Inspektor Fischbaums sechster Sinn
Es gibt für jede Regierung zahlreiche Möglichkeiten, aus ihren Staatsbürgern potentielle Betrüger zu machen: etwa ständige Geldentwertung, die den Spargroschen des Bürgers auffrisst, oder astronomische Einkommenssteuern als Strafe für harte Arbeit und Talent. Im Arsenal der israelischen Regierung befindet sich eine weitere unfehlbare W a f f e : die Devisenkontrolle. Dem israelischen Staatsbürger ist es streng untersagt, stabile ausländische Währungen zu besitzen, ob zu Hause, auf der Bank, im Inland, im Ausland, in der Hosentasche oder auf dem Mond. Als zwangsläufige Folge blüht der Schwarzmarkt für Devisen und die Steuerfahndung durch Hellseherei.
Blindes Walten des Schicksals führte zur Entdeckung der übernatürlichen Fähigkeiten, mit denen Inspektor Chananja Fischbaum von der Einkommenssteueramtskontrolle (ESTAK) ausgestattet war.
Es begann, als ein gewisser Freddy Misrachi, Landwirtschaftliche Maschinen en gros, die Summe von 413 Isr. Pfund und 6 Agoroth als Einkommen für das Steuerjahr 1975/76 angab und zur gleichen Zeit die linke Seite der Yarkonstraße, die mit den ungeraden Hausnummern, sowie zwei dressierte Delphine ankaufte.
Ein anonymer Hinweis setzte die ESTAK auf Misrachis
Fährte. Sie begann Informationen über ihn zu sammeln, ließ durch landwirtschaftlich verkleidete Steuerfahnder seine Traktoren überprüfen, trat mit der Interpol in Verbindung, konsultierte einen Psychoanalytiker und fütterte ihren großen Computer mit den einlangenden Daten. Das Verfahren trug Früchte: Misrachi musste einen Teil seiner Einkünfte verschwiegen haben.
Unter persönlicher Führung Inspektor Fischbaums stürmte eine Kommandoeinheit der ESTAK um 5.05 Uhr morgens die luxuriöse Wohnung des Verdächtigen, machte sich - fintenreich und vielerfahren - sofort über den Kleiderschrank her und förderte neben 20.000 Schweizer Franken in bar ein geheimes Kassabuch zutage, das einen monatlichen Reingewinn von I£ 40.000,- auswies.
Inspektor Fischbaums starrer Blick fixierte Misrachi und bohrte sich durch das offenstehende obere Knopfloch seines hellblauen Pyjamas:
»Also das sind Ihre 413 Pfund jährlich, wie?«
»Bitte«, flüsterte der schlotternde Steuerhinterzieher. »Bitte, ich war gerade dabei, die Sache in Ordnung zu bringen. Ich wäre noch heute zu Ihnen aufs Steueramt gekommen, um -« - »Was Sie nicht sagen«, unterbrach ihn Fischbaum sarkastisch. »Ich möchte wetten, dass Ihre sämtlichen Traktoren Sie nicht aufs Steueramt schleppen könnten, Herr Misrachi!«
»Ich habe keine Traktoren«, gab der noch immer Schlotternde mit schwacher Stimme zurück.
»Und mein Name ist Bienstock.«
Wie sich erwies, hatte ESTAK die falsche Wohnung gestürmt, was jedoch Fischbaum in keiner Weise davon abhielt, Bienstocks sofortige Verhaftung anzuordnen. Dann erkundigte er sich nach der Wohnung des Traktorenhändlers.
Da Bienstock in Ohnmacht gefallen und somit zu einer Antwort nicht in der Lage war, läutete die Kommandoeinheit an der nächsten Wohnungstüre. Eine ältere Frauensperson öffnete.
»Entschuldigen Sie die Störung zu so früher Stunde«, begann Fischbaum. »Wir sind von der Steuerfahndung und wollten nur fragen, wo -«
Die Frau schrie gellend auf und stürzte ins Schlafzimmer:
»Sami! Sie sind hier! Rasch! Die Scheckbücher!«
Als die Wohnungsstürmer das Schlafzimmer erreichten, hatte Sami bereits das dritte ausländische Scheckbuch verschluckt; sie konnten gerade noch den Safeschlüssel sicherstellen, der in seiner Kehle steckte. Samis DM-Depot fand sich in den Bänden »Fidschi bis Granit« und »Lachs bis Luchs«
des Konversationslexikons. Seine Frau stand draußen und murmelte immer wieder: »Ich hab's gewusst, Sami, ich hab' dir gesagt, wir müssen irgendetwas deklarieren.« Ihre Lockenwickler enthielten eine beträchtliche Anzahl zusammengerollter Dollarscheine.
»Verhaften und zur Anzeige bringen«, befahl Fischbaum, ehe er hurtigen Fußes das nächste Stockwerk erklomm, wo er ohne größere Schwierigkeiten - war sie doch durch den Namen gekennzeichnet - Misrachis Wohnungstüre fand. Der Maschinengroßkaufmann versuchte sich der drohenden Verhaftung zu entziehen, indem er sich im Badezimmer erhängte, aber die ESTAK-Leute schnitten ihn rechtzeitig ab, entdeckten in der Tiefkühltruhe seine Bücher, ließen sie auftauen und stellten fest, dass sein jährlicher Reingewinn nicht, wie angegeben, I£ 413,06 betrug, sondern runde 12 Millionen. Außerdem stöberten sie unter einigen lockeren Fliesen in der Küche größere Mengen von angereichertem Uran auf.
Misrachi wurde verhaftet und seine Wohnung versiegelt. Die Schlüssel wollte Fischbaum dem Hausbesorger übergeben.
»Ich bin Inspektor Fischbaum von der ESTAK«, stellte er sich vor. »Hier sind - nein, um Himmels willen!« Er hätte nicht so erschrecken müssen. Der Hausbesorger landete nach seinem Sprung aus dem Fenster in einem Blumenbeet und zog sich lediglich einen Knöchelbruch zu. Die 30.000
Hollandgulden, die er unter der Klosettbürste versteckt hatte, fielen den Häschern in die Hände. Um 7.30 Uhr kehrte die Kommandoeinheit in triumphalem Zug zu ihrer Ausgangsbasis zurück, im Schlepptau fünf verhaftete Steuerhinterzieher, einen übervollen Beutekorb und eine Menge neuer Daten, an denen der Computer reichlich zu kauen haben würde.
Damit begann die wunderbare Karriere des Inspektors Chananja Fischbaum.
Die Nachricht von seinem unheimlichen Talent für die Erfassung von Steuersündern verbreitete sich durch das ganze Finanzamt. Manche wollten es für einen bloßen Zufall halten, dass Fischbaum in einem einzigen Wohnhaus fünf Straffällige erwischt hatte, aber bald gab es keinen Zweifel mehr: es handelte sich um ein übersinnliches Phänomen.
Man erinnere sich nur an den Fall der drei Doktoren Bluebottle.
Der Steuerinformant Nr. 181302 hatte die ESTAK auf einen Dr. Bluebottle hingewiesen, ohne sie mit genaueren Angaben über ihn zu versorgen. Der Computer spuckte drei potentielle Steuerhinterzieher dieses Namens aus. Das Finanzamt raufte sich die Haare - bis jemand auf Fischbaum verfiel.
Man schrieb die Adresse der drei Bluebottles - eines Anwalts, eines Gynäkologen und eines Nationalökonomen - auf ein Papier, das man an Fischbaum gelangen ließ. Fischbaum starrte es eine Minute lang an, konzentrierte sich - und deutete auf den Arzt. Tatsächlich: Dr. med. Bluebottle verfügte über ein nicht deklariertes Einkommen von drei Millionen, eine Badewanne aus Platin und eine beträchtliche Anzahl von Goldbarren.
Fischbaum, der fortan den Kosenamen »Goldfinger« trug, ist noch bei Lebzeiten zu einer Legende geworden. Er braucht nur das Telefonbuch aufzuschlagen, versetzt sich in leichte Trance, lässt seinen Finger über die Seiten gleiten, und wenn er bei einem Namen innehält, kann man Gift darauf nehmen, dass die Kommandoeinheit der ESTAK vom Träger dieses Namens nicht mit leeren Händen zurückkehren wird. Fischbaum irrt sich nicht.
Niemals. Selbst die Parapsychologen stehen verblüfft vor seinem sechsten Sinn. Seit neuestem kann er sogar auf geschriebene Angaben verzichten. Er sitzt nur mit geschlossenen Augen da, meditiert eine Weile und springt plötzlich auf:
»Herr so und so in Rechovot, diese und diese Straße, diese und diese Nummer, dritter Stock, erste Türe rechts!« Und es stimmt.
Unlängst geschah es sogar, dass er auf einen scheinbar harmlosen Spaziergänger deutete und rief: »Haltet ihn! Er ist ein Steuerhinterzieher!«
Der Mann brach zusammen und legte an Ort und Stelle ein Geständnis ab.
Fischbaums Vorgesetzte machen sich schwere Sorgen, wie sie den Wundermann an die ESTAK
fesseln sollen. Sie fürchten, dass er sich eines Tages selbständig machen und eine Privatkanzlei eröffnen könnte. Sollte er aber seinen sechsten Sinn auch weiterhin zur Verfügung der Steuerbehörde halten, dann bestünde für ihn - und das fürchten sie erst recht - die Möglichkeit, wie jeder Steuerinformant 10% der jeweils zustande gebrachten Summe zu beanspruchen. Auf diese Weise würde er binnen kurzem zum Millionär werden. Und dann müssten sie vielleicht einen zweiten Fischbaum auf ihn ansetzen.
Aber woher nehmen? Es gibt nur einen Fischbaum.