Robinson hat wieder Feuer — Leben zu Zweit

Robinson brachte seinen Gefährten nicht in die Höhle, sondern ließ ihn sich auf dem überdachten Hofplatz ausruhen. Dort bewirtete er mit Käse und gedörrten Trauben und gab ihm zu trinken, denn der Mann war nach der erregenden Verfolgung durstig. Dann versuchte er ihm durch Gesten klarzumachen, er könne sich auf einem Haufen Stroh ausruhen. Der Fremde war so erschöpft, daß er bald einschlief. Doch schon nach einer halben Stunde erwachte er, legte sogleich mit Hand an, als er Robinson beim Melken antrat, und wiederholte immer wieder die Gebärde der Unterwürfigkeit.

Nicht ohne Wohlgefallen betrachtete Robinson seinen neuen Gefährten. Er war schlank und gut gebaut und mochte etwa sechsundzwanzig Jahre alt sein. Nichts Grausames lag in seinen Zügen. Er : hatte eher etwas Kindliches. Sein langes schwarzes Haar war nicht kraus aus wie das der Neger, seine dunkelbraune Haut glänzte wie Ölfarbe. Zu den angenehmen Gesichtszügen paßte seine kleine schmale Nase und der Mund mit den schmal geschnittenen Lippen, zwischen denen die elfenbeinfarbenen Zähne blitzten.

Robinson machte kein Hehl aus seiner Zufriedenheit und versuchte eine Unterhaltung.

Zuerst gab er dem Fremden zu verstehen, er solle »Freitag« heißen, denn durch die Nennung dieses Tages, an dem er ihm das Leben gerettet hatte, wollte Robinson immer an die erste Begegnung erfinnert werden.

Dann begann er, ihm die wichtigsten Wörter der menschlichen Sprache, nämlich »ja« und »nein«, und ihre Verwendung beizubringen. Wenn er schnell begriff, gab Robinson ihm Milch zur Belohnung, die er mit einem freudigen »Ja! Ja!« entgegennahm.

Gemeinsam gingen sie zum Strand hinunter. Sie kamen an der Grabstätte der beiden Wilden vorbei, und Freitag schien Lust zu haben, sie auszuscharren, um sie zu verspeisen. Robinson zeigte ihm sehr deutlich seine Abscheu und verbot ihm, das Grab zu berühren. Demütig folgte Freitag seiner Weisung. Von dem Hügel, wo Robinson am Vortag Ausschau nach den Feinden gehalten hatte, erkannten sie deutlich, daß der Platz am Strand leer war. Die Kannibalen waren also weggefahren. Um ihre beiden Stammesmitglieder hatten sie sich nicht gekümmert.

Das Blut erstarrte Robinson fast in den Adern, als er mit Freitag an dem Platz stand, wo die Wilden so schrecklich gehaust hatten. Überall lagen halb abgenagte Menschenknochen und Reste von Fleischstücken herum, der Boden war rot von Blut. Es war das Bild einer gräßlichen Mahlzeit. Freitag gab durch Zeichen zu verstehen, daß vier Gefangene herübergeschafft worden seien. Drei davon habe man umgebracht und verzehrt, als vierter sei er vorgesehen gewesen.

Auf Robinsons Befehl legte Freitag alle Knochenreste auf einen Haufen, um sie zu verbrennen. Dabei stellte Robinson fest, daß Freitag ebenfalls gern Menschenfleisch aß, daß er also ein Kannibale war. Robinson gab ihm sehr deutlich zu verstehen, wie abscheulich eine solche Neigung sei, und verbarg seinem Gefährten nicht, daß er ihn umbringen werde, wenn er je in sein altes Verlangen zurückfalle.

Sorgfältig stocherte Robinson in der Asche herum, ob sich nicht vielleicht ein Fünkchen Feuer darin gehalten habe. Aber betrübt mußte er feststellen, daß diese Hoffnung vergeblich war. Während er so hilflos in die erkaltete Asche blickte, machte Freitag, der seinem Herrn eine Zeitlang aufmerksam zugesehen hatte, plötzlich ein paar unverständliche Zeichen, riß dann das Beil an sich und rannte wie ein Sturmwind zum Wald hinüber.

Erwartungsvoll blieb Robinson zurück. Was hatte den Gefährten bewegen, sich so überraschend dawnzumachen? Wollte er seinen Herrn verlassen? Wollte er ihn etwa an seine unmenschlichen Landsleute verraten?

Schon griff Robinson nach dem Speer, um den Flüchtigen zu verfolgen, da sah er Freitag in vollem Lauf zurückkehren. Und mit Erstaunen stellte er fest, daß der vermeintliche Verräter eine Handvoll dürres Gras, aus dem Rauch hervordrang, in die Höhe hielt. Jetzt fing es infolge der schnellen Bewegung Feuer. Schnell legte er noch mehr trockenes Gras und dann Reisig dazu, und schon sah Robinson zu seinem Erstaunen ein helles, lustiges Feuer auflodern.

Außer sich vor Freude, umarmte Robinson den dunkelhäutigen Gefährten. Durch Worte und Gesten brachte er außerdem seine Dankbarkeit zum Ausdruck. Nachdenklich blickte er in die flackernden Flammen, nach denen er sich seit langer Zeit gesehnt hatte, nahm ein brennendes Scheit auf und lief damit, von Freitag begleitet, zu seiner Behausung. Sogleich prasselte ein helles Feuer in der Küche. Er legte einige Kartoffeln hinein und eilte dann zu seiner Herde, um ein junges Schlachttier zu holen. Bald steckte es am Bratspieß, den Freitag eifrig wendete. Dann schnitt Robinson ein Bruststück ab, schälte Kartoffeln, mahlte zwischen zwei Steinen etwas Mais und tat alles zusammen in einen Topf.

Mit erstaunten Augen verfolgte Freitag diese Vorbereitungen, denn ihr Zweck war ihm fremd. Vom Kochen hatte er in seinem Leben noch nie etwas gehört, und so war ihm auch ganz unverständlich, warum der Topf mit dem Wasser aufs Feuer gestellt wurde. Robinson war eben für einige Augenblicke beiseite gegangen, als das Wasser zu sieden begann. Das Brodeln des kochenden Wassers machte Freitag stutzig, denn er hatte noch nie erlebt, daß Wasser siedet. Vielleicht ist im Wasser irgendein Tier verborgen, das diese Bewegung verursacht, dachte er und griff beherzt in das Wasser, um das Tier zu fangen. Aber ebenso schnell zog er die Hand aus der heißen Flüssigkeit heraus. Freitags Hand war restlos verbriiht, aber in seinem Unverstand glaubte er, es sei in der Tat ein gefährlicher Vogel in dem Wasser verborgen, und dieser habe ihn in die Hand gebissen. Von seinem Wehgeschrei erbebte die ganze Behausung, und Robinson, der sich draußen befand, konnte nichts anderes annehmen, als daß die Wilden zurückgekehrt seien und seinen Freitag schon gepackt hätten. Sollte er an seine eigene Rettung denken und sich schnell durch den unterirdischen Gang davonmachen, um sein Leben zu erhalten? Diesen Einfall gab er sogleich auf, weil es ihm schändlich erschien, Freitag im Stich zu lassen. Blindlings stürzte er, das Beil in der Rechten, in die Behausung, mit dem festen Entschluß, sein Leben für den Freund einzusetzen. Das Beil sank aus seiner Hand, als er den Gefährten ganz allein unter den seltsamsten Gebärden umhertanzen sah. Wie ein Unsinniger schrie Freitag dabei und hielt sich die Hand.

Es kostete viel Mühe, Freitag zu beruhigen, denn als Robinson klarmachen wollte, daß im Wasser nicht etwa ein Vogel sitze, ward ihm der Vorfall noch unheimlicher. Sicherlich war es also ein böser Geist, der in dem Wassertopf sein Unwesen trieb!

Robinson nahm Freitag nun ganz in seine Behausung auf. Um ihn nach menschlicher Art zu kleiden, hängte er ihm einige Lamafelle um, die er mit selbstgedrehten Stricken befestigte.

Bald erkannte Robinson, daß kein Anlaß bestand, sich vor irgendwelcher Hinterlist zu fürchten. Freitag legte eine Redlichkeit und Freude an den Tag, wie Robinson sie sich nicht besser wünschen konnte. Keine Spur von Eigensinn, Unwillen oder gar Bosheit zeigte er. Ein Sohn könnte nicht herzlichere Zuneigung für seinen Vater empfinden.

Auch wurde er der geschickteste Schüler, den sich ein Lehrer nur wünschen kann. Er war immer fleißig und aufnahmebereit. Für Robinson war es eine Freude, sich mit ihm abzugeben.