzl
Inflation arbeitet nach dem bekannten Prinzip der Kettenreaktion: Der Preis von Irgendwas geht rauf, deswegen verlangt Irgendwer einen höheren Lohn, was dazu führt, dass der Preis von Irgendwas wiederum noch mehr steigt und Irgendwer das zum Anlass nimmt zu streiken, um noch höheren Lohn zu erhalten. Mir ist es ein Rätsel, warum von allen Wirtschaftssystemen ausgerechnet dieses funktioniert. Natürlich könnte man, wenn man wollte, die Kettenreaktion dadurch unterbrechen, dass nur ein einziges Mal die Preise von Irgendwas und die Löhne von Irgendwem zur gleichen Zeit gleich hochgehen. Aber das scheint gegen die Spielregeln zu verstoßen, die eine abwechselnde Aktion erfordern, wie beim Tennis. Deswegen ist auch der Preis von Tennisschlägern vorgestern raufgegangen. Genau wie der Preis der Ketten für die Reaktion.
»Also, Sie wollen mit Ihrem Unternehmen Konkurs anmelden, ist das richtig?«
»Ja, Herr Konkursverwalter, wir haben keine andere Wahl.«
»Was für ein Unternehmen war das, sagten Sie?« »Falschgeld.«
»Israelisches Geld, nehme ich an.«
»Ja. Wir waren spezialisiert auf die schöne Hundertpfundnote mit dem Kopf unseres Staatsgründers Theodor Herzl darauf.«
»Warum haben Sie nicht klein angefangen?«
»Haben wir ja. Zuerst stellten wir kleinere Noten her. Aber es hat sich nicht mehr gelohnt.«
»Inflation, was?«
»Natürlich. Es trifft eben immer zuerst den kleinen Fälscher von der Straße. Wissen Sie, wir haben grundsolide angefangen - sozusagen in Heimarbeit. Ein kleiner Keller, eine einfache Druckerpresse, nichts Großes, nichts Luxuriöses. Meine Frau half hin und wieder aus beim Farbenmischen und anderem. Damals, was glauben Sie, da habe ich noch leicht meine tausend Pfund am Tag gemacht.«
»Nicht übel.«
»Danke. Leider hat man mir letztes Jahr eingeredet, ich müsste unbedingt den Betrieb umstellen auf Fotodruck mit einer riesigen Offsetmaschine, um meine Produktion erhöhen zu können. Ich bestellte also eine moderne Druckereianlage aus den USA, die mich glatte 150000 Dollar gekostet hat.«
»Und dann kam die Geldentwertung, stimmt's?« »Genau! Meine Frau und ich, wir haben Tag und Nacht geschuftet, wir haben Überstunden gemacht, um den Wertausgleich für das sinkende Pfund zu schaffen. Bis es nicht mehr anders ging und ich gezwungen war, mir Leute vom Arbeitsamt zu holen und denen auch noch blödsinnige Löhne zu zahlen.«
»Was bekommt denn so einer heutzutage?«
»Ein erstklassiger Fälscher bringt seine 6.000 Pfund jeden Monat nach Hause, drunter ist heute nichts mehr zu machen. Noch dazu weigern sich die meisten, in betriebseigener Ware bezahlt zu werden. Und dann dürfen Sie nicht vergessen, dass man unterdessen wieder einmal die Beiträge für die Sozialversicherung erhöht hat, für die Altersversorgung, die Krankenversicherung und alle anderen Sozialbeiträge. Da kommt unsereins nicht mehr mit.«
»Haben Sie es einmal mit Akkordlohn probiert? Lohn entsprechend Leistung?«
»Selbstverständlich. Ich habe meinen Leuten 700 von jeden 2.000 Pfund angeboten, die sie herstellen. Was haben sie getan? Sie haben es glatt abgelehnt. Nicht nur das, im letzten Jahr haben sie durch den Betriebsrat dreimal Sanktionen gegen mich eingeleitet.«
»Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, dass sie die Geldscheine nur auf der einen Seite bedruckt haben. Ich musste einen Bankkredit aufnehmen, um die Forderungen erfüllen zu können. Auf den Kredit konnte ich dann 28 Prozent Zinsen zahlen. Stellen Sie sich meine Situation vor, Herr Konkursverwalter: ein Geldfälscher mit ständigen Liquiditätsproblemen.«
»Haben Sie sich denn nicht an die Behörden gewandt?«
»Natürlich. Ich habe zum Beispiel einen Exportkredit beantragt, aber das hat man wieder hinausgezögert. Es hieß, unser Pfund habe draußen im Ausland keine Marktchance. Leute vom Schatzamt gaben mir den Rat, ich sollte umsteigen auf Schweizer Franken. Das zeigt wieder einmal, was die schon von Geld verstehen. Immerhin sind die Geldscheine in der Schweiz doppelt so groß wie unsere Herzls. Darum habe ich zu denen gesagt, alles schön und gut, habe ich gesagt, aber wer zahlt für das Papier? Im Jahre 1966 kostete eine Rolle Papier 430 Pfund, und heute kommt sie auf 52.100 Pfund. Im Großhandel. Vor kurzem hat man auch noch die Zollgebühren verdoppelt und die Luxussteuer für Farben. Nun frage ich Sie, wie finden Sie das?«
»Wie wäre es mit Subventionen? Haben Sie deswegen bei den Behörden einmal vorgefühlt?«
»Sie belieben zu scherzen. Die Gelddrucker der Regierung bekommen rund zweimal wöchentlich staatliche Unterstützungen, aber wir von den Privatunternehmen nichts, keinen roten Heller! Ich habe zu denen gesagt: Hört mal, habe ich gesagt, das könnt ihr mit mir nicht machen, ich sorge für den Unterhalt von zwölf Familien und schaffe es kaum, genügend Geld zu fälschen, um die Strafe zu zahlen, die ihr mir aufgebrummt habt.« »Moment. Was für eine Strafe?«
»Wegen nicht gemeldetem Warenbestand. Eines schönen Tages sind die bei mir reingeplatzt und haben einen Bericht abgeschickt, dass ich 600 Herzls gebündelt und zur Auslieferung bereit am Lager gehabt hätte. Was blieb mir übrig. Ich habe mir sofort einen Anwalt genommen, und das allein hat mich schon den halben Lagerbestand gekostet. Kaum war das erledigt, da kamen diese neuen Druckmaschinen aus Amerika an, und jeder Tag im Hafen kostete mich den Produktionsausstoß einer ganzen Stunde. Unterdessen gingen die Stromkosten rauf, dann die Steuer, schließlich die Bankzinsen. Die Inflation hat mich erledigt, Herr Konkursverwalter. Wir sind jetzt soweit, dass wir in drei Schichten arbeiten und trotzdem nicht mehr mit den Preissteigerungen Schritt halten können . . .«
»Schlimm, schlimm. Unser Land braucht solchen Unternehmergeist, wie Sie ihn gezeigt haben.«
»Ich weiß. Aber gestern habe ich mich hingesetzt und ein bisschen nachgerechnet. Der Preis von einem amtlichen Herzl beträgt auf dem Schwarzmarkt augenblicklich rund 9 Dollar 55, und mich kostet die Herstellung von einem gefälschten Herzl bereits 14 Dollar 70, unversteuert. Soll ich mir die Finger blutig arbeiten, nur um tiefer und tiefer in Schulden zu geraten? Nein, Herr Konkursverwalter, hiermit erkläre ich mich für bankrott. Sollen doch die Gläubiger zu mir kommen und sich selber drucken, was ich ihnen schulde. Was meinen Lagerbestand anbetrifft, nun, da sind noch 8.000 Pfund in Herzls vorhanden. Sie können von mir aus herzlich gerne die Herzls beschlagnahmen und öffentlich versteigern. Was werden Sie dafür kriegen ? Vielleicht 1.000 bis 1.500 Pfund.«
»Wir werden die geeigneten Maßnahmen treffen. Und was, wenn ich fragen darf, werden Sie nun tun?«
»Ich spiele Lotto.«
Türkische Früchte
Eine wichtige gesellschaftspsychologische Frage, die mich seit früher Jugend fesselt, ist eng mit dem Problem der Frauenbewegung verknüpft. Mit anderen Worten: der Harem. Ehrlich gestanden, ich habe mit kaum bezähmbarer Ungeduld dem Augenblick entgegengefiebert, da ich selbst einmal einen Harem besuchen würde wenigstens das, wenn ich schon keinen haben kann. In diesem Sommer war es soweit, ich bekam den Harem. Zu sehen.
Istanbul ist eine große Metropole, mit einer Einwohnerzahl, die ungefähr an die Israels heranreicht.
Trotzdem hat niemand auch nur ein Wort über Istanbul verloren, bevor jemand einen Film über die Stadt drehte. Einen Thriller mit dem Titel »Topkapi«, in dem Peter Ustinov die Kronjuwelen zu stehlen hatte, wie Sie sich erinnern werden. Kein Wunder, dass die beste Ehefrau von allen anlässlich unseres Aufenthaltes in dieser Stadt den dringenden Wunsch äußerte, den Ort des Geschehens zu besichtigen.
Wir mieteten uns einen Führer und begaben uns zum Topkapi, das man mittlerweile in ein Nationalmuseum verwandelt hat, und durchschritten offenen Mundes das Labyrinth herrlicher Paläste.
Ich wage zu behaupten, dass bezüglich Pracht und Glanz nirgends etwas Vergleichbares zu finden sein dürfte - obwohl der heutige Kreml möglicherweise eine Ausnahme darstellt.
»Diese Räumlichkeiten sind wahrhaftig Schatzkästlein uralter Kultur und Zivilisation«, rezitierte der amtliche Führer. »Hier sind unbezahlbare Kunstgegenstände zusammengetragen. Hier befinden sich die berühmte kaiserliche Bibliothek sowie die umfangreichste Miniaturen-Sammlung der ganzen Welt.
Was möchten Sie zuerst sehen?«
»Den Harem«, antwortete ich.
Die beste Ehefrau von allen meinte etwas pikiert, ich wäre wie gewöhnlich gewöhnlich, aber der Führer wusste natürlich, von wem er nachher das Trinkgeld bekommen würde, und begab sich mit uns auf direktem Wege in den schönsten Gebäudeteil der aufwendigen Anlage.
Das gesamte Topkapi schien nur zum Zweck dieser einen Abteilung gebaut worden zu sein. Jeder Raum des Harems war ein Juwel für sich. Die weichen Lager mit den schwellenden Pfühlen wirkten auf mich umwerfend, ebenso die reich ausgestatteten Boudoirs, in denen die süßen Bienchen in Schuss gebracht wurden, wenn sie zur Schichtarbeit mussten.
»Hier, an dieser Stelle, pflegte der Sultan zu stehen«, sagte der Führer und deutete auf ein Fenster, »um die Frauen im Bade dort unten zu betrachten, wenn er sich die wählen wollte, die er gerade wählen wollte.«
Ich trat an das Fenster und dachte an dies und auch an das, bis die beste Ehefrau von allen mich aus meinen polygamourösen Wunschträumen weckte, um mir mitzuteilen, dass sie nunmehr die Mosaiken zu besichtigen wünsche. Ich entgegnete ihr, sie möge nicht so ungeduldig sein, zu Hause hätten wir Mosaiken genug, und überhaupt müsste ich erst die gesellschaftspolitische Bedeutung dieser Einrichtung in mich aufnehmen. Während ich vom Fenster aus zu dem antiken Swimmingpool hinunterschaute, der mit seinen riesigen Ausmaßen glatt für tausendundeine Dame gereicht haben musste, überlegte ich mir, wie um alles in der Welt der Sultan das Ganze wohl seiner Frau erklärt haben mochte.
»Abdul Hamid«, muss seine Frau eines Abends zu ihm gesagt haben, »dürfte ich wohl wissen, warum du die ganze Zeit an diesem Fenster stehst?«
»Wer, ich?« fragte der Sultan. »Ich sehe nur mal nach, wie das Wetter wird, Schatzi.«
»Und was sind das für Frauen?«
»Sieht nach Regen aus.«
»Ich habe dich gefragt, was all diese Frauen da unten zu bedeuten haben.«
»Frauen? Welche Frauen?«
»Diese Badenixen da. Sag bloß, du hast sie noch nie gesehen.«
»Ich schaue immer nur zum Himmel, Herzchen. Abendrot, gut Wetter Bot', solche Sachen, weißt du. Ich schaue niemals runter. Aber, da du mich jetzt drauf aufmerksam machst, das scheint dort unten tatsächlich so eine Art Türkisches Bad zu sein. Nun ja, die Leute müssen sich mal waschen, nehme ich an.«
»Und seit wann haben wir im innersten Bereich des Palastes eine öffentliche Badeanstalt?«
»Keine Ahnung, Schatziputzi, aber ich werde mich erkundigen. Falls der Architekt einen Mist gebaut hat, lasse ich ihn köpfen, glaub mir.«
»Abdul Hamid, du verbirgst mir etwas!«
»Aber, aber, Mausi, wir sind doch wohl nicht wieder misstrauisch, oder?«
»Dann erkläre mir bitte, was du eigentlich jede Nacht machst, wenn du dich hier wegschleichst!«
»Ich?«
»Ja, du! Du greifst dir den Bademantel und ziehst los!« »Nur aufs Klo, meine Süße.«
»Drei Tage lang?«
»Alles braucht eben seine Zeit. Außerdem, wenn ich nicht schlafen kann, spiele ich manchmal Schach mit den Eunuchen. Du kennst doch den Dicken mit dem Schwert? Kürzlich habe ich gegen ihn ein Remis geschafft! Er hatte zwar einen Springer mehr als ich, aber da habe ich meinen Turm geopfert, weißt du . . .« »Drei Tage!«
»Ich hatte Schwierigkeiten mit meiner Dame.«
»Und dann kommst du völlig erledigt wieder zurück und kannst dich kaum noch auf den Beinen halten.« »Wo er doch einen Springer mehr hatte«
»Und die Musik?«
»Was für eine Musik?«
»Du weißt haargenau, was für eine Musik! Kein Mensch kann in diesem Palast auch nur ein Auge zumachen bei dem ständigen Bauchtanzkrach!« »Denkst du etwa, ich tanze Bauch?«
»Nicht du. Die.«
»Wer?«
»Deine Mädchen.«
»Liebling! Wirklich, ich muss schon bitten!«
»Letzte Nacht bin ich zum Fenster gegangen und habe runtergerufen, sie sollten gefälligst mit dem Krach aufhören, ich hätte Migräne. Da keifte eine von deinen Weibern hoch: >Ruhe da oben, Sie stören den Sultan!< Was sollte das denn nun wieder bedeuten?«
»Was weiß ich? Vielleicht ist irgendein Mädchen mit einem Kerl namens Sultan verheiratet, Josef Sultan oder so ähnlich. Oder vielleicht ist das der Bademeister . . .«
»Ich habe dort unten noch nie einen einzigen Mann gesehen.«
»Dann sind das sicherlich sehr keusche, schamhafte Mädchen.«
»Keusch, sagst du? Sie sind allesamt splitterfasernackt!«
»Wer?«
»Deine miesen Schlampen!«
»Mach keine Witze! Du meinst, ganz ohne Kleider?« »Du hast mich genau gehört!«
»Na so was aber auch! Ich muss das Polizeiministerium informieren. Also wirklich, hier in meinem eigenen Palast! Ich bin dir so dankbar, dass du mich darüber aufgeklärt hast, Liebling. Nackt! Da muss man sofort etwas unternehmen. Ich werde gleich mal losgehen und die Sache persönlich untersuchen, und wenn ich herausfinde, dass die keine Genehmigung für ihre FKK-Anlage haben, dann werde ich . . .«
»Abdul! Was willst du mit deinem Bademantel?«
»Ich muss gehen, Hasimaus. Ich muss wissen, was diese Mädchen so treiben. Das ist eine wichtige Angelegenheit, verstehst du. Ich komme in Windeseile wieder zurück, mein Täubchen, vielleicht sogar schon dieses Wochenende, bestimmt aber nicht später als nächstes Frühjahr.«
Dingsda
Nur eines ist schlimmer als ein Telefon, das unentwegt klingelingelingeling macht. Das ist ein Telefon, das überhaupt nicht klingelt, weil es kaputt ist. In so einem Fall bringt uns das Fernmeldeamt an den Rand des Wahnsinns, indem es tagelang keinen Menschen schickt, der das Telefon repariert.
Oder es macht uns völlig verrückt, indem es einen seiner Leute tatsächlich schickt.
Die Tür wurde aufgerissen, und Glick, der Ingenieur Glick, stürzte herein. Er atmete schwer, seine Augen waren die eines weidwund geschossenen Rehes. »Angefangen hat es an einem Dienstag«, berichtete er keuchend, »als das Telefon bei mir im Büro kaputtging. Ich benachrichtigte die Störungsstelle, und ein paar Tage darauf kam ein Fachmann vom Fernmeldeamt, der den Apparat auseinandernahm. >Mein Herr<, eröffnete er mir, >mit dem Telefon ist alles in Ordnung. Wir müssen nur so ein Dingsda auswechseln.< Ich sagte ihm, ich hätte nichts dagegen, worauf er entschwand. Da er nie wieder auftauchte, informierte ich die Störungsstelle, dass mein Telefon immer noch kaputt wäre . . .«
Glick holte tief Atem:
»Ein paar Tage später kam ein zweiter Fachmann, nahm den Apparat auseinander und stellte fest:
>Mein Herr, wir müssen da so ein Dingsda auswechseln.< Ich bestätigte: >Natürlich müssen Sie das Dingsda auswechseln. Ihr Kollege hat mir ja bereits mitgeteilt, dass es am Dingsda liegt.< Der Mann ließ mich wissen, dass er über kein Dingsda verfüge. Und ging. Ich wartete eine volle Woche. Dann bat ich die Störungsstelle, man möge mir jemand schicken . . .«
»Und man hat nicht!«
»Man hat doch. Ein dritter Fachmann kam, nahm den Apparat auseinander und sagte: >Mein Herr, ich möchte, dass Ihnen die Situation klar ist. In meinem Arbeitsauftrag hier ist vermerkt, dass dieses Dingsda in Ihrem Telefon angeblich nicht mehr funktioniert. Ich habe Ihren Apparat nachgeprüft und festgestellt, dass das stimmt. Das Dingsda funktioniert nicht. Schalom.< Damit ging er. Ich stürzte zum nächsten Telefon, rief die Störungsstelle an und forderte sie auf, mir ein Dingsda zu bringen, tot oder lebendig. Ich kündigte an, andernfalls jede Stelle der Störungsstelle zu zerstören. Also - ein Fachmann . . . ein vierter . . . kam zu mir ins Büro . . .«
»Und Sie teilten ihm mit, dass Ihr Dingsda nicht funktioniert!«
»Nein. Das wusste er schon. Er nahm nur den Apparat auseinander und fragte mich, woher, meiner Meinung nach, er um diese Tageszeit ein Dingsda herbekommen solle. Ich sagte ihm: >Das weiß ich doch nicht, ich habe kein Ersatz-Dingsda hier im Büro herumliegen. Kaufen Sie eins auf dem Schwarzmarkt, klauen Sie eins, ermorden Sie jemanden, um eins zu bekommen. Aber wagen Sie ja nicht, ohne Dingsda wiederzukommen!< Daraufhin ging er. Ich schrieb an meine Verwandten im Ausland und bat sie dringend, mir ein Dingsda zu schicken. Sie verbaten sich diese Anzüglichkeiten und brachen jede Verbindung mit mir ab. In meinen Träumen wurde ich von einem Dingsda rund um den Straßenblock gejagt. Es sah aus wie ein Drache, nur anstatt eines Kopfes hatte er so ein Dingsda. Meine Nerven drohten gerade vollends zu versagen, als mir der rettende Einfall kam: Ich rief die Störungsstelle an und beantragte, den ganzen Apparat auszuwechseln. Sie haben sofort gierig nach dieser Lösung gegriffen . . .«
»Haben sie gewechselt?«
»Warten Sie ab. Ein Fachmann kam mit einem neuen Apparat. Aber als er den alten abmontierte, fragte er: >Wozu brauchen Sie einen neuen Apparat? Der alte ist völlig in Ordnung, da muss nur das Dingsda ausgewechselt werden.< Ohne ein einziges Wort ging ich ins Nebenzimmer und lud meinen Revolver. Aber in der Zwischenzeit hatte der Mann ein Dutzend Dingsdas aus seiner Tasche geholt und das kaputte Dingsda ausgewechselt. Seitdem funktioniert mein Telefon einwandfrei.«
»Und warum sind Sie dann so nervös?«
»Das macht die Hitze.«
Vergesslichkeit wird allgemein als ein Altersleiden hingestellt: Das Gehirn wird weicher, je härter die Arterien werden, oder so ähnlich. In unserem heißen Land hat sich die Vergesslichkeit jedoch zu einer liebgewordenen Gewohnheit entwickelt, man könnte fast sagen, zu einer Nationalleidenschaft.
Vor einiger Zeit wurde eine Gruppe bedeutender Psychiater damit beauftragt, eine Untersuchung über Ursache und Wirkung dieses Phänomens durchzuführen, doch die Sache geriet irgendwie in Vergessenheit, ich weiß nicht mehr warum.
Ich traf Weinreb oben auf der Treppe vor der Oper. Ich stürzte sofort auf ihn zu und erinnerte ihn daran, sich unbedingt morgen früh mit dem Rechtsanwalt in Verbindung zu setzen.
»Mach' ich«, sagte Weinreb. »Wenn ich's nicht vergesse.«
»Was heißt, wenn ich's nicht vergesse?« fragte ich fassungslos. »Sie wissen genauso gut wie ich, von welcher ungeheuren Wichtigkeit es ist, dass Sie sich . . .« »Weiß ich«, entgegnete Weinreb beschwichtigend. »Aber ich habe in letzter Zeit so viel um die Ohren, dass ich bis morgen die ganze Sache längst wieder vergessen habe. Das beste wird sein, Sie rufen mich morgen früh um sechs Uhr an und erinnern mich noch mal.«
»Um sechs bin ich im Badezimmer. Absolut unabkömmlich. Wäre es nicht im Bereich der Möglichkeit, dass Sie sich selbst erinnern, es nicht zu vergessen?« »Versuchen kann ich es, aber ich kann nichts versprechen. Ich bin so früh am Morgen immer noch im Halbschlaf und weiß nicht, wo ich bin und wer ich bin, bevor ich meine erste Tasse Kaffee getrunken habe.«
»Und wie ist es nach dem Kaffee?«
»Da weiß ich, wo ich bin. Ich verlasse auf der Stelle das Haus und -«
»Und setzen sich mit ihm in Verbindung!« frohlockte ich.
»Mit wem?«
»Mit dem Rechtsanwalt.«
»Gut, dass Sie mich erinnern. Ich hatte ihn vollkommen vergessen. Hören Sie, es hat keinen Zweck. Machen Sie sich keine Illusionen. Ich weiß genau, morgen habe ich so viel zu erledigen, dass die Sache mit dem Rechtsanwalt mir wieder glatt entfallen wird.«
»Was tun wir also?«
»Keine Ahnung.«
Wir gingen ein paar Stufen hinab, gesenkten Hauptes und in bedrücktem Schweigen. Durch mein Gehirn schossen die abenteuerlichsten Ideen.
Plötzlich kam mir die Erleuchtung. »Ich hab' es, Weinreb!« rief ich triumphierend. »Wir wäre es, wenn Sie sich einen Knoten in Ihr Taschentuch machten?« Weinreb sah zu mir auf. Sein müdes, gütiges Lächeln bewegte mich zutiefst.
»Und wer«, fragte er zögernd, »wer, bitte, erinnert mich, was der Knoten zu bedeuten hat? Nein, die einzige Lösung, die ich im Augenblick sehe, ist leider die: Sie rufen mich um sechs Uhr früh an.«
»Also gut, vielleicht.«
»Wieso vielleicht?«
»Weil ich möglicherweise den Anruf vergesse. Sie glauben nicht, wie auch mein Gedächtnis in diesem Sommer nachgelassen hat. Wissen Sie was? Es ist alles kein Problem, wenn Sie mich morgen früh um zehn vor sechs anrufen und mich erinnern, Sie anzurufen.« »Gern. Nur, Sie wissen, ich werde es vergessen.« »Dann notieren Sie es sich irgendwo.«
»Und was soll mich daran erinnern, dass ich mir etwas notiert habe?«
»Das!« fauchte ich, hob meinen rechten Fuß und hieb ihm die Schuhspitze voll gegen das Schienbein. »Jetzt«, fügte ich erläuternd hinzu, »dürften Sie kaum noch einen Schritt machen können, ohne zu humpeln. Sie werden beim Humpeln ständig daran denken, warum sie humpeln. Und warum?
Weil Sie mich um zehn vor sechs . . .«
»Das wird nicht klappen«, seufzte Weinreb, während er auf der untersten Treppenstufe hockte und sich das Schienbein rieb, »wie ich mich kenne, werde ich auch das Humpeln vergessen. Deshalb wäre es das Beste, wenn Sie mich, sagen wir, um fünf Uhr vierzig morgen früh anrufen würden, um mich zum Humpeln zu bringen. Okay?«
»Okay. Wenn ich's nicht vergesse.«