Bergungsarbeiten — neues Bauen
Ein seefestes Floß, etwa sechs Meter lang und sechs Meter breit, war in schneller Arbeit entstanden. Sie hatten es dicht am Strand gebaut, so daß sie es ohne Schwierigkeit zum Wasser bringen konnten. Bei Ebbe rollten sie es auf den Sand, und als dann die Flut einsetzte, hob diese es auf die See hinaus.
Freitag ruderte geschickt, und ehe eine halbe Stunde vergangen war, befanden sich die beiden Seefahrer ganz in der Nähe des Schiffes. Für Robinson war es unbeschreiblich erregend, nach langen, langen Jahren wieder europäische Räumlichkeiten zu sehen. Doch immer bedrückender wurde ihm der Gedanke, daß die Besatzung aus Übersee offenbar den Tod gefunden hatte. Noch immer war ihm nicht verständlich, warum sie das Riesenschiff verlassen hatten, aber als er mit Freitag das Floß in die Bucht lenkte, wurde ihm der Grund schnell klar. Das mächtige Fahrzeug war von dem Sturm genau zwischen zwei Felsen geworfen worden und hatte sich so festgeklemmt, daß es sich weder vor- noch zurückbewegen konnte.
Eine ganz geheime Hoffnung, die Robinson hegte, wurde damit schnell zunichte. Er hatte es nämlich für möglich gehalten, daß das Schiff noch unbeschädigt war und sich wieder flott machen ließe. So hätte er mit Freitag den Versuch unternommen, nach Europa, zumindest aber hinüber zur amerikanischen Küste, zu segeln. Die Gefahren allerdings, die dieses kühne Unternehmen barg, sich ohne die erforderlichen seemännischen Kenntnisse aufs offene Meer zu wagen, hatte er dabei nicht bedacht.
Aber auch eine Sorge wurde Robinson genommen: es war ja denkbar, daß eine schlimme Krankheit die Besatzung vertrieben hatte — etwa die gräßliche Pest —, und wie sollte er sich verhalten, wenn ein paar Seeleute auftauchten und eine Seuche auf die Insel schleppen würden?
So waren also eine Hoffnung und eine drohende Sorge hinfällig worden. Jetzt galt es, die Gelegenheit zu nutzen und von dem Schiff soviel wie möglich zu retten. Sie mußten sich aber beeilen, denn das bewegungslose Schiff war ja den Wellen ausgesetzt, und der nächste Sturm würde es sicher zertrümmern.
Eine seltsame Erregung überkam Robinson, als er an Deck kletterte. Die Ziege, von der Freitag sich so sehr hatte erschrecken lassen, war inzwischen recht sanft geworden. Sie schien sich nur mühsam auf den Beinen zu halten, und für die beiden war es eine Freude zu sehen, wie sich die Lebensgeister des Tieres regten, als Robinson etwas Futter aufstöberte.
Er durchsuchte nun das Schiff, schritt von Kajüte zu Kajüte, von Raum zu Raum und fand unendlich viele Dinge, die er früher nicht beachtet hatte, die ihm aber auf seiner einsamen Insel von unschätzbarem Wert sein würden. Schiffszwieback und Mais, Reis und Mehl, Flinten und Munition, Pistolen und Degen, ferner Werkzeuge aller Art, die im Werksraum des Schiffszimmermanns lagerten, Laternen und Ferngläser, Haushaltsgeräte aus der Schiffsküche. Das Materiallager barg Kisten mit Kleidung und Schuhen. Freitag stand sprachlos vor der Fülle dieser Wunderdinge, die ihm wie eine Zauberwelt erschienen. Robinson aber fühlte sich wie ins Märchenland versetzt und wußte nicht, was er zuerst von den Herrlichkeiten aussuchen sollte. Doch als er bei seiner Besichtigung in den untersten Schiffsraum stieg, mußte er mit Schrecken feststellen, daß dort ein starkes Leck war. Schon hatte sich der halbe Raum mit Wasser gefüllt.
»Wir haben nicht mehr viel Zeit!« rief er Freitag zu. »Wir müssen uns auf das Wichtigste beschränken!« Und er entschied sich, folgende Dinge mitzutiehmen: Flinten, Pistolen, Degen und Hirschfänger, dazu Schießpulver und Schrot, Kleidung und Leibwäsche; an Werkzeugen einige Beile, Sägen, Hobel, Brechstangen, Hammer und Zangen; Schreibpapier mit Tinte und Federn; Feuerzeug samt Zünder und Feuersteinen; ein Faß Schiffszwieback und eine große Rolle Segeltuch.
»Vergiß nicht das dort!« rief er zum Schluß seinem Gefährten zu und zeigte auf ein dickes Buch. Es war eine Bibel.
Schnell ging es dann ans Verladen, weil die Flut bevorstand, und die benötigten sie, um an Land zu kommen. Robinson zurrte alles sorgsam fest, damit nichts von dem kostbaren Gut verlorenging. Auch die Ziege nahm Robinson mit, denn er hatte Mitleid mit dem Geschöpf, das ohne menschliche Hilfe umkommen würde.
Als dann die Flut kam, legten beide mit dem Floß ab und gelangten bald glücklich an Land. Allzugern wollte Freitag wissen, was diese seltsamen Dinge zu bedeuten hatten und wozu sie nützlich waren. Robinson nahm sich vor, ihn zu überraschen, trat hinter einen Busch, legte ein Hemd an und die Uniform des Schiffskapitäns, dazu Schuhe und Strümpfe, schnallte sich den Degen um und setzte den Dreispitz auf.
Freitag war völlig sprachlos, als er seinen Herrn so verwandelt sah. Fast glaubte er, ein überirdisches Wesen vor sich zu haben. Von Robinson bekam er Matrosenkleidung, ließ sich zeigen, wie man sie entzieht, und. freute sich wie ein Kind, als er sich selber so prächtig gekleidet sah. Nur das Schuhwerk gefiel ihm nicht. Es war für den Naturburschen zu ungewohnt.
Gebrauch und Nutzen der Werkzeuge wurden Freitag sehr schnell verständlich. Mit den wertvollen Werkzeugen stellte Robinson einen Mastbaum für sein Floß her, um Segel hissen zu können. So war er nicht mehr von der Flut abhängig. Während Freitag zur Behausung eilte, um die Lamas zu melken und die nötige Hausarbeit zu verrichten, prüfte Robinson die Gewehre. Er wußte, das Schießen würde auf Freitag den größten Eindruck machen.
Als Freitag wieder zurückkam zeigte Robinson auf einen Wildvogel, der, etwa sechzig Schritt entfernt, sichtbar auf einem Zweig hockte. Dann legte er an und schoß.
Freitag wußte nicht, wie ihm geschah. Der Blitz und der Donner, an sein Herr aus dem Rohr geschickt hatte, kam ihm wie göttliches Zürnen vor. Natürlich ahnte er nicht, wohin der Schuß gegangen war. Er untersuchte, noch vor Schreck zitternd, sich selbst, indem er seine Matrosenbluse öffnete. Robinson lachte und zeigte wieder auf das erlegte Wild: »Bring mal den Vogel herbei!«
Mit ungläubigem Staunen betrachtete Freitag die Beute von allen Seiten. Robinson lud inzwischen sein Gewehr von neuem. Sein Blick fiel dabei auf einen mächtigen Vogel, den er für einen Habicht hielt. Es war jedoch, wie sich hinterher herausstellte, nur ein Papagei. Er saß weit entfernt auf einem Baum, gerade noch in Flintenweite.
»Den werde ich erlegen«, sagte Robinson zu Freitag und zeigte wieder zu seinem Ziel hinüber. Er gab Feuer und traf den Papagei so, daß er sofort von seinem Ast herab zur Erde fiel.
Wann endlich würde der sonst doch so aufgeweckte Freitag den Vorgang des Schießens begreifen, dachte Robinson. Freitag glaubte nichts anderes, als daß ein tod- und verderbenbringendes Wesen in dem Rohr lebe, mit dem man Tiere und Vögel und was man eben begehrte, also wohl auch Menschen, aus der Ferne töten könne.
Hätte Robinson es ihm erlaubt, so würde der gute Freitag ihn samt einem Gewehr wie einen Gott verehrt und angebetet haben.
In der Frühe des nächsten Morgens drängte Robinson wieder darauf, zu dem Wrack hinüberzufahren. Mit dem Segel ging die Fahrt noch schneller und leichter. Alle Bretter, die sich an Bord fanden, ließen sie auf ihr Floß nieder, um einen doppelt starken Boden zu gewinnen, und wieder stellte Robinson eine Ladung zusammen.
Er entschied sich für einen Sack Roggen und Gerste; dazu legte er einnen Sack Erbsen, Nägel und Schrauben, noch ein Fäßchen Schießpulver, Kugeln und Schrot, außerdem Messer, einen Schleifstein und etliche andere Werkzeuge. Ein Behälter mit Goldkörnchen und einer mit Diamanten befanden sich in der Kapitänskajüte, aber für Robinson schienen sie keinen Wert zu haben. Bedenkenlos ließ er die Schätze liegen.
Seit dem Vortag war erheblich mehr Wasser ins Schiffsinnere eingedrungen, und zu beiden Seiten hatten sich die Außenwände durch das Reihen an den Felsen bedenklich gelockert. Beim ersten Sturm . würde das Schiff auf jeden Fall auseinanderbrechen.
Mühelos erreichte Robinson mit seiner Beute und von Freitag begleitet das Ufer, und so nahm er sich vor, an diesem Tag noch eine Fahrt zu wagen, denn er machte sich Vorwürfe, weil er die wertvollen Schätze in der Kapitänskajüte nicht geborgen hatte. War es nicht seine Pflicht, sie für den Eigentümer zu erhalten? Hatte er das Recht, nur an seinen eigenen Vorteil zu denken, ohne zugleich die Interessen des Schiffsbesitzers wahrzunehmen, dessen Existenz vielleicht von den kostbaren Werten abhing? Kaum befand Robinson sich wieder auf dem Wrack, als er sogleich das Tönnchen mit den Goldkörnern und die Diamanten sicherstellte, dazu nahm er alle Papiere aus der Kapitänskajüte an sich, denn er mußte annehmen, daß auch diese Schriftstücke für den Schiffseigentümer von größtem Wert waren.
Jetzt fühlte er sich berechtigt, auch für sich zu sorgen. Er nahm sich einen Schubkarren, Kleidung und Wäsche und eine Unmenge Werkzeuge und Geräte, dazu eine der Bordkanonen. Robinson wollte sie bei einem eventuellen Überfall der Wilden als Abschreckung verwenden. Es war wieder eine kostbare Ladung, die die beiden Einsiedler zu ihrer Insel brachten, und dort am Ziel richtete Robinson rasch ein Zelt her, um die verderblichen Waren, besonders das Schießpulver, vor dem Regen zu schützen. Das große Segeltuch, das er geborgen hatte, genügte, um ein großes, festes Zelt zu bauen. Sorgfältig verwahrte er dort auch das Gold und die Edelsteine samt den Schiffspapieren, die leider in einer für ihn unverständlichen Sprache abgefaßt waren.
Noch sechs Tage konnten die beiden Männer täglich zwei- bis dreimal mal zum Wrack hinüberfahren, um möglichst viel zu retten. Nach der achtzehnten Überfahrt brach ein Unwetter aus, das jeden weiteren Versuch unmöglich machte. Tags darauf war das Wrack verschwunden. Nur ein paar Trümmer trieb der Sturm an den Strand.
Es war mühsam, alles zur Behausung zu schaffen, aber Robinson tat diese Arbeit gerne, denn wie reich an Gütern war sein Leben plötzlich geworden! Er ging daran, einen Schuppen für die Unterbringung all der Gegenstände, die in der Höhle keinen Platz hatten, zu bauen, und konnte dabei die vielen nützlichen Werkzeuge verwenden, die nun ihm gehörten. Auch das sichergestellte Material, das ihm so reichlich zur Verfügung stand, war von großem Nutzen.
Das Leben hatte sich für die beiden Einsiedler auf der Insel geändert. Sie bauten und werkten, verstärkten die Behausung zu einer festen Burg, weil Robinson immer noch einen Überfall der Wilden befürchtete, säten Getreide, backten Brot, richteten eine Schmiede ein, in der sie wertvolle Geräte, vor allem einen Pflug, herstellten. Nach kurzer Zeit schon gelang es, die Lamas daran zu gewöhnen, im Geschirr zu gehen und den Pflug zu ziehen. Eine Egge, die Robinson mit Hilfe selbstgeschmiedeter eiserner Zinken fertigte, erwies sich als unentbehrlich für das Unkrautjäten, und als Robinson zum ersten Male säte, erlebte er nach einigen Monaten die Freude, das Zwölffache wieder der ernten zu können.
Eines Morgens war Robinson wieder bei der Hausarbeit. Er hatte Freitag gerade zum Strand geschickt, um eine Schildkröte zu holen. Aber nach Wenigen Augenblicken kam er zurückgehetzt und rief schon von weitem atemlos vor Erregung: »O Herr! O Jammer!«
»Was ist denn geschehen?« Robinson war selber nun ganz erschrocken.
»Unten am Strand — ein, zwei, drei Kanus. Eins, zwei, drei!«
»Nur keine Sorge, Freitag!« beruhigte er ihn. »Hab keine Angst!« Aber der Ärmste zitterte vor Furcht, denn er dachte, die Kannibalen suchten ihn und wollten ihn töten und auffressen.
»Aber Freitag«, rief er, »die Gefahr ist doch für dich nicht schlimmer als für mich. Wenn die Kannibalen uns besiegen, so fressen sie uns eben alle beide. Dazu wird es aber nicht kommen, verlaß dich drauf! Bist du bereit, um dein Leben zu kämpfen?«
Freitag nickte. »Natürlich will ich mit dem Gewehr kämpfen, aber es sind zu viele!«
»Darum brauchen wir uns nicht zu sorgen, Freitag. Auch wenn unsere Schüsse ihr Ziel verfehlen, werden sie doch den Angreifern gehörig Furcht einjagen. Wirst du im Kampf für mich eintreten und mich verteidigen, so wie ich’s für dich zu tun bereit bin? Und wirst du alle meine Befehle befolgen?«
Freitag bejahte es mit tiefem Ernst.
Er erhielt einen guten Schluck Rum zur Kräftigung und lud auf Befehl seines Herrn die beiden Vogelflinten mit Schrot. Robinson selber lud vier Musketen und die Pistolen, die sie bei sich trugen. Das Schwert hing ohne Scheide an seiner Seite. Freitag nahm das Beil in die Hand.
In dieser Kriegsausrüstung kletterte er auf den Hügel. Mit Fernglas erkannte Robinson einundzwanzig Wilde und drei Gefangene. Die Wilden hatten mit drei Kanus den Strand schon erreicht und richteten eben ihre Opfer für die Siegesmahlzeit her.
Diesmal waren die Kannibalen nicht an jener Stelle gelandet, wo Freitag ihnen damals entkommen war, sondern näher an der Bucht, die bei Robinsons Behausung lag. Bis an den Strand hinab zog sich dichtes Unterholz und bot gute Deckung. In seinem Zorn über das entsetzliche Vorhaben der Kannibalen rannte Robinson in aller Eile zu Freitag zurück, der gespannt wartete. »Ich bin entschlossen, auf die Menschenfresser loszugehen und sie alle umzubringen«, rief er ihm schon von weitem zu. »Wirst du mir beistehen, Freitag?«
Der getreue Gefährte gab dieselbe Antwort wie vorher: »Ich hin bereit, für dich zu sterben,— wenn die Not es verlangt!«
Schnell verteilten sie die Waffen untereinander. Freitag schob seine Pistole in den Leibgurt, hängte die drei übrigen Gewehre über Schulter und folgte seinem Herrn.
»Halt dich ganz nahe hinter mir«, gebot Robinson ihm. »Und daß du ohne meinen Befehl keinen Schuß abgibst!«
So zogen sie um die Bucht herum, um unbemerkt von den Wilden hinter dem Wäldchen in Schußnähe zu gelangen.
Ruhig überdachte Robinson die Kampflage. Trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit der Wilden fürchtete er sich nicht, denn sie waren alle schlecht ausgerüstet. Aber ein Gedanke beunruhigte Robinson: warum wollte er seine Hände mit dem Blut dieser Menschen besudeln, die ihm doch nichts zuleide getan hatten? War es nicht Gottes Sache, hier einzugreifen? Wie kam Robinson dazu, als Richter oder Rächer aufzutreten?
Für Freitag lag die Sache anders. Sein Stamm stand mit diesen Männern auf Kriegsfuß. Er hatte somit das Recht, die Ankömmlinge anzugreifen und zu bekämpfen.
Solche Gedanken bewegten Robinson während des Anmarsches. Ich werde mich so nahe heransdfleichen, daß ich jederzeit eingreifen kann, sagte er sich. Zwingt mich aber kein Anlaß, die Waffe anzuwenden, so unternehme ich nichts.
Vorsichtig und ohne jedes Geräusch durchquetten sie den Wald. jetzt lag nur noch eine kleine Baumgruppe zwischen den Kannibalen und ihnen. Mit der Hand wies Robinson auf einen hohen Baum, von wo Freitag Ausschau halten wollte. Als er zurückkam, berichtete er: »Sie sitzen alle ums Feuer und verzehren das Fleisch eines Gefange nen. Ein Zweiter liegt ganz in der Nähe gefesselt im Sand. Sicherlich werden sie ihn anschließend töten. Es ist keiner von unserem Stamm, sondern einer von jenen bärtigen Männern, die im Boot an unserer Küste gelandet sind.«
Das Wort »bärtiger Mann« genügte, um Robinson in höchste Erregung zu versetzen. Ein Weißer also! Robinson nahm sein Fernglas zur Hand und konnte ihn deutlich erkennen. Er lag am Strand, an Händen und Füßen mit Binsen gefesselt. Seine europäischen Kleider hatte er noch an.
Robinson hatte Mühe, seinen Zorn zu bändigen. Mit größter Vorsicht schlich er näher, bis er auf einen halben Büchsenschuß heran war.
Ieder Augenblick war jetzt kostbar. Neunzehn Barbaren waren es, die dicht beieinander am Boden hockten, und gerade gingen zwei von ihnen hinüber, um den hilflosen Christen umzubringen. In wenigen Augenblicken würden sie den voller Gier am Feuer Wartenden ein Glied nach dem andern hinüberreichen.
Als die zwei Wilden sich bückten, um die Fesseln des Gefangenen zu zerschneiden, flüsterte Robinson seinem Gefährten zu: »Achte genau auf das, was ich tue, und mach’s mir nach! Hast du verstanden?«
Freitag nickte zur Bestätigung. Als Robinson eine Muskete und eine Flinte anlegte, folgte Freitag seinem Beispiel. Mit der anderen Muskete ging Robinson in Anschlag, und Freitag tat es ihm nach. Im gleichen Augenblick, da Robinson abdriickte, schoß auch Freitag. Auf seiner Seite fielen fünf, auf Robinsons war einer tödlich getroffen und zwei verwundet.
Es gab eine furchtbare Verwirrung unter den Wilden. Wer unverletzt war, sprang auf und wollte fliehen. Aber keiner wußte, wohin er sich retten sollte, denn niemandem war klar, aus welcher Richtung der Überfall gekommen war.
Freitag stand ungerührt da und wandte kein Auge von seinem Herrn, um keine seiner Bewegungen zu übersehen. Als Robinson wieder lud und in Anschlag ging, folgte er dem Beispiel, lud und zielte ebenfalls.
»Fertig?« fragte Robinson.
»Fertig!«
Wieder drückten sie beide ab, und wieder wurden so viele verwundet, daß sie schreiend und heulend wie die Wahnsinnigen umherliefen. Mehrere brachen zusammen.
Nun sprengen Robinson und Freitag aus ihrer Deckung hervor, stürzten vorwärts und brüllten aus Leibeskräften, um die Wilden von dem immer noch am Boden liegenden Weißen abzubringen. Die beiden Kannibalen, die dem armen Schlachtopfer den Rest geben wollten, waren bei dem ersten Donnerschlag der Gewehrschüsse kopflos ins Wasser geflüchtet und sprangen in das eine Boot. Auch drei anderen gelang es, das Kanu zu erreichen.
Robinson wies dorthin und befahl seinem Gefährten, Feuer zu geben. Freitag verstand sofort, rannte herbei und schoß. Alle fünf purzelten übereinander.
Inzwischen löste Robinson dem Gefangenen die Fesseln. Er fragte ihn nach seinem Namen.
»Christianus«, versetzte der Mann ganz erschöpft. Robinson reichte ihm seine Branntweinflasche zur Stärkung, und nach einem kräftigen Schluck fühlte sich der Befreite schon besser. Er sei Spanier, sagte er dann. Das Schiff, auf dem er sich befunden hatte, sei vom Sturm zerstört worden. Sechzehn seiner Landsleute seien ans Festland zu den Wilden verschlagen worden.
»Nachher sprechen wir weiter«, rief Robinson ihm zu. »Jetzt müssen wir kämpfen. Wenn Ihre schwachen Kräfte es zulassen, so nehmen Sie Schwert und. Pistole, um uns zu helfen.«
Kaum hatte der Spanier die Waffen in den Händen, da schienen ihm neue Kräfte zu wachsen. Wie ein Racheengel stürzte er auf seine Peiniger los und hatte im Augenblick zwei von ihnen niedergestreckt.
Die Wilden, die noch nicht verwundet waren, konnten sich von ihrem Schrecken kaum erholen. Von den fünf Männern im Boot waren zwei nur leicht verletzt. Sie erhoben sich furchtsam, doch als ein neuer Schuß fiel, stürzten sie voller Entsetzen wieder zu Boden.
Robinson hielt das Gewehr immer noch schußbereit in der Hand. Er ließ Freitag die abgefeuerten Gewehre holen, die unter dem großen Baum lagen, und lud sie von neuem, während Freitag mit Robinsons Waffe das Kampffeld überwachte.
Da gab es plötzlich ein bedenkliches Handgemenge zwisehen dem Spanier und einem Wilden, der mit seinem mächtigen Schlachtmesser auf Christianus eindrang. Der Angegriffene wehrte sich tapfer und beherzt trotz seiner Schwäche. Schon hatte der Wilde ihm zwei Wunden beigebracht und hielt ihn fest umklammert, um ihm den Degen aus der Hand zu winden. Der Spanier konnte eben einen günstigen Augenblick geschickt nutzen, ließ die Waffe fallen und streckte den Wilden mit der Pistole nieder.
Das alles vollzog sich so schnell, daß weder Robinson noch Freitag zu Hilfe eilen konnte. Freitag stürzte sich dann mit dem Beil in der Hand auf einige Wilde und räumte grausam unter ihnen auf. Der Spanier aber ließ sich schnell zwei der soeben geladenen Gewehre geben und beteiligte sich wieder am Kampf. Es war ein gräßliches Gemetzel. Nur drei von den einundzwanzig Wilden, die das Land betreten hatten, konnten sich in einem Kanu auf die offene See retten, alle anderen lagen leblos am Boden.
»Wir müssen sie verfolgen!« rief Freitag und zeigte auf eines der beiden zurückgelassenen Kanne. »Wenn sie die Nachricht von unserem Überfall nach Hause bringen, so könnten wir mit etlichen hundert Wilden rechnen, die über uns herfallen werden.«
Auch Robinson schien es nötig, die drei Fliehenden einzufangen, und wollte eben mit Freitag eines der Boote besteigen, da bemerkte er vor sich auf dem Boden des Kanus einen Gefangenen, den die Barbaren ebenfalls zu der schrecklichen Mahlzeit bestimmt hatten und der bisher seiner Aufmerksamkeit entgangen war. Schwer gefesselt und in jämmerlicher Verfassung lag der Mann dort in Erwartung seines grausigen Schicksals. Er war vor Furcht schon halb tot, weil er die Ereignisse gar nicht hatte begreifen können. Die Fesseln, mit denen er an Händen und Füßen geknebelt war, hinderten ihn, über den Rand des Bootes zu blicken.
In aller Eile zerschnitt Robinson die festen Baststricke und wollte den armen Menschen aufrichten. Doch der konnte sich nicht auf den Beinen halten und war auch zum Sprechen zu schwach. Nur ein erbärmliches Winseln brachte er hervor. Offenbar glaubte er, man habe ihm die Fesseln gelöst, weil er nun gefressen werden sollte.
»Sprich mit ihm!« wandte er sich dann an Freitag, »und sag ihm, er sei frei!«
Da geschah etwas, was Robinson fassungslos machte. Denn kaum hatte Freitag seinem Stammesgenossen in die Augen gesehen und einige gestammelte Worte aus seinem Mund vernommen, da stürzte er sich über ihn, küßte und drückte ihn, schrie und rief, lachte und hüpfte umher, tanzte und sang, schrie wieder und schlug sich selber auf den Kopf und auf die Wangen — kurzum, es war, als habe die übermäßige Freude und das ungeahnte Glück Freitag um seinen Verstand gebracht.
Eine ganze Weile dauerte es, bis Robinson sein seltsames Verhalten begriff. Endlich nahm Freitag wieder Vernunft an. »Mein Vater!« stieß er aus. »Mein Vater!« Unter Freudentränen umarmte er immer wieder den Mann, den sie aus Kannibalenhänden gerettet hatten. Auch Robinson konnte seine Erschütterung nicht verbergen. Freitag wußte nicht, was er seinem Vater Gutes erweisen sollte. Er sprang ins Boot, hielt seines Vaters Kopf und streichelte ihn, sprang wieder heraus, tanzte umher und hob die Hände in Dankbarkeit. Wieder sprang er ins Boot, rieb seinem Vater Arme und Beine, riß sein Hemd auf und drückte den Kopf des Alten an seine Brust, als wolle er auf diese Weise Kräfte auf ihn übertragen.
Über diesem überraschenden Wiedersehen vergaßen sie, die Wilde zu verfolgen. Inzwischen waren sie bereits außer Sichtweite. Ein paar Stunden später kam ein Nordweststurm auf, der sie von vorn packen mußte. Es war nicht anzunehmen, daß sie in ihrem Kanu jemals lebend die Heimatküste erreichten.
Aus Robinsons Proviantsack bekamen die Geretteten nun Nahrung; Gerstenkuchen und getrocknete Trauben. Kaum hatte Freitag seinen Vater damit versorgt, als er plötzlich aufsprang und wie von Sinnen davonrannte. Vergeblich rief Robinson hinter ihm her. Doch schon nach einer Viertelstunde war er zurück, eine Last auf dem Rücken und eine andere in der Hand: er war in der Burg gewesen, hatte einen Sack mit Broten und einen Krug Frischwasser geholt. Gierig griff Freitags Vater nach dem Wasser, das ihn mehr erfrischte als der Branntwein.
Nun bekam auch der Spanier zu trinken. Er kauerte im Schatten eines Baumes und war nach den Aufregungen und Anstrengungen zu Tod erschöpft. Seine Beine waren von den Fesseln steif geworden und ganz geschwollen. Auch schmerzten ihn die beiden Stichwunden, die ihm der Wilde beigebracht hatte, heftig. Dankbar nahm er das angebotene Brot und das Trinkwasser. Robinson gab Freitag den guten Rat, die Arme und. Beine seines Vaters mit Branntwein einzureiben. Immer wieder mußte Freitag seinen Vater ansehen. Auch jetzt konnte er das Glück, das ihm widerfahren war, kaum fassen.
Sie trugen dann den Spanier ins Boot, und mit den beiden Geretteten ruderte Freitag davon — so schnell, daß er trotz des Umweges früher in der Bucht bei der Burg anlangte als Robinson, der dem Ufer entlanggelaufen war. Sofort hastete Freitag zurück, um auch die anderen Boote zu holen.
Die beiden Geretteten ließ er inzwischen im Kanu sitzen, doch als er sie mit Robinsons Hilfe in die Burg führen wollte, war guter Rat teuer. Keiner der beiden konnte sich auf den Beinen halten. Robinson und Freitag fertigten eine Tragbahre und schafften die beiden zur Behausung hinüber. Aus dem vorhandenen Segelleinen bauten sie ein festes Zelt, bereiteten jedem ein Lager aus Reisstroh und legten weiche Ober- und Unterdecken dazu.