Die Stunde der Wahrheit ist gekommen: Ich muss gestehen, dass ich eine Schwäche für Schwindler und Hochstapler habe.

Eigentlich dürfte das niemanden überraschen. Der Beruf des Humoristen hat ja mit dem des Schwindlers vieles gemeinsam. Beide leben von der menschlichen Dummheit, beide machen sich die Schwächen der Bürokratie zunutze, spekulieren auf häuslichen Zwist, auf Eitelkeit und Heuchelei, auf die Spannung zwischen Individuum und Gesellschaft - beide, der Schwindler und der Humorist, begehen ihre kriminellen Handlungen auf intellektueller Basis, der eine durch Taten, der andere mit Worten, zwei Halunken von gleicher Wesensart, zwei Brüder im Geiste.

Ich habe zu den professionellen Betrügern schon in meiner Kindheit verehrungsvoll aufgeblickt und halte einem begabten Schwindler noch heute die Daumen, wenn er von der Interpol rund um den Erdball verfolgt wird. Während andere Kinder davon träumten, zum Mond zu fliegen oder sich mit einäugigen Piraten siegreich zu duellieren, beschäftigte sich meine Phantasie mit dem Verkauf von unbrauchbaren Donaubrücken an gutgläubige Touristen. Dass ich es in Wirklichkeit niemals zu etwas dergleichen gebracht habe, liegt nicht etwa an meinen moralischen Skrupeln, sondern einfach an meiner Feigheit und an meinem mangelnden Talent für Betrügereien, die etwas einbringen. Das ist sehr schade, denn ich besitze andererseits eine ausgeprägte Neigung, Menschen zu beobachten und Beweise ihres Herdeninstinktes aufzuspüren. Ich war zehn Jahre alt, als ich entdeckte, dass man an jeder beliebigen Straßenecke eine beträchtliche Menge von Passanten versammeln kann, wenn man mit ein paar gleichaltrigen Freunden stehenbleibt und angestrengt in den Himmel starrt. Als Zwölfjähriger unternahm ich mit den führenden Mafiosi meiner Schulklasse einen Gemeinschaftsausflug in den Budapester Lunapark (er hieß anders); wir bestiegen die Geisterbahn, sprangen während der verlangsamten Fahrt im finsteren »Gewölbe des Schreckens« ab, verteilten uns hinter eine Eule, ein drohend schwankendes Skelett und einen Erhängten, warteten den nächsten Geisterzug ab und ohrfeigten die Vorüberfahrenden. Sie wagten nicht einmal zu kreischen.

Mit besonderem Vergnügen erinnere ich mich einer Ansprache an meine Mitschüler, ein Jahr später:

»Wer nach Schluss des Unterrichts eine Doppelportion Himbeereis haben möchte, bleibt im Klassenzimmer!«

Neunzehn von den zweiunddreißig Schülern blieben. Ich zählte sie sorgfältig ab.

»Mehr, als ich dachte«, sagte ich befriedigt.

»Wo ist das Himbeereis?« riefen sie.

»Himbeereis? Mich hat nur die Statistik interessiert.« Dann rannte ich weg, so schnell ich konnte.

Und das Telefon! Was ist das doch für ein ergiebiges Instrument! Nehmen wir die Sache mit Mathilde. Ein wahrhaft unvergessliches Erlebnis! Kurz vor Mitternacht - ich war damals schon aufgeklärt - verließ ich mein Bett, um unseren Wohnungsnachbarn anzurufen. Auf sein schläfriges

»Hallo« flüsterte ich mit erotisch verhängter Stimme den Namen seiner Frau in die Muschel:

»Mathilde?«

»Wer spricht?« brüllte der jählings Erwachte. »Wer ist das?«

Ich legte auf, lehnte mich zurück und lauschte behaglich der lärmenden Auseinandersetzung, die jenseits der Wand zwischen dem Ehepaar losbrach. Bei solchen Gelegenheiten habe ich viel über die Dinge des Lebens erfahren.

Mit sechzehn stand ich in frohem Briefwechsel mit zahlreichen Bewerbern, die das folgende, von mir stammende Inserat beantwortet hatten: »Junge, attraktive Witwe sucht Partner, der sie auch in Finanz- und Investitionsfragen beraten würde . . .«

Das waren meine ersten literarischen Versuche. Nicht lange danach, in der Nazizeit, entwickelte ich meine Fähigkeit zu schwindeln weit genug, um mir das Leben zu retten - aber das ist eine andere Geschichte für ein anderes Buch.

Jetzt reiche ich die Fackel an meinen jungen Freund Jossele weiter, der all das, wovon ich träume und wofür ich mich doch schon etwas zu alt fühle, in die Praxis umsetzt. Durch ihn werde ich wieder jung. Ich liebe und bewundere ihn. Gewiss, er ist ein Taugenichts, ein Tunichtgut, ein Außenseiter der Gesellschaft. Aber die Art, wie er sie für seine Zwecke ausnützt und aus ihren Schwächen Kapital schlägt, ist so witzig und einfallsreich, dass ich mich manchmal frage, wer ihm diese brillanten Ideen eingibt . . . Offenbar hat sich Jossele von mir unabhängig gemacht, führt ein Eigenleben und dreht mir hinter meinem Rücken eine lange Nase.

Das Einstein-Jossele-System

Genau in der zweiunddreißigsten Minute des Fußball- Länderspiels Bulgarien-Israel, das bekanntlich mit einer vernichtenden 0:5-Niederlage der israelischen Mannschaft endete, wurde das Einstein-Jossele-System geboren. Bis zur zweiunddreißigsten Minute hatten wir beide, mein Freund Jossele und ich, auf unseren Tribünensitzen hoch oben im Stadion gramgebeugt mit angesehen, wie diese Balkanteufel in ihren gelben Dressen immer wieder die Verteidigung unseres blau-weiß-

gestreiften Teams durchbrachen, als hätten sie die Altherrenmannschaft eines orthodoxen Kibbuz während der Sabbathruhe vor sich. Die Luft war schwer, die Menge war deprimiert, und ich alter Patriot war den Tränen nahe.

Dann, in der zweiunddreißigsten Minute, hörte ich Josseles Stimme:

»Genug. Von jetzt an spielen die Israeli in Gelb.« »Was heißt das?« gab ich verwirrt zurück. »Die Gelben sind doch die Bulgaren?«

»Hängt ganz davon ab, wie du es sehen willst«, belehrte mich Jossele. »Von hier oben lässt sich das ohnehin nicht so genau unterscheiden. Es ist eine Frage deines freien Entschlusses. Niemand kann dich daran hindern.« Wenn Jossele etwas sagt, soll man auf ihn hören. Durch einen intensiven Willensakt machte ich mir seinen Blickpunkt zu eigen und war alsbald in der Lage, mich über die großartigen Leistungen der in Gelb spielenden Israeli von Herzen zu freuen. Es war eine Lust, wie sie mit den blau-weißen bulgarischen Patzern umsprangen 1 5 : 0 für die Unseren stand es zum Schluss.

Ein verdienter Triumph.

»Siehst du«, sagte Jossele, als wir in froher Stimmung aus dem Stadion strömten. »Alles ist relativ.«

Meines Wissens geschah es hier zum erstenmal, dass die Relativitätstheorie friedlichen Zwecken dienstbar gemacht wurde. Seither habe ich mich an das Einstein- Jossele-System gewöhnt und kann es jedermann wärmstens empfehlen. Mit ein klein wenig Phantasie eröffnet es bisher ungeahnte Möglichkeiten zur Verschönerung des Daseins.

Zum Beispiel: Ich sitze im Kino, sehe einen miserablen Film und verfluche mich, dass ich mit so etwas meine Zeit vergeude. Plötzlich beschließe ich, dass wir nicht 1977 schreiben, sondern 1917 -

und bin im gleichen Augenblick begeistert vom künstlerischen Wert der jungen, aufstrebenden Kinematographie. Unglaublich, was die können! Die Bilder auf der Leinwand bewegen sich, sie sprechen, sie singen - und das alles 1917! Es ist kaum zu fassen . . .

Oder ich habe das Radio angestellt und höre Seine Exzellenz den Minister über das Schicksal unseres Landes sprechen, über den Gürtel, den wir enger schnallen müssen, über die großen Aufgaben, die uns bevorstehen, über die Vision einer schöneren Zukunft. Schon krümme ich mich vor Pein und will auf den Abstellknopf drücken - da fällt mir das Einstein-Jossele-System ein und macht mir klar, dass das Ganze eine Parodie ist. Vergnügt lehne ich mich zurück und genieße eine halbe Stunde hervorragender Unterhaltung. Es ist einfach zum Brüllen, wie dieser Bursche im Radio das typische Gewäsch eines Parteipolitikers lächerlich macht. Man würde gar nicht glauben, was für abgestandene Phrasen er aus der Mottenkiste hervorholt. Köstlich! Ein erstklassiger Komiker!

»Na also.« Jossele klopfte mir befriedigt auf die Schulter. »Du siehst, wie schön das Leben sein kann. Man muss im richtigen Moment die richtige Entscheidung treffen, das ist alles. Nur nicht verzweifeln, sagte schon Titus Vespasianus, als die Juden Rom unterwarfen.«

Auf Ölsuche

Es war ein warmer Frühlingsnachmittag, so recht geschaffen für einen Kaffeehausbesuch.

Draußen pulsierte das städtische Leben, die ältere Generation oblag ihren Berufen, die jüngere stand Schlange vor den Kinos. Jossele schlürfte an seinem Mokka und räkelte sich.

»Hättest du etwas dagegen, reich zu werden?« fragte er.

»Nicht das mindeste«, antwortete ich mit Überzeugung. »Aber wie?«

»Öl«, entschied Jossele. »Wir müssen nach Öl suchen.«

Gesagt, getan. Als erstes begaben wir uns zu einer nahegelegenen Tankstelle und fragten den Boss, ob er billiges Benzin kaufen möchte. Ja, meinte der Boss, warum nicht, und woher wir's denn hätten? Von der Regierung, erklärte Jossele.

Als nächstes erwarben wir einen gut erhaltenen Gartenschlauch und etwa ein Dutzend antiquarischer Kanister.

Dann fassten wir Posten an der Kurve einer belebten Ausfallstraße aus Tel Aviv.

Der erste Wagen, den wir anhielten, war ein fettes, schwarzes Taxi.

»Guten Tag«, sagte Jossele höflich und bestimmt. »Bitte öffnen Sie Ihren Tank.«

»Warum? Was ist los?« fragte der Taxifahrer ebenso bestimmt, aber weniger höflich.

»Treibstoffkontrolle. Das neue Gesetz gegen Luftverschmutzung. Wir müssen feststellen, ob Sie sauberes Benzin verwenden. Öffnen Sie, bitte.«

»Was zum Teufel -«

»Es hat keinen Sinn, mit mir zu streiten, Herr. Ich bin nur ein kleiner Beamter, der einen Auftrag des Verkehrsministeriums erfüllt. Machen Sie mir keine Schwierigkeiten, und öffnen Sie den Tank.«

Nach ein paar saftigen Flüchen folgte der Taxifahrer dem obrigkeitlichen Geheiß.

Jossele steckte den Finger in die Tanköffnung, zog ihn heraus, leckte daran und schnitt eine bedenkliche Grimasse: »Hm. Schmeckt nicht so, wie es sollte. Sie gestatten.«

Damit ergriff er den Schlauch, führte ihn in den Benzintank ein, pumpte zwei Kanister voll und versah sie in deutlicher Kreideschrift mit der Nummer des Taxis. »Geht direkt ins Laboratorium für einen Wasserfrau-Test«, erläuterte er dem Fahrer. »Wenn's in Ordnung ist, haben Sie nichts zu fürchten. Aber jetzt müssen Sie Platz machen für den nächsten . . . Sie dort! Ja, der blaue Chevrolet!

Hier herüber, bitte . . .«

Mittlerweile standen etwa zwanzig Wagen ordentlich hintereinander angereiht und warteten darauf, kontrolliert zu werden. Bis zum Einbruch der Dämmerung hatten wir mehr als 200 Liter Benzin gezapft, die wir zum Engrospreis an unseren Freund von der Tankstelle abgaben. Morgen kaufen wir ein paar Fässer und mieten einen Lieferwagen. Vielleicht schlagen wir der Regierung vor, mit uns gemeinsam in die Ölförderung einzusteigen.

Wir sind fündig geworden.

Praktische Winke für den Alltag

Jossele und ich saßen im Cafe und starrten trübe in unsere Mokkatassen. Es war spät in der Nacht oder früh am Morgen, ganz wie man's nimmt. Jossele schob missmutig die Tasse von sich.

»Warum«, fragte er, »warum erfindet man nicht endlich Kaffeetassen für Linkshänder? Mit dem Griff an der linken Seite der Tasse? Das wäre doch ganz einfach.«

»Du weißt, wie die Menschen sind«, erinnerte ich ihn. »Gerade das Einfache interessiert sie nicht.«

»Seit fünftausend Jahren machen sie die gleichen langweiligen Trinkgefäße. Ob ihnen jemals eingefallen wäre, den Griff innen anzubringen, damit das glattgerundete Äußere nicht verunstaltet wird.«

»Niemals wäre ihnen das eingefallen. Niemals.« »Immer nur die sture Routine.« Jossele hob die konventionell geformte Tasse widerwillig an die Lippen und nahm einen Schluck. »Keine Beziehung zu den Details, kein Gefühl für Nuancen. Denk nur an die Nähnadeln! Pro Stunde stechen sich auf der Welt mindestens hunderttausend Menschen in den Finger. Wenn die Fabrikanten sich entschließen könnten, Nadeln mit Ösen an beiden Enden zu erzeugen, würde viel weniger Blut fließen.«

»Richtig. Sie haben eben keine Phantasie. Darin stehen sie den Kammfabrikanten um nichts nach.

Die erzeugen ja auch keine zahnlosen Kämme für Glatzköpfige.« »Lass den Unsinn. Manchmal bist du wirklich kindisch!«

Ich verstummte. Wenn man mich kränkt, dann verstumme ich. Jossele fuhr fort, mich zurechtzuweisen: »Du hast nichts als dummes Zeug im Kopf, während ich über ernste, praktische Dinge spreche. Zum Beispiel, weil wir schon bei Kämmen sind: Haarschuppen aus Plastik. In handlichen Cellophansäckchen. Selbst der Ungeschickteste kann sie sich über den Kopf streuen.«

»Sie werden nie wie die echten aussehen«, sagte ich bockig.

»Ich garantiere dir, dass man nicht einmal durchs Vergrößerungsglas einen Unterschied merkt. Wir leben in einer Zeit, in der neues Material für neue Zwecke herangezogen wird. Hüte aus Glas, zum Beispiel.« »Wozu soll ein Hut aus Glas gut sein?«

»Wenn man ihn fallen lässt, braucht man sich nicht nach ihm zu bücken.«

Das klang logisch. Ich musste zugeben, dass die Menschheit Fortschritte macht.

»Und was«, fragte ich, »hieltest du von einem Geschirrschrank, der auch oben vier Füße hat?«

Jossele sah mich überrascht an. Das hatte er mir nicht zugetraut.

»Ich verstehe«, nickte er anerkennend. »Wenn der Schrank oben staubig wird, dreht man ihn einfach um. Überhaupt gibt es im Haushalt noch viel zu verbessern. Was mir zum Beispiel schon seit Jahren fehlt, sind runde Taschentücher!«

»Die man nicht falten muss?«

»Eben. Nur zusammenknüllen.«

»Auch ich denke über Neuerungen an Kleidungsstücken nach. Vor kurzem ist mir etwas eingefallen, wofür ich sofort das Patent angemeldet habe.«

»Nun?«

»Es ist eine Art elektronisches Miniaturinstrument für den eleganten Herrn. Ein Verkehrslicht mit besonderer Berücksichtigung der Hose. Wenn ein Toilettefehler entsteht, blinkt ein rotes Licht auf, das zur Sicherheit von einem leisen Summton begleitet wird.«

»Zu kompliziert.« Jossele schüttelte den Kopf. »Deshalb konnte ich ja auch der Kuckucksfalle nichts abgewinnen. Du erinnerst dich: man wollte sie an den Kuckucksuhren anbringen, oberhalb der Klappe, aus der alle Stunden der Kuckuck herauskommt. Und im gleichen Augenblick, in dem er seinen idiotischen Kuckucksruf ausstoßen will, fällt ihm von oben ein Hammer auf den Kopf. Zu kompliziert.«

»Dir würde wohl die Erfindung des berühmten Agronomen Mitschurin besser Zusagen?«

»Die wäre?«

»Eine Kreuzung von Wassermelonen mit Flöhen.« »Damit sich die Kerne von selbst entfernen, ich weiß. Ein alter Witz. Wenn schon kreuzen, dann Maiskolben mit Schreibmaschinen. Sobald man eine Kornreihe zu Ende genagt hat, ertönt ein Klingelsignal, der Kolben rutscht automatisch zurück, und man kann die nächste Reihe anknabbern.«

»Nicht schlecht.«

»Jedenfalls zweckmäßig und bequem. Das ist das Wichtigste. In Amerika wurde eine landwirtschaftliche Maschine erfunden, die allerdings noch verbessert werden muss, weil sie zu viel Raum einnimmt. Sie pflanzt Kartoffeln, bewässert sie, erntet sie ab, wäscht sie, kocht sie und isst sie auf.«

»Ja, ja. Der Mensch wird allmählich überflüssig. Angeblich gibt es in Japan bereits einen Computer, mit dem man Schach spielen kann.«

»Dann würde ich mir gleich zwei kaufen«, sagte Jossele. »Die können miteinander spielen, und ich gehe ins Kino.«

»Gut«, sagte ich. »Gehen wir.«