21

Die Liste, die der Ashgon durch Malacar geschickt hatte, führte alle Schüler jeder Brutstätte auf und legte fest, an welchem Tag sie die Arena betreten würden sowie welcher Bulle welcher Brutstätte zu welcher Zeit dort auftrat. Mein Name, Brut Res Zarq-die-Ausgeburt tauchte an zwei aufeinander folgenden Tagen auf dieser Liste auf.

Wäre mein Name mehr als zweimal auf dieser Liste erschienen, hätte das die Sorge des Tempels, meine Person betreffend, betont, und angedeutet, dass ich möglicherweise die Fähigkeit besäße, den ersten Tag zu überleben. Das war natürlich undenkbar. Es war absolut gewiss, dass solch eine Ausgeburt wie ich in dem Moment sterben würde, in dem der heilige Re in der Arena losgelassen wurde. In seiner göttlichen Wut würde er mich wegen meiner Verderbtheit und Irregeleitetheit abschlachten und die Nation von meiner Gegenwart befreien.

Trotzdem war ich noch für einen zweiten Tag eingeteilt. Für alle Fälle.

Das waren also die Wettbedingungen für Brut Re in diesem Jahr. In den acht Tagen des Abbasin Shinchiwouk würde unser Bulle einmal an jedem Tag mit dem Drachenmeister die Arena betreten und jedes Mal zehn bis fünfzehn Onahmes besteigen.

Kratt hatte seine zehn übrigen Zuchtrechte an die bullenlosen Brutstätten verkauft, die jährlich dafür zahlten, dass ihre Onahmes von Re bestiegen wurden.

Alle vierundzwanzig Novizen von Brut Re mussten wenigstens einmal während dieser acht Tage in die Arena, ebenso wie alle achtzehn Diener.

Es wurde allgemein erwartet, dass von den achtzehn Dienern höchstens zwölf überlebten, von den vierundzwanzig Novizen nur sechs.

Von den Veteranen von Brut Re mussten nur Eidon, Dono und vier weitere in der Arena kämpfen. Der Ashgon hatte Dono zweimal für die Arena vorgesehen, und zwar jedes Mal mit mir zusammen.

Also.

Von den achtundvierzig Schülern von Brut Re, die in diesem Jahr bei der Arena mitmachten, würden nach allgemeiner Erwartung höchstens vierundzwanzig dieses Spektakel überleben.

Ich würde nicht unter diesen vierundzwanzig sein.

 

Die lange, ungepflasterte Straße zur Arena war überfüllt von Rishi, die sich den Eintritt in das gewaltige Stadion nicht leisten konnten, aber wenigstens einen Blick auf die Schüler werfen wollten, die dort kämpften. In diesem Jahr wollten sie vor allem mich sehen.

Steine und faule Pflaumen regneten auf meinen Karren herunter. Die Schüler, die neben mir gingen, hielten sich die Arme schützend über die Köpfe und duckten sich. Der Inquisitor neben mir rührte sich nicht, bis ein fauler, stinkender Kürbis vernehmlich auf seinem Nacken zerplatzte.

Er brüllte weder seine Wut heraus, noch schrie er Beleidigungen. Er stand langsam auf, zog seinen gefährlichen Krummsäbel und stand vor mir, schwankend, als der Karren weiterrumpelte.

Die Drohung war unmissverständlich. Jeder, der ihn mit einem Stein oder einer faulen Frucht traf, würde enthauptet werden.

Danach wagte es niemand mehr, etwas zu werfen, weil alle Angst hatten, statt mich aus Versehen den Inquisitor zu treffen.

Unsere Prozession bewegte sich weiter auf die Arena zu, Waikar Re Kratt an der Spitze. Er wirkte prachtvoll auf seinem beeindruckenden Drachen, gefolgt von den bunt gekleideten Heiligen Hütern und den hochgeschätzten Bayen.

Der Lärm der Menge war verwirrend, ebenso wie der unverhohlene Hass in den Gesichtern, die mir Beleidigungen zuschrien. Die Menschen hockten auf Dächern, lehnten aus Fenstern, beugten sich von Balkonen herunter, standen dichtgedrängt am Wegesrand, und allesamt, elegant oder gemein, verlangten sie brüllend meinen Tod. Auf den Fingern der Menschen steckten Krallen aus Holz oder Metall, die wütend klackten.

Das Geräusch, das wie ein Hagelsturm klang, war ohrenbetäubend. Der Schatten der Arena tauchte uns alle in sein kühles Dämmerlicht.

Schließlich bog unser Zug um eine Ecke. Der Eingang eines mit einem Tor bewehrten Tunnels, der ins Stadion führte, gähnte vor uns. Waikar Re Kratt ritt mit seinem Drachen ruhig an den Wachen am Eingang vorbei und führte uns in die muffigen Eingeweide der Arena.

Ich hatte das Gefühl, in den Schlund einer gewaltigen, primitiven Bestie hinabzusteigen, mir schwindelte, und ich überlegte, warum ich so dumm gewesen war, mich in eine solche Lage zu bringen.

Warum war ich nicht mit Drachenjünger Gen geflohen, als ich noch die Chance dazu gehabt hatte?

 

»Du wirst bald in die Arena treten«, knurrte der Drachenmeister mich an. Sein Gesicht leuchtete in der Dämmerung wie ein fleckiger Halbmond. Der Boden und die Wände um uns herum vibrierten wie unter einem leichten, anhaltenden Erdbeben. Das gedämpfte Trompeten der Onahmes und das leise, wütende Brüllen der Drachenbullen hallte durch die muffigen Gänge.

Ich konnte in meiner Furcht die Drachen der Bayen beinahe verstehen; konnte fast die Worte, die Gespräche, Fetzen der Drachengesänge hören.

»Hörst du mir zu?«, schrie der Drachenmeister mich an.

»Ja.«

»Der Tempel will deinen Tod und basta. Re ist der erste Bulle, der die Arena betritt.«

»Seid Ihr bei mir?« Mein Kopf schien fast einen Meter über meinen Schultern zu schweben.

»Ja.«

»Wer noch?«

»Dono, Ringus, drei Novizen.«

Mein Blick glitt über die Schüler, die auf dem Boden des Gangs hockten. Sie rieben sich ihre Gliedmaßen mit Fett ein, damit die Schläge und Peitschenhiebe abglitten, statt sich in ihre Haut zu beißen. Ihre Lippen bewegten sich, während sie leise die Komikonpu Walan Kolriks beteten. Das Licht einer einzelnen, blakenden Fackel leckte wie Dämonenzungen über ihre fettglänzenden Körper.

»Das wird ein Blutbad«, murmelte ich.

»Ist der Himmelswächter in der Nähe?«, wollte der Drachenmeister wissen. »Kannst du ihn schon rufen?«

Ich konterte mit einer Gegenfrage: »Wie schnell könnt Ihr Re erregen? Wie lange muss ich dort draußen bleiben?«

»Keiner der für heute ausgewählten Novizen wird genug Geistesgegenwart aufbringen, um den Bullen zu erregen«, murmelte er. »Und Dono wird nur damit beschäftigt sein, dich niederzuschlagen.«

»Und Ringus?«

Ich blickte zu dem femininen Diener, der vor so vielen Monaten die Verwandlung des Geistes meiner Mutter von der Taube zum Geist mitangesehen hatte. Der erst vor wenigen Wochen Zeuge dieser bizarren Wohltat geworden war, die mir diese Drachenkuh erwiesen hatte, die so behutsam meinen Kopf in ihr Maul genommen hatte.

»Du musst den Dirwalan rufen, verstehst du das?«, knurrte der Drachenmeister. »Ruf deinen Himmelswächter, Mädchen, und benutz deinen verdammten Prügel, um die anderen niederzuschlagen!«

»Ich werde nicht … Ich kann nicht …« Die Worte blieben mir in der Kehle stecken, als meine Entschlossenheit, meinen Schwur zu halten, unter meiner Furcht dahinschmolz.

Der Drachenmeister packte mein Haar und zog mein Gesicht dicht vor seines.

»Töte jeden Schüler, der sich dir nähert. Sonst stirbst du selbst!«

 

»Es ist so weit.«

Ringus stand neben mir. Sein schlanker Körper glänzte nicht nur von dem Fett, sondern auch von einer dünnen Schweißschicht. Er hatte jeden Moment seit unserer Ankunft in den dunklen Eingeweiden der Arena mit Peitsche und Poliar seine Muskeln auf den kommenden Kampf vorbereitet.

Ich stieß mich von der Mauer ab, an der ich lehnte. Zu meinen Füßen lagen der Prügel und der Vebalu-Umhang, die man mir zugeteilt hatte. Ich bückte mich steif, hob den Umhang auf. Meine Muskeln waren verkrampft vor Furcht. Der verrostete Verschluss war von einem früheren Träger schlimm verbogen worden; der Haken ragte ein Stück heraus, scharf und gekrümmt wie ein Miniatursäbel. Es gelang mir nur unter Schwierigkeiten, die Kette über der Schulter zu schließen. Sie drückte schwer auf meinen Hals.

Ringus stand immer noch vor mir, nervös und unsicher. Er warf einen Blick in die Schatten im Gang hinter sich, der nur ungenügend von vereinzelten, blakenden Fackeln erhellt wurde.

»Erinnere dich an das, was du letzte Woche gesehen hast, heho«, sagte ich heiser, während ich ihm in die Augen sah. »Vergiss nicht, wie sich das Schicksalsrad drehte, vor meiner Entführung. Ich bin nicht dein Feind, Ringus. Und die Gnade des Einen Drachen fällt auf alle, die mich berühren.«

Seine Gurgel hüpfte auf und ab, und er leckte sich die schmalen Lippen. Dann nickte er, fast unmerklich, und wandte sich von mir ab.

Ich hob den Prügel auf. Er fühlte sich viel schwerer an als jeder Poliar, den ich je in der Hand gehalten hatte. Meine Hände waren klamm. Mit klappernden Zähnen ging ich zum Drachenmeister, der neben Dono und drei anderen Novizen stand. Die Schüler, die auf dem Boden lagen, zischten wie Schlangen, als ich an ihnen vorbeiging, und einer, die Stimme gehörte Eidon, hub an, das Gyin-Gyin zu sprechen.

Der Drachenmeister sah mich an. Seine blutunterlaufenen Augen glänzten im Dunkeln.

»Enttäusche mich nicht, Babu«, knurrte er.

Mit dem Drachenmeister an der Spitze marschierten wir durch den dunklen Gang zu der großen, staubigen Arena des Abbasin Shinchiwouk. Die elegischen Stimmen der Schüler, welche die Walan Kolriks murmelten, folgten uns.

Die drei auserwählten Novizen bewegten sich mit vor Angst steifen Gliedern. Einer weinte stumm, seine Augen traten aus den Höhlen wie die eines toten Fisches. Ein anderer wirkte wütend, umklammerte fest seinen Poliar und zitterte. Der dritte wurde an einem Seil durch den Gang gezerrt, das der Drachenmeister ihm um den Hals gebunden hatte; ich erkannte in ihm den Novizen, der von dem Ausbildungsfeld geflüchtet war, als Re auftauchte. Er rief immer wieder atemlos und flüsternd seine Mutter um Hilfe.

Keiner von den drei Novizen war älter als neun Jahre.

Und ich sollte einen von ihnen niederschlagen, um mein Leben zu retten? Zusehen, wie Re ihnen die Eingeweide aus ihren kleinen, glatten Bäuchen riss? Niemals! Nie würde ich mich so weit erniedrigen.

Dono ging neben dem Komikon, immer ein kleines Stück voraus, und sah mich an. Sein schmales, unrasiertes Gesicht war vor Ärger verzerrt, von Entschlossenheit und Mordlust derart gezeichnet, dass ich stolperte.

Ich wollte etwas zu ihm sagen, ihn daran erinnern, wie wir uns an denselben Schlingpflanzen durch die Luft geschwungen hatten, als Kinder, im Zwielicht warmer Sommerabende. Wir waren beide innerhalb derselben Woche schreiend aus dem Leib unserer Mütter gekommen und hatten an denselben Brüsten getrunken.

Aber meine Stimme versagte mir den Dienst, gelähmt von der Furcht, die durch meine Adern strömte, und der Wut in seinen.

Unter dem Dröhnen der großen Wassergongs, die von den zahlreichen Mönchen geschlagen wurden, die auf den Rängen der Arena verteilt waren, führte der Cinai Komikon Re Dono, Ringus, drei dürre Jungen und mich durch ein bewachtes Tor in die Arena.

Das Licht der Sonne wirkte nach dem Dämmerlicht im Gang viel zu grell. Wir blieben stehen, geblendet. Als die Menge uns sah, erhob sich ein Gebrüll von den mit Malacariten überfüllten Rängen der Arena. Der unheimliche Lärm schwoll an, so wie ein Windstoß, der über das Laubdach des Dschungels fegt, bevor ein Hurrikan Blätter und Wedel zerfetzt. Die Menge bewegte sich, während sie ihre Missbilligung herausbrüllte; die Ränge wogten, als wären sie lebendig. Ehrfürchtig und verängstigt drehte ich meinen Kopf nach oben, als das Klacken von mehr als zweihunderttausend Fingerkrallen wie ein wütender Hagelschauer an meine Ohren schlug.

Das Amphitheater war nicht überdacht, aber statt blauen Himmel über mir zu sehen, ragten gewaltige, gebogene Säulen wie freigelegte Rippen zur luftigen Mitte über der Arena. Die massigen, sich verjüngenden Säulen trafen sich nicht in der Mitte, weil dies kein noch so großartiger Architekt der Malacariten hätte leisten können. Aber um die Illusion eines Dachs zu schaffen, war ein silbernes Netz von Rippe zu Rippe gespannt worden, an dem Objekte befestigt waren, die glitzerten und sich bewegten, die Sonnenstrahlen einfingen und Prismen und blendende Lichtpunkte über die Menge unter sie zucken ließen. Es waren Spiegelscherben, Glocken aus gehämmertem Gold und Glaskugeln, die mit Edelsteinen besetzt waren, die dort in der Sonne glitzerten. Ich konnte zwar aus dieser Entfernung keines der Objekte wirklich erkennen, aber ich wusste aus den Geschichten, die ich als Kind gehört hatte, worum es sich handelte.

Ich blickte auf das berühmte Fa-Tigris Wamanarras, des Imperators Firmament. Jedes versilberte Kettenglied und jeder Schmuck wurde für den alljährlichen Abbasin Shinchiwouk poliert. Dieses funkelnde Netz wirkte für Drachenaugen undurchdringlich. Erst einmal in der Geschichte des Ranon ki Cinai hatte ein Drachenbulle versucht, es zu durchbrechen und zu entkommen.

Weit unter diesem Firmament lagen die großen, ringförmigen Zuschauerränge. Ich wusste es damals noch nicht, aber jede einzelne Etage ragte ein bisschen hervor.

Die Höhlen, die sich folglich unter den Überhängen bildeten, wurden Lyamunas genannt, Grotten.

Wenn ein Bulle sich zum Flug erhob während des Shinchiwouk oder wenn die Arena unter den Schlägen der Schwingen erbebte und die Onahmes vor Lust brüllten, verkrochen sich die meisten Zuschauer in diesen Grotten. Ruchlosigkeiten fanden dann dort statt, unwillkürliche oder bewusste, wenn Schenkel sich an Schenkel presste, Brust an Brust, während die nach Lust stinkenden Drachenkühe über ihren Köpfen kreisten und der Bulle jede Drachenkuh bestieg, die landete.

Diejenigen, die aus Mut oder Würde darauf verzichteten, sich in die Grotten zu flüchten, riskierten, mit Onahme-Guano bespritzt zu werden. Guano-Jungen huschten zwischen den Rängen umher, mit großen Körben auf den Rücken und Schaufeln in den Händen. Die berauschten Zuschauer verfluchten sie oder warfen ihnen Münzen zu, je nach dem.

In regelmäßigen Abständen erhoben sich mit Baldachinen versehene Logen auf den Rängen, auf denen jeweils das Emblem einer Brutstätte prangte. Dort saßen Drachenjünger, Frauen der Bayen, erfahrene Ebani, Kriegerfürsten der Brutstätten. Die Tische in diesen Logen bogen sich unter Weinflaschen, Wettbrettern, Früchten, Kuchen und Nüssen. In einigen fanden nach jedem Shinchiwouk Orgien statt, wenn die Zuschauer berauscht waren vom Wein, dem Duft der Lust der Drachen, dem Spektakel, dem vergossenen Blut und dem Anblick eines großen Bullen, der eine Onahme nach der anderen begattete.

Ich ließ meinen geblendeten Blick über die Ränge gleiten und hielt bei einem großartigen, purpurfarbenen Baldachin inne, der das geschwungene, verflochtene Emblem des Ranon ki Cinai trug. Ah.

Die Empore des Ashgon.

Von meinem Standort aus sah ich von dem berühmten Mann nur die Federn auf seinem Hut und einen Berg von besticktem Tuch, der auf einem großen, scharlachroten Thron hockte.

Der schmerbäuchige Mann neben ihm war der Ranreeb der Dschungelkrone. Davon war ich überzeugt.

Der Ashgon hob schwerfällig eine Hand. Die Mönche im Stadion hörten auf, die Wassergongs zu schlagen, die Menge verstummte. Spannung erfüllte die Luft. Mein Mund wurde trocken, und mein Herz schlug noch schneller.

»Verteilt euch!«, rief der Drachenmeister. Wir Schüler setzten uns in Bewegung, gingen auf Abstand voneinander. Ich bewegte mich wie im Traum, konnte weder meine Füße noch meine Beine unter mir fühlen. Vielleicht schwebte ich ja.

Zwei Novizen blieben nebeneinander stehen, wie gelähmt vor Angst.

Dono stellte sich links von mir auf, ging leicht in die Knie, genau zwischen mir und dem schweren Eisengitter, hinter dem Re wartete. Der Drachenmeister stand in einer ganz ähnlichen Haltung zwischen mir und Dono. Ringus hatte ein gutes Stück rechts von mir Position bezogen.

Die Zeit schien sich zu dehnen, die Geräusche verzerrten sich, wurden tiefer. Ich registrierte den Staub unter meinen nackten Füßen: Er war heiß und körnig. Ein Fliege summte um meinen Kopf.

Der Ashgon ließ seine Hand sinken.

Einen Moment geschah nichts. Dann hallte das scheppernde Geräusch rostiger Zahnräder durch die Arena, als das große Eisengitter vor Res Stall hochgezogen wurde. Die Menge murmelte und bewegte sich; es klang wie der Wind, der durch einen Hain fährt.

Hinter den Gittern brüllte der mächtige Re.

Sein Brüllen schien mein Herz zu sein, das wie verrückt in meiner Brust pochte. Ich konnte nicht atmen, mich nicht rühren, nicht einmal denken, als sein wütendes Brüllen meinen Verstand lähmte.

Sein Schlachtruf verstummte, und ich hatte das Gefühl, als würde mein Herz ebenfalls aufhören zu schlagen.

Die Onahmes, die hinter dem Gitter im Gang neben dem seinen zu sehen waren, trompeteten eine Antwort. Eine erstickende Wolke von Moschusgeruch wehte durch die Luft.

Das Eisengitter vor Res Gang ruckte noch höher. Dono hob seinen Poliar und sah mich an.

Im selben Moment stürmte Re aus dem Tor.

Mein Herz verkrampfte sich, meine Finger wurden schlaff. Der Drachenmeister rannte auf Re zu und brüllte wie verrückt. Die Zuschauer sprangen mit einem gewaltigen Brüllen auf.

Re veränderte die Richtung seines Angriffs und nahm Kurs auf den brüllenden Drachenmeister. Dono griff mich an.

»Mutter!« Ich versuchte, zu schreien, aber kein Laut drang aus meiner Kehle, keine Macht explodierte aus meinem Inneren, und keine außerweltliche Gestalt krachte durch das Firmament des Imperators.

»Mutter!« Diesmal schrie ich, aber sie kam immer noch nicht. Sie tauchte nicht auf, hielt sich fern.

Nein. Nein! Das war nicht möglich! Sie konnte mich nicht schon wieder im Stich lassen, sie würde es nicht tun, konnte es nicht …

Sie tat es.

Ich drehte mich um und lief weg.

Nur gab es keinen Ausweg.

Ich prallte gegen die hohe Mauer des Kolosseums, kratzte vergeblich daran, während der Prügel auf den Boden vor meine Füße fiel.

Drei Meter über mir brüllten mir Rishi Beleidigungen zu, warfen Steine und faule Früchte auf mich. Sie prasselten auf meinen Kopf und meine Schultern herunter. Mit einem lauten Schrei taumelte ich von der Wand weg und drehte mich langsam um.

Im Augenwinkel sah ich, wie der Drachenmeister Re mit seiner Peitsche in Schach hielt, während Ringus auf die Hoden des gewaltigen Drachen zurannte. Und direkt vor mir sah ich Dono, der sich mir rasend schnell näherte.

Mein Blickfeld verengte sich, bis ich nur noch Dono wahrnahm.

Kurz vor mir wurde er langsamer und packte seinen Poliar fester. Mein Körper bewegte sich beinahe unwillkürlich. Ich trat zurück, nahm meinen Vebalu-Umhang ab und drehte ihn zu einem Tau, das Kettenende unten.

Als wären wir Partner in einem primitiven Tanz, begannen wir, uns zu umkreisen.

»Du bist mein Milchbruder, Dono!«, stieß ich heiser hervor. Mein Mund war strohtrocken. »Du willst das nicht wirklich tun!«

»Drachenhure! Ausgeburt!«

»Mach dich nicht zum Meuchelmörder des Tempels! Verkauf dich nicht an den Imperator!«

»Du hast mich einmal korrumpiert, Zarq. Noch einmal wird dir das nicht gelingen!«

»Ich dich korrumpiert!«, schrie ich. »Such im Tempel nach Korruption, nicht bei mir!«

»Dämonenbrut! Djimbibastard!«

In diesem Moment konnte ich, wie schon in meiner Kindheit, wie immer in meiner Jugend, meinen Mund nicht halten, als es besser gewesen wäre, konnte den Ärger und die Empörung nicht dämmen, die wie eine Flut in mir anschwollen.

»Ebani-Basa Coldekolkar!«, konterte ich.

Schoßzerreißender Sohn einer Lusthure.

Das war Donos wenig ruhmreicher, schon lange vergessener Geburtsname, ein Name, der von einer Kindheit kündete, die von Demütigung und Spott gebrandmarkt war. Um diesen Namen abzuschütteln, hatte er sich fast umgebracht.

Mit einem wütenden Schrei griff er mich an.

Ich wich seinem Angriff aus, aber ich schätzte ihn falsch ein. Sein Poliar traf meine Hüfte; ich wirbelte herum, schmerzerfüllt. Die Menge tobte. Mir schwindelte unter diesem Schmerz, ich war wie benommen.

Der Boden unter mir bebte. Mit einem Seitenblick erkannte ich voll Schrecken, dass Re dicht neben mir war, mit dem Drachenmeister und Ringus kämpfte. Seine von Gift bedeckte Zunge schnellte vor.

Wie groß er war, wie muskulös und wie schnell! Er strahlte Hitze und Wut aus. Seine gewaltigen, schuppigen Hinterbeine schwangen in meine Richtung, die Krallen wirbelten Staubwolken auf. Der Drachenmeister tanzte um ihn herum, schwang seine Peitsche, während Ringus immer wieder zwischen die Hinterbeine des Bullen rannte.

Die beiden Novizen, die wie gelähmt dastanden, kreischten, als Res Hinterbeine plötzlich drohend vor ihnen aufragten. Sie ließen ihre Waffen fallen und rannten blindlings davon.

Ihre panischen Bewegungen erregten Res Aufmerksamkeit. Mit atemberaubender Geschwindigkeit wirbelte er herum, hätte dabei Ringus beinahe im Staub zermalmt und fegte den Drachenmeister mit seinem wild zuckenden Schweif von den Beinen. Re streckte seinen schlangenartigen Hals vor, seine Zunge zuckte heraus. Mit einem lauten Klatschen traf er einen der flüchtenden Novizen mitten ins Kreuz. Der Junge segelte durch die Luft und landete mit dem Gesicht voran im Staub, rutschte auf Bauch und Kinn durch die Arena. Res Schnauze schoss auf ihn zu, er riss die Kiefer auf und packte den gestürzten Jungen mit seinem Maul. Ein gurgelnder Schrei gellte durch die Arena. Dann wirbelten Glieder durch die Luft, als Re ihn schüttelte. Eine Klaue seiner Vorderbeine zuckte zu seinem Maul, eine Kralle zischte durch die Luft. Der Boden vor ihm färbte sich rot von Blut.

Die Menge brüllte erneut.

Dono hämmerte mir den Poliar gegen die Rippen, und ich brach zusammen.

Glühender Schmerz zuckte durch meinen Oberkörper. Mein Kopf schien zu schwimmen und von Watte umhüllt zu sein.

Dono stürzte sich auf mich, schwang seinen Poliar wie eine Axt über den Kopf. Die Furcht spritzte Adrenalin in meine Adern, ich tastete nach meinem Umhang und schlug damit wild nach ihm, als er seinen Poliar auf mein Gesicht heruntersausen ließ. Ich rollte mich zur Seite. Sein Prügel landete krachend im Staub. Ich fühlte, wie der Verschluss der Kette sich in etwas verhakte, und als ich mich zur Seite rollte und an dem Umhang zog, schien der Verschluss sich nur zögernd zu lösen.

Dono kreischte.

Der Haken des Verschlusses hatte sich in sein linkes Augenlid gegraben.

Er schlug die Hände vor sein Gesicht, riss an der Kette, riss den Haken aus seinem Lid. Ich starrte ihn entsetzt an, als Blut über sein Gesicht sprudelte, von dem Augenlid, das er sich selbst zerfetzt hatte. Dicht hinter mir brüllte Re; er war nah, viel zu nah. Ich lag immer noch auf dem Rücken im Staub, drehte mich um und blickte über meine Schulter.

Eine von Res gewaltigen, mit Krallen bewehrten Klauen wühlte den Boden kaum eine Handbreit von mir entfernt auf. Die Erde bebte.

Ich stieß einen schrillen Schrei aus.

Verwirrung packte mich, Staubwolken hüllten mich ein, und über mir sah ich nur einen Berg aus wogenden Bauchschuppen.

Dann nahm ich eine Gestalt in den Staubwolken wahr. Ringus.

»Lauf, verschwinde!«, schrie er, als ich mich aufrappelte. Re fuhr erneut herum, schnell wie ein Blitz, ich sah zwei geschlitzte, gelbrot glühende Augen über mir auftauchen, und im nächsten Moment wurde Ringus in die Luft gerissen, zappelte in Res Maul.

Der Drache richtete sich auf die Hinterbeine auf. In typischer Drachenmanier benutzte er die scharfen, gekrümmten Krallen an seinen vorderen Klauen, um die Beute in seinem Maul zu zerfetzen.

Ich stolperte fort, entsetzt, benommen von dem Schmerz, der von meinen Rippen ausstrahlte, dort, wo Dono mich mit seinem Poliar getroffen hatte.

In dem Moment hörte ich Eierkopfs Stimme in meinem Kopf.

Wenn ihr in der Arena schwer verletzt worden seid und Re euch angreift, ist Pundar eure einzige Hoffnung. Zieht das Cape über euch, lasst euch zu Boden fallen, bleibt stumm und rührt euch nicht.

Nur hatte ich keinen Umhang mehr.

Dann sah ich einen der Novizen, der vor Entsetzen wie angewurzelt in der Nähe des Torgitters stand, durch das wir die Arena betreten hatten, kaum eine Klaue voll Schritte von mir entfernt.

Ich rannte zu ihm und riss ihn an der Hüfte zu Boden.

Wir landeten hart auf der Erde.

Ich presste meine Hand auf seinen Mund und zerrte ihm den Umhang von den Schultern.

Den ich anschließend über uns beide legte.

»Sei ruhig!«, zischte ich ihm ins Ohr. »Pundar! Pundar!«

Der entsetzte Junge zitterte wie Espenlaub, gehorchte jedoch.

Der Boden bebte, als Res gewaltige Klauen stampften und immer näher kamen. Ich hielt den Atem an, schloss die Augen und wehrte mich gegen den fast übermächtigen Drang wegzulaufen, zu flüchten.

Der Drachenbulle brüllte; es war ein mächtiges Brüllen, das uns bis in die Knochen drang.

Der Novize unter mir stieß einen schrillen Schrei aus. Ich wartete, während mir Tränen der Furcht über die Wangen liefen, wartete auf das Knacken, wenn Re mein Rückgrat zerbrach.

Es kam nicht. Nein.

Stattdessen fegte ein staubiger Windstoß über uns, wehte unseren Umhang weg.

Exponiert und hilflos blinzelte ich durch die Staubwolken. Der mächtige Re stand in der Mitte des Stadions, während der Drachenmeister ihn anbrüllte.

Der große Bulle hatte seine mächtigen Schwingen gespreizt und schlug damit die Luft. In den unteren Rängen des Kolosseums wackelten die Baldachine; Schleier und Bitoo knatterten wie Fahnen.

Dann sah ich es. Res Erektion. Sein großer, gegabelter, rotgefleckter, rosa Phallus schimmerte in der Sonne.

Erleichterung und Unglauben durchströmten mich: Ringus und der Drachenmeister hatten es geschafft. Re war bereit zur Paarung.

Während die eisernen Tore, welche die Onahmes zurückhielten, unter dem Jubel der Zuschauer langsam hochgezogen wurden, rappelte ich mich auf und zog den weinenden Novizen auf die Beine. Ich stützte mich schwer auf ihn, als wäre er eine Krücke, und wir kehrten in den Gang zurück, durch den wir die Arena betreten hatten. Es schien ein ganzes Lebensalter vergangen zu sein, und doch waren nur wenige Momente verstrichen.