Robinson fertigt sich neue Kleidung — Robinson
erkrankt
Schon damals, als Robinson zum ersten Male sein Hemd wusch, beschäftigte er sich mit dem Gedanken, was wohl werden würde, wenn seine Kleidung vollends zerriß. Er hätte viel darum gegeben, wenn ein Schiff gekommen wäre und ihn in die Heimat, zurück zu den Eltern, gebracht hätte. Oft genug empfand er die Dürftigkeit, in der er leben mußte, als bedrückend. Doch was er besonders entbehrte, war menschliche Gesellschaft, der Umgang mit Freunden, mit Wesen seiner Art, die er lieben und deren Liebe er fühlen durfte. Wie oft stand er am Meeresstrand und sah sehnsüchtig in die Ferne. Aber nichts als Wasser und Himmel erblickte er.
Mitunter packte ihn die Furcht, wenn er daran dachte, daß ein Schiff vorbeifahren würde, ohne etwas von der Anwesenheit des armen Schiffbrüchigen zu ahnen, oder wenn es gar zu einer Zeit bei der Insel ankem würde, da er selber nicht am Strand war. Darum ging er daran, auf der vorspringenden Landzunge einen Pfahl zu errichten, an dem er eine Flagge wehen ließ — sein Hemd, das so zerlumpt war, daß er es nicht mehr tragen konnte. Zur sicheren Kennzeichnung wollte er auch eine Inschrift auf den Pfahl setzen, aber wie sollte er sie dort anbringen? Er Hatte nur sein Steinmesser zur Verfügung. Und eine neue Schwierigkeit ergab sich. In welcher Sprache sollte er die Inschrift abfassen? Tat er es in deutscher oder englischer Sprache, so kam vielleicht ein französisches, spanisches oder portugiesisches Schiff, dessen Mannschaft die Inschrift nicht verstehen konnte. Glücklicherweise besann sich Robinson auf ein paar lateinische Worte, und er hoffte, daß bei der großen Verbreitung der lateinischen Sprache einer der Kapitäne die Worte würde lesen können.
So nahm er das Steinbeil zur Hand und hieb sorgsam die Buchstaben in den Stamm: ferte opem misero Robinsonio, was soviel bedeutete wie: Helft dem armen Robinson!
Aber nun wurde es Zeit, daß er an seine Kleidung dachte. Alles, was er auf dem Körper trug, zerfiel mit der Zeit in abscheuliche Lumpen, und noch sah er keinen Weg, sich neue zu beschaffen.
Zunächst mußte er für Schuhzeug sorgen, denn an den spitzen Steinen am Strand zerriß er sich die Füße so, daß die Schmerzen oft unerträglich waren. Ebenso wichtig waren Strümpfe, denn die Moskitos plagten seine bloßen Beine oft entsetzlich. Von den schmerzhaften Stichen schwollen sie gefährlich an. Vergebens überlegte Robinson hin und her, denn ihm fehlte es ja an Werkzeugen und an der nötigen Kenntnis. Am einfachsten erschien es ihm, die Felle der Lamas zu verarbeiten. Aber er hatte sie nach dem Schlachten ja nur zum Trocknen ausgespannt, und nun waren sie ganz steif. Wie bearbeiteten die Gerber wohl die rohen Felle?
Aber zu langen Überlegungen blieb keine Zeit, denn die Qual, die die Stechfliegen ihm bereiteten, war unerträglich. Tagsüber hinderten sie ihn an der Arbeit und nachts am Schlaf, und so unaufhörlich verfolgten sie ihn, daß Robinson es nicht länger aushalten konnte.
So nahm er ein paar Felle und schnitt mit seinem Steinmesser mit unendlicher Mühe ein Paar Schuhe aus, danach ein Paar Wadenstrümpfe. Nähen konnte er seine Ledererzeugnisse nicht, denn er hatte weder Faden noch Nadel. So mußte er sich damit begnügen, sie mit gedrehten Pflanzenfasern an den Füßen festzuschnüren. Alles war unendlich beschwerlich, denn obwohl er, die harte Seite nach außen kehrte, scheuerte ihm das Fell bei der geringsten Bewegung die Haut wund und verursachte ihm dadurch Schmerzen. Dennoch zog er es vor, diese Schmerzen auf sich zu nehmen, als die peinigenden Stiche der Moskitos länger zu ertragen. Aus einem anderen Stück Leder bastelte er sich eine Maske, die nur die Augen und den Mund frei ließ.
Zufrieden betrachtete er sein Werk. Nun konnte er auch daran denken, sich aus Fell einen Ersatz für seine übrige Kleidung zu beschaffen. Die Hose fertigte er so praktisch aus einem Vorder- und einem Hintenteil an, daß es nicht schwierig war, beide an den Seiten zusammenzuschnüren. Ebenso entstand eine Jacke. Seine alten Kleidungsstücke, so zerrissen sie waren, verwahrte er sorgfältig in der Höhle. Er wollte sie nur an hohen Festtagen und an den Geburtstagen seiner Eltern, die er ebenfalls feierte, anlegen.
So schritt Robinson, der Inselmensch, nun einher: von Kopf bis Fuß in rauhe Felle gehüllf, ein großes Steinbeil im Gürtel, auf dem Rücken die Jagdtasche, um die Schulter den Bogen, in der einen Hand ein Bündel Pfeile und in der anderen den langen Spieß, statt des Hutes einen spitzen Korb, der ebenfalls mit Fell bezogen war, dazu vor dem Gesicht die Maske. Ein Bild zum Erschrecken, dachte er selber mit bitterem Lächeln, als er sich einmal im Wasser betrachtete.
Wieder machte er sich nun an seine Töpferarbeit. Den Brennofen hatte er bald vollendet, und nun war er voller Spannung, ob es ihm mit dem starken Feuer gelingen werde, die Töpfe zu glasieren. Er stellte also die Gefäße vorher in den Ofen, ließ die Flamme immer stärker werden und hielt sie mehrere Stunden lang bei solcher Hitze. Auch beim Abschwächen der Glut ging er behutsam vor, um nichts zu verderben. Aber was mußte er erleben? Von der gewünschten Glasur, die er benötigte, war beim ersten Topf und auch bei den übrigen nichts zu sehen. Doch als er sie alle nochmals genau prüfte, fand er bei dem letzten zu seinem Erstaunen, daß er auf dem Boden mit einer glänzenden Sdücht überzogen war.
Robinson zermarterte sein Gehirn, warum dieser Topf, den er doch mit den anderen in den. Ofen gestellt hatte, anders ausgefallen war. Er überlegte und sann. Jetzt wurde es ihm klar. In einem Topf war vorher zufällig etwas Salz gewesen, ehe er ihn in den Ofen setzte.
Am andern Tag ging er sogleich daran, diese Erfahrung auszuwerten. Er hatte einen Teil der Töpfe mit Salzwasser bestrichen und andere mit Salz gefüllt, um seine Versuche zu machen. Wieder brannte das Feuer, wieder schürte Robinson eifrig die Flamme, als ihn plötzlich ein 5chwächegefühl überfiel, gegen das er sich nicht wehren konnte. Ich werde krank, fieberkrank, stellte er besorgt fest. Schon oft hatte er vor diesem Augenblick gebangt. So matt fühlte er sich, daß er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.
Soll das mein Ende sein? fragte er sich. Was wird aus mir werden, wenn ich mich nicht mehr von meinem Lager erheben kann? Was soll geschehen, wenn kein mitleidiger Mensch mich pflegt und mir zu Hilfe kommt?
Verzweiflung wollte ihn überkommen, während er halb ohnmächtig am Boden lag. Die Hände ineinandergekrampft, unfähig zu reden und zu denken, starrte er zum Himmel empor.
Mit letzter Kraft raffte Robinson sich auf, die nötigste Verpflegung zu seinem Lager zu tragen. Ein paar Schildkrötenschalen voll Wasser stellte er neben sich, einige geröstete Kartoffeln und ein paar Zitronen legte er dazu und sank dann auf sein Lager nieder.
Heftiges Fieber packte ihn. Der Schüttelfrost ließ ihn nicht zur Ruhe kommen, und obwohl er sich mit vielen Lamafellen zugedeckt hatte, wurde ihm nicht richtig warm. Mehrere Stunden dauerte dieser Zustand, dann überkam Robinson die Hitze. Sein Herz klopfte zum Zerspringen, seine Brust hob und senkte sich, als habe er einen anstrengenden Wettlauf hinter sich. Er hatte kaum noch die Kraft, die Schildkrötenschale zum Mund zu führen, um seine brennende Zunge zu kühlen. Erst als ihm der Schweiß in großen Tropfen auf die Stirn trat, durfte er einige Linderung verspüren. Ganz erschöpft lag er da, als ihn jäh der Gedanke überkam, das Feuer würde ausgehen, wenn er nicht neues Holz auflegte. So kroch Robinson trotz starker Gliederschmerzen und Mattigkeit auf allen vieren zum Herd hinüber und versorgte ihn mit Brennholz, das bis zum kommenden Morgen die Glut halten würde.
Niemals hatte Robinson eine Nacht erlebt wie diese auf seinem Krankenlager. Unaufhörlich Wechselten Schüttelfrost und Hitze miteinander. Vor Schmerzen wollte ihm der Kopf fast zerspringen. Sein Herz pochte wie wild. An Schlaf war nicht zu denken. Als endlich der Morgen graute, trieb es Robinson von seinem Lager, da er das Feuer versehen mußte, doch die Kräfte wollten für diese Aufgabe kaum ausreichen.
Am Abend aber wurde die Krankheit heftiger als zuvor. Zwar versuchte Robinson sich aufzuraffen, doch es gelang ihm nicht mehr. Eine seltsame stumpfe Gleichgültigkeit nahm von ihm Besitz. Ich werde es ohnehin nicht mehr lange schaffen, dachte er.
Die Nacht, die nun folgte, verbrachte der gequälte Kranke im Halbschlaf. Er spürte, daß das Herdfeuer erloschen war. Das Wasser, das offen in den Schildkrötenschalen stand, begann zu faulen, und Robinson hatte nicht mehr die Kraft, sich auch nur von einer Seite auf die andere zu legen.
Das ist der Tod, sagte er sich, und er sah ihm mit Fassung entgegen. Mit einem Gebet bereitete er sich auf seine letzte Reise vor. Es war ein Dankgebet für die Güte, die Gott ihm ein ganzes Leben hindurch erwiesen hatte, und ein Bittgebet, seinen armen Eltern Trost und Segen zu spenden. Danach legte Robinson sich ruhig hin. Immer schwerer atmete er, irgend etwas griff nach seinem Herzen. Der einsame Kranke auf seinem Lager verlor das Bewußtsein.