Falsch geparkt ist halb gewonnen
Jossele kam von der Ecke der Fruchtmann-Straße auf mich zugeeilt. »Entschuldige«, keuchte er.
»Es hat so lange gedauert, ehe ich einen Parkplatz fand.«
Ich traute meinen Ohren nicht. Die Fruchtmann-Straße eine schmale, sonnendurchglühte Häuserzeile und noch dazu eine Einbahn in entgegengesetzter Richtung lag gute fünf Minuten von unserem Stammcafé entfernt.
Was veranlasste Jossele, den genialen Überwinder aller irdischen Schwierigkeiten, seinen Wagen gerade dort zu parken?
Wir hatten Gustis Cafe erreicht, ließen uns nieder, bestellten den üblichen Espresso und beobachteten den Nahen Osten in Aktion. Draußen wimmelte es von tatendurstigen jungen Polizisten, die ihre Tagesquote noch nicht erfüllt hatten und nach Parksündern Ausschau hielten. Tafeln mit Aufschriften wie »Parken verboten«, »Halten verboten«, »Parken und Halten verboten« verschönten das Stadtbild. Eine schräg vor der Kaffeehausterrasse angebrachte Tafel »Ladetätigkeit nur von 14-16
Uhr« erwies sich als besonders ertragreich und brachte der Regierung pro Stunde ungefähr 500
Pfund ein.
»Es gibt für den Staat keine bessere Investition als einen Verkehrspolizisten«, konstatierte Jossele.
»Wenn so einer in der Stunde nur drei Strafmandate zu 80 Pfund schreibt, hat er nach zwei Tagen sein Monatsgehalt verdient, und der Rest ist Reingewinn. Kein Wunder, dass jetzt auch weibliche Kräfte eingestellt werden.«
»Hier liegt wahrscheinlich der Grund«, vermutete ich, »warum das Parkproblem in den großen Städten gar nicht gelöst werden soll. Das würde den ganzen Staatshaushalt über den Haufen werfen.«
Jossele erwog einen neuartigen Ausweg: »Vielleicht sollte man für die Autofahrer Straf-Abonnements in einer bestimmten Höhe auflegen, so dass sie den Strafzettel selbst unter den Scheibenwischer stecken können, und wenn sie ihren Block verbraucht haben, kaufen sie einen neuen. Das würde den ganzen Vorgang vereinfachen und außerdem hässliche Zusammenstöße mit der Obrigkeit vermeiden.«
»Aber es würde Tausende von Polizisten beiderlei Geschlechts arbeitslos machen«, gab ich zu bedenken.
»Und was ist mit den Lückenwächtern?«
»Mit wem?«
Jossele erklärte mir diesen neuen Beruf. Die Lückenwächter, auch Parklochhyänen genannt, lungern am Randstein der dafür geeigneten Straßen herum, warten, bis ein Wagen wegfährt, stellen sich dann vor den freigewordenen Platz und winken jeden, der ihn zu benützen versucht, mit einem barschen »Besetzt!« weiter - bis irgendein Idiot bereit ist, für die Benützung zu zahlen. In der Umgebung der Herzl-Straße kassieren sie für einen amerikanischen Straßenkreuzer 20 Pfund, an Sams- und Feiertagen 30. Mit dieser Gebühr sind auch Anweisungen wie »Links einschlagen . . . noch ein Stückchen . . . stopp!« abgegolten.
»Besser eine Parkhyäne als ein Strafmandat«, sagte ich. Jossele schüttelte den Kopf:
»Jetzt kennst du mich schon so lange und hast noch immer nichts gelernt. Was heißt da Strafmandat? Wenn man die Verhaltensweisen der israelischen Polizei studiert hat, braucht man kein Strafmandat zu fürchten.
Angewandte Psychologie, weißt du. Ich parke grundsätzlich nur in engen Seitengassen, auf dem Gehsteig, mindestens dreißig Meter mit dem Rücken zur Hauptstraße, wo die Gesetzesaugen patrouillieren. Mein Wagen ist der einzige, den sie sehen, und zwar in beträchtlicher Entfernung von der Straßenecke. Wird der Hüter der Verkehrsgesetze jetzt vielleicht diese ganze Strecke zurücklegen und obendrein riskieren, dass er auf der Windschutzscheibe dann schon ein Strafmandat vorfindet? Er wird nichts dergleichen tun. Dazu ist er viel zu faul. Und dazu gibt es viel zu viele Parksünder, die es ihm bequemer machen. Komm. Ich will's dir beweisen.«
Wir begaben uns an den Ort der Beweisführung, passierten ganze Reihen wütend hupender Autos, die nicht vorwärtskamen, und hatten alsbald die Fruchtmann- Straße erreicht. Tatsächlich: auf dem Gehsteig, in stolzer Einsamkeit, stand Josseles Wagen.
Mit einem Zettel unter dem Scheibenwischer.
Ein Strafmandat. Ein Strafmandat für Jossele.
Das war ihm noch nie passiert. Er erbleichte. Ich meinerseits konnte eine leise Schadenfreude nicht unterdrücken.
»Angewandte Psychologie, was? Zum Selbstkostenpreis von 80 Pfund, wie?«
»Wann wirst du endlich erwachsen werden, mein Kind«, brummte Jossele, sperrte den Wagen auf und ging weiter.
Ich folgte ihm, ohne zu fragen, was er vorhatte. Das würde sich ja bald genug heraussteilen.
Auf der nächsten Polizeiwachstube stellte es sich heraus.
»Inspektor«, meldete Jossele dem diensthabenden Organ, »irgendwo in Ihrem Rayon ist mein Wagen gestohlen worden. Wo, kann ich nicht genau sagen. Es war eine mir unbekannte Abzweigung der Dizengoff- Straße.« Und er gab noch einige weitere Aussagen zu Protokoll.
Die Polizeistreifen des Rayons empfingen über Sprechfunk die Anweisung, den gestohlenen Wagen zu suchen.
»Ich warte in Gustis Cafe«, verabschiedete sich Jossele. Eine Stunde später hatten unsere Freunde und Helfer den Wagen gefunden. Er stand auf dem Gehsteig der Fruchtmann-Straße. Der Sergeant, der ihn zurückbrachte, wehrte Josseles Dank bescheiden ab:
»Wir tun nur unsere Pflicht«, sagte er; und fügte mit maliziösem Grinsen hinzu: »Aber wenn wir den Dieb erwischen, wird er zu allem anderen auch noch ein saftiges Strafmandat zu bezahlen haben!«