Sulzbaum ist erledigt
Wir sitzen in meiner Wohnung, Jossele und ich, summen die befreite Nationalhymne von Ruanda-Urundi vor uns hin, ohne Text, und langweilen uns. Plötzlich geht das Telefon, und irgendein Kerl will mit der Viehmarktzentrale Nord sprechen. Ich sage, »Falsch verbunden«, und lege auf. Ein paar Sekunden später geht das Telefon, und es ist schon wieder der Kerl, der mit der Viehmarktzentrale Nord sprechen will. Ich lasse ihn abermals, und diesmal schon etwas schärfer, wissen, dass ich keine Viehmarktzentrale bin, und wenn er noch einmal -
»Warte«, flüsterte Jossele und nimmt mir den Hörer ab. »Hier Viehmarktzentrale Nord«, sagt er in die Muschel.
»Endlich!« Der Anrufer atmet hörbar auf. »Bitte, Herrn Sulzbaum.«
»Sulzbaum arbeitet nicht mehr bei uns.«
»Wieso? Was ist passiert?«
»Man hat seine Machenschaften aufgedeckt.«
»Was Sie nicht sagen!«
»Er war fällig. Oder haben Sie geglaubt, es würde ewig so weitergehen?«
»Natürlich nicht!« Die Stimme des andern klang freudig bewegt. »Ich habe es schon längst kommen gesehen.«
»Eben. Er hat das Ding überdreht. Und das muss er jetzt büßen, mitsamt seinen Komplizen.«
»Was? Auch Slutzky?«
»Ein Jahr Gefängnis.«
»Recht geschieht ihm. Wer übernimmt seinen Posten?«
»Heskel.«
»Kenn' ich nicht.«
»Der kleine Dicke mit der Knollennase.«
»Der? Sie glauben, der ist besser als Slutzky? Alles dieselbe Bande.«
»Als ob ich's nicht wüsste«, seufzte Jossele. »Über diesen Punkt mache ich mir keine Illusionen.
Sonst noch etwas?«
»Nein, danke. Sagen Sie Heskel nichts von meinem Anruf.«
»Ich werde mich hüten.«
Und damit legte Jossele befriedigt den Hörer hin. »Bist du nicht ein wenig zu weit gegangen?«
fragte ich zaghaft.
Jossele verabfolgte mir einen tadelnden Blick:
»Du denkst immer nur an dich selbst und nie an meine Nerven. Wenn du noch einmal >falsch verbunden gesagt hättest, wäre der Kerl wütend geworden und hätte uns immer wieder belästigt. Jetzt ist er glücklich, weil er als einziger weiß, dass es Sulzbaum und seine Freunde endlich erwischt hat -
und wir haben unsere Ruhe. Aber auch Sulzbaum hat seine Ruhe. Er und seine Freunde können ungestört weitermachen. Kurz und gut: es ist allen geholfen.«
Jossele hatte recht, wie immer. Was täte die Viehmarktzentrale Nord ohne ihn!
Die Sache läuft
Ausnahmsweise saß ich allein in Gustis Cafe. Nach einiger Zeit erschien Jossele, sichtlich in Eile:
»Möchtest du dich an einer geschäftlichen Transaktion beteiligen?« fragte er, ohne sich hinzusetzen.
Ich bejahte instinktiv und wollte Näheres über die Art der Transaktion erfahren.
»Darüber sprechen wir noch«, antwortete Jossele. »Ruf mich in einer Viertelstunde an, und wir setzen uns in einem anderen Lokal zusammen.«
Nach einer Viertelstunde rief ich an, und weitere zehn Minuten später traf ich ihn in einem anderen Lokal. Er gab mir zu verstehen, dass die richtigen Leute mit der Durchführung dieser Transaktion betraut wären und dass der Geldgeber keinen Zweifel am Erfolg hätte. Man müsse nur noch ein paar Kleinigkeiten klären, und da habe man eben an mich gedacht. Wir sollten, meinte Jossele, möglichst bald wieder zusammenkommen, um das alles genau zu besprechen; er warte auf meinen Anruf.
Ich war nicht nur interessiert, ich war aufgeregt. So eine Gelegenheit kommt ja nicht alle Tage.
Lustige Geschichten zu schreiben, ist schön und gut, aber wenn einmal die richtigen Leute eine richtige Sache aufziehen, hat man endlich die Chance, großes Geld zu machen, und da muss man einsteigen. Nach meinem nächsten Anruf bei Jossele wurde ein Treffen aller Partner in Bennys Bar vereinbart.
In Bennys Bar machte mich Jossele mit dem Rechtsanwalt Dr. Tschapsky und einem Geschäftsmann namens Kinneret bekannt. Das Gespräch steuerte ohne Umschweife auf den Kern der Angelegenheit zu:
»Wir dürfen nicht zu lange zögern«, stellte Dr. Tschapsky fest. »Sonst versäumen wir den Anschluss. Die Voraussetzungen für eine solche Transaktion sind gerade jetzt sehr günstig. Leider weiß man nie, wie sich die Marktlage entwickeln wird.«
»Sie haben recht«, bestätigte ich. »Wovon sprechen wir?«
Bereitwillig gab mir Herr Kinneret die gewünschte Auskunft:
»Wir sprechen von einer geschäftlichen Angelegenheit größeren Umfangs, die sorgfältig geplant werden muss, weil sie, wie jedes Geschäft, mit einem gewissen Risiko verbunden ist. Deshalb würde ich vorschlagen, dass wir zunächst einmal die personellen Aspekte überprüfen Dann können wir sofort anfangen.«
»Womit?« fragte ich.
»Mit der geplanten Transaktion. Wer von den Herren ist bereit, die entsprechenden Fühler auszustrecken?«
Jossele erklärte meine Bereitschaft. Die anderen waren einverstanden. Es wurde beschlossen, dass ich mich gründlich umsehen und Jossele über das Ergebnis meiner Aktivitäten unterrichten sollte. Einer neuerlichen Besprechung stände dann nichts mehr im Wege.
Ich nahm sofort meine Tätigkeit auf, ging hierhin und dorthin, sprach mit verschiedenen Leuten und fragte sie, was sie von der Sache hielten. Sie meinten, dass zur Zeit auch noch einige andere aussichtsreiche Projekte in Schwebe wären. Man müsste sich einmal zu einer unverbindlichen Aussprache zusammensetzen, meinten sie.
Ich telefonierte mit Jossele, und wir vereinbarten die Abhaltung einer internen Konferenz in der Halle eines der großen Hotels.
Unsere Partner wollten als erstes hören, welche Eindrücke ich auf meiner Informationstour gewonnen hätte.
»Es sieht im ganzen nicht schlecht aus«, berichtete ich. »Um die Sache in konkrete Bahnen zu lenken, müssen wir uns allerdings darüber klarwerden, was wir wollen. Was wollen wir?«
»Wir wollen«, sagte Jossele, »vor allem die nötigen Bewilligungen einholen. Das ist wichtig.«
Dr. Taschapsky unterstützte ihn:
»Stimmt. Und wie die Dinge liegen, kann ich nur sagen: je früher, desto besser.«
Herr Kinneret fragte mich nach meiner Meinung über die unmittelbaren Aussichten unseres Vorhabens. Ich sagte, dass wir alle in Betracht kommenden Möglichkeiten bedenken sollten, um uns abzusichern.
Dr. Tschapsky nickte:
»Das halte ich tatsächlich für das Beste. Nur nichts überstürzen!«
»Ganz meine Meinung«, ließ Jossele sich vernehmen.
»Schön«, sagte Herr Kinneret. »Dann können wir unsere heutige Sitzung als abgeschlossen betrachten.« »Und um was handelt es sich?« fragte ich.
Aber da war der Aufbruch schon so weit fortgeschritten, dass ich keine Antwort mehr bekam. In aller Eile wurde Lindas Strandcafé als Ort der nächsten Sitzung gewählt, und falls bis dahin etwas Unerwartetes geschähe, würden wir einander telefonisch verständigen. Jedenfalls aber sollte ich Jossele anrufen. Ich rief ihn nicht mehr an. Meine Nerven versagten mir den Dienst.
Gestern Abend sah ich Jossele in Gustis Cafe an einem anderen Tisch sitzen. Er unterhielt sich angeregt mit einigen mir Unbekannten, kam aber sofort zu mir: »Wo steckst du denn, zum Teufel? Du kannst doch nicht mitten in einer Transaktion ganz einfach ausspringen? Warum bist du nicht zu der Besprechung ins Strandcafé gekommen?«
»Was soll's Jossele«, entgegnete ich mit fast schon beleidigender Müdigkeit. »Wozu wäre das gut gewesen.« »Wozu? Das kann ich dir sagen. Damals am Abend wurden für jeden von uns die ersten 4000 Pfund als Reingewinn ausgezahlt.«
»Der Reingewinn wovon?«
»Von dieser Transaktion, die wir in Angriff genommen haben.«
»Um was geht es bei dieser Transaktion?«
»So weit sind wir noch nicht«, fauchte Jossele. »Das wird sich rechtzeitig herausstellen.
Hauptsache, dass die Sache läuft.«
Ich erhob mich wortlos, ging zur Telefonzelle und rief das Hadassa-Hospital an. Unsere Wirtschaft sei krank, meldete ich. Das wüssten sie, erwiderte das Hospital. Aber sie hätten im Augenblick keine Ambulanz frei.
Und nun, auf halber Strecke, ist es Zeit, unserem Freund Jossele Schalom oder besser auf Wiedersehen zu sagen, bevor es ihm gelingt, unsere Vorstellungen von Recht und Ordnung völlig ins Wanken zu bringen. Kehren wir also an den Busen unserer gesunden Gesellschaft zurück und h o f f e n wir, von nun an nur noch grundehrlichen Bürgern zu begegnen, die unseren hohen moralischen Ansprüchen genügen oder wenigstens gute Rechtsanwälte haben - wenn auch bedauerlicherweise nicht die Begabung, durch die sich Jossele auszeichnet.