Gangsterfilm in Eigenproduktion
Die Hitzewelle hatte das Kaffeehaus erreicht und machte sich's unter unseren Hemden bequem.
Jossele lümmelte faul in seinem Sessel, den Blick ins Leere gerichtet.
»Es ist nicht zum Aushalten«, ächzte er. »Irgendetwas müsste geschehen . . .«
»Kaufen wir uns ein Lotterielos«, schlug ich ihm vor. »Um ein paar tausend Pfund zu gewinnen?
Ich brauche eine halbe Million.«
»Dann rauben wir die Nationalbank aus.«
»Das ist es!« Mit unvermittelter Lebhaftigkeit nahm Jossele meine Anregung auf. »Das machen wir! Ober, zahlen!«
Kurz nach Mitternacht waren die Vorbereitungen beendet. Wir hatten unsere Verbindungen zur Unterwelt spielen lassen und vier erfahrene Profis engagiert: die Polakoff-Zwillinge, zwei in Amerika geschulte Bankräuber, »Twiggy« Tonello, den sichersten Revolverschützen des Landes, und Gabi Goldblum, genannt »der Knacker«. Sie warteten vor dem Eingang zur Nationalbank in der Bialikstraße, mit schwarzen Strumpfmasken über ihren Gesichtern und griffbereiten Handwerksgeräten. Die schwere, stählerne Eingangstür wurde von zwei Scheinwerfern scharf angeleuchtet, und während »Twiggy«, der Dynamitfachmann, die Sprengladung zu installieren begann, versuchte ich die Menge der Neugierigen, die sich angesammelt hatten, zurückzudrängen:
»Bitte, machen Sie Platz! Wir sind ja nicht zum Vergnügen hier! Wir brauchen Platz zum Arbeiten!
Bitte zurücktreten!«
Niemand rührte sich. Hingegen erkundigten sich fast alle, was hier eigentlich vorginge. Ich bemühte mich, ihren Neuigkeitsdrang zu befriedigen: »Raubüberfall auf die Nationalbank«, sagte ich.
»Das perfekte Verbrechen.«
»Ist das der Titel?«
»Nur der Arbeitstitel. Bitte zurücktreten.«
Auf einem Klappstuhl gegenüber dem ins Scheinwerferlicht getauchten Eingangstor saß Jossele, komplett mit Augenschirm, dicker Zigarre und Megaphon, zur Seite die auf einem eindrucksvollen Tripod montierte Kamera, die keinerlei Film im Innern barg. Jetzt erteilte er - unter Verwendung eines bis dahin noch nirgends gehörten amerikanischen Akzents - seine letzten Anweisungen:
»Aufgepasst, Boys! Sowie das Tor in die Luft fliegt, stürzt ihr hinein. Ich kann die Szene kein zweites Mal schießen, verstanden? Sie muss sofort in den Kasten. Gibt's hier irgendwo Polizei?«
»Jawohl, Sir!« Ein smarter Vertreter der Ordnungsmacht eilte herbei und salutierte. »Was kann ich tun,
Sir?«
»Bitte, sorgen Sie dafür, dass die Aufnahme nicht gestört wird, guter Mann«, sagte Jossele leutselig. Dann brüllte er durchs Megaphon: »Okay! Wir fahren !«
Das Auge des Gesetzes hielt die Menge in Schach und beauftragte durch sein Sprechgerät zwei Kollegen, an den beiden nächsten Straßenecken jeden Verkehr zu stoppen.
Ich sprang vor die Kamera und ließ die Holzklappe mit der Aufschrift Bankraub - Außen, Nacht IV/1
zufallen.
Als es »klick« machte, setzte unser Dynamitexperte die Zündschnur in Brand.
Die Kamera, von einem Cousin der Brüder Polakoff bedient, folgte surrend dem Flämmchen, das sich die Zündschnur entlangfraß.
In atemloser Anspannung starrte die Menge.
Die stählerne Tür der Nationalbank flog mit einem ohrenbetäubenden Knall aus den Angeln und krachte zu Boden.
Durch die Rauchwolke kam eine Männergestalt hervorgetorkelt: »Hilfe! Räuber! Überfall! Polizei!
Hilfe!« brüllte der Nachtwächter.
»Gut! Sehr gut!« brüllte Jossele aufmunternd zurück. »Mach weiter, Junge! Noch etwas lauter!
Mehr Panik! Wunderbar!«
Der letzte Zuruf galt dem einen Polakoff-Zwilling, der auf den Nachtwächter zugesprungen war und ihm die Beißzange über den Schädel schlug. Der Mann drehte sich um seine eigene Achse und brach lautlos zusammen.
»Stopp!« rief Jossele. »Gute Arbeit, Boys! Bitte, die nächste Einstellung vorbereiten!« Er war offensichtlich zufrieden.
Auch die Zuschauer waren es. Die meisten von ihnen hatten noch nie eine Filmaufnahme dieser Art gesehen und zeigten sich von der Lebendigkeit der Aktion sehr beeindruckt. Natürlich gab es auch kritische Stimmen! »Der Kerl, der den Nachtwächter gespielt hat, war nicht sehr überzeugend«, hieß es zum Beispiel; oder: »Ich habe von seinem Text kein Wort verstanden.«
Ein Kenner mischte sich ein:
»Sie scheinen nicht zu wissen, dass der Text erst nachher dazukommt. Man nennt das
>Synchronisieren<.« »Alles zurücktreten!« Das war jetzt wieder Jossele. »Und bitte um Ruhe! Wir können hier nicht die ganze Nacht verbringen!«
In den Fenstern der umliegenden Häuser erschienen die Gesichter schlaftrunkener Bürger:
»Schon wieder so eine verdammte Filmaufnahme!« schimpften sie. »Warum wird das Zeug nicht im Studio gedreht?«
Fachmännische Belehrungen klangen ihnen entgegen: »Reden Sie nicht, wenn Sie nichts verstehen . . . Haben Sie eine Ahnung, was es kosten würde, die Nationalbank im Studio nachzubauen . . . Wir sind nicht in Hollywood . . .«
Ein freiwilliger Ratgeber empfahl uns, die Szene mit dem Nachtwächter wegzulassen, wir bekämen sonst vielleicht Schwierigkeiten mit der Zensur.
Ob wir für das Drehbuch eine offizielle Genehmigung eingeholt hätten, wollte ein anderer wissen.
Das sei noch in Schwebe, antwortete ich und überhörte die Frage eines dritten, welche Schauspieler sich hinter den schwarzen Masken verbargen.
Der Polizist wandte sich an Jossele:
»Ist das eine ausländische Produktion?«
»Nein. Alles einheimisch.«
»Und wer finanziert das?«
»Die Regierung«, sagte Jossele und entzog sich dem polizeilichen Wissensdurst, indem er lautstark neue Direktiven erteilte: »Bitte um größere Ruhe! Wir müssen den Alarm aufs Tonband bekommen! Alles fertig? Okay! Wir fahren!«
Die Kamera fuhr auf den Eingang zu, und die Brüder Polakoff krochen durch das gähnende Loch.
Kurz darauf erklang das schrille Signal der Alarmanlage.
»Schnitt!« brüllte Jossele.
Tatsächlich verstummte das Alarmsignal nach wenigen Sekunden. Die Zwillinge hatten Josseles Anweisung befolgt und die Drähte durchgeschnitten.
»Genau wie in den amerikanischen Gangsterfilmen«, bemerkte ein Zuschauer sarkastisch; ich wies ihn zurecht:
»Der Film hat seine eigenen Gesetze, Herr. Wir müssen uns nach den Gesetzen richten.«
Es wurde immer schwerer, die Leute zurückzuhalten. Sie betasteten unsere technische Ausrüstung, stellten dumme Fragen und drängten sich vor die Kamera. Wir atmeten auf, als ein schmucker Wagen des Überfallkommandos eintraf. Etwa zwanzig Prachtgestalten sprangen heraus und führten im Handumdrehen - unter dem ein paar Widerspenstige sehr zu leiden hatten die entsprechenden Absperrungsmaßnahmen durch.
»Bitte, bitte!« klang es flehentlich hinter der Kette der Uniformierten hervor. »Wir möchten gerne ins Bild kommen, bitte!«
Jossele wählte fünf stämmige Gesellen aus, die der Kamera ins Innere des Bankgebäudes folgen durften. »Inside shot«, bemerkte der Experte unter ihnen.
»Wenn statt draußen drinnen gedreht wird, so heißt das inside shot.«
Nicht ohne Mühe schoben die fünf das schwere Stahlsafe von der Wand fort. Dafür durften sie dann sekundenlang in die Kamera grinsen.
Die Polakoff-Zwillinge fluchten erbärmlich, während sie die nötigen Löcher in das Safe drillten. Sie hatten noch nie bei Scheinwerferlicht gearbeitet.
Gegen vier Uhr früh ordnete Jossele die letzte Aufnahme an. Meine Holzklappe trug die Aufschrift Ab mit dem Geld - Innen, IX/18.
Wir packten die 800.000 Pfund hübsch gebündelt in ein Köfferchen, verstauten die Filmausrüstung in unsern Lieferwagen und verließen unter lauten Beifallskundgebungen der Menge den Schauplatz.
»Vergesst nicht, uns Karten zur Premiere zu schicken!« rief uns der Polizeisergeant nach.
»Machen wir!« rief Jossele zurück, ehe er sich erschöpft niederließ.
Es war eine anstrengende, aber erfolgreiche Arbeit. Wer sagt da noch, dass die israelische Filmindustrie keine Zukunft hat?