Robinsons Genesung — Nützliche Gewächse —
Zeitplan
Wie lange Robinson so in gänzlicher Bewußtlosigkeit gelegen hatte, konnte er nicht mehr genau feststellen. Der Tod, der ihm so nahe schien, hatte nicht nach seinem Opfer gegriffen. Endlich kehrte das Bewußtsein langsam zurück. Mit einem tiefen Seufzer kam Robinson zu sich, fuhr erstaunt hoch und blickte sich voller Verwunderung um. Wo war er denn? Ganz überrascht erkannte er seine eigene Behausung wieder. Noch fehlte ihm die Kraft, sich aufzurichten, aber Schmerzen hatte er keine. Sein Atem ging ruhig, und er spürte den Schweiß, der aus seinen Poren drang, wohltuend kühl auf seiner Stirn. Er deckte sich sorgsam mit Fellen zu und empfand angenehm die Erleichterung, die seinen Körper durchströmte. Gräßlich begann ihn nun aber der Durst zu plagen. Das Wasser in den offenen Schildkrötenschalen war längst ungenießbar geworden. Robinson fühlte sich noch zu schwach, um aufzustehen. Aber da fiel sein Blick auf die Zitronen, die er bei seinem Krankwerden bereitgelegt hatte. Es war ziemlich mühsam, sich durch die Schale hindurchzubeißen, doch schon die ersten Safttropfen, die er gierig schlürfte, erfrischten ihn. Wie wohl das tat bei der Erschöpfung! Ein neues Lebensgefühl durchdrang ihn. Er würde nicht sterben, er würde gesund werden, denn er war davon überzeugt, daß die Krankheit überwunden war. Mit Behagen spürte er, daß sich sogar sein Appetit regte, und als er eine der gerösteten Kartoffeln zu sich genommen hatte, wußte er genau: gesund zu werden war für ihn nur noch eine Frage der Zeit. Viel Kraft würde er aufbringen müssen, um die körperliche Mattigkeit niederzuzwingen.
Was war inzwischen aus seinen Lamas geworden, um die er sich ja gar nicht hatte kümmern können? Es war rührend zu sehen, wie die treuen Tiere vor dem Bett des Kranken lagen und ihn unbeweglich anstarrten, als wollten sie sich nach seinem Befinden erkundigen. Seit mehreren Tagen hatten sie nichts getrunken, obwohl sie ja leicht frisches Wasser hätten finden können. Und schön war ach, wie das Muttertier von selber so nahe an das Krankenlager herankam, daß Robinson es erreichen konnte. Mit großer Mühe brachte er es fertig, das Tier zu melken, und so konnte er endlich den brennenden Durst ein wenig löschen. Sicherlich war der Genuß der kräftigenden Milch für ihn das rechte Heilmittel, denn sogleich sank der Kranke wieder in tiefen Schlaf, und erst bei Sonnenuntergang wachte er auf. Kräftigen Hunger verspürte er, und die gerösteten Kartoffeln, über die er Zitronensaft träufelte, bekamen ihm prächtig. Ein behagliches Müdigkeitsgefühl erfüllte ihn erneut, und er schlief gleich weiter. Das wiederholtesich mehrmals, und dieser Wechsel von Schlaf und Speise stärkte Robinson so sehr, daß er schon am folgenden Tag es wagen konnte, sich vorsichtig zu erheben und ein paar Schritte zu versuchen.
Auf schwachen, zittemden Beinen schwankte er auf seinem Hofplatz umher. Noch nie hatte er die Frühsonne so freudig begrüßt wie an diesem Morgen. Ihr wärmender Strahl erschien ihm als Sinnbild seines neugeschenkten Lebens. In großer Dankbarkeit blickte er um sich. Noch nie hatte er die Natur, das Blau des Himmels, das Sonnenlicht, das zarte, frische Frühlingsgrün im Schmuck der Tauperlen als ein solches Wunder empfunden wie an diesem Morgen, da er sich dem Leben zurückgegeben fühlte.
Froh drängten sich die Lamas um ihn. Voller Rührung streichelte Robinson die treuen Tiere. Ihm war, als sei er nach langer Reise zu seinen Lieben zurückgekehrt.
Mit seiner Genesung ging es nun schnell voran. Die würzige Luft und die wohlschmeckende Milch, frisches Wasser und gute Nahrung trugen dazu bei, daß die alte Kraft sich bald wieder einstellte, besonders aber war es der Wille, der ihn trieb: er wollte wieder völlig gesund werden!
Was war in der Zwischenzeit aus seinen Töpfen geworden, die er so plötzlich hatte verlassen müssen? Er öffnete den Schmelzofen und konnte mit Freude feststellen, daß alle Gefäße mit schönster Glasur überzogen waren, wie es kein Töpfer besser hätte fertigbringen können. Obgleich Robinson stolz darauf war, daß seine vielen Versuche endlich Erfolg gehabt hatten, so vergaß er doch nicht, daß er die Gefäße im Moment gar nicht zum Kochen verwenden konnte, weil sein Feuer ausgegangen war. Er hoffte aber zuversichtlich, daß er bald neues bekomnmn werde.
Nun besaß Robinson Töpfe für die Milch, und nun würde es auch möglich sein, Butter herzustellen. Und tatsächlich, es gelang! Robinson schnitzte einen Holzdeckel, bohrte ein Loch hinein und setzte ihn auf einen seiner Töpfe, sammelte Rahm, steckte in das Loch des Deckels einen Stock, den er so lange auf- und niederbewegte, bis sich Butter und Buttermilch voneinander trennten.
Dieser Erfolg bedeutete einen herrlichen Fortschritt, aber daß das Feuer fehlte, machte sich überall recht unangenehm bemerkbar. Tag und Nacht grübelte Robinson darüber nach, welche Aufgabe er sich stellen könnte, um nicht müßig zu sein. Längst war er sich darüber klar, daß nur die Arbeit ihm über alle schweren Stunden des Alleinseins hinweggeholfen hatte. Wie wäre es, wenn er sich ein Boot bauen würde? Vielleicht könnte er sich dann von dieser traurigen Einsamkeit befreien und wieder unter Menschen kommen. Möglicherweise war das amerikanische Festland gar nicht so fern.
Auf seinen Wanderungen durch die Insel sah er sich genau die Bäume an. Er wollte einen suchen, der sich zum Bau eines Einbaums eignete. Auf einem dieser Streifzüge entdeckte Robinson noch manche Pflanze, die ihm von Nutzen war. So fand er Maisstauden mit den mächtigen Kolben, von denen jede über zweihundert gelbe, glänzende Körner hatte. Das war für ihn eine köstliche und nahrhafte Speise. Aus dem Mehl könnte er auch Brot backen, aber im Moment war das nicht möglich, weil das Feuer noch nicht wieder angefacht war.
Robinson entdeckte auch einen Baum, der ihm ganz unbekannt war. Große Kapseln hingen daran, und jede enthielt ungefähr sechzig Bohnen. Er knabberte daran, aber sie schmeckten ihm nicht. Und er ahnte nicht, daß er den Kakaobaum vor sich hatte, aus dessen Früchten sich die köstlichsten Dinge herstellen lassen.
Aber auch dem Ziel seiner Wünsche, die ihn zu diesen Wanderungen veranlaßt hatten, kam er näher, denn er fand einen Baum, aus dem er sich ohne große Mühe ein Boot bauen könnte. Der Gedanke, bald frei zu sein, nahm so von ihm Besitz, daß er am nächsten Morgen vom Lager aufsprang und zu dem ausgewählten Baum eilte, um mit der Arbeit zu beginnen. Die ersten Hiebe fielen auf den Stamm nieder. Erschrocken hielt Robinson inne. Das Steinbeil prallte mit seiner Schneide von dem harten Holz ab, als habe es auf Metall getroffen. Ein ganz unmögliches Unterfangen schien es, und schon wollte Robinson mutlos den Arm sinken lassen.
Aber das armselige Leben ohne alle Hilfsmittel hatte ihn gelehrt, vor keiner Schwierigkeit zurückzuschrecken. Nur wer sich selbst zu helfen weiß, darf mit der Hilfe des Schöpfers rechnen. Unermüdlich arbeitete Robinson, rastlos schwang er die primitive Axt, mochte die Aussicht auf Erfolg noch so gering sein. Er schuftete, bis die heiße Mittagssonne ihn zwang, Rast zu machen. Und das Ergebnis seines Heißes? Kaum faustgroß war die Kerbe, die er geschlagen hatte! Es war leicht zu berechnen, wieviel Zeit er benötigen würde, um den mächtigen Stamm zu fällen und ein Schiff aus ihm zu zimmern. Viele Jahre würde die Arbeit ihn beanspruchen.
Robinson erkannte, daß er mit planloser Arbeit nicht zum Ziel kommen würde. Eine genaue Einteilung seiner Tageszeit war erforderlich, damit jede Stunde ihren Inhalt hatte. Längst hatte er erkannt, daß nur Ordnung und regelmäßige Tätigkeit das Leben erträglich machen.
So stellte Robinson eine genaue Tagesordnung auf. Wenn er sich in aller Frühe erhob, lief er zur Quelle, um sich durch ein kühles Bad zu erfrischen. Er spürte, daß das kalte Wasser ihn abhärtete. Dann rannte er, naß wie er war, in gestrecktem Lauf zur Wohnung zurück. Jeden Morgen stieg er zum Hügel hinauf, um übers Meer zu blicken. Hier verrichtete er auch sein Morgengebet, und er vergaß nie, Gott um seinen Segen für seine fernen Eltern zu bitten. Im Hof mußten dann die Lamas gemolken werden, und diese Arbeit nahm längere Zeit in Anspruch, weil aus dem Muttertier mit den beiden Jungen längst eine kleine Herde geworden war. Die Milch, die seine geliebten Haustiere ihm lieferten, bildete einen wertvollen Bestandteil seiner Nahrung. Einige Gefäße voll stellte er in den Keller, um Sauermilch zu gewinnen.
Wenn er sich nach dem Frühstück auf den Weg zur Arbeitsstätte machte, trug er seine volle Waffenausrüstung. Er mußte täglich damit rechnen, daß einmal Fremde seine Insel betreten würden. Und wie sollte er ihnen begegnen, wenn sie in feindlicher Absicht kämen?
Zur Arbeit begleiteten ihn meist seine Lamas. Sie rangen wie fröhliche Kinder um ihn herum, suchten sich spielerisch ihre Nahrung und gaben ihm das wundervolle Gefühl, nicht allein zu sein.
Wenn aber die Sonne die Mittagshöhe erreichte, Wurde die Hitze so unerträglich, daß Robinson rasten mußte. Dann begab er sich zum Strand, um Austern zu suchen. Die Bäume, die seine Behausung einsäumten, hatten sich in den vergangenen Jahren so ausgebreitet, daß sie ihm für die Hausarbeit Schatten genug spendeten. Wieder wurden die Lamas gemolken. Aus der sauren Milch formte Robinson Käse und ging dann, hungrig geworden von der anstrengenden Tagesarbeit, daran, sein Mittagessen zu bereiten. Meist gab es Milch mit frischem Käse, Austern und etwas Kokosnuß. Immer wieder in mußte Robinson mit Bedauem daran denken, daß seine Krankheit ihn um das Feuer gebracht hatte. So blieb ihm, wenn er Fleisch essen wollte, nichts anderes übrig, als, wie in seiner ersten Zeit, das Fleisch zwischen zwei Steinen zu klopfen, um es genießbar zu machen.
Auf einem seiner Jagdausflüge war Robinson auf ein Nest mit Papageien gestoßen, von denen er eines der Jungen erbeuten konnte. Dieser Vogel war ihm jetzt ein lieber Hausgenosse geworden. Immer wieder plauderte Robinson ihm Worte vor, um das Tier — er nannte es Pol — sprechen zu lehren, und er war tief gerührt, wenn er aus dem Mund des gelehrigen Vogels Worte seiner eigenen Heimatsprache, deren Klang er so lange hatte entbehren müssen, vemahm. Es war ein Bild des reinen Friedens, wenn Robinson nach der Mittagsmahlzeit im Schatten seiner Höhle ausruhte, den Papagei und die Lamas um sich versammelt. Da saß er dann und plauderte mit seinen Hausgenossen, als verständen sie seine Sprache. Dann konnte es geschehen, daß er die Insel vergaß und sich in seine Heimat versetzt fühlte. Doch allzu schnell verrann dieser Traum wieder, und immer deutlicher trat ihm sein klägliches Einsiedlerdasein vor Augen.
Wenn die schlimmste Mittagshitze vorbei war, ging er wieder an die schwere Arbeit, den Stamm zu fällen. Er nahm danach ein erfrischendes Bad im Meer und ging schließlich heim, um in seinem Garten zu arbeiten. Er pflanzte Mais und Kartoffeln in der Hoffnung, wieder Feuer für die Zubereitung zu bekommen.
Auf seinen Inselwanderungen hatte er einen Brotfruchtbaum entdeckt, und nun versuchte er, Reiser zu pfropfen. Immer war er tätig. Er pflanzte neue Hecken um sein Gartenland, verflocht die Zweige der Bäume vor seiner Höhle, daß sie zusammenwuchsen und eine sehr feste Wand bildeten, und sorgte für die Vorräte in seinem Keller.