Kapitel 10
ICH HABE Wer verbrennt sich hier die Finger? ausgeliehen«, verkündete Sara, an den Türrahmen des Badezimmers gelehnt.
»Erzähl mir, wie er dir gefallen hat«, sagte ich, während ich meine Wimpern sorgfältig ein zweites Mal tuschte. Graeme und ich hatten den Film letztes Jahr gesehen und waren zu dem Schluss gekommen, dass der Titel Wer verbrennt mich vor dem Anschauen? hätte lauten sollen. Ich glaube, der einzige Film, der mich noch mehr gelangweilt hat, war Der Duft der Frauen, der sich drei endlose Stunden hingezogen und mich fast dazu getrieben hatte, wieder mit dem Nägelkauen anzufangen.
»Willst du ihn nicht sehen?«, fragte sie.
»Ich gehe aus.«
»Oh.« Sie klang enttäuscht. »Andy auch.«
Ich tuschte mir die Wimpern zu Ende und betrachtete das Ergebnis im Spiegel. Ich habe immer ein bisschen Angst davor, Make-up aufzulegen – lächerlich für eine erwachsene Frau, das gebe ich zu –, weil ich fürchte, hinterher allzu aufgedonnert auszusehen. Deswegen benutze ich das Zeug auch so sparsam, dass ich es gleich bleiben lassen könnte. Aber nun dachte ich an Chrissie mit ihren riesigen kajalumrandeten Augen und samtigen, dunklen Wimpern, straffte entschlossen die Schultern und wandte mich vom Spiegel ab, ohne mir den Eyeliner wieder abzuwischen. »Scott Wilson gibt eine Grillparty. Du kannst doch mitkommen, wenn du möchtest – er hat bestimmt nichts dagegen.« Im nächsten Moment hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen.
Aber Sara schüttelte den Kopf. »Ich habe die DVD nur für heute Abend, und ich will mir den Film schon seit einer Ewigkeit anschauen«, erwiderte sie.
Gott sei Dank! Sara tarnt ihre enorme Schüchternheit durch lautes, schroffes Verhalten in der Öffentlichkeit. Sie schwadroniert dabei so laut und ungeniert über Leute, die sie gar nicht kennt, dass kein anderer zu Wort kommt. Sie tat mir leid, obwohl sie tief gekränkt wäre, wenn sie das wüsste. Zu spüren, dass man unbeliebt ist, aber nicht zu wissen, warum, ist sicher alles andere als angenehm.
»Na dann«, sagte ich. »Ich muss los.« Zu spät dran war ich zwar keineswegs, aber wenn ich noch zehn Minuten in der Wohnung herumtrödelte, lief ich Gefahr, dass Sara ihre Meinung änderte und doch noch mitkam.
Mit vier Flaschen edlem Cidre, einer Packung Grillwürstchen und einer Tüte Knabberzeug beladen schlenderte ich hügelabwärts durch die Stadt, vorbei an Mrs McClintock, die aus irgendeinem unerfindlichen Grund noch um halb sieben an einem verhangenen Maiabend draußen Wäsche aufhängte, dann weiter hinter den Fußballplätzen durch und quer über die Bahngleise. Der Nebel, der die Einwohner von Waimanu im Winter so oft plagt, zog bereits auf, und die Stadt wirkte verfallen und trostlos. Andererseits bieten die Bahngleise in Prag oder Nizza an einem nebligen Herbstabend vermutlich auch keinen erhebenden Anblick.
Scott wohnte in einem winzigen Schuhkarton von einem Haus in einer von Waimanus schlechteren Wohngegenden. Seine Parzelle war mit einer drei Meter hohen Wellblechwand eingezäunt, und auf seiner Rasenfläche standen ungefähr fünf alte Autowracks. Ich war mir ziemlich sicher, dass er hauptsächlich so lebte, um seine Eltern zu ärgern, ein affektiertes Paar, das aufeinander abgestimmte beigefarbene Schuhe trug und über einigen Einfluss im hiesigen Bridgeclub verfügte.
Sein Miniwohnzimmer wimmelte von kleinen Kindern – Clares ältester Sohn Michael hatte sich in eine Harley-Davidson-Fahne gewickelt und rannte wie ein winziger, vermummter Kreuzritter umher, während Lucy hoffnungsvoll an einer leeren Bierflasche nuckelte. Beim Anblick des Gastgebers konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen – es war ein köstlicher Anblick, Scotty mit seinem ungekämmten Spitzbart und in Lederweste ein Baby auf dem Schoß schaukeln und zugleich eine Flasche Bourbon und Cola öffnen zu sehen.
Demnach waren sowohl Brett und Clare als auch Cheryl und ihr Mann da. Ansonsten kannte ich niemanden mit Namen, obwohl mir ein paar Leute vage bekannt vorkamen.
»Tante Jo!«, brüllte Charlie und warf sich überschwänglich gegen meine Knie, was mich zutiefst rührte, bis ich merkte, dass er nicht an mir interessiert war, sondern nur an dem Junk-Food, das ich mitgebracht hatte.
Nach ungefähr einer halben Stunde gab Scott Cheryl das Baby zurück und ging in die Garage, um den Grill anzuwerfen. Sämtliche Männer begleiteten ihn, um sein Tun zu überwachen (obwohl selbst ein ganzes Team von Grillexperten nicht verhindern konnte, dass die Würstchen außen verbrannt und innen roh auf die Teller kamen), während die Frauen im Haus blieben, um zu plaudern, Nasen abzuwischen und Streitigkeiten zwischen völlig überdrehten Vorschulkindern zu schlichten.
»Kommt dir das nicht auch irgendwie komisch vor?«, sagte ich zu Cheryl und stellte meine Cidreflasche beiseite, um auch einmal ihr Baby knuddeln zu können. »Sieh uns an – man könnte fast denken, wir wären erwachsen.«
»Ich weiß«, nickte sie. »Vermutlich haben unsere Eltern ähnlich empfunden – so als würden sie nur vorgeben, Erwachsene zu sein, dabei wären sie eigentlich erst sechzehn.«
»Du hast ein ausgesprochen niedliches Kind in die Welt gesetzt.« Ich ließ zu, dass der kleine Maxwell an meinem Zeigefinger knabberte. »Gut gemacht.«
»Ja«, stimmte sie todernst zu. »Ich mag ihn ganz gerne. Du solltest auch mal darüber nachdenken.«
»Allmählich gelange ich auch zu dieser Einsicht. Ich muss mich nur noch zwischen Bob McIntosh und Dallas Taipa als potentiellen Vätern entscheiden.« Dallas hatte starkes Übergewicht und trug Hosen, die irgendwo zwischen Gesäßmitte und Intimzone saßen, und er litt unter einer heftigen Sehnenscheidenentzündung im rechten Fuß.
Cheryl prustete in ihr Orangensaftglas. »Was für eine deprimierende Vorstellung«, sagte sie. »Da lässt sich doch sicher noch was Besseres finden.« Sie strich ihrem Sohn eine spinnwebfeine Haarsträhne aus der Stirn. »Hast du vor, hierzubleiben, Jo? Nach meinem Mutterschaftsurlaub will ich nur noch halbtags arbeiten, und Sue vom Krankenhaus hat mir gesagt, sie hätte dich dort gern in ihrer Belegschaft.«
»Keine Ahnung«, erwiderte ich fröhlich. »Ich habe beschlossen, mir die nächsten sechs Monate darüber nicht den Kopf zu zerbrechen.« Mein Leben lang hatte ich jede Entscheidung sorgfältig abgewogen. Lamm oder Kalb als Festtagsessen? Eine Praxis für Kassen- oder nur für Privatpatienten? Zu Weihnachten nach Hause fahren oder meine Kreditkartenrechnung bezahlen? Ein Haus mieten oder eine Hypothek aufnehmen? Ich listete jeweils alle Pros und Kontras auf und verbrachte Wochen mit peinlich genauen Nachforschungen – einmal brauchte ich eine Woche, um mich zwischen einer dunkelblauen und einer beigefarbenen dreiviertellangen Hose zu entscheiden, die ich bei der Arbeit tragen wollte. Trotz meines akribischen Planens arbeitete ich nun vertretungsweise in der Physiotherapiepraxis einer Kollegin, wo ich ständig eine Sprechstundenhilfe mit dem Hirn eines Goldfischs und einer Tropfnase so ergiebig wie die Niagarafälle um mich hatte, lebte in einer Wohnung, wo jemand an die Badezimmertür hämmerte, sobald ich länger als zweieinhalb Minuten duschte, und zur Krönung des Ganzen verschlang den Löwenanteil meines Einkommens eine Hypothek für ein Haus, in dem ich nie leben würde. Ein bisschen Spontaneität konnte da zur Abwechslung nicht schaden.
Matt kam ziemlich spät, in Begleitung seiner hübschen blonden Freundin und mit seinem Arm in einer Schlinge. Wir waren alle in die Garage umgezogen, aßen verbrannte Würstchen und eigenartigen Bohnensalat, und Scott rief als Erstes: »Menschenskind, King, was hast du jetzt schon wieder angestellt?«
»Eine Kuh hat mich umgestoßen«, erwiderte Matt ruhig und nahm mit leisem Lächeln ein Bier entgegen. »Hätte jedem passieren können.«
»Es passiert aber meist nur dir. Ist der Arm gebrochen?«
»Nein, nur die Schulter war ausgerenkt.« Er gesellte sich zu mir. »Also sieht es so aus, als müsstest du Rose am Dienstag zur Chemo bringen, wenn das geht.«
»Kein Problem«, sagte ich. »Hi, Cilla.«
»Hallo.«
»An deiner Stelle würde ich mir ein Würstchen holen«, riet ich ihr. »Nimm aber keins von diesen komischen violetten – sie schmecken wie warmes, totes Schwein.«
»Klingt köstlich«, erwiderte sie. »Was hättest du gern, Schatz?«
»Ich trinke zuerst mein Bier aus«, sagte Matt. »Ich kann ja nur eine Hand gebrauchen.«
»Wenn du willst, füttere ich dich«, bot sich Cilla an.
»Danke für das Angebot, aber darunter würde mein männlicher Ruf leiden, und das kann ich mir nicht leisten.«
»Hast du denn diesbezüglich einen Ruf zu verlieren?«, erkundigte ich mich zuckersüß, als Cilla sich einen Weg zum Tisch mit den Würstchen bahnte.
»Ich bilde es mir jedenfalls gerne ein. Weißt du, dass Babysabber an deiner Schulter klebt?«
»Hey, Matt, interessierst du dich immer noch für diesen V6-Motor?«, fragte ein großer, behaarter Mann, den ich nicht kannte. Die beiden begannen ein angeregtes Gespräch über kaputte Differentialgetriebe und automatische Chokes, und ich ließ sie allein, um mich mit Scotty zu unterhalten.
Gegen zehn saß ich mit Clare auf der untersten Stufe von Scotts Veranda. Sie hielt Lucy auf dem Schoß, die mit dem Daumen im Mund tief und fest schlief, und Charlie lehnte sich schläfrig gegen mich und spielte mit meinem Handy. Ich musste zugeben, dass der Kleine ein cleveres Kerlchen war, und da seine Eltern patente Leute waren, würde er sich vielleicht doch noch zu seinem Vorteil entwickeln.
»Matt!«, rief ich, als der an mir vorbeiging. Cilla klebte wie eine Klette hingebungsvoll an seiner Seite. Ich glaube, den ganzen Abend über hatte sie sich nicht weiter als einen halben Meter von ihm entfernt.
»Was gibt’s?«
»Könntest du mir ein Bier besorgen? Ich komme hier gerade schlecht weg.«
»Okay.« Er gab mir seine noch fast volle Flasche.
»Du bist ein echter Kumpel«, lobte ich.
»Ich weiß.« Er ließ sich auf der Verandakante nieder, und Cilla setzte sich so dicht neben ihn, dass sich ihre Schenkel berührten. Kim irrte sich; Matt war für sie mehr als nur ein hochgewachsenes, gutaussehendes Accessoire. Cilla war von ihm hingerissen.
»Deine Eltern haben Reynolds Farm gekauft, nicht wahr?«, fragte ich sie.
»Richtig«, bestätigte sie stolz. »Die Mountain View Angus Farm. Und Dad besitzt fünfzehnhundert Perendale-Mutterschafe.«
»Psychotische Biester«, bemerkte Matt.
»Sag so was nicht, Matt«, rügte seine Freundin, dabei legte sie ihm eine schlanke Hand aufs Bein.
»Er äußert sich immer sehr abfällig über Schafe«, erklärte ich. »Das tun Milchfarmer meistens.«
»Ich hab einen großen Teil meiner Jugend damit verbracht, die verdammten Viecher einzufangen, damit dein Vater sie scheren kann«, knurrte Matt. »Du glaubst nicht, wie das an meinen Nerven gezerrt hat.«
»Sind deine Eltern jetzt in den Ruhestand gegangen?«, fragte Cilla mich.
»Nein. Sie züchten in Nelson Milchziegen.«
»Hübsches Fleckchen Erde, Nelson«, warf Clare ein.
»Mhm«, stimmte ich halbherzig zu.
Matt streckte die Hand nach seinem Bier aus. »Aber lange nicht so schön wie hier?«, sagte er herausfordernd, trank einen Schluck und gab mir die Flasche zurück.
»Nirgendwo ist es so schön wie hier«, erwiderte ich bestimmt.
Er grinste. »Genau hier?«
Ich ließ den Blick gedankenverloren über den rostigen Wellblechzaun rings um Scottys Grundstück, die Rostlauben auf dem Rasen und das Distelbeet neben den Stufen schweifen. »Durchaus auch hier.«
»Schatz, können wir gehen?« Cilla schob eine Hand in die von Matt und strich mit dem Daumen über seinen Handrücken. »Ich muss Dad morgen früh helfen, die Lämmer auf die Welt zu holen.«
»Okay«, sagte er. »Willst du mitfahren, Jo? Du solltest im Dunkeln nicht unbedingt allein in der Stadt herumlaufen.«
Kurz darauf kletterte ich vom Rücksitz von Cillas riesigem silbernem Ungetüm und stieg langsam die Eingangstreppe hoch. Ich war müde und einsam und hatte genug getrunken, um in Weltschmerz zu versinken. Drinnen hörte ich den Fernseher, aber ich ging nicht hinein. Stattdessen ließ ich mich auf die oberste Stufe sinken und legte die Stirn auf meine jeansbekleideten Knie.
Ich musste verrückt gewesen sein, hierher zurückzukommen. Jetzt, wo Mum und Dad nicht mehr hier lebten und die Farm verkauft hatten, war Waimanu nicht mehr mein Zuhause. Es erschien mir wie eine Ironie des Schicksals, dass Matt derjenige war, der nach Hause hatte kommen müssen, um die Familienfarm zu übernehmen, während ich das mit Freuden freiwillig getan hätte. Dennoch hatte ich mich mit einem australischen Chirurgen zusammengetan, der in einer Stadt leben musste, die groß genug war, um über ein anständiges Krankenhaus zu verfügen. Und man kann ja von seinem Vater schlecht erwarten, dass er nur für den Fall, dass sein Sprössling aus einer plötzlichen Eingebung heraus beschließt, auf einer Farm leben zu wollen, sich ewig lange mit Schafen abplagt, besonders dann nicht, wenn er Knieprobleme und ein chronisch überzogenes Bankkonto hat.
»Hey!«, rief jemand von der Straße herauf. »Hast du deinen Schlüssel vergessen und kommst nicht rein?« Ich blickte auf und sah, dass sich Cilla aus dem Fenster ihres Autos lehnte. Sie musste bis zum Ende der Straße gefahren sein und dort gewendet haben. Was wieder einmal bewies, dass man nur wie ein Idiot dastand, wenn man in Selbstmitleid schwelgte.
»Nein, alles in Ordnung«, krächzte ich über den verräterischen Kloß in meiner Kehle hinweg mit erstickter Stimme. »Mir fehlt nichts.« Ich stand auf und suchte in der Tasche meiner Jeans nach dem Haustürschlüssel.
»Gute Nacht!« Der Motor grollte ungeduldig, und die beiden fuhren los.
Hinter mir ging die Tür auf, und vor mir stand Andy in seinen guten, hautengen grauen Jeans, das Haar kunstvoll zerzaust und mit Gel fixiert. Er musste kurz vor mir nach Hause gekommen sein. »Jo?«, rief Sara vom Wohnzimmer her. »Was um alles in der Welt machst du denn da so lange?«
»Mich selbst bemitleiden«, rief ich zurück.
»Dummerchen«, sagte Andy sanft. »Du musst wirklich aufhören, deinem Ex über Facebook nachzuspionieren.« Und er legte linkisch die Arme um mich. In mir wallte Dankbarkeit für sein Mitgefühl auf – zum Glück war ich schließlich doch nicht in das kleine Farmhäuschen gezogen.
Ich erwiderte seine Umarmung einen Moment, dann machte ich mich von ihm los und lächelte ihn an. »Zu schade, dass wir letzte Woche den ganzen Kokoslikör ausgetrunken haben.«
Sara erschien an der Küchentür. »Meinen Kokoslikör?«, fragte sie entsetzt.
»Ich ersetze ihn dir«, versprach ich ihr und verwünschte sie innerlich.
»Kauf mir lieber eine Flasche Pfirsichschnaps. Ich mag den Geschmack von Kokosnuss nicht.«
Andy und ich sahen uns einen Moment stumm an, dann brachen wir gleichzeitig in hilfloses Gelächter aus, in das Sara nicht mit einstimmte.
»Was habt ihr denn?«, erkundigte sie sich erstaunt. »Ich finde das nur gerecht.«