Ein Gewitter und seine Folgen
Bis spät in den Tag hinein ruhte Robinson auf seinem Lager. Ein erquickender Schlaf hatte ihn für alle Mühe belohnt. Und doch erschrak er, als er beim Aufwachen am Sonnenstand erkannte, daß der neue Tag bereits weit fortgeschritten war. Eilig nahm er sein Frühstück zu sich. Er wollte wieder auf die Jagd gehen, um noch mehr Lamas zu erlegen. Doch der Himmel wollte es anders. Denn als Robinson vor die Höhle trat, empfing ihn ein so gewaltiger Platzregen, daß er sein Vorhaben aufgab. Er erkannte zum erstenmal mit einem gewissen Stolz, was der Schutz seiner Höhle für ihn bedeutete.
So muß ich eben warten, bis der Regen sich verzieht, dachte er unbesorgt. Aber der Regen wollte nicht aufhören — im Gegenteil, er wurde immer heftiger. In Abständen begann es dann plötzlich so stark zu blitzen, daß die Höhle ganz im Feuer zu stehen schien, und der Donner folgte mit solchem Getöse, daß Robinson zusammenzuckte. Ein so starkes Gewitter hatte er noch niemals erlebt. Die Erde bebte, und das Donnerrollen wurde als Echo von den Bergen vielfach zurückgeworfen. Das furchtbare Grollen wollte nicht enden.
Robinson war durch das Dröhnen des Donners völlig verängstigt. Mit gefalteten Händen hockte er da, zuckte bei jedem Blitz zusammen und fühlte sein Ende nahe. »Jetzt ist es soweit, daß Gott mich für meinen Ungehorsam straft«, murmelte er bekümmert vor sich hin. »Nie werde ich meine Eltern wiedersehen dürfen!«
Rauschend prasselte der Regen herab, immer wieder fuhren die. Blitze dazwischen. Robinson vergaß allen Hunger, starrte zur Höhle hinaus und stellte nach einiger Zeit aufatmend fest, daß das Unwetter endlich nachzulassen schien. Donner und Regen wurden schwächer, und damit erwachten in ihm auch wieder die Lebensgeister. Er spürte, wie wohltuend ein Gewitter ist, wie es die Luft reinigt und wie herrlich erfrischend danach die Natur duftet.
Ich will mich auf den. Weg machen, dachte er, griff nach der Jagdtasche und trat vor die Höhle, als er plötzlich, durch einen herabfallenden Stein getroffen, das Bewußtsein verlor. Ausgestreckt lag Robinson auf der Erde.
Was war geschehen? In den Baum, der oberhalb der Felsenhöhle stand, hatte der Blitz eingeschlagen und den mächtigen Stamm in helle Flammen aufgehen lassen, wodurch sich Stein- und Erdmassen gelöst hatten und herabgefallen waren.
Als Robinson endlich wieder zu sich kam und sich mühsam aufrichtete, ließ ein Prasseln über seinem Kopf ihn erschrocken auffahren.
Betroffen starrte er in das lodernde Feuer. Da hatte er in seiner Verzagtheit gefürchtet, ganz verlassen zu sein, und nun sorgte die göttliche Vorsehung so sichtbar für ihn, indem sie ihm die kostbarste Gabe, das Feuer, bescherte.
Was Robinson für ein furchtbares Unglück angesehen hatte, erwies sich nun als der größte Segen.
In unaussprechlicher Freude blickte Robinson auf, als er sein Dankgebet zum Himmel schickte, der ihm seine weisen und wohlgesinnten Absichten so deutlich zeigte.
Da der unterste Teil des brennenden Stammes, an dem die Strickleiter hing, noch unverletzt war, konnte er hinaufsteigen. Er packte ein paar brennende Scheite und brachte diese, so schnell er konnte, in den umfriedeten Vorplatz seiner Behausung. Das Feuer zu unterhalten, würde nicht schwer sein, und Robinson war entschlossen, alles daranzusetzen, daß es nicht wieder ausging, denn in seiner bedrängten Lage war es für ihn von unsahätzbarem Wert.
Den Jagdausflug, den er sich vorgenommen hatte, verschob er auf einen anderen Tag. Er wollte aus seinem Lamafleisch, das noch vom Vortag am Spieß steckte, einen knusprigen Braten zubereiten. Schnell kletterte er noch einmal die Leiter hinauf, um den brennenden Stamm zu löschen, und machte sich dann eifrig an die Arbeit, das Fleisch über der Flamme zu drehen.
Als Robinson am Tag zuvor sein mürbe geschlagenes. Fleisch verzehrt hatte, hatte er das Salz sehr vermißt. Mit der Zeit werde ich wohl etwas finden, überlegte er. Um sich für diesmal zu versorgen, lief er zum Strand hinab und holte sich eine Kokosschale voll Meerwasser. Sorgsam ließ er es einige Male über die Lamalende rinnen, um damit dem Braten den nötigen Salzgeschmack zu geben. Immer wieder drehte er den Bratspieß, bis das Fleisch hinreichend durchgebraten war. Mit welcher Freude Robinson die erste Scheibe abschnitt, mit welchem Genuß er den ersten Bissen in den Mund schob, kann man sich kaum vorstellen. Nur wer wie er so lange den Genuß von ordentlich zubereiteten, warmen Speisen hat entbehren müssen, kann Robinsons Gefühle nachempfinden.
Wie sollte er aber jetzt sein Feuer vor dem Erlöschen bewahren? Lange fand er keine Lösung, bis seine Blicke zufällig auf die Steinwand der Höhle fielen. Nun wußte er, was zu tun war. Ein Stückchen über dem Erdboden nämlich ragte aus der Felswand ein mächtiger, zwei Meter langer Stein hervor. Trotz des Regens war unterhalb der Felsplatte die Erde ganz trocken geblieben. »Das wird einen völlig sicheren Feuerherd abgeben!« meinte Robinson. »Diesen Platz werde ich leicht zu einer Art Küche mit einem Schornstein zum Abzug für den Rauch einrichten können.« Sogleich ging er ans Werk und hob mit seiner Schautel die Erde unter dem großen Stein aus. Die beiden Seiten dieser überdeckten Stelle wollte er später mit einer Mauer einfassen.
Die Einsamkeit hatte ihn gelehrt, auf alles, auch was ihm früher als selbstverständlich erschienen war, mit der größten Aufmerksamkeit zu achten. Immer wieder fragte er sich: wozu könnte ich dies oder das wohl einmal verwerten? So war ihm bei seinem Jagdausflug auf der anderen Seite der Insel die Tonerde aufgefallen. Schon damal hatte er den Gedanken, daß sich Backsteine daraus fertigen ließen, mit denen er eine Mauer bauen könnte. Daran erinnerte er sich jetzt wieder, und weil er die Peuerstelle sichern wollte, machte er sich sogleich auf den Weg, um die Tonerde zu holen. Den Spaten und sein Steinmesser nahm er mit.
Nach dem starken Regen war die Erde so feucht, daß er sie mühelos herausstechen konnte. Mit seinem Messer formte Robinson sie zu glatten, viereckigen Backsteinen. Schon nach kurzer Zeit hatte er eine ganze Menge hergestellt. Er ordnete die Steine so an, daß sie den Tag über der Sonne ausgesetzt waren. So würden sie bald ausgetrocknet sein. Zufrieden kehrte er zu seiner Behausung zurück. Er fand, daß er nach dieser erfolgreichen Tagesarbeit sein Essen wohl verdient habe, machte sich an den Rest seines leckeren Bratens und verzehrte, zufrieden mit seinem bisher gelungenen Werk, eine von den wenigen Kokosnüssen, die noch übrig waren.
»Der Mensch bedarf des Menschen stets zu einem großen Ziele …« Robinson empfand das intensiv. So köstlich ihm die Mahlzeit nach der langen Zeit der Entbehrung schmeckte, so sehr sehnte er sich nach anderen Menschen. »Hätte ich nur einen Gefährten«, seufzte er vor sich hin, »mit dem ich Gedanken austauschen und dessen Stimme ich vernehmen könnte!«
Mit bitterem Lächeln dachte er an die Zeit zurück, da er mit den Jugendfreunden oft in Unfrieden gelebt hatte. Wie wenig wußte ich damals den Wert eines Kameraden zu schätzen, ging es ihm durch den Sinn. Was gäbe ich darum, diese Zeit zurückholen zu dürfen, um mich freundlich, gefällig, hilfsbereit und nachgiebig zu erweisen!
Robinsons Blick fiel auf eine Spinne, die in der Ecke des Höhleneingangs ihr Netz gespannt hatte. Und wenn es nur eine Spinne ist, die mir früher unangenehm war, dachte er, so ist es doch schön, etwas Lebendiges um sich zu spüren, um nicht ganz allein in der kahlen Höhle zu sein.
Ich werde ihr alle Tage Fliegen fangen, beschloß er, damit sie weiß, daß sie in Sicherheit bei einem Menschen wohnt, der es gut mit ihr meint. Vielleicht würde das Tierchen zahm werden.
An Schlafen mochte Robinson nach diesem ausgefüllten Tag noch nicht denken. Es war auch noch heller Tag, und die Luft hatte sich durch das Gewitter so abgekühlt, daß es ihn zu einer nutzbringenden Tätigkeit drängte. Er nahm den Spaten in die Hand, um den Herdbau fortzusetzen, und begann, das Erdreich weiter auszuheben. Plötzlich stieß der Spaten klirrend auf Widerstand, und Robinson fürchtete schon, sein kostbares Werkzeug sei abgebrochen. Als er aber den harten Klumpen herauswühlte, entdeckte er mit ungläubigem Staunen, daß es pures Gold war. Wie viele hunderttausend Taler könnte man aus ihm wohl prägen! Er war mit einem Schlag unendlich reich geworden und dachte darüber nach, was er sich dafür alles kaufen könnte. Aber ebenso schnell zerstob der Traum und ließ die bunten Luftschlösser mit Marmortreppen, Seidentapeten, eifrigen Dienern, herrlichen Leckereien und vollbesetzten Tafeln in ein Nichts zerstieben. Nur noch stärker wurde Robinson sich seiner Einsamkeit bewußt, denn was nützte ihm aller Goldreichtum hier in seiner trostlosen Verlassenheit. »Wie gern gäbe ich dich für eine Handvoll Eisennägel, für eine Säge oder eine Axt hin«, stieß er bitter hervor und warf den kostbaren Goldklumpen unwillig beiseite.
Kaum merklich senkte sich die milde Sommernacht herab. Die Sonne war längst ins Meer gesunken, und im Osten stieg mit warmem Leuchten der Mond herauf und warf freundliche Strahlen in Robinsons Höhle, als wolle er ihn trösten. Robinson aber richtete sich auf, starrte in das Feuer, das ihm dieser Tag beschert hatte, und legte Holzstücke auf, um die Glut am Leben zu erhalten.