Schiffbau und Ausfahrt — ein fremdes Schiff
strandet
Schon bei den ersten Handgriffen, mit denen Freitag den Stamm auezubrennen begann, schlug Robinson sich selbst an den Kopf. Wie war es nur möglich gewesen, daß er nicht auf diese Idee gekommen war? Der Schiffbau, für den Robinson, allein auf seine Kräfte angewiesen, sicherlich noch Jahre benötigt hätte, kam nun in gemeinsamer Arbeit nach zwei Monaten zum Abschluß. Freitag flocht aus Baumbast das Segel, und auch der Stapellauf ging leicht vonstatten, denn Robinson entsann sich, wie leicht sich schwere Lasten auf Rollen bewegen lassen. Schnell lag das Schiff zum Auslaufen bereit.
Die letzten Vorbereitungen waren getroffen, das Fahrzeug mit Proviant hinreichend versehen. Doch jetzt erst, da es ans Abschiednehmen ging, spürte Robinson, wie seine Insel ihm zur Heimat geworden war und wie schwer es ihm wurde, sie nun zu verlassen. Als er die treuen Lamas am Fuß des Berges weiden sah, wurden seine Augen feucht.
In aller Frühe stießen die beiden bei günstigem Wind vom Land ab. Er fuhr in die Segel und ließ das Boot schnell durch die Brandung gleiten. Sorgsam steuerten sie um die gefährlichen Riffe, in denen sich die Klippen des Vorgebirges fortsetzten. Kaum aber hatten sie das offene Meer erreicht, da wurde ihr kleines Boot so jäh fortgerissen, als jage es vor einem Sturmwincl her. Erschroken wollten sie ihre Segel reffen. Doch auch dieses Manöver minderte die Geschwindigkeit nicht. Erst jetzt erkannten die beiden zu ihrem Entsetzen, daß sie sich in einer reißenden Meeresströmung befanden. Sie mühten sich verzweifelt, den Kahn wieder aus der Strömung herauszuarbeiten, aber die Gewalt war So groß, daß sie kaum zur Besinnung kamen. Schnell entschwand die Insel, die für Robinson so viele Jahre die Heimat gewesen war, ihren Blicken, und nur die hohen Berge hoben sich gegen den Himmel ab.
»Wir sind verloren!« stieß Robinson verzweifelt hervor, denn wenn die Strömung sie nur noch kurze Zeit mitreißen würde, würden sie die Orientierung verlieren. Er hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, als er plötzlich spürte, daß die Geschwindigkeit, mit der sein Kahn dahinschoß, nachzulassen begann. Das Wasser wurde klarer, und an der Oberfläche des Wassers war zu erkennen, daß der Strom sich hier teilte und daß die Strömung, in der sich das Boot befand, wieder nach Süden umbog.
Mit neuer Hoffnung packten die beiden Männer zu und ruderten mit großer Anstrengung dem Strom entlang. Bald hatten sie den Wind im Rüden, und als Robinson die Segel zur Hilfe nahm, befanden sie sich zu ihrer Freude außerhalb der Gefahrenzone. Als winziges Pünktchen erschien ihnen ihre heimatliche Insel am Horizont. Sie hielten darauf zu, und als die Abendsonne ihre letzten Strahlen über die Berggipfel gleiten ließ, setzten sie den Fuß aufs sichere Land — ermattet zwar, doch unsagbar froh über die glückliche Rettung. Als die Nacht hereinbrach, erreichten sie Robinsons Behausung und legten sich todmüde zur Ruhe.
Ein paar Nächte später wurde Robinson durch ein heftiges Gewitter aus dem Schlaf geschreckt. Der Sturm brauste um die Höhle, und der Donner ließ die Erde erzittern. Robinson weckte seinen Gefährten. »Gut, daß uns dieses Unwetter nicht auf dem Meer überrascht hat«, stieß Freitag hervor. Ein Knall drang zu ihnen herüber. War das wiederum der Donner? Robinson vermutete, es handle sich hier um einen Kanonenschuß. In aller Eile sprang er auf, riß einen glühenden Holzscheit aus dem Herd und kletterte damit die Strickleiter empor. Freitag folgte ihm. Robinson war fest davon überzeugt, daß er sich nicht getäuscht hatte. Sicher war ein Schiff in der Nähe, das sich in Not befand und deshalb ein Signal gab. Die beiden Männer konnten ihre Absicht, dem Schiff ein Zeichen zu geben, nicht verwirklichen, denn ein starker Regenguß löschte die Flammen. Der Sturm erhob sich erneut mit aller Kraft, und. Donner und Blitz lösten sich einander ab. Es war, als würde die Welt untergehen. Robinson und Freitag waren froh, als sie in ihrer Höhle wieder sicheren Schutz fanden.
»Gott steh den armen Seefahrem bei!« stieß Robinson hervor, denn er hatte Mitleid mit den Unglücklichen auf offener See, die dem entsetzlichen Unwetter ausgesetzt waren, Zugleich aber bewegte ihn der Gedanke, daß da draußen vielleicht ein Schiff lag, das ihm endlich Rettung bringen und ihn samt seinem treuen Freitag nach Europa mitnehmen könnte.
Erst in der Morgenfrühe wurde es wieder möglich, nach dem Schiff Ausschau zu halten. Voller Spannung, Hoffnung und zugleich voller Furcht eilte Robinson mit seinem Gefährten zum Strand. Dort mußte er feststellen, daß ihr Boot, auf das sie so große Hoffnung setzten, vom Sturm losgerissen und weit in die See hinausgetrieben worden war. Freitags Enttäuschung kannte keine Grenzen. Ganz erschlagen starrte er auf die Stelle, wo sie das Boot an Land gezogen hatten.
Robinsons Gedanken galten dem Schiff. Aber vergebens ließ er seine Blicke über die weite See gleiten. Ob er sich getäuscht hatte? Seine Unruhe trieb ihn auf den Hügel, von wo aus man die Ostküste der Insel überblicken konnte, doch enttäuscht mußte er feststellen, daß er offenbar nur geträumt hatte. Um ganz sicher zu sein, stieg er auch noch auf einen anderen Berg, von dem aus die Westseite der Insel zu überblicken war. Dort entdeckte er allerdings ein Schiff, das vor Anker gegangen war.
Welche Gedanken mögen Robinson bei diesem Anblick durch den Sinn gegangen sein? Es drängte ihn, dem Gefährten sofort diese Neuigkeit mitzuteilen, und so rannte er mit fliegendem Atem zu Freitag hinunter: »Sie sind da! Sie sind da!«
Freitag dachte nur an die Wilden, deren Erscheinen auch über seinem Haupt wie eine ständige Drohung hing. Die Aufregung seines Herrn konnte nur auf jene Gefahr deuten, und so ergriff der Getreue sogleich seine Waffen und rannte hinter Robinson her. Erst am Strand erfuhr Freitag den Grund der Erregung. Mit ungläubigem Staunen blickte er hinüber zu dem Schiff, das Robinson ihm zeigte, denn trotz der riesigen Entfernung erkannte er genau, daß es größer war als das größte, das er je gesehen hatte.
Robinson brauchte lange, bis er seine Freude meistern konnte. Auf sein Geheiß entzündete Freitag ein Feuer, damit die Schiffsleute merkten, daß auf der Insel friedlich gesinnte Menschen lebten. Gespannt blickte Robinson auf das Schiff. Würde nicht bald ein Boot zu ihnen herüberkommen? Aber nichts geschah.
»Ich werde zum Schiff hinüberschwimmen«, schlug Freitag vor. »Sie sollen erfahren, daß hier Menschen einsam und in trostloser Lage leben.«
Robinson nahm seinen Vorschlag gern an. »Versprich mir nur, dein Leben nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzenl« bat er ihn.
Freitag sprang völlig unbekleidet ins Wasser. Im Mund trug er einen grünen Zweig, den er schnell gepflückt hatte, als Zeichen des Friedens. Mit erstaunlicher Geschicklichkeit, die Robinson schon oft an ihm bewundert hatte, durchschwamm er das Meer und hatte bald das fremde Schiff erreicht. Ungläubig hielt er vor dem riesigen Wunderwerk, paddelte dann rundherum und rief: »Holla!«
Niemand antwortete. War das mächtige Schiff ganz verlassen? Freitag bemerkte eine Strickleiter, die seitlich herabhing. Vorsichtig kletterte er hinauf, den grünen Zweig in der Hand. Jedermann würde sofort seine friedlichen Absichten erkennen. Niemand gab Antwort, als Freitag, selber etwas beklommen durch die seltsame Stille auf dem Schiff, immer wieder seine Rufe erklingen ließ. Der Riesenbau des Schiffes, die Einrichtung, die umherliegenden Einrichtungsgegenstände auf dem Verdeck, alles kam ihm wie ein Wunder vor. Ein Tier mit zottigem Fell, offenbar recht erschöpft, näherte sich ihm demütig und zutraulich. Freitag stand mit dem Rücken zur Treppe, die vom Oberdeck in das Innere des Schiffes führte, und wollte das Tierchen vorsichtig streicheln, als ihn plötzlich ein so heftiger Stoß in die Seite traf, daß er zu Boden stürzte. Entsetzt über diesen unerwarteten Überfall, blickte Freitag sich um und sah ein Tier mit spitzen Hömern und langem Bart, das eben wieder einen drohenden Anlauf nahm, um ihn niederzurennen. In seiner Angst stürzte Freitag an die Reling und schwang sich blindlings über Bord. Mit langen Stößen suchte er sich von dem unheimlichen Gegner zu entfernen, aber er hatte mit Schrecken und Entsetzen festgestellt, daß ihm jemand gefolgt war. Er wagte nicht, sich umzuwenden, und schwamm unter Aufbietung aller Kräfte um sein Leben. Als er, völlig erschöpft, endlich festen Boden unter seinen Füßen spürte, war auch schon der Verfolger hinter ihm. Aber es war nicht das Tier mit den furchterregenden Hörnern und dem langen Bart, sondern jenes zottelhaarige Wesen, das ihn so zutraulich und demütig begrüßt hatte. Es war ein Pudel, der sich neben ihm auf dem Strand niederließ.
Schon eilte Robinson herbei. Er hatte Mühe, den Gefährten zu beruhigen, und hörte bewegt, zuletzt auch etwas belustigt, was Freitag von seinen abenteuerlichen Erlebnissen in dem ungeheuren Bau des Riesenschiffes berichtete. Das gehörnte Ungeheuer, das ihn von Bord vertrieben hatte, schien ihm der Herr jenes schwimmenden Ungetüms zu sein, denn er hatte ja keinen einzigen Menschen angetroffen.
Für Robinson war es nicht schwer zu erraten, daß es sich bei jenem Ungetüm nur um eine Ziege handeln konnte. Viel wichtiger war die Frage, wo die Mannschaft des Schiffes geblieben sein mochte. Warum hatte sie das Schiff verlassen? Daß sie sich auf seine Insel gerettet hatte, war nicht anzunehmen, denn sonst müßte sie hier sein. War sie umgekommen, so würde man doch Menschen oder Bootsteile am Ufer entdecken. Sicher hatte der Ostwind sie in das offene Meer oder auf eine der westlichen Inseln abgetrieben, wo menschenfressende Wilde sie empfangen würden.
»Wir wollen von dem Schiff retten, was zu retten ist«, sagte Robinson. Jetzt empfand er, wie groß der Verlust seines Boots war, denn wie sollte er brauchbare Gegenstände an Land schaffen?
»Ein Floß«, rief Freitag, und auch Robinson schien dies die beste Lösung zu sein. Rastlos arbeiteten die beiden nun, fällten Bäume, und mit Stricken banden sie die Stämme zusammen.
Während der Arbeit freute sich Robinson an dem Pudel, der Freitag sofort gefolgt war. Es war ein zutrauliches Wesen, und für Robinson war er wie ein Gruß aus der fernen europäischen Heimat.