Kapitel 42
MATTHEW PATRICK!«
Er sprang erschrocken auf und verschüttete dabei Kälberaufzuchtmilch, die in seinen Gummistiefel lief. »Menschenskind, Jo!«, fauchte er.
»Was zum Teufel tust du da?«
»Wonach sieht es denn aus?«
»Danach, dass du es darauf anlegst, dass deine Nähte wieder aufplatzen.«
»Reg dich ab, Frau. So dumm bin ich nun auch wieder nicht.«
Ich stieg vom Quad und hob den Zwanzig-Liter-Eimer auf, der neben ihm stand. »Welchen Teil von ›Warte eine Minute hier, während ich die Kühe wegschließe‹ hast du nicht verstanden?«
»Ich war vorsichtig«, behauptete er.
Ich funkelte ihn finster an. »Vor einer Woche wärst du fast verblutet. Du hättest dir eine Leberruptur oder so was in der Art zuziehen können, du Idiot.«
»Nur weil du mit einem Arzt liiert warst, hältst du dich wohl für eine medizinische Expertin.« Matt stieg aus seinem linken Gummistiefel, kippte die Milch aus und zog ihn mit einer angewiderten Grimasse wieder an.
»Ich glaube, die meisten Leute würden mir zustimmen, dass es keine gute Idee ist, eine Woche nach einer größeren Operation im Bauchraum schwere Eimer zu heben«, gab ich zurück.
Da ihm klarwurde, dass er sich auf gefährlichem Terrain bewegte, änderte er seine Angriffsstrategie. »Du klingst wie deine Mutter.« In genau demselben Ton hatte er mir vor zwanzig Jahren immer herablassend mitgeteilt, ich würde Mädchenbazillen verströmen.
»Nimm das zurück«, befahl ich gekränkt, goss die Milch, die nicht in seinem Gummistiefel gelandet war, in den Futtereimer am Tor. Dann kletterte ich in den Pferch, um das schwachsinnige Kalb mit der weißen Blesse, das immer mit dem Kopf gegen den Eimer stieß, davon abzuhalten, das meiste der Milch wieder zu verschütten. Kevin, der Aushilfsmelker, war heute auf der Hochzeit seiner Nichte, was hieß, dass ich unter Matts Aufsicht die Farmarbeit übernehmen musste. Was vergnüglicher wäre, wenn er davon Abstand nehmen würde, über Zäune zu klettern, Futtersäcke zu heben und sich auch sonst nicht an die Anweisungen des Arztes zu halten. Und wenn er davon Abstand nehmen würde, mir (freundlich, weil er mich ziemlich mag, aber es schmerzt trotzdem) die vielen Gebiete aufzuzählen, auf denen meine Milchfarmerfähigkeiten nicht seinen hohen Ansprüchen genügten.
Matt seufzte und scharrte mit der Spitze seines Gummistiefels mürrisch im Kies herum. »Das macht mich alles langsam wahnsinnig.«
Ich klemmte mir das Kalb mit der Blesse zwischen die Knie und verkniff mir mühsam, ihn darüber zu informieren, dass er da nicht der Einzige war. Ich bin irgendwann einmal auf einen Spruch gestoßen – vermutlich in einem dieser kleinen Bücher voller Lebensweisheiten, die man in Wartezimmern findet. Er besagte, der Schlüssel zu einer intakten Beziehung liege darin, ein halbes Dutzend Dinge pro Tag nicht laut auszusprechen. Wie wahr.
»Hast du dir schon überlegt, wo Kevin nächste Woche die Kühe hinbringen soll?«, fragte ich, dabei schob ich dem Kalb den Sauger ins Maul. Im nächsten Moment spuckte es ihn wieder aus, als wäre er vergiftet, und ich wünschte mir beinah, dem wäre tatsächlich so.
»Ja.«
»Und alle Informationen über die neuen Kälber in den Computer eingegeben?«
»Ja.« Er beugte sich über den Zaun und kraulte das ihm am nächsten stehende Kalb zwischen den Ohren.
»Nur noch eine Woche«, machte ich ihm Mut. Mein Kalb trank zwei Schlucke, ließ den Sauger los und schubste seinen Nachbarn gleich auch noch von seiner Tränke weg. »Du ekelhaftes Vieh. Matt, wenn alles schiefgeht, kannst du immer noch die Hausarbeit übernehmen.«
Matt grinste. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht«, sagte er. »Oh, schon gut. Ich gehe und kümmere mich ums Abendessen.«
Ich erwiderte sein Lächeln. »Dinner.«
»Dinner.« Er trat zu mir und küsste mich. »Wasch die Sauger mit heißem Wasser aus, ja?«
Leicht gebückt und eine Hand auf die schmerzenden Rippen gepresst, ging er langsam zu seinem Transporter zurück. Während ich ihm nachblickte, kam mir eine Erkenntnis: Obwohl er sich das Leben, das er führte, nicht selbst ausgesucht hatte, sondern von seiner Familie hineingedrängt worden war, war er jetzt genau dort, wo er hingehörte. Leider wurde ich abrupt aus meinen tiefsinnigen Grübeleien gerissen, weil sich das kleine Kalb mit der Blesse just diesen Moment aussuchte, um mich von hinten so heftig anzustoßen, dass ich beinahe im Milcheimer gelandet wäre.
»Bitte sag, dass das nur ein Scherz ist.« Matt sah vom Dairy Exporter auf, als ich an diesem Abend ins Rosa Zimmer kam.
»Ganz und gar nicht. Elegant und funktionell – warum bestellst du dir nicht auch einen, dann gehen wir im Partnerlook.« Ich zog mir die mit Ohren besetzte Kapuze des Onesies vom Kopf und kletterte neben ihm ins Bett.
»Tolle Idee«, brummte er säuerlich. »Wie wäre es, wenn wir uns noch die gleichen Goretexjacken und Rucksäcke besorgen und dann mit diesen tuntigen, skistockähnlichen Dingern die Hügel hochmarschieren?«
»Mum und Dad haben Goretexjacken im Partnerlook«, bemerkte ich. »In Kathmandu im Sonderangebot ergattert.«
»Ich bin beeindruckt«, sagte Matt trocken.
Ich wand mich aus dem Onesie, den ich nur angezogen hatte, um seine entsetzte Reaktion zu provozieren, und zog mir die Decke bis zum Kinn hoch. Matt warf seine Zeitschrift auf den Boden und schaltete mit einem leisen Grunzen die Nachttischlampe aus, so dass der Raum in eine samtige Dunkelheit getaucht wurde.
»Hey, Jose?«, fragte er.
»Mhm?«
»Fändest du es immer noch so unerträglich, wenn du Jo King heißen würdest?«
Eine Zeit lang lag ich nur still auf dem Rücken und bemühte mich, tief durchzuatmen. »Ich schätze«, stieß ich schließlich hervor, »dass ich lernen könnte, damit zu leben.«
Matt seufzte zufrieden. »Ausgezeichnet«, sagte er, gefolgt von: »Aua!«, als ich mich über ihn rollte und ihn fest umarmte.