Der perfekte Mord

Es war Abend. Draußen herrschte Dunkelheit, drinnen begannen sich Israels Mütter über den Verbleib ihrer Sabrabrut zu sorgen. Plötzlich wurde die Tür meiner Wohnung aufgerissen und Schultheiß stürzte herein.

Aber war das noch Schultheiß? Schultheiß der Großartige, Schultheiß der Ruhmreiche, der Mann mit den eisernen Nerven, der Mann mit dem herausfordernd unerschütterlichen Selbstbewusstsein?

Vor mir stand ein geknicktes zerknittertes Geschöpf, atemlos, bebend, die stumme Furcht eines gejagten Rehs im Blick. »Schultheiß!« rief ich aus und schob die Steuererklärung, an der ich gerade gearbeitet hatte, zur Seite. »Um Himmels willen, Schultheiß! Was ist los mit Ihnen?«

Schultheiß warf irre Blicke um sich, und seine Stimme zitterte:

»Ich werde verfolgt. Er will mich in den Wahnsinn treiben.«

»Wer?«

»Wenn ich das wüsste! Aber ich weiß es nicht und werde es nie erfahren und kann mich nicht wehren. Es muss der Teufel in Person sein. Er richtet mich systematisch zugrunde. Und was das schlimmste ist: er tut es in meinem eigenen Namen.«

»Wie?! Was?!«

Schultheiß ließ sich in einen Sessel fallen. Kalten Schweiß auf der Stirn, erzählte er seine Leidensgeschichte:

»Eines Morgens - es mag etwa ein Jahr her sein - wurde ich durch das anhaltende Hupen eines Taxis vor meinem Haus geweckt. Nachdem der Fahrer des Hupens müde geworden war, begann er mit den Fäusten gegen meine Tür zu trommeln. Ich musste öffnen. Was mir denn einfiele? brüllte er mich an. Warum ich ein Taxi bestellte, wenn ich keine Absicht hätte, es zu benützen?«

Schultheiß holte tief Atem.

»Überflüssig zu sagen, dass ich kein Taxi bestellt hatte. Aber hierzulande haben die Leute Vertrauen zueinander, und das ist das Unglück. Wenn man bei einem Taxistandplatz einen Wagen bestellt, auch telefonisch, wird nicht viel gefragt, sondern die Bestellung wird erledigt, und die Taxi strömen zu der angegebenen Adresse. Jedenfalls strömten sie zu der meinen. Um acht Uhr früh waren es ihrer bereits vierzehn, und meine Nachbarn sprechen bis heute von dem Höllenlärm, den die vierzehn Fahrer damals vollführten. Meine Beleidigungsklagen gegen zwei von ihnen sind noch anhängig . . . An diesem Morgen wurde mir klar, dass irgendjemand meinen Namen missbraucht, um mich in den Wahnsinn zu treiben.«

Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Schultheiß sprach weiter:

»Die Sache mit dem Taxi war nur der Anfang. Seither gibt mir mein Quälgeist keine Ruhe. In meinem Namen antwortete er auf Zeitungsannoncen, bestellt Lotterielose, Fachbücher, Enzyklopädien, Haushaltsartikel, kosmetische und medizinische Präparate, Sprachlehrer, Möbel, Särge, Blumen, Bräute - alles, was man telegrafisch oder durch die Post bestellen kann. Damit nicht genug, hat er mich auch beim >Verband abessinischer Einwanderer, bei der Interessengemeinschaft ehemaliger Rumänen< und beim >Verein, für die Reinhaltung des Familienlebens< angemeldet. Und vor kurzem hat er zwei marokkanische Waisenkinder für mich adoptiert.«

»Aber wie ist das möglich? Wieso erregt er keinen Verdacht?«

»Weil niemand auf den Gedanken kommt, dass meine Briefe nicht von mir geschrieben wurden oder dass nicht ich ins Telefon spreche, sondern . . . mein Mörder.« Bei den letzten Worten rannen Tränen über Schultheißens eingefallene Wangen.

»Und es wird immer noch ärger! Jedermann weiß - und natürlich weiß es auch er -, dass ich ein altes Mitglied unserer Regierungspartei bin. Infolgedessen hat er für mich ein Abonnement auf die kommunistische Parteizeitung genommen und lässt sie mir in mein Büro zustellen. An das Zentralkomitee meiner Partei hat er einen eingeschriebenen Brief gerichtet, in dem ich meinen Austritt erkläre, und zwar wegen der fortgesetzten Korruption innerhalb der Parteileitung. Ich hatte die größte Mühe, meine Wiederaufnahme durchzusetzen. Mein Name ist allmählich ein Synonym für Betrug und Scheinheiligkeit geworden. Bis zum Juni dieses Jahres galt ich wenigstens noch als Mitglied der jüdischen Religionsgemeinschaft. Aber auch damit ist es vorbei.«

»Wie das? Was ist geschehen?«

»Eines Tages, während ich ahnungslos im Büro saß, erschienen zwei Franziskanermönche aus Nazareth in meiner Wohnung und besprengten, für die ganze Nachbarschaft sichtbar, meine koschere Kücheneinrichtung mit Weihwasser. Der Schurke hatte in meinem Namen kleine Spenden an das Kloster gelangen lassen und die beiden Mönche zu mir gebeten . . .« Schultheiß verfiel vor meinen Augen. Seine Zähne klapperten.

»Er hat meinen Schwiegervater denunziert. Eine von mir unterschriebene Anzeige beschuldigte meinen eigenen Schwiegervater, Schweizer Uhren ins Land zu schmuggeln - und was das schlimmste ist; die Anzeige erwies sich als begründet ... Es ist unglaublich, mit welcher satanischen Schläue dieser Schuft zu Werke geht. Zum Beispiel schickte er unserem Abteilungsleiter einen Brief mit meiner Absenderadresse, aber der Brief selbst war an einen meiner Freunde gerichtet und enthielt die Mitteilung, dass unser Abteilungsleiter ein widerwärtiger Halbidiot sei. Es sollte der Eindruck entstehen, als hätte ich irrtümlich die Briefumschläge vertauscht . . . Jede Woche lässt er ein Inserat erscheinen, dass ich für acht Pfund monatlich ein möbliertes Zimmer vermiete. Ohne Ablöse. Oder dass ich dringend eine ungarische Köchin suche . . . Alle zwei Monate sperrt mir die Elektrizitätsgesellschaft das Licht ab, weil er sie verständigt hat, dass ich nach Rumänien auswandere

. . . Ich werde von der Devisenpolizei überwacht, weil ich angeblich meinen Auslandsbriefen hohe Geldnoten beilege, was streng verboten ist . . . Und meine Frau befindet sich in einer Nervenheilanstalt, seit sie die Nachricht bekam, dass ich in einem übel beleumundeten Haus in Jaffa Selbstmord begangen habe . . .«

Konvulsivisches Schluchzen schüttelte den vom Leiden ausgemergelten Körper Schultheißens. Die finstersten Gedanken zuckten auch mir durchs Hirn.

»Vor den Wahlen«, fuhr Schultheiß stöhnend fort, »verschickte er ein Rundschreiben an meine Bekannten, in dem ich erklärte, dass ich für die Partei der Hausbesitzer stimmen würde, die als einzige ein wahrhaft fortschrittliches Programm besäße. Niemand grüßt mich mehr. Meine besten Freunde wenden sich ab, wenn sie mich nur von weitem sehen. Vorige Woche haben mich zwei Militärpolizisten im Morgendämmer aus dem Bett gezerrt, weil ich die Armeeverwaltung verständigt hatte, dass ich infolge meiner Abneigung gegen frühzeitiges Aufstehen an den kommenden Waffenübungen nicht teilzunehmen wünsche . . .«

So ging es noch eine halbe Stunde weiter, dann wankte er hinaus in die nächtliche Dunkelheit.

Kaum war er draußen, stürzte ich zum Telefon: »Jossele«, sagte ich mit leisem Vorwurf in der Stimme, »übertreibst du nicht langsam ein bisschen?«