Kapitel 21

WIE GEHT ES den Ziegen?« Ich klemmte mir das Telefon zwischen Ohr und Schulter und bückte mich, um ein weiteres Scheit in den Holzofen zu schieben. Matt war vorbeigekommen, während ich bei der Arbeit gewesen war, und hatte ungefähr die Hälfte des Holzstapels gehackt und an der Hintertür aufgeschichtet; das hatte ihn vermutlich die gesamte Zeit gekostet, in der er sonst gefrühstückt hätte.

»Gut, gut«, erwiderte Mum. »Werfen am laufenden Band Junge. Sag mir lieber, wie es Rose geht.«

»Nicht so toll. Ihr Rücken macht ihr ständig Probleme, und ihr ist immer noch übel von der Chemo. Aber sie tut so, als wäre alles in Ordnung, damit wir uns keine Sorgen machen.«

»Du klingst so müde, Liebes«, stellte Mum fest. »Wird dir das alles nicht zu viel?«

»Mir geht’s gut«, versicherte ich ihr betont tapfer, schämte mich dann aber doch ein bisschen für meinen märtyrerhaften Ton. Schließlich ist es nicht so edelmütig, Omeletts für eine Frau zuzubereiten, die einem Kekse in Katzenform gebacken und jede Schulaufführung mit durchlitten hat.

»Du hörst dich aber nicht gut an, sondern erschöpft.«

Eine sanfte Wärme breitete sich in mir aus – mütterliches Mitgefühl ist so etwas Tröstliches. »Nun ja, Hazel ist am Abend rübergekommen und hat eine geschlagene Stunde über die Ungerechtigkeit der Welt und einen Gott gejammert, der so etwas zulässt. Das raubt jedem die Kraft.«

»Diese dumme Pute«, murmelte meine Mutter.

Ich legte mich auf die Chaiselongue und mein Blick fiel auf den Greif, der hochmütig über meinen Kopf hinwegstarrte. »Außerdem ist in der Küchendecke ein neues Leck, und Amber war sogar an ihrem geringen Standard gemessen zu nichts zu gebrauchen, und einer der Hunde ist zu den Nachbarn hinübergelaufen und hat ein Loch unter ihrem Zaun hindurchgegraben, und während ich ihn zurückgeholt habe, ist das Essen angebrannt.« Es war einer dieser Tage gewesen, wo tausend kleine, unwichtige Dinge schiefgehen und man sich zu fragen beginnt, ob das die Strafe für Sünden in einem früheren Leben ist.

»Jo, Liebes, du kannst nicht ewig Vollzeit arbeiten und gleichzeitig Rose versorgen.«

»Sie hat mit der Gemeindeschwester gesprochen; man kann ihr hier im Krankenhaus wahrscheinlich ein Bett verschaffen, wenn es gar nicht mehr geht, damit sie nicht in das Hospiz in Hamilton muss. Aber sie würde viel lieber zu Hause bleiben – und es wird ja nicht ewig dauern.«

»Hmm«, machte Mum. »Und wie macht sich die reizende Hazel nützlich?«

Ich lächelte. »Gestern hat sie einen Pudding gekocht.« Ein unappetitliches, farbloses, glibberiges Ding, von dem schon einem gesunden Menschen schlecht geworden wäre, geschweige denn jemandem, der an Krebs starb. Diese spatzenhirnige Frau hatte ihrer Schwester aus irgendeinem unerfindlichen Grund auch ein Büchlein mit schauerlichen Gedichten mitgebracht, die Menschen mit tödlichen Krankheiten verfasst hatten. Rose hatte nur schwach gelächelt, es hinters Sofa gleiten lassen und den dritten Twilight-Band weitergelesen.

»Josephine«, hatte sie später gesagt, als ich ihr eine Tasse Kakao ans Bett gebracht hatte, »diese Bücher sind alles andere als eine literarische Meisterleistung, die Autorin scheint nur ungefähr drei Adjektive zu kennen, und alles, was die Hauptpersonen tun, ist, sich in die Augen zu starren. Trotzdem habe ich die verdammten Dinger bis zwei Uhr morgens gelesen.«

Roeschen.tif

»Brauchst du sonst noch was?«, fragte ich, als ich den Beistelltisch neben Roses Ellbogen rückte, damit sie ihn bequem erreichen konnte. »Eine Tasse Tee vielleicht?« Ich war nicht sicher, ob es eine gute Idee war, heute Abend auszugehen.

»Um Himmels willen, Josephine, würdest du bitte endlich gehen?«, flehte sie. »Wenn es zum Schlimmsten kommt, kann ich wahrscheinlich noch selbst in die Küche stolpern und mir eine Tasse Tee machen.«

»Ich weiß. Tut mir leid.«

Rose rückte ihren violetten Turban zurecht. Sie sah aus wie eine Herzoginwitwe. »Du musst aufpassen, dass du nicht wie deine Mutter wirst, Kindchen.« Als sie sah, dass ich den Mund öffnete, um Einwände zu erheben, fügte sie hinzu: »Ich mag deine Mutter sehr gern, aber ich denke, eine von ihrer Sorte ist genug. Geh los, Kind, und amüsier dich.«

Als ich Clare das letzte Mal besucht hatte, hatte sie leise in ihren Kaffee geschluchzt, weil das Schwein Moira just in diesem Moment zu Schinken verarbeitet wurde, während ein unbeaufsichtigter Charlie Lucy die Haare abgeschnitten und dann im Zimmer nebenan versucht hatte, sie wieder anzukleben. Als ich jedoch an diesem Abend zum Hintereingang hochstieg, schallte mir nur Sarah McLachlan entgegen, die mir in ihrem Song ernsthaft versicherte, irgendetwas sei einfach nicht gut genug.

Clare kam an die Tür. Das Haar fiel ihr offen über den Rücken, sie trug lange, baumelnde Ohrringe und hatte sich die Augen geschminkt. »Das errätst du nie!«

»Was?«

»Heute ist hier kinderfreie Zone«, verkündete Clare. »Mum hat sie alle über Nacht zu sich geholt.«

»Wann hattest du das letzte Mal einen Abend für dich?«, fragte ich.

»Äh … kurz vor Charlies Geburt.«

»Wie wäre es, wenn ich wieder gehe, damit ihr den Abend allein verbringen könnt?«

»Kommt überhaupt nicht in Frage«, widersprach Clare. »Wir feiern eine richtige Erwachsenenparty – ohne Spaghetti und Tomatensoße. Komm und trink ein Glas Wein mit mir.«

Sie hatte den Tisch und den umliegenden Fußboden von Spielzeug befreit (vermutlich mit einer Schaufel, denn in einer Ecke des Wohnzimmers türmte sich ein leuchtend bunter Plastikberg).

»Hallo, Jo.« Brett kam in den Raum. Sein Haar war nach dem Duschen noch feucht. »Kann irgendwer mal dieses Gejaule abstellen? Es klingt wie jemand, der an Magenkrebs stirbt.«

»Brett!«, tadelte seine Frau.

»Na, es stimmt doch – oh, Scheiße, Jo, es tut mir leid.«

»Schon gut.«

»Vor ein paar Monaten hat er zu Laura Kennedy gesagt, sie sähe aus wie Alice Cooper«, erzählte mir Clare.

Brett öffnete den Kühlschrank und nahm eine Flasche Bier heraus. »Das stimmt ja auch.«

Clare kicherte. »Allerdings. Sie hat sich die Augenlider mit Permanent-Make-up behandeln lassen. Aber du hättest es ihr trotzdem nicht unter die Nase reiben müssen.«

»Man muss seinem Tätowierer vertrauen können«, sagte ich. »Stell dir vor, er rutscht ab.«

»Das wär nicht so gut.« Clare reichte mir ein ungefähr kochtopfgroßes Glas Rotwein. »Wie geht es Rose?«

»Sie ist bewundernswert. Denkt ständig an Klauseln, die sie in ihr Testament aufnehmen will, und schreibt sie auf Haftzettel. Und sie will, dass bei ihrer Beerdigung ›Another One Bites the Dust‹ gespielt wird.«

»Sie ist wirklich einmalig.« Clare schenkte sich ein ebenso großes Glas Wein ein wie meines, und damit war die Flasche leer. Wenn ich meine Hälfte ganz langsam über die nächsten Stunden verteilt trank, würde ich vermutlich imstande sein, noch selbst nach Hause zu fahren.

»Wer kommt denn noch?« Der Tisch war für vier Personen gedeckt.

»Scotty«, erwiderte Clare. »Das wird er sein.« In der Ferne ertönte ein Dröhnen, das besorgniserregend schnell lauter wurde und an einen Kampfjet denken ließ, der sich anschickte, auf dem Dach zu landen. »Ich wünschte, er würde nicht immer fahren wie ein Irrer. Er erschreckt die Alpakas.«

»Gut«, sagte Brett. »Elende Viecher. Ihm wird die Magenkrebslady nicht gefallen – sorry, Jo.« Er ging den Flur hinunter, um Scotty die Tür zu öffnen.

»Armer Kerl«, bemerkte Clare nachsichtig. »Am Montag ist seine Vasektomie, und er hat Angst vor Spritzen.«

»Clare!«, rief Scotty. »Deine Musik ist eine akustische Vergewaltigung!«

»Besser als deine deutschen Heavy-Metal-Bands«, gab sie zurück.

»Bist du ein Rammstein-Fan, Scotty?«, fragte ich, als er in Sicht kam.

»Und ob. Du auch?«

Ich schüttelte den Kopf. »Eher nicht. Ich höre lieber Sarah McLachlan.«

Scotty zog seine lederne Motorradjacke aus.

»Scotty, was um alles in der Welt hast du denn da am Hinterkopf?«

Er strich mit einer Hand über den sorgfältig geflochtenen kurzen Zopf, der bis zum Halsausschnitt seines Def-Leppard-T-Shirts reichte. »Cool, was?«

»Nein«, entgegnete Clare. »Nein, Scotty, ganz und gar nicht.«

Er grinste breit. »Ich lasse ihn extra für die Hochzeit meiner Schwester wachsen. Sie dreht durch, wenn sie ihn sieht.«

»Prima«, lobte ich. Scottys Schwester Rebecca ist ein furchtbarer Snob, oder zumindest war sie es vor zehn Jahren gewesen. »Hast du ihn deiner Mutter schon gezeigt?«

»Nein. Du hättest sonst die Entsetzensschreie gehört. Hey, wo sind die Kurzen?«

Es wurde ein fröhliches Abendessen. Wir aßen mit Ricotta gefüllte Hähnchenbrustfilets und Pilzrisotto, gefolgt von Crème Caramel, und dann saßen wir am Tisch und lösten die Probleme dieser Welt.

Clare trank den letzten Schluck ihres Glases Rotwein und erschauerte leicht. »Hast du dein Haus schon verkauft, Jo?«

»Noch nicht«, sagte ich. »Obwohl scheinbar jemand Interesse daran hatte.«

»Denkst du daran, dir hier ein Haus zu kaufen?«, wollte Scotty wissen. »Das neben meinem steht zum Verkauf, und ich hätte nichts dagegen, dich als Nachbarin zu haben. Schlimmer als die, die jetzt da wohnen, kannst du auch nicht sein.«

»Danke«, sagte ich. »Du ahnst nicht, wie viel mir das bedeutet. Ist es das violette Eisenbahnerhaus oder der Betonklotz mit all den Sofas auf dem Rasen?«

»Der Betonklotz.«

»Wer weiß? Vielleicht nehme ich es ja. Ich weiß nur nicht, ob ich in unmittelbarer Nähe deines Rattenschwanzes leben kann.«

»Wie meinst du das?«, erkundigte sich Scotty gekränkt. »Er ist doch wirklich eine Wucht.«

»Vielleicht lasse ich mir auch einen wachsen«, sinnierte Brett.

»Wenn du das tust, schläfst du von da an im Holzschuppen«, entgegnete seine liebende Gattin.

»In diesem Fall bräuchtest du keine Vasektomie«, gab ich zu bedenken.

»Stimmt«, gab Brett zu. »Es wäre auch billiger als die Vasektomie.«

»Diese Frisur wirkt attraktiv auf Frauen – ihr würdet es nicht glauben«, prahlte Scotty.

»Da hast du recht«, erwiderte Clare. »Wir würden es nicht glauben.«

Roeschen.tif

Es war schon nach elf, als Scotty und ich aufbrachen.

»Okay«, sagte er. »Sturmfreie Bude. Ihr werdet den Rest der Nacht wohl mit wildem Sex verbringen.«

»Das wäre eine Verschwendung von Zeit, die man zum Schlafen nutzen kann«, gab Clare zurück. »Ich habe seit drei Jahren keine ungestörte Nacht mehr verbracht.«

»Ich wette, dass du alle zwei Stunden aufwachen wirst«, sagte ich.

»Danke, dass du mich darauf gebracht hast. Gute Nacht, ihr zwei, und danke, dass ihr gekommen seid.«

Ich zog meine heißgeliebten rehbraunen Wildlederstiefel an, die ich in Waimanu leider nicht allzu oft tragen kann. »Danke für die Einladung. War ein toller Abend. Viel Glück, Brett.«

Scottys riesiges Motorrad parkte neben meinem Auto. »Wie geht es Matthew?«, fragte er, seinen Helm unter den Arm geklemmt. »Hab ihn schon eine oder zwei Wochen lang nicht mehr gesehen.«

»Schlecht«, erwiderte ich. »Aber du kennst ihn ja, er sagt nicht viel.«

»Roses Krankheit macht ihm schwer zu schaffen.«

»Ja«, bestätigte ich. »Ihm und Kim. Es ist alles eine echte Tragödie.«

»Dir setzt das auch zu, nicht wahr?«

»Ja, aber mein Dad ist nicht ein paar Jahre zuvor an derselben Sache gestorben. Ich habe noch beide Eltern, und wir verstehen uns richtig gut.«

Scotty grunzte und spielte mit dem Riemen seines Helms. »Hey, Jo, hast du Lust, irgendwann mal auf einen Drink mit mir auszugehen?«

Ich nehme an, es ist durchaus möglich, »Danke, aber nein danke« zu sagen, ohne die Gefühle des anderen zu verletzen, doch ich habe nie herausgefunden, wie man das macht – vermutlich habe ich nicht genug Praxis. Im Gegensatz zu meiner früheren Freundin Chrissie bin ich nie von Männern belagert worden, die sich mit mir verabreden wollten, sobald ich aus der Tür trat. Tatsächlich muss sie noch nicht mal das Haus verlassen: Der Typ, der letztes Jahr ihr Telefon reparierte, hat sie prompt eingeladen, bevor er gegangen ist. Es war immer ein bisschen demütigend, mit Chrissie befreundet zu sein, und es hat mich ganz besonders geärgert, dass sie sich bei dieser umfangreichen Auswahl an Männern ausgerechnet meinen schnappen musste.

»Danke für das Angebot, aber vielleicht lieber nicht«, antwortete ich langsam. »Ich meine – das wäre sicher nett, aber nur als Freunde.«

Scott seufzte und grinste mich dann an. »Es liegt an dem Rattenschwanz, oder?«

Ich erwiderte sein Grinsen. »Ich fürchte ja.«

»Wenn das so ist … ich würde ohnehin nicht mit jemandem ausgehen wollen, der so spießig ist«, verkündete er würdevoll, als er den Helm aufsetzte. »Demnach ist das Angebot vom Tisch.«

»Das ist nur fair.« Ich öffnete meine Autotür. »Trotzdem danke. Das war ein großes Kompliment.«

»Gern geschehen.« Scotty kletterte auf sein Monstermotorrad, ließ den Motor an, gab Gas und donnerte die Auffahrt hinunter.

»Jo!«, zischte Clare.

Ich drehte mich um und sah, dass sie sich aus dem Badezimmerfenster lehnte. »Ja?«

»Hat er dich gebeten, mit ihm auszugehen?«

Ihr Gesicht strahlte vor freudiger Erregung, und ich brach in hilfloses Lachen aus. »Ja. War das deine Idee?«

»Vielleicht.« Clare setzte eine so undurchdringliche Miene auf, wie es einer Frau möglich ist, die sich mit einer Zahnbürste in der Hand gefährlich weit aus einem Fenster beugt. »Was hast du geantwortet?«

»Nein, danke«, gab ich zu und zuckte zusammen, als sie die Zahnbürste wie eine Pistole auf mich richtete.

»Warum, du undankbare Zicke?«

»Ich … ich mag Scotty, aber nicht so

»Hättest du nicht mit ihm ausgehen können und sehen, was passiert? Ich hab mich auch am Anfang überhaupt nicht zu Brett hingezogen gefühlt, ich dachte nur, er wäre ein gutes Übungsobjekt.«

»Clare«, rief Brett irgendwo aus dem Inneren des Hauses, »du bist ein richtiges Luder, und ich weiß wirklich nicht, warum ich dich geheiratet hab!«

»Weil du mich anbetest«, sagte sie über ihre Schulter hinweg.

»Achte nicht auf sie, Jo, sie ist blau«, kam es von Brett. »Gute Nacht!«

»Gute Nacht«, rief ich zurück und stieg in mein Auto.

Ehe ich den Motor anlassen konnte, öffnete Clare die Hintertür und kam barfuß über den Rasen gerannt. Sie riss die Beifahrertür auf und kletterte neben mir ins Auto. »Mist, es ist eiskalt hier draußen«, beklagte sie sich. »So, Josephine, und du hörst jetzt mal auf Tante Clare.«

»Keine Lust«, lachte ich. Sie umklammerte immer noch ihre Zahnbürste, und sie hatte in der Tat einen kleinen Schwips.

»Es wird Zeit, dass du wieder ins Leben zurückkehrst«, sagte sie. »Ich weiß, dass du eine lange Zeit mit Graeme zusammen warst und dass es ein herber Schlag ist, betrogen zu werden, aber du kommst über ihn nicht hinweg, wenn du nicht endlich auch mal anderen Männern eine Chance gibst.«

»Ich bin über ihn hinweg«, widersprach ich. »Na ja, weitgehend jedenfalls. Ich bin immer noch stinksauer, und es hebt das Selbstbewusstsein nicht unbedingt, wenn dein Freund sich für deine beste Freundin entscheidet, aber ich will ihn nicht zurückhaben.«

»Wo liegt dann das Problem? Scotty entpuppt sich vielleicht nicht als die Liebe deines Lebens, aber du musst ihn ja nicht gleich heiraten. Geh einfach mit ihm aus und warte ab, was passiert. Meiner Meinung nach ist diese ganze sexuelle Chemie Unsinn – es stimmt nicht immer gleich alles von Anfang an.«

»Da hast du recht«, stimmte ich ihr zu.

»Und mal ernsthaft, Jo – du solltest es nicht zu lange aufschieben. Alle anderen Leute tun sich zusammen, und dann stellst du irgendwann einmal fest, dass du Mitte dreißig bist, deine biologische Uhr tickt und die einzigen verfügbaren Männer schwul oder mehr als seltsam sind, und …«

»Hör auf«, bat ich. »Bitte hör auf, sonst breche ich in Tränen aus. Ich weiß das alles selbst – man versucht, nicht darüber nachzudenken, weil man sonst Depressionen bekommt, aber mitten in der Nacht überfallen einen die trüben Gedanken einfach.«

»Also geh mit dem Mann auf einen Drink aus! Menschenskind, er hat seit der Highschool ein Auge auf dich geworfen! Ich weiß, er müsste sich rasieren und sich die Haare schneiden lassen, aber er ist ein lieber Kerl und kann wirklich gut mit Kindern umgehen.« Sie unterstrich ihre Worte, indem sie mit der Zahnbürste herumfuchtelte und sie mir fast ins Auge stieß.

»Clare.« Ich nahm ihr die Zahnbürste ab und legte sie auf das Armaturenbrett. »Gib es auf. Ich kann nicht mit Scotty ausgehen – es gibt einen anderen.«

»Waas?«, entfuhr es ihr. »Du triffst dich mit jemandem und erzählst mir nichts davon? Was bist du denn für eine Freundin?«

»Ich treffe mich mit niemandem«, erwiderte ich müde. »Ich bin nur … dummerweise in Matt verliebt, und solange ich ihn mir nicht aus dem Kopf schlagen kann, kann ich nicht mit seinem besten Freund ausgehen.«

»Ups«, machte Clare. »Matt King. Ich dachte, du wärst immun.«

Ich lachte kläglich auf. »Wenn du das jemandem erzählst, dann verstümmele ich dich mit einem Teelöffel, das schwöre ich dir.«

Sie verzog das Gesicht. »Wie unangenehm.«

»Ich meine es ernst.«

»Das sehe ich dir an«, sagte Clare. »Und warum unternimmst du bezüglich Matt nicht irgendetwas?«

»Weil er mit Farmer-Barbie zusammen ist.«

»Du solltest es ihm sagen. Was hast du zu verlieren?«

»Ich kann es ihm nicht sagen«, wehrte ich ab. »Er ist nicht interessiert.«

»Woher willst du das wissen?«, fragte Clare.

»Weil er mit Farmer-Barbie zusammen ist«, wiederholte ich.

Sie tat meinen Einwand mit einer abwinkenden Geste ab. »Mag sein, aber wahrscheinlich nur, weil er sich noch nicht dazu durchringen konnte, mit ihr Schluss zu machen. Er ist der Typ Mann, der so etwas vor sich herschiebt.«

»Würdest du denn mit deinem Freund Schluss machen, wenn du dich in einen anderen verliebt hättest?«

Clare zuckte die Achseln, griff nach ihrer Zahnbürste und deutete damit erneut auf mich. »Wenn du nicht fragst, bekommst du nie eine Antwort.«

Ich fing an, mich zu ärgern. »Ach, komm schon. Selbst wenn ich zu dem Schluss käme, dringend eine Abfuhr zu brauchen – wie soll ich weiter bei Tante Rose wohnen bleiben und ihn jeden Tag sehen? Seine Tante stirbt, er muss sich allein um zweihundert Kühe kümmern, die bald kalben, seine Mutter ist zu gar nichts zu gebrauchen, und Gott weiß, was Kim als Nächstes anstellt – das Letzte, was der arme Mann jetzt braucht, ist das Geständnis, dass er die Liebe meines Lebens ist.«

»Hmm«, machte Clare. »Mist. Da hast du nicht ganz unrecht.«

»Ich weiß.« Ich beugte mich vor und küsste sie aus einem Impuls heraus auf die Wange. »Jetzt geh ins Haus und schlaf deinen Rausch aus.«