Nie wieder Pornofilm
Von uns modern eingestellten Menschen wird verlangt, dass wir die Pornographie als natürlichen Bestandteil unseres Lebens akzeptieren und uns in den einschlägigen Kinos mit ihr beschäftigen.
»Bekannt machen« ist leicht gesagt, aber was machen wir mit den Bekannten? Und vor allem: Was macht ein normaler, sexbesessener Familienvater wie ich?
Als ich unlängst durch die Straßen schlenderte, wurde mir plötzlich inne, wie weit die Überschwemmung schon gediehen ist. Die Überschwemmung durch schwedische Nymphen.
Auf den Kinoplakaten meine ich.
Unsere Kinos haben auf ihre alten Tage endlich den Sex entdeckt. Statt Romantik und Exotik bieten sie uns - spät, aber doch - die nackte Wahrheit. Man kann keinen Schritt mehr machen, ohne vom Anblick einer blonden Sexbombe überwältigt zu werden, die gerade von einem Gorilla überwältigt wird. Bei näherem Zusehen entpuppt sich der Gorilla manchmal als Mensch. Aber das spielt keine Rolle. Die Rolle wird von der Sexbombe gespielt.
Gesprächsweise machte ich eine Bemerkung darüber zu unserem Wohnungsnachbarn Felix Seelig, und er sagte ja, wirklich, es ist kaum noch zum Aushalten. Jeden Morgen auf seinem Weg ins Büro bekommt er's mit diesen nackten Weibsfiguren zu tun, alle in natürlicher Größe und in übernatürlicher Deutlichkeit, man weiß gar nicht, wohin man zuerst wegschauen soll.
Kein Zweifel, ich musste mir selbst ein Urteil bilden. Zuerst betrachtete ich ausführlich eines der deutlichsten Plakate. Es war, sozusagen, ein Brustbild. Dann wandte ich mich den Aushängekästen zu. Auch dort gab es Brustbilder, nur in kleinerem Format, was die Bilder betraf. Ich dachte an den verheerenden Einfluss dieser Bilder auf unsere Jugend und beschloss, den verheerenden Einfluss des ganzen Films auf mich wirken zu lassen.
Im nächsten Augenblick stand ich vor der Kasse und vor einem neuem Problem: Wie benimmt sich ein allseits respektierter Familienvater, der einen Pornofilm sehen will?
Ich hatte so etwas schon einmal gemacht, in New York, in sicherer Entfernung vom heimischen Herd, und nur weil mir in der Hetzjagd meiner beruflichen Verabredungen eine unverhoffte freie Stunde vergönnt war. Also ging ich ins nächste Kino, und da spielten sie zufällig einen Pornofilm. Es war grauenhaft. Bei meinem Eintritt war die Leinwand von einer Nahaufnahme ausgefüllt, ein sechs Meter großer Frauenmund öffnete sich zwei Meter weit und vollzog etwas Sinnliches in Farbe. Ich stürzte geschlossenen Auges auf die Straße hinaus, litt noch wochenlang unter einer schweren Impotenzneurose und war fest entschlossen, mir nie wieder einen Pornofilm anzusehen.
Und jetzt stand ich also vor dem Eingang zu einem heimischen Kinopalast und erwog den Ankauf einer Eintrittskarte.
Man muss zugeben, dass die israelischen Kinobesitzer auf die israelischen Väter Rücksicht nehmen: Die erste Vorstellung läuft bereits am Vormittag, wenn die israelischen Söhne in der Schule sind. Trotzdem hielt ich es für besser, noch ein wenig zu warten.
Die erste Hürde war die Dame an der Kassa. Da ich befürchtete, dass sie mich vom Fernsehen her erkennen werde, veränderte ich mein Äußeres, indem ich freundlich dreinsah. Es klappte.
Im dunklen Zuschauerraum fand ich ohne Mühe einen guten Platz, ließ mich nieder und beobachtete mit Interesse, wie eine blonde Sexbombe, die mit dem Kopf nach unten an der Wand hing, von einem übellaunigen Neger geohrfeigt wurde. Gerade als ich mich in der Handlung zurechtzufinden begann, erschien auf der Leinwand die Ankündigung. »Demnächst in diesem Theater«, und es wurde hell.
Lauter Lumpen, diese israelischen Kinobesitzer. Aus schnöder Habgier, nur um ein paar jämmerliche Tafeln Schokolade verkaufen zu können, setzen sie ihre Besucher den schlimmsten Gefahren aus und unterbrechen die Vorstellung. Es ist genau diese Art von schlechtem Management, die unseren wirtschaftlichen Niedergang herbeigeführt hat.
Ich rutschte in meinem Sitz nach vorn, so weit ich konnte, und begann mich vorsichtig umzusehen.
Der Saal war zur Hälfte gefüllt, und die Hälfte bestand zur Gänze aus Männern mittleren Alters, nur da und dort . . .
Um Himmels willen. Giora. Der Schulkamerad und beste Freund meines Sohnes Amir.
Vierzehnjährig beide. Dort sitzt er. Statt in der Schule sitzt er in einem Pornofilm, trotz ausdrücklichem Jugendverbot. Wie komme ich von hier weg?
Ich nehme die Brille ab und verstecke mich hinter einer groß entfalteten Zeitung. Vor meinem geistigen Ohr ertönt die Stimme Amirs, der mich zu Hause mit den Worten begrüßt:
»Papi! Was höööre ich?«
Und dazu grinst er.
Wenn nur die Pause schon vorbei wäre! Sobald es dunkel wird, verschwinde ich.
Das ist leichter gedacht als getan. Inzwischen hat nämlich der Film begonnen und ist gar nicht so schlecht. Man könnte ihn beinahe als gut bezeichnen. Die ersten Szenen sind jedenfalls vielversprechend. Sie schildern den Alltag einer durchschnittlichen schwedischen Familie. Die Tochter bringt einem nackten jungen Mann das Frühstück ans Bett, aber er zieht die nackte junge Tochter vor, die Mutter zieht zwischen Tür und Angel den Postboten an sich, der Postbote zieht sich aus. Wohin zieht es eigentlich den Vater?
Väter haben es schwer. Auch Gioras Vater ist nicht zu beneiden, ganz zu schweigen von mir.
Giora - ich werfe einen schrägen Blick nach ihm - hat mich nicht gesehen. Ich bin beinahe völlig sicher, dass er mich nicht gesehen hat. Seine Augen sind unbeirrbar auf die Leinwand geheftet, er will nichts versäumen, er merkt sich's für den eigenen Gebrauch, er legt in seinem Gedächtnis eine Art Zettelkasten an. Es ist eine Schande.
Der nächste Zettel besteht aus einer Lesbierin, die während der Fahrt in einem Aufzug vom Liftboy bekehrt wird. Oben angelangt, schiebt sie die Kollegin, die sie im Negligé erwartet, unmutig zur Seite.
Die Kollegin stolpert, fällt dem Liftboy in die Arme und wird auf der Abwärtsfahrt gleichfalls in das normale Gesellschaftsleben integriert. Hoffentlich hat Giora gut aufgepasst. Hoffentlich hat er seine Blicke nicht umherschweifen lassen.
Die Männer, die um mich herum sitzen, atmen schwer. Es klingt, als litten sie unter Asthma. In Wahrheit leiden sie unter Selbstvorwürfen. Warum, so fragt sich jeder von ihnen, warum bin ich kein Liftboy geworden? Warum erlebe ich nie das kleinste Abenteuer?
Was mich betrifft, so habe ich einmal eines erlebt, ein ganz kleines. An einer Straßenecke trat ein junges Mädchen auf mich zu, schlenkerte mit der Handtasche und fragte:
»Wohin gehst du, Liebling?«
»Zu Dr. Grünfeld«, antwortete ich wahrheitsgemäß und setzte meinen Weg fort.
Das ist schon lange her. Jetzt muss ich sehen, wie ich von hier wegkomme.
Während ich meinen Fluchtplan auszuarbeiten beginne, behalte ich die Leinwand gewissermaßen nebenbei im Auge, beobachte aber zugleich das Publikum, und . . . Und jetzt hat mich Giora gesehen.
Gerade jetzt, während die Tochter des Hauses mit der herrenlos gewordenen Lesbierin in der Badewanne Platz nimmt, dreht sich dieser infame Lümmel um und fixiert mich. Meine Existenz als Gatte und Vater steht auf dem Spiel. Ich warte nur noch die nächste Vergewaltigung ab, dann drücke ich mich behutsam an den Sitzen vorbei bis zum Ende der Reihe. Fast habe ich's geschafft. Ein letzter Asthmapatient trennt mich vom erlösenden Mittelgang.
Es ist Felix Seelig.
Was bleibt mir übrig, als auf meinen Sitz zurückzukehren. Noch ein Glück, dass Felix mich nicht erkannt hat. Er hat mich nicht einmal bemerkt, so beschäftigt war er.
Und ich hatte immer geglaubt, dass ich in einer gutbürgerlichen Gegend wohne. So sieht das also in Wirklichkeit aus. Lüsterne Heuchler, die im Schutz der Dunkelheit ihre schäbige Gier befriedigen.
Vorausgesetzt, dass die Dunkelheit schützt.
Ich wage nicht anderswohin zu schauen als auf die Leinwand, wo das Töchterchen mit seiner Gespielin wieder das Schlafzimmer betritt und den jungen Mann, der noch immer nicht gefrühstückt hat, unmissverständlich auffordert, den etwas schlapp gewordenen Postboten bei der Frau Mama abzulösen, damit sich der Herr Papa die Lesbierin vorknöpfen kann. Irgendwie klappt das nicht, sie geraten alle an- und durcheinander. Die Sache wird immer unübersichtlicher und langweiliger. Ich fühle deutlich, wie meine Männlichkeit nachlässt. Diesmal wird's monatelang dauern.
Ich lasse mich auf den Boden gleiten, tappe umher, als ob ich etwas verloren hätte, krieche auf allen vieren die Sitzreihe entlang, vorbei an Felix, vorbei an Giora, und retiriere mit einem Seufzer der Erleichterung zur Ausgangstüre.
Nie wieder Pornofilm. Nicht für mich. Und das ist endgültig. Ich bleibe noch bis zum Schluss dieses Films - aber dann: nie wieder.
Um meine Erschöpfung zu überwinden, mache ich einen kleinen Umweg, ehe ich nach Hause gehe. An der Tür empfängt mich mein Sohn Amir mit einem niederträchtigen Grinsen, wie es nur Rothaarige produzieren können:
»Papi«, sagte er. »Was höööre ich?«
»Was hörst du?« herrsche ich ihn an. »Was? Dass ich im Kino war? Na und? Ich bin dir zwar keine Rechenschaft schuldig, aber wenn du's wissen willst: Eine Zeitschrift hat bei mir, weil ich ein berühmter Schriftsteller bin, einen Artikel über Pornofilme bestellt. Deshalb war ich im Kino. Beruflich.
Um das Geld für deine Erziehung zu verdienen. Den Artikel kannst du in der nächsten Nummer lesen, du unverschämter Bengel.«
Als uns der Strom gesperrt wurde
Früher als alle andern hatten wir bereits Energieprobleme. Es waren die Pioniertage unseres Staates, als jeder Verbrauch von Treibstoff behördlicherseits eingeschränkt wurde, lange bevor ähnliches in der westlichen Welt geschah, die dazu erst des arabischen Öl-Embargos bedurfte. Ich möchte bei dieser Gelegenheit bemerken, dass nichts dergleichen notwendig wäre, wenn Moses für Ölvorkommen im gelobten Land gesorgt hätte.
Unsere Hausfrauen vertraten immer schon den Standpunkt, dass elektrische Kochherde billiger kämen, dass sie die Pfannen sauberer ließen und dass es für die Kinder nicht so leicht wäre, das Haus mit Zündhölzern in Brand zu stecken. Ich gab meinen Widerstand auf. Ein altes Sprichwort besagt, dass es keinen Sinn hat, als blinder König unter lauter Einäugigen zu leben. Oder so ähnlich.
Wir kochten elektrisch, die Obrigkeit merkte nichts, die Hausfrauen jubilierten, und einige von ihnen kauften sogar größere Herdplatten.
Und dann schlug die Staatsgewalt zu.
Es war, ich erinnere mich genau, an einem Mittwoch, als in unserer Straße ein in Khaki gekleideter Mann erschien und sich den Stromzählern des Hauses Nr. 4 näherte. Der Zähler von Frau Schapira beeindruckte ihn so sehr, dass er den Strom sofort sperrte. Frau Schapira stand ohne Elektrizität da und musste viele Male die Korridore der Amtsräume durchwandern, wo der elektrische Strom verwaltet wird, musste an zahllose Türen klopfen und vor zahllosen Amtstischen ihren Text aufsagen, ehe es ihr gelang, die Regierung mit Hilfe eines ärztlichen Zeugnisses davon zu überzeugen, dass sie in jener schicksalsschweren Stunde nur deshalb elektrisch gekocht hatte, weil sie andernfalls gestorben wäre. Erst dann bekam sie ihren elektrischen Strom wieder zurückgeschaltet.
Als sich herumsprach, dass die Verwendung verbotener Elektrizität eine bittstellerische Tätigkeit von mehreren Tagen nach sich zöge, bemächtigte sich der Hausfrauen große Erregung. Sie beriefen eine vertrauliche Sitzung ein und beschlossen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um einer Wiederholung des Falles Schapira vorzubeugen. Die Kinder aller in Betracht kommenden Häuser wurden angewiesen, beim Herannahen eines in Khaki gekleideten Fremden sofort und in voller Stärke das Fliegeralarm-Signal nachzuahmen. Ihnen machte es Spaß, und die Mütter waren gewarnt.
Die junge Bürgerwehr bezog Stellung und passte scharf auf. Dennoch gelang es der Exekutive, hindurchzuschlüpfen, allerdings nur dank einer Kriegslist: Ein Zittergreis in schwarzem Anzug passierte die gestaffelten Abwehrformationen, richtete sich vor dem Haus Nr. 5 zu voller Größe auf und nahm, wie Augenzeugen berichteten, drei Stufen auf einmal.
Zu spät wurden die Verteidiger gewahr, dass man sie getäuscht hatte. Zu spät brachen sie in ihr lautstarkes Warnsignal aus. Frau Bajit, eine Bewohnerin des Hauses Nr. 5, fiel dem tückischen Vorgehen der Regierung zum Opfer. Sie brauchte vier Tage und drei Nächte, ehe sie nachweisen konnte, dass nicht sie, sondern ihre Schwägerin, die sich im Besitz der belgischen Staatsbürgerschaft und folglich in Unkenntnis der israelischen Elektrizitätsvorschriften befand, vom Strom widerrechtlich Gebrauch gemacht hatte. Auf Grund einer Bescheinigung des belgischen Generalkonsulats nahm man von einer Geldstrafe Abstand und schaltete den Strom wieder ein. Dieser zweite Überfall hatte den Hausfrauen die ganze Schwere der Situation vor Augen geführt. Den Jungbrigaden wurden neue Anweisungen erteilt. Sie sollten fortan beim Auftauchen jeder fremden Gestalt zwischen acht und fünfzig Jahren, ungeachtet ihrer Kleidung, sofort Signal geben. Um den Feind zu verwirren, wurde auch das Signal gewechselt, und zwar vom Fliegeralarm zu unserer Nationalhymne.
Die Regierung überlistete uns abermals.
Gegen Ende der Woche drang eine brillentragende Weibsperson in die Befestigungsanlagen ein, nahm Richtung auf das Haus Nr. 4, warf einen kurzen Blick auf den Stromzähler und stürmte in die Wohnung des Ehepaares Malensky.
Diesmal lag der Fall für die Exekutive nicht ganz so günstig. Frau Malensky hatte zwar elektrisch gekocht, aber sie verwendete dazu ein umgekehrtes Bügeleisen und verwies die Geheimagentin auf den im Amtsblatt erschienenen Regierungserlass, demzufolge das Bügeln bis neunzehn Uhr gestattet war.
Dennoch belegte man unsere Nachbarin mit einer eintägigen Bittstellerei und mit dem ausdrücklichen Verbot, ihre Kochgeräte zu bügeln.
Am folgenden Sonntag errang die Regierung einen durchschlagenden Erfolg.
Gegen zehn Uhr vormittags stimmten die Kinder plötzlich die Nationalhymne an, die Hausfrauen traten prompt in Aktion, zogen sämtliche Stecker aus den Kontakten und verbargen die elektrischen Kochplatten in verschiedenen Winkeln ihrer Wohnungen. Dann stellten sie die Töpfe und Pfannen auf den Gasherd und begannen ihrerseits zu singen.
Der Spion hatte sich die Wohnung von Frau Kalanijot in Nr. 7 ausgesucht, schnupperte ein wenig umher und war alsbald der brennenden Matratze im Schlafzimmer auf die Spur gekommen.
Frau Kalanijot wurde zu einer vollen Woche Bittstellerei verurteilt.
Und dann gerieten wir selbst in den Würgegriff des Schicksals.
Ich hatte immer geahnt, dass auch uns einmal die Stunde schlagen würde. Jetzt war es soweit. Wir saßen gerade beim Mittagessen, die beste Ehefrau von allen und ich, auf der elektrischen Herdplatte brutzelte es lustig - als plötzlich, mitten im besten Schmaus, dicht unter unserem Fenster die feierliche Weise der Nationalhymne erklang.
Wie sich nachher herausstellte, hatte der Elektrizitäts- Spion die Reihen unserer Verteidiger in der Verkleidung eines Postboten durchbrochen und sich direkt in unser Haus eingeschlichen. Dem aufgeweckten Söhnchen der Familie Malensky war es jedoch nicht entgangen, dass der vorgebliche Briefträger keine Tasche mit Briefen trug, sondern lediglich ein Notizbuch und einen Bleistift.
Daraufhin hatte der pfiffige Kleine sofort die Nationalhymne angestimmt und uns gewarnt.
Das ermöglichte es mir, den elektrischen Stecker herauszuziehen, während der Feind den Hausflur durchquerte. Jetzt erklomm er die Stiegen.
In diesem Augenblick überkam mich eine meiner genialen Inspirationen. Ich stürzte zum Gasherd, zündete ihn an, nahm die elektrische Kochplatte, stellte sie auf die Gasflamme und stellte die Pfanne auf die Platte. Erst als das geschehen war, gab ich der besten Ehefrau von allen das Zeichen, die Wohnungstür zu öffnen.
Der Regierungsvertreter kam hereingestürzt, stand im nächsten Augenblick auch schon in der Küche und griff nach der elektrischen Platte. »Aha! Sie ist heiß!« »Was haben Sie erwartet?« sagte ich. »Sie steht ja auch auf einer Flamme, oder nicht?«
Der Mann schien ein wenig verwirrt, was ihn zu lautem Brüllen veranlasste.
»Eine elektrische Platte auf einer Gasflamme? Sind Sie verrückt?«
»Und wenn ich es wäre?« replizierte ich schlagfertig. »Ist das vielleicht verboten?«
Ein paar Sekunden lang glotzte mich der Spion mit aufgerissenem Mund an, dann machte er kehrt und entfloh.
Einige Tage später wurde er auf eigenes Ersuchen in eine andere Abteilung versetzt. Er konnte es nicht verwinden, dass ein gewöhnlicher Bürger im elektrischen Kleinkrieg die Oberhand über die Behörde behalten hatte.
Ein Denkmal für den Spinat
An dieser Stelle des Buches wurde ich plötzlich von Nostalgie für die Nostalgie erfasst. Wie angenehm ist es doch, so redete ich mir ein, mit innigem Sehnen jener fernen Tage zu gedenken, in denen alles so viel besser und schöner war, mit der Ausnahme der zahlreichen Dinge, die so widerlich waren wie Spinat.
Vor ein paar Wochen - ich weiß nicht warum, vielleicht unter dem Eindruck der amerikanischen Präsidentenwahl - musste ich plötzlich an meine Kinderzeit denken. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt - und warum sollte sie das, nach allem, was ich für sie getan habe -, war es eine glückliche, sorgenfreie Zeit; mit Ausnahme eines einzigen Umstandes: Ich war ein ungewöhnlich mageres Kind.
Ich war so dünn, dass mein Großvater scherzhaft zu sagen pflegte, ich müsste zweimal ins Zimmer kommen, um drin zu sein.
Die medizinische Wissenschaft befand sich damals in einem Stadium, in dem schwarzgekleidete Hausärzte Eltern einbläuten, dass nur beleibte Menschen wirklich gesund wären, weil sie die zur Bekämpfung von Krankheiten erforderlichen Mengen von Fett und Cholesterin mit sich herumtrügen.
Folgerichtig bekam ich von meiner Familie ununterbrochen zu hören, ich müsse enorm viel Butterbrote essen, sonst würde mir niemals ein Schnurrbart wachsen und die glorreiche ungarische Armee würde auf meine Dienste verzichten. Ich bedaure, sagen zu müssen, dass beide Drohungen mich kaltließen.
Im Mittelpunkt der damaligen Ernährungswissenschaft stand jedoch nicht das Butterbrot, sondern der Spinat. Eine alte jüdische Tradition (und vielleicht nicht nur eine jüdische) besagte, dass kleine Kinder keinen Spinat essen wollen. In der Praxis äußerte sich das in einer Art stiller Übereinkunft: Für Kinder war Spinat ein Anlass für ewigen Hass, und für Eltern war er ein Testfall ihrer Autorität.
Ich selbst zeigte mich leider völlig ungeeignet für dieses Kräftespiel zwischen den Generationen, und zwar aus einem sehr einfachen Grund: Ich aß Spinat für mein Leben gern. Vielleicht wollten mir die Spielregeln nicht einleuchten. Vielleicht war der Spinat selbst daran schuld, weil er so gut schmeckte. Wie dem auch sei - meine Eltern waren verzweifelt: Jedes normale Kind hasste Spinat.
Und ihr eigen Fleisch und Blut liebte ihn. Es war eine Schande.
Immer wenn bei uns daheim Spinat auf den Tisch kam und wenn ich meine gute Mutter um eine zweite Portion der grünen Delikatesse bat, wurde ich scharf zurechtgewiesen:
»Da, nimm! Aber du musst es bis zum letzten Löffel aufessen! Oder du bekommst von Mami auf deinen Du-weißt-schon-wohin du-weißt-schon-was!« »Natürlich esse ich ihn bis zum letzten Löffel auf«, antwortete ich. »Er schmeckt mir ja.«
»Nur schlimme Kinder essen keinen Spinat«, redete meine Mutter unbeirrt weiter. »Spinat ist sehr gut für dich. Und sehr gesund! Lass dir ja nicht einfallen, zum Spinat >pfui< zu sagen.«
»Aber Mami, ich ess' ihn doch so gern!«
»Du wirst ihn aufessen, ob du ihn gern isst oder nicht! Brave Kinder müssen Spinat essen! Keine Widerrede!«
»Warum müssen sie?«
»Weil sie sonst in die Ecke gestellt werden, bis Papi nach Hause kommt. Und was dann passiert, kannst du dir denken. Also, iss deinen Spinat schön a u f . . . Na, wird's bald?«
»Ich mag nicht!«
Es war die natürliche Reaktion des kindlichen Gemüts auf einen unverständlichen Zwang. Damit hatte ich meine Mutter genau dort, wo sie mich haben wollte. Und als mein Vater nach Hause kam, fand er sie in Tränen aufgelöst:
»Siehst du?« schluchzte sie. »Hab' ich dir nicht immer gesagt, du verwöhnst ihn zu sehr?«
Mein Vater versetzte mir daraufhin ein paar Ohrfeigen, und wir hatten endlich ein normales Familienleben: Ich hasste Spinat wie alle anderen Kinder, und meine Eltern waren beruhigt.
Da der Spinat für mich von nun an »pfui« blieb, wurde nach einiger Zeit ein Familienrat einberufen, um erzieherische Maßnahmen zur Änderung dieses Zustandes zu beraten. Man diskutierte die einschüchternde Wirkung der »bösen Hexe«, des »schwarzen Mannes« und entschied sich schließlich für den »Lumpensammler« - einfach, weil es den wirklich gab: »Du hast deinen Spinat schon wieder nicht aufgegessen? Warte nur, der Lumpensammler wird dich holen!«
»Wohin?«
»In seine finstere Hütte! Und dort sperrt er dich in seinen finsteren Kleiderschrank! Warte nur!«
Ich wartete nicht, sondern zog es unter den gegebenen Umständen vor, meinen Spinat zu essen.
Einige Tage später - die tägliche Spinatschlacht war bei uns gerade im Gange - ertönte von der Straße her der schneidende Ruf: »Lumpen! Alte Kleider!«
Mir fiel der Löffel aus der Hand, und wie der Blitz war ich unter dem Tisch, mitsamt meinem Spinatteller, den ich bebend vor Angst bis zur letzten grünen Faser leerte.
Meine Eltern gaben dem Lumpensammler einen Berg von alten Kleidern und baten ihn, als Entgelt dafür täglich um die Mittagszeit durch unsere Straßen zu kommen und sehr laut zu rufen.
In diesem Sommer nahm ich zwei Kilo zu. Meine Eltern strahlten.
Eines Tages, als der Lumpensammler schon vor dem Mittagessen vorbeikam, nutzte ich die einmalige Gelegenheit und ließ aus einem Fenster im zweiten Stock ein Bügeleisen auf seinen Kopf fallen. Der alte Mann brach zusammen. Das allgemeine Mitleid der übrigen Hausbewohner wandte sich aber nicht etwa ihm zu, sondern meinen armen Eltern, die sich den Wutausbruch ihres missratenen Sohnes umso weniger erklären konnten, als er doch sonst immer so brav seinen Spinat aufaß.
Den Lumpensammler gibt es nicht mehr. Sein Schreckensruf ist längst verstummt. Der Held meiner Kinder ist ein Fernsehstar, der immer Spinat isst, wenn er auf dem Bildschirm erscheint. Bei seinem Anblick quietschen meine Kinder vor Vergnügen. Die Zeiten haben sich geändert. Kinder aufzuziehen ist kein Spaß mehr.