Spanier und Engländer auf Robinsons Insel

Was hatte sich in Robinsons Abwesenheit auf der Insel ereignet?

Als der Spanier Christianus und. Freitags Vater damals im großen Boot ausgefahren waren, um die bei den Wilden zurückgebliebenen Gefährten zu holen, hatte Robinson nicht ahnen können, daß seine eigene Befreiung so nahe bevorstand.

Christianus’ Reise zu seinen Landsleuten war bei stillem Wetter und ruhiger See günstig verlaufen. Voller Freude einpfingen die Spanier, die solange unter den Wilden hatten leben müssen, ihren längst totgeglaubten Gefährten. Alles schien ihnen wie ein Traum, als sie von ihm die Geschichte seiner Rettung erfuhren. Doch die Gewehre, die Munition und der Proviant, den er mitbrachte, zeigte ihnen, daß es tatsächlich so war. Jeder erklärte sich bereit, sogleich zur Insel aufzubrechen.

Wie aber sollten sie sich unbemerkt und in Freundschaft von ihren indianischen Gastgebern trennen? An Gepäck, Kleidern und Proviant hatten sie nichts mitzunehmen. Sie besaßen ja nur, was sie auf dem Leib trugen.

Tatsächlich gelang es ihnen über Erwarten gut, unbemerkt davonzukommen. Nach drei Wochen erreichte das große Boot wieder den Strand der Insel. Bestürzt erfuhr nun der Spanier, daß jener Mann, auf den er alle seine Hoffnung gesetzt hatte, mit seinem Diener Freitag abgereist sei, und zu seinem Schrecken mußte er weiter entdecken, daß Robinson drei gefährliche Schurken auf der Insel zurückgelassen hatte.

Das einzig Gute war, daß diese Burschen den Spaniern Robinsons Brief aushändigten. Auch seine Anweisungen über das Leben auf der Insel, die Aufzucht der Tiere, das Brotbacken, die Töpferei und noch vieles andere übergaben sie den Spaniem, von denen zwei ziemlich gut Englisch verstanden. Sie gingen sogleich voller Eifer an die Arbeit; freiwillig überließen sie Christianus, den sie für den Vornehmsten und Klügsten hielten, die Führung.

Die drei englischen Seeleute dagegen trieben sich den ganzen Tag umher, schossen auf Papageien, fingen Schildkröten und verbrachten mit allerlei nichtsnutzigen Dingen die Zeit. Kamen sie jedoch abends hungrig ins Kastell, so mußten die Spanier ihnen das Essen vorsetzen.

Trotzdem fügten sich die Spanier in den ersten Wochen, um Streitereien zu vermeiden. Als die Engländer jedoch allzu übermütig wurden, riß den Spaniern die Geduld. Offene Feindseligkeiten schienen unvermeidbar zu sein.

Mit sehr viel Nachsicht hatte Christianus für ein friedliches Zusammenleben auf der Insel gesorgt, doch immer wieder hatten Atkins und seine beiden Gesellen rücksichtslos und brutal einen Streit vom Zaun gebrochen, und immer wieder hatte Christianus bewundernswerte Geduld gegenüber den bösartigen Störenfrieden gezeigt. Längst hätten die drei, die sogar die Hütten einiger Spanier angezündet und das Getreide zertrampelt hatten, den Tod verdient. Vergeblich hatte Christianus ihnen viele Male ins Gewissen zu reden versucht. Was den gütigen Mann stets zurückhielt, mit Gewalt gegen die drei aufsässigen Streitsiichtigen vorzugehen, war das Gefühl der Dankbarkeit gegenüber Robinson: er wollte sich nicht an den Landsleuten des Mannes vergreifen, dem er sein Leben verdankte.

Aber Atkins und die beiden Engländer lohnten alle Freundlichkeit mit Bosheit und Unduldsamkeit. Als es sich endlich zeigte, daß die Ordnung der kleinen Inselgemeinschaft nicht mehr aufrechtzuerhalten war, und alle Spanier den Tod der Engländer verlangten, konnte Christianus sie nur mit größter Mühe vor dem Galgen retten. Er erwirkte bei den spanischen Gefährten, daß die drei, mit Proviant und Waffen versorgt, die Insel verlassen durften. Sie wollten versuchen, im offenen Boot das ferne Festland zu erreichen. .

Doch schon nach wenigen Wochen kehrten die drei zurück. Sie waren nun endlich zur Einsicht gekommen. Einige Indianer hatten sie mitgebracht, drei Männer und fünf Frauen, die von nun an mit zur Inselgemeinschaft gehörten; die drei Engländer und zwei der Spanier gingen mit ihnen die Ehe ein.

Bisher war es gelungen, Zusammenstöße mit den Indianern zu vermeiden, die immer noch ihre gräßlichen Schmausereien auf der Insel abhielten. Wer von den Wilden Weiße zu Gesicht bekommen hatte, war entweder gefallen oder gefangengenommen werden. So wußten also die Rückkehrenden nicht, daß Weiße auf der Insel wohnten.

Doch nun wollte es das Unglück, daß dieser Zustand sich änderte. Die Kolonie geriet damit in höchste Gefahr.

Bei einer der vielen kleineren Landungen waren zwei Indianer zurückgeblieben. Man fand sie schlafend unter einem Busch und nahm sie gefangen. Wie die übrigen Wilden wurden sie zur Arbeit angehalten, und alles schien in Ordnung. Doch eines Tages war einer von ihnen verschwunden, und offenbar war es ihm gelungen, im Kanu zu entfliehen.

»Sicherlich wird er seinen Leuten über uns berichten«, sagte Christianus voller Bedenken, »aber was noch viel schlimmer ist: er wird ihnen erzählen, wie schwach unsere Inselbesatzung ist.«

Nach etwa zwei Monaten bestätigte sich diese Besorgnis, denn sechs indianische Kanne, jedes mit etwa zehn Wilden bemannt, ruderten an der Insel entlang und landeten an der Westküste.

Es gab einen Kampf auf Leben und Tod. Doch die Weißen — auch die bisher so aufsässigen drei Engländer — hielten tapfer zusammen und besiegten die gefährlichen Eindringlinge. Wer von den Indianern nicht im Kampfe gefallen war, fand keinen Rückweg in die Heimat, denn der Sturm hatte die Boote zerschlagen. Die Überlebenden — es waren mehr als hundert verwegene Rothäute — suchten Schutz in den Wäldern.

Man würde mit ihnen leicht fertig werden, hatte Atkins erklärt, aber es war ja damit zu rechnen, daß die vogelfreien Wilden nun zur Verzweiflung getrieben wurden. Das Schlimmste war, daß sie das Korn zertrampelten. Zwar war man den Wilden mit den Waffen weit überlegen, aber bei ihrer Gewandtheit konnte kein Weißer mehr wagen, allein auszugehen, weil stets die Gefahr bestand, von Indianern überfallen zu werden.

Nie hatte es auf der Insel so bedrohlich ausgesehen. Es waren gleichsam hundert hungrige Wölfe auf der Insel, ausgestattet mit menschlicher Klugheit und bereit, alles Eßbare mit verwegener List zu erhaschen. Vorerst ging dieser Krieg mit offenem Visier weiter. Die Wilden würden gehetzt und erschlagen, wo man sie aufspürte. Schließlich aber zogen sie sich ganz ins Dickicht zurück, und immer wieder fand man einige von ihnen auf der Erde liegen, die der Hunger getötet hatte.

Jetzt hielt Christianus es für richtig, einzuschreiten. Er befahl, ihm einen Wilden lebend zu bringen, damit er mit ihm reden könne.

Die Indianer hielten sich so gut versteckt, daß es ziemlich lange dauerte, bis sie einen gefangennehmen konnten. Der arme Kerl war halb verhungert, und nur schwer ließ er sich zum Essen nötigen, denn er traute den Weißen natürlich nur Böses zu.

Freitags Vater war inzwischen von seiner Verwundung genesen. Er übernahm die Verhandlung mit dem Gefangenen, und bald gelang es wirklich, den Wilden eines Besseren zu belehren. »Höre, mein Freund!« sagte Freitags Vater, »was der Gouverneur der Insel dir sagen läßt! Die Weißen wollen dir wie deinen Stammesbrüdern das Leben erhalten, und sie wollen jedem von euch ein Stück Land schenken. Wir werden euch Saatgut überlassen zum Feldbau und Ziegen zur Zucht. Aber wir müssen mit Sicherheit wissen, daß keiner von euch den Kolonisten irgendein Leid zufügen wird.«

Ganz überrascht hatte der Wilde den Worten gelauscht, und noch überraschter war er, als man ihn freiließ, damit er seinen Gefährten die Kunde überbringen konnte.

Die armen Indianer waren inzwischen auf siebenunddreißig zusammengeschmolzen. Voller Freude stimmten sie dem Vorschlag zu, und gleichzeitig baten sie um Nahrung. Christianus ließ ihnen reichlich Brot, Reis und. Lamafleisch bringen.

Der Platz, der den Wilden zugewiesen wurde, war eine Landenge im Südosten der Insel; sie lag hinter den hohen Klippen und war sehr fruchtbar.

Nach dem Vorbild der Weißen begannen die Indianer nun Getreide auszusäen, und nicht lange dauerte es, bis sie die erste Ernte einbrachten. Auch das Melken der Lamas mußten sie erst lernen. Schon nach kurzer Zeit verstanden sie es, geschickt mit dem hölzernen Spaten umzugehen, ebenso mit den Beilen und Messern, die die weißen Inselbewohner ihnen aushändigten.

Ganz erstaunlich war die Fertigkeit der Indianer in der Korbmacherkunst. Immer wieder wunderten sich die Weißen über die vielen praktischen und zugleich schönen Körbe, Käfige und Bettgestelle, die die neuen Inselbewohner herstellten.

Auch ihre Hütten bauten sie mit Hilfe ihrer Flechtkunst so praktisch und hübsch auf, daß die Engländer an diesen »Bienenkörben« größten Gefallen fanden und sich anstelle ihrer alten ungefügen Häuser solche Indianerhütten errichten ließen.

Lange Zeit lebten nun die neuen Siedler mit ihren neuen Mitbewohnern glücklich und friedlich auf der Insel.

Will Atkins war nämlich ein häuslicher Mann geworden. Auch er hatte sich nach dem Vorbild der Indianer eine Hütte geflochten, doch von solchem Ausmaß, daß alle immer wieder staunend davorstanden; über einhundertzwanzig Fuß maß sie in der Länge und sieben Fuß in der Höhe.

In diesem Riesenhaus, das durch feine Flechtwände geteilt war, lebte Will Atkins mit seinem englischen Kameraden. Der andere war in dem Gefecht gegen die Indianer gefallen, doch dessen Frau hatte mit ihren drei Kindern den Anteil an der Wohnung weiterhin behalten. Atkins sorgte treu dafür, daß ihr nicht das Geringste fehlte.