5

Steh auf, Ausgeburt!« Dono stand neben meiner Hängematte in meiner Stallbox, kippte mir einen Eimer eiskaltes Wasser ins Gesicht.

Spuckend und keuchend fuhr ich hoch.

Diener und Novizen, die sich an der Schwelle meiner Box drängten, kicherten. Dono drehte sich um und schritt hinaus; die Jünglinge bildeten hastig eine Gasse, um ihm Platz zu machen.

Ich besaß nicht die Kraft, um ihn zu verfolgen. Mein gesamter Körper fühlte sich so steif an wie eine getrocknete Tierhaut. Ich warf den Neugierigen finstere Blicke zu und wischte mir das Wasser aus den Augen.

»Was gibt es da zu glotzen, heho?«

Sie murmelten untereinander und kehrten zu ihrer Hütte zurück, aus der gerade andere Schüler heraustaumelten und über den Hof zu den Latrinen stolperten. Meine Latrine wirkte, noch ohne ihr Dach, wie enthauptet.

Dann fiel mir der Besuch meiner Mutter ein. Zitternd und klatschnass schlug ich die Hände vor mein Gesicht.

Es gab so viel, wogegen ich kämpfen musste, in mir und um mich herum; so würde es immer sein. Jeder Moment dieses Lebens als Schüler eines Drachenmeisters, das ich erwählt hatte, würde von Kampf geprägt sein, Kampf um den Respekt meiner Kameraden, Kampf, in der Lehrzeit die Arbeit mit den Drachen zu überstehen, Kampf, die Arena zu überleben, wenn es so weit war. Zudem musste ich täglich gegen den eisernen Willen des Geistes meiner Mutter ankämpfen sowie gegen die Konventionen unserer Gesellschaft, gegen die mächtigen Gesetze des Tempels, gegen den Hass der Rishi, deren Lebensumstände ich verbessern wollte, indem ich mich den Sitten und Vorschriften widersetzte, denen sie so ergeben nachhingen.

Wo, bei all diesen Kämpfen, war mein Wunsch nach Rache geblieben, das Ziel, Waikar Re Kratt aus seiner Brutstätte zu vertreiben, ihn zu vernichten? Ich hatte einfach nicht genug Mumm, das alles zu bewerkstelligen.

Ich brauchte so dringend Schlaf, dass sich meine Augen wie feuchte Klumpen aus Lehm und Stroh anfühlten, meine Knochen zerbrechlich wie Glasröhren und meine Muskeln wie schwere, verfaulte Melonen.

Was war nur in mich gefahren, einen solch unmöglichen Weg zu beschreiten? Wie konnte ich nur so naiv sein? Meine Lage war nahezu ausweglos. Vielleicht sollte ich tatsächlich alles aufgeben, den Wünschen meiner Mutter folgen und mich auf die Suche nach einer Schwester machen, die schon lange verschollen und höchstwahrscheinlich tot war.

Oh, Re! Ich brauchte Gift, um den Geist in Schach zu halten. Ich brauchte Gift, damit ich weiterkämpfen, meinen Weg fortsetzen konnte.

Kaum schoss mir dieser Gedanke durch den Kopf, als mir auch schon der beißende Geruch von Drachengift in die Nase stieg. Ich fuhr vor Schreck zusammen, ließ die Hände von meinem Gesicht gleiten und zuckte beim Anblick des Drachenmeisters zurück, der unmittelbar neben meiner Hängematte stand. Er hielt einen gefüllten Trinkkürbis in den Händen.

Er sagte kein Wort. Das musste er auch nicht. Der zitronige Duft des schäumenden Getränks war beredt genug. Er hielt mir den Trinkkürbis hin, als wäre er eine zerbrechliche Glasschale.

Ich schüttelte den Kopf. Der Schmerz von der gestrigen Anstrengung lief mir wie heißes Öl den Hals und die Schultern hinab.

Der Drachenmeister hielt mir den Kürbis erneut hin.

Mein Herz schlug etwas schneller.

»Nein«, hauchte ich, während ich den Blick seiner blutunterlaufenen Augen erwiderte.

»Nein«, wiederholte ich flüsternd, als er sich nicht von der Stelle rührte, aber es lag keine Überzeugungskraft in meiner Stimme, gar keine. Stattdessen lief mir der Speichel im Mund zusammen.

»Nein«, stieß ich ein drittes Mal heiser hervor. Zur Antwort hielt der Drachenmeister den Kürbis an meinen Mund.

Ich trank.

 

Mit Hilfe des Giftes, das durch meine Adern sang, hatte ich das Dach für meine Latrine gezimmert, noch bevor die Sonne ihren Zenit erreicht hatte.

Der Schild des Gifts befreite mich einstweilen von der Fessel des Willens meiner Mutter, löschte meine Schmerzen sowie meine Zweifel aus.

Ich trat zurück und betrachtete stolz mein Werk. Die Latrine würde ihren Zweck ausgezeichnet erfüllen, auch wenn sie sich sehr stark nach links neigte und statt einer Tür nur ein Schlupfloch in Kniehöhe aufwies. Was dieser bescheidene Verschlag jetzt noch benötigte, war die monatliche Läuterung durch einen Drachenjünger.

Ein grün-violetter Schimmer unter dem Überhang des Dachs erregte meine Aufmerksamkeit. Ich legte schützend die Hand über die Augen und betrachtete das Ding genauer.

Es war eine Dartanfen.

Diese Spinnen wurden als Glücksbringer betrachtet, als Zeichen der Gunst des Reinen Drachen, denn sie wiesen dieselbe Farbe auf wie ein Drachenbulle. Ich grinste albern, als die Spinne im Schatten des geneigten Dachs ihre feinen Seidenfäden spann.

»Du wirst schwerlich lernen, Re zu dienen, wenn du wie ein Narr herumlungerst«, knurrte jemand hinter mir. Ich drehte mich um und begegnete dem Blick des Drachenmeisters. Sein kahler Schädel glänzte in der glühenden Sonne, und einen Moment wirkte seine Glatze wie eine von Moos bewachsene Walnuss auf mich, was gewiss der Wirkung des Giftes zuzuschreiben war.

»Glaubst du, ich hätte den Tempel verärgert, damit du in meinen Stallungen herumstehst und Arachniden angaffst? Dafür habe ich die letzten Tage nicht mit dem Ranreeb über alte Schriftrollen gestritten und mich mit Tempelnarren herumgeschlagen!« Er deutete mit einem schwieligen Daumen nach Osten. »Mach dich auf den Weg zum Vebalu-Feld, zu den anderen Schülern, sonst setzt es Peitschenhiebe für deine Faulheit!«

Ich blähte meine Nasenflügel. Unglücklicherweise förderte das Gift meinen Jähzorn, immer, so auch jetzt.

»Der Tempel kann mir meinen rechtmäßigen Anspruch nicht verweigern, Re zu dienen!«, brauste ich auf. »Die Schriftrolle des Rechtshäuptigen Kranichs erklärt eindeutig, dass jeder, der von einem heiligen Messer gereinigt und von einem vom Tempel eingesetzten Drachenmeister gekürt wurde, einem Bullen dienen darf.«

»Ich brauche keine Belehrung über das, was die Schriftrolle sagt, Mädchen. Was in den Schriftrollen geschrieben steht und was in Malacar tatsächlich geschieht, sind häufig sehr verschiedene Dinge!«

»Der Tempel kann mir diese Stellung nicht verweigern. Er darf es einfach nicht!«

Das Gesicht des Drachenmeisters lief braunrot an, als er sich bemühte, seinen Zorn zu beherrschen. In dem Moment fiel mir ein, wie schmal der Grat war, auf dem er zwischen Wahnsinn und Verstand balancierte, nachdem er all die Jahre dem Gift ausgesetzt gewesen war.

»Aber ich bin sicher, dass Eure klugen Argumente selbst die trübsten Hirne des Tempels zu meinen Gunsten haben umstimmen können«, fuhr ich hastig fort, um ihn zu besänftigen.

Er klapperte mit den Zähnen wie eine aufgeregte Katze, kurz bevor sie sich auf einen Vogel stürzt, dann lief ein Schauer durch seinen Körper, und er zuckte einmal fast krampfhaft mit den Schultern.

»Wir werden sehen, ob es mir gelungen ist oder nicht«, stieß er barsch hervor. »Jetzt jedoch ist das nicht von Belang.« Er grinste wie ein Wahnsinniger. »Gestern Nacht hat es einen Aufstand gegeben. Mehrere Weiler der Verlorenen haben sich zusammengerottet und Brutstätte Maht angegriffen. Der Ranreeb ist heute Morgen ausgeflogen, um die Rebellion niederzuschlagen.«

»Also bin ich in Sicherheit!«

»Sicherheit, pah! Falls du nicht fleißig lernst, damit du die Arena dieses Jahr überlebst, bist du alles andere als das. Re wird dich mit einem Zucken seiner Klaue ausweiden.«

»Ihr schickt mich doch nicht in die Arena, bevor ich so weit bin!«, rief ich angsterfüllt.

»Sag mir nicht, was ich tun kann und was nicht! Es gibt Regeln, der Tempel herrscht über die Arena …«, er geriet vor Wut ins Stocken und deutete grob nach Osten, als wollte er mich mit dieser Geste dorthin schleudern. »Und jetzt geh zum Vebalu-Feld und beginne mit deiner Ausbildung. Sofort!«

Ich biss mir auf die Zunge, kehrte ihm den Rücken zu und wollte die Werkzeuge wieder in die Kiste packen.

Als ich mich bückte, um den Deckel anzuheben, schien ein Stück glühende Kohle auf meinen Rücken zu fallen, brannte sich durch den Umhang, den ich trug, und biss in die Haut meiner linken Schulter. Ich schrie auf, sprang hoch und wirbelte herum, in einer einzigen, flüssigen Bewegung. Mir drehte sich alles vor Augen, von dem Gift, und ich schwankte wie ein Betrunkener.

Der Drachenmeister stand vor mir, eine kurze, geflochtene Peitsche in der Hand.

»Jawohl, Komikon!«, brüllte er.

Ich leckte mir die trockenen Lippen. »Jawohl, Komikon!«

»Vergiss das nicht noch einmal!«

»Jawohl, Komikon!«

»Und kehre niemals jemandem den Rücken zu. Niemandem, verstanden? Niemals!«

»Jawohl, Komikon«, antwortete ich. Aber er hatte sich bereits von mir abgewandt und schritt davon.

 

Ich setzte mich in Bewegung, nach Osten, in die Richtung, in die der Drachenmeister gezeigt hatte, in den angrenzenden Stallhof. Ich sage, ich setzte mich in Bewegung, doch es fühlte sich an, als würde ich treiben, so leicht bewegten sich meine vom Gift geschmierten Muskeln.

Als ich an den Stallboxen mit den lebhaften Drachen vorbeiging, knurrten mich einige an, während andere mich mit ihren starren, schrägen Augen nur eindringlich ansahen. Die rautenförmigen Membranen am Ende ihrer kurzen, biegsamen Schwänze schlugen rhythmisch gegen den Stein. Tock-tock. Tock-tock.

Erst nach einigen Momenten wurde mir bewusst, dass dieses Geräusch im selben Rhythmus wie mein Herzschlag ertönte, dass der Muskel hinter meinen Rippen im perfekten Gleichklang mit den Muskeln der Drachen schlug, die hinter den Gittern der Stallboxen hockten.

Tock-tock. Tock-tock.

Dieser Gleichklang beunruhigte mich, obwohl ich unter dem Einfluss des Giftes stand. Auf diese Weise wollte ich nicht eins mit den Drachen sein, nicht das Gefühl der Gefangenschaft dieser Drachen tief in meinem Busen erfahren.

Ich hastete weiter, den Blick von den Drachen abgewandt.

Das Vebalu-Feld lag hinter dem Getreidesilo im dritten Stallhof, demselben Silo, hinter dem ich mich an meinem ersten Tag in der Stalldomäne versteckt hatte. Das angestrengte Knurren und die Schreie der Jünglinge dienten mir als Kompass. Kaum tauchte ich auf dem staubigen Übungsfeld auf, als Eierkopf auch schon auf mich zukam.

»Setz dich dorthin!«, brüllte er mir über dem Lärm zu und deutete auf eine Gruppe von Novizen, die am Rand des Feldes auf ihren Fersen hockte. »Und sieh zu!«

Eierkopfs Verhalten sagte mir, dass Ringus ihm nichts von dem Besuch des Geistes letzte Nacht erzählt hatte. Als ich mich zu den Novizen gesellte, suchte ich mit dem Blick das Übungsfeld nach Eidon ab. Da, dort war er, rang mit Dono, während andere Veteranen in Zweiergruppen um sie herum trainierten. Eidon hatte mich nicht gesehen. Noch nicht.

Die Sonne über uns brannte vom Himmel, als hätte sie allem Grünen und Lebendigen Blutfehde geschworen. Der Boden des Übungsfeldes war trocken und rot wie Ziegel, und die Ausrüstungsgegenstände und Geräte waren von einer so dicken rötlich braunen Staubschicht überzogen, dass sie in der Hitze wie glühende Kohlen schimmerten.

Hier also würde ich das Vebalu erlernen, die Übungen, mittels derer sich die Schüler des Drachenmeisters ihre körperliche Beweglichkeit, Koordinationsfähigkeit, Reaktionsschnelligkeit und den Umgang mit den Waffen für die Arena aneigneten.

Ich hatte etwas Raffinierteres erwartet.

Dann sah ich Ringus. Der schlanke Diener führte eine Gruppe seiner Kameraden durch eine wilde Abfolge von Leibesübungen. Er stand mit dem Rücken zu mir, hatte mich nicht ankommen sehen. Ich fragte mich, was wohl geschehen war, seit er gestern Nacht vor mir geflüchtet war.

Ringus beendete unvermittelt die Übungen und stieß einen langen Pfiff aus. Die Diener stürzten sich auf den Hindernisparcours des Übungsfeldes.

Zuerst rannten sie zu einem hüfthohen, schmalen Balken, balancierten darüber und sprangen mit einem Purzelbaum am Ende herunter. Nach der Landung rafften sie eine oder mehrere Teile der Kampfausrüstungen an sich, die auf dem Boden herumlagen. Während sie umherliefen und auf einige hohe, mit Stroh umwickelte Pfähle einprügelten, bekämpften und behinderten sie sich gegenseitig. Die Verbissenheit, mit der sie ihre Übungen absolvierten, steigerte sich; sie schwangen ihre Schilde, Lanzen, Umhänge und Knüppel mit boshaftem Ingrimm. Immer wieder gellten zwischen dem angestrengten Knurren laute Schmerzensschreie auf.

Nachdem sie acht Runden auf dem Hindernisparcours absolviert hatten, liefen die Diener wieder zu dem Balken zurück, ließen ihre Waffen davor fallen und warfen sich dann auf ein kuppelförmiges, mit Tierhaut überspanntes Gestell.

Es war etwa vier Meter hoch, bestand aus gebogenen Bambusstangen und sollte unverkennbar den Rücken eines Drachenbullen repräsentieren. Ziel der Übung war, auf den Rücken dieses Bambusdrachen zu springen, indem man seine Hinterbeine als Sprungbrett nutzte, sich von dort auf sein Rückgrat zu schwingen, von dort nach einer halben Drehung die andere Seite hinabzurutschen und so an der gegenüberliegenden Flanke auf dem Boden zu landen.

Unterdessen sprang Ringus heran und huschte unter dem symbolischen Hodensack des Drachen hindurch. Die recht aufdringliche Beule, die ihn versinnbildlichte, kam mir zwar viel größer vor als bei einem echten Bullen, aber genau wusste ich es nicht. Die einzigen männlichen Drachen, die ich gesehen hatte, waren die senilen Bullen im Konvent von Tieron gewesen; die Hoden und Penisse dieser Bestien waren ebenso verschrumpelt gewesen wie ihre Schwingen.

Jedes Mal, wenn Ringus auf die Hoden des Bambusdrachen zurannte, breitete er die Arme aus, umarmte den Hodensack, so gut er konnte, und rieb seinen Oberkörper und die Hüften dagegen, als versuchte er, Kreise darauf zu malen.

Ich errötete bis unter die Haarwurzeln.

Das war der anrüchige Teil der Pflichten eines Schülers, der Teil, bei dem Kinder und Frauen kicherten, und es war dieser Moment in der Arena, in dem Männer lüstern ihre Aufmunterungen herausbrüllten, meist mit anzüglichem Spott garniert. Wir Schüler setzten unsere Hände und Körper ein, um den Drachenbullen zu erregen. In eben diesem Augenblick prostituierten wir uns für den Tempel.

Ein Drachenbulle kann nur während des Shinchiwouk eine Erektion bekommen, beim Kampf und Kräftemessen mit einem anderen Bullen. Weil Bullen jedoch so selten sind, würde kein Kriegerfürst einer Brutstätte seinen kostbaren Bullen bei einem solchen Kampf aufs Spiel setzen. Aus diesem Grund wurde das Abbasin Shinchiwouk, die Arena, ins Leben gerufen. Was ich bis dahin von der Arena wusste, war Folgendes:

Die Arena lag am Rand von Fwendar ki Bol, dem Dorf der Eier, und war sowohl ein Ort als auch ein Ereignis. Jedes Jahr unterzogen sich die Drachenbullen jeder Brutstätte acht Tage lang in dem gewaltigen Tempelstadion dem Shinchiwouk. Man schloss Wetten darauf ab, wie lange die Drachenschüler jeder Brutstätte brauchen würden, um ihren Bullen zu erregen, wie viele Schüler dabei ihr Leben verlieren würden und wie viele Drachenkühe ein Bulle besteigen würde, sobald er erst erregt war. Dieses blutige, wüste Spektakel wurde vom Hochadel Malacars und des ganzen Archipels besucht. Die tiefer gelegenen Ränge der Arena, die sich näher an den Ereignissen befanden, waren immer bis zum Bersten von Rishi besetzt, von xxeltekischen Seeleuten und niederen Händlern. Status, Wohlstand und politischer Einfluss einer jeden Brutstätte wurde jedes Jahr in der Arena neu entschieden. Die Hälfte der Schüler eines Drachenmeisters blieben auf ihrem blutgetränkten Boden liegen.

Während des Shinchiwouk in der Wildnis greifen die Bullen mit ihren gepanzerten Schädeln die Flanken und die Hoden ihres Gegners an, natürlich in der Absicht, den Konkurrenten zu vertreiben. Die wenigen überlieferten Berichte von solchen wilden Shinchiwouks im Dschungel berichten allerdings übereinstimmend, dass der schwächere Bulle sich zurückzieht, bevor er ernsthaft verletzt wird. Diese Stimulierung der Hoden, zusammen mit dem wütenden Kampfgebrüll und dem Duft, den die Drachenkühe aussenden, die diesem Schauspiel beiwohnen, bewirkt die Erektion des Drachenbullen. Fehlt auch nur eines dieser Elemente beim Shinchiwouk, das Massieren des Hodensacks, die Kampflust oder der Duft der versammelten Drachenkühe, vermag ein Bulle sich nicht zu paaren.

Damit dieses Shinchiwouk nun in der Arena erfolgreich nachgespielt werden kann, müssen die Schüler des Drachenmeisters in einem Bullen Kampflust wecken, indem sie seine Hoden stimulieren. Die jungen weiblichen Drachen, die diesen gespielten Kampf hinter großen, eisernen Gittern verfolgen, scheiden dabei die notwendigen Pheromone aus.

Ich wandte, von Kopf bis Fuß errötet, den Blick von Ringus ab, der weiterhin mit dem ganzen Körper seine wilde Manipulation an dem Hodensack des Bambusdrachen vollführte.

Es gab noch mehr Stationen auf dem Vebalu-Übungsfeld, aber ich konnte sie nicht genau erkennen. Meine Sicht wurde von den strohumwickelten Pfählen, dem Bambusdrachen und den wirbelnden Leibern behindert. Eines jedoch war unverkennbar: Die Ausbildung auf dem Vebalu-Feld war intensiv und anstrengend.

Nachdem Ringus mehrmals über den Bambusdrachen gesprungen war, kam er zu uns Novizen und baute sich vor uns auf. Seine Haut glänzte vor Schweiß, und seine schmale Brust hob und senkte sich unter seinen angestrengten Atemzügen; seine Augen glänzten, und er wirkte übermütig. Er war gut im Vebalu, sehr gut. Zweifellos würde er bald zum Veteranen befördert werden.

Dann fiel sein Blick auf mich.

Er blieb wie angewurzelt stehen, erbleichte und sah kurz zu den Ringern hinüber, wo Eidon trainierte. Ringus schluckte mühsam, dann drehte er sich steif wieder zu uns um, mied jedoch meinen Blick. Sein Übermut war verflogen. Offenbar hatte er Eidon erzählt, was gestern Nacht passiert war.

Ärger wallte in mir hoch, ein heißer, scharfer Ärger, und erlosch ebenso rasch wieder, als ich begriff, dass ich damit gerechnet hatte. Jetzt musste ich nur einen Weg finden, Ringus’ Angst vor mir zu meinem Vorteil zu nutzen.

»Hoch mit Euch!«, schrie Ringus uns Novizen an. »Tut es mir nach, und bleibt nicht zurück, sonst wird euch Eierkopf verprügeln!«

Eierkopf stand mit finsterer Miene neben uns und schlug klatschend einen Lederknüppel in seine Handfläche.

Wir zuckten zusammen. Ein schiefes Grinsen hellte Eierkopfs finstere Miene auf, und er lachte gurgelnd vor Entzücken, bevor er seinen drohenden Gesichtsausdruck wieder aufsetzte.

»Genau so, macht weiter, macht es mir nach!«, schrie Ringus, sprang hoch und umfasste kurz seine Hacken, bevor er wieder landete.

Aufgeheizt von dem Gift, fühlte ich mich so beweglich wie eine Dschungelkatze, meine Muskeln schienen gespannt wie Stahlfedern. Ich ließ Ringus nicht aus den Augen und ahmte jede seiner Bewegungen nach. Dann steigerte ich allmählich das Tempo, versuchte, ihn zu einem Wettkampf zu zwingen. Er beobachtete mich aus den Augenwinkeln, selbstverständlich, und wurde ebenfalls schneller, um mit mir Schritt zu halten.

Ich beschleunigte die Übung noch mehr, sprang so rasch hoch, dass meine Zehen bei der Landung kaum den Boden berührten. Ringus hielt mit.

Schon bald sanken die anderen Novizen neben mir keuchend und schwer atmend zu Boden, die Ordnung löste sich auf. Eierkopf stürmte von Novize zu Novize, brüllte sie an, schlug sie mit seinem Lederknüppel, einen bestürzten Ausdruck auf seinem runden Gesicht.

»Hoch mit euch! Was ist bloß mit euch los! Springt, los, springt, alle zusammen!« Er schleuderte mit einem wütenden Schrei seinen Lederknüppel zur Seite, packte einen Jungen um die Taille und riss ihn immer und immer wieder in die Luft empor.

»Zusammen mit Ringus!«, brüllte er. »Springt! Springt! Springt!«

Ich dagegen hielt mühelos mit Ringus mit; wir starrten uns wie gebannt an; der Wettkampf zwischen uns beiden war mittlerweile ganz offensichtlich, und es war klar, dass er ihn unbedingt gewinnen wollte. Nach kurzer Zeit lagen alle anderen Novizen erschöpft auf dem Boden. Eierkopf ließ davon ab, sie anzubrüllen, und sah stattdessen Ringus und mir staunend zu; sein Unterkiefer hing schlaff herab.

Meine Lungen brannten, als hätte sich die Luft in heißes, zähes Blut verwandelt. Mir verschwamm alles vor den Augen, aber aufgeben würde ich nicht. Noch nicht.

Ringus strengte sich ebenfalls an. Er besaß zwar einen Vorteil, weil er bereits mehrere Jahre als Schüler gelernt hatte, aber diesen Vorteil glich das Gift aus, das mir der Drachenmeister mit dem Trank verabreicht hatte und das durch meine Adern strömte. Dennoch verließen uns beide allmählich die Kräfte; unsere Sprünge waren nicht mehr schnell oder anmutig, sondern schwer, als wären Steine an unsere Fußgelenke gebunden.

Nach einer weiteren Klaue voll angestrengter Sprünge, nach denen meine Lungen wie Feuer brannten, kam ich zu dem Schluss, dass ich Ringus weit genug getrieben hatte. Dass er überhaupt bereit gewesen war, sich mit mir zu messen, nachdem er letzte Nacht meinen übernatürlichen Wortwechsel mit einem Geist miterlebt hatte, nötigte mir Respekt ab. Wenn ich sein Selbstwertgefühl vor mir wiederherstellen und seinen Respekt verdienen, mich vielleicht sogar seiner Hilfe versichern wollte, musste ich diesen Wettkampf, den ich ihm aufgenötigt hatte, würdevoll verlieren.

Also brach ich mit einem keuchenden Stöhnen, das nicht ganz gespielt war, auf dem Boden zusammen. Nach ein paar weiteren Sprüngen, mit denen er seinen Sieg gehörig auskostete, hörte Ringus ebenfalls auf. Als wir beide wie Fische auf dem Trocknen nach Luft rangen, kam Eierkopf wieder zur Besinnung.

»Ihr habt Euch wirklich genug aufgewärmt, heho!«, knurrte er gereizt. »Normal ist das nicht.«

Er deutete auf die Novizen und ließ sein Unbehagen an ihnen aus. »Setzt euch hin, los, hoch mit euch, und bereitet euch für die nächste Übung vor! Ihr werdet jetzt den Umgang mit euren Waffen lernen, und ich will, dass ihr sehr genau aufpasst!«

 

Während die Veteranen die Zielübungen mit ihren Bullenpeitschen begannen, versammelten sich die Diener in einer Ecke des Übungsfeldes und übten mit Umhängen, Knüppeln, geknüpften Netzen und Prügeln, die mit großen Buckeln besetzt waren. Poliare nannte Eierkopf sie, als er uns Novizen die verschiedenen Instrumente erklärte, mit denen ein Drachenbulle gereizt wurde.

»Aber heute üben wir nur mit den Umhängen und den Knüppeln«, sagte er und stieß mit dem Fuß gegen einen der lederbezogenen Knüppel, die auf einem Haufen schmutziger, terrakottafarbener Umhänge vor ihm lagen. »Denkt daran, ihr trainiert für die Arena, heho! Wenn ihr überleben wollt, bewegt euch schnell und schlagt kräftig zu. Ihr sollt euren Gegner niederschlagen, damit er als Köder für Re dient, während der Drachenmeister und sein Diener oder Veteran in der Arena mit dem Bullen arbeiten kann.«

Mit dem Bullen arbeiten. Welch ein Euphemismus für diese Hurerei an Re, dafür, dass wir den Bullen aufgeilten!

»Wenn ihr jemanden schlagt, solltet ihr ihn wirklich mit aller Kraft treffen, damit er schreiend zu Boden fällt und sich dort windet. Wenn Re in die Arena gelassen wird, hat er mehrere Tage lang kein Futter bekommen, heho; also ist er hungrig und böse und verdammt frustriert, denn er kann die Weibchen in den Ställen wittern, kann sie aber nicht erreichen.

Und lauft nicht weg, wenn der Bulle sich auf euch stürzt«, fuhr Eierkopf fort, während er eine Fliege verscheuchte, die um seine geölten Locken summte. »Bewegungen reizen ihn, Bewegungen und Lärm. Ihr müsst lernen, stillzustehen, wenn er angreift, zu warten, bis er ganz nah ist, und euch erst bewegen, wenn er so schnell ist, dass er nicht mehr gut manövrieren kann. Dann könnt ihr hinter ihn gelangen und gut mit ihm arbeiten.«

Er nahm einen Umhang von dem Haufen vor ihm hoch. Der zerfranste Stoff hatte dieselbe rotbraune Farbe wie der Boden, schien fast aus Staub gewoben zu sein.

»Jeder Schüler trägt ein solches Cape in der Arena. Lasst niemals zu, dass ein stärkerer Schüler euer Cape erwischt; wenn das passiert, werdet ihr in einen Zweikampf verwickelt, und als Novize habt ihr keine Chance. Mit dem Cape kann man euch würgen, euch ersticken oder euch die Sicht nehmen. Aber«, er zerquetschte die lästige Fliege mit einem lauten Klatschen zwischen seinen feisten Händen, »es kann auch euer Leben retten.«

Voller Unbehagen registrierte ich, wie trocken mein Mund während dieser Lektion geworden war, wie feucht meine Handflächen sich anfühlten. Die Novizen neben mir traten beklommen von einem Fuß auf den anderen; ihre wachsende Angst machte sie rastlos.

»Ihr wisst doch alle, was ein Pundar ist, richtig?«, fragte Eierkopf uns mürrisch.

Allgemeines Nicken antwortete ihm. Pundar waren Echsen, die sich verblüffend gut tarnen konnten. Ihre Haut konnte in wenigen Sekunden die Farbe wechseln, vom Grün des Dschungels zum Rotbraun der Erde, und darüber hinaus vermochten sie länger als ein Kind die Luft anzuhalten und so reglos und steif dazuhocken, als wären sie ein Erdklumpen.

»Die Kunst des Pundar ist etwas, was wir Schüler lernen«, fuhr Eierkopf fort. Diese Behauptung hätte sicherlich an jedem anderen Ort Heiterkeit ausgelöst, wir jedoch hörten nüchtern zu. »Wenn ihr in der Arena schwer verletzt worden seid und Re euch angreift, ist Pundar eure einzige Hoffnung. Zieht das Cape über euch, lasst euch zu Boden fallen, bleibt stumm und rührt euch nicht.«

Ich erschauerte bei der Vorstellung, dass ich mich unter einem verschlissenen Umhang zusammenkauerte, während ein Drachenbulle von der Größe einer Scheune auf mich zustürmte.

»Vergesst nicht, Re stürzt sich auf Laute und Bewegungen. Ich will damit nicht sagen, dass er nicht gut sehen kann, heho! Aber wenn ihr eben einen anderen Novizen mit einem Schlag gefällt habt und er sich heulend auf dem Boden wälzt, wird Re sich auf ihn stürzen und nicht lange herumschnüffeln und versuchen herauszufinden, wohin ihr verschwunden seid. Jeder Veteran hier in dieser Domäne hat den Angriff eines erregten Bullen in der Arena mindestens einmal überlebt, weil er Pundar angewendet hat, nachdem er zuvor einen anderen Schüler niedergeschlagen hatte, als Köder für Re.«

Ich räusperte mich, was mir die Blicke aller Anwesenden eintrug.

»Was passiert mit der Person, die gestürzt ist? Was genau meinst du mit ›Köder‹?«

Eierkopf schnaubte abfällig. »Was glaubst du wohl, wird passieren? Jeder, der zu Boden geschmettert wurde, wird von Re zerfetzt, und während er frisst, können die Überlebenden gut mit ihm arbeiten. Was gibt es da zu verstehen?«

Darauf vermochte ich nichts zu erwidern.

»Falls es euch gelingt, einen Widersacher niederzuschlagen, Res Angriff zu überleben und mit ihm zu arbeiten, werdet ihr nach eurer Rückkehr zu Dienern befördert. Damit steigen eure Chancen, die Arena im nächsten Jahr zu überleben, weil ihr mehr Zeit mit dem Vebalu-Training verbringen könnt, statt Ställe ausmisten zu müssen, und ihr könnt außerdem Allianzen mit den Veteranen knüpfen, die euch in der Arena den Rücken freihalten. Das Wichtigste jedoch ist«, er drohte uns mit seinem fleischigen Finger, »als Diener taucht euer Name vielleicht gar nicht auf der Liste des Ashgon auf, was bedeutet, dass ihr möglicherweise gar nicht in die Arena müsst.«

Die Novizen starrten Eierkopf gebannt an. Den entschlossenen Mienen der Jünglinge war anzumerken, dass jeder überzeugt war, die Arena überleben zu können und zum Diener befördert zu werden.

Ich konnte es nicht ertragen, in die Gesichter dieser Jungen zu sehen, auf denen ihre kindliche Entschlossenheit so deutlich zu erkennen war.

Die Mehrheit dieser Novizen war acht bis zehn Jahre alt, also waren sie fast alle neun Jahre jünger als ich. Ihre Knie traten an ihren dürren Beinen deutlich hervor, ihre Bäuche waren rund und so glatt wie gekochte Eier. Sie hatten schmale Brustkörbe, an denen sich die Rippen deutlich abzeichneten, und dünne Arme. Für mich waren sie noch Kinder, und ich wusste, dass der Drachenmeister die meisten von ihnen nur ausgewählt hatte, damit sie die Stallungen ausmisteten; ein Gedanke, der mich gleichzeitig frustrierte und traurig machte. Denn ihr einziger Zweck war es, in der Arena im nächsten Jahr Blutrunst in unserem Drachenbullen zu wecken. Drachenfutter hatte er sie genannt, bevor er sie vor ein paar Tagen während des Sa Gikiro ausgewählt hatte. »Jetzt hoch mit euch«, befahl Eierkopf, »und bildet Paare.«

Hastig suchten sich die Novizen Partner. Ein dunkelhäutiger, hagerer Junge mit einem widerspenstigen Haarwirbel, der wie die Schwanzfedern eines Papageien von seinem Kopf abstand, blieb schließlich übrig. Ihm blieb keine Wahl, also baute er sich mit hängenden Schultern vor mir auf.

Er war höchstens zehn Jahre alt. Eigentlich hätte er das Gewerbe seines Clans lernen und in seiner Freizeit Gucklöcher in die Paarungshütte bohren sollen, in der Hoffnung, einen Blick auf eine nackte Frau erhaschen zu können.

Er war in dem Alter, in dem Kinder alberne Spiele trieben und sich mit ihren Geschwistern im Staub wälzten, in dem Alter, in dem man viel aß und lange schlief. Jetzt jedoch stand er hier vor mir und erlernte die brutale Kunst, um sein Leben zu kämpfen.

»Schnappt euch ein Cape, legt es an und lauft über den Balken!«, brüllte Eierkopf uns an. »Los, setzt euch in Bewegung! Und vergesst nicht, ihr trainiert; also schlagt nicht mit aller Kraft zu, damit ihr niemandem die Kniescheibe zertrümmert, sonst werdet ihr ausgepeitscht!«

Ich schnappte mir einen der schmutzigen Umhänge und befestigte ihn um meinen Hals, nachdem ich mich ein bisschen mit der schweren rostigen Kette abgemüht hatte. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie ein Widersacher mich mit dieser Kette erwürgen konnte.

Während mein zögernder Gegner sich mehr als eine Armlänge von mir entfernt aufbaute, reihte ich mich in die Schlange ein, die sich vor dem Kampfplatz gebildet hatte.

Die Jahre, die ich auf dem Mühlrad und dem Dach des Konvents von Tieron balanciert hatte, während ich Zahnräder reparierte oder Schindeln ersetzte, zahlten sich jetzt auf dem Schwebebalken aus, obwohl meine Beine vor Müdigkeit zitterten. Die Technik, mit der ich meinem Widersacher den Umhang ins Gesicht schleuderte und ihm die Sicht nahm, war ebenfalls mehr als nur kompetent, und die Reflexe, mit denen ich aus der Reichweite seines Prügels sprang, waren superb. Das hatte ich gelernt, als ich den Schanzhieben und den Kopfstößen der ausgemusterten Bullen auswich, denen ich als Onai gedient hatte.

Mein Prügel jedoch lag schlaff in meiner Hand.

Schließlich schlenderte Eierkopf heran und sah mir finster zu, während mein junger Widersacher und ich um die mit Stroh gepolsterten Pfosten des Hindernisparcours tanzten.

»Was ist mit dir los?«, blaffte mir Eierkopf ins Ohr. »Benutz gefälligst deinen Knüppel!«

Ich biss die Zähne zusammen und versetzte dem mit Stroh gepolsterten Pfahl neben mir einen mächtigen Hieb. Leider gab ich mir damit eine Blöße, die mein Gegner sofort nutzte; er schlug mir seinen Prügel ins Kreuz. Ich schrie vor Schmerz auf, ging jedoch nicht zu Boden.

»Mach schon, schlag zurück!«, brüllte Eierkopf.

Ich keuchte, und der Schweiß lief mir über mein staubverschmiertes Gesicht, während ich mich zu Eierkopf umdrehte. »Nein.«

»Hä?«

Ich holte bebend Luft. »Nein, ich werde ihn nicht schlagen.«

Wir blockierten den Hindernisparcours; die Novizen, die hinter uns übten, mussten warten.

»Ich werde niemanden als Köder für Re niederschlagen«, stieß ich rau hervor. Mein Herz hämmerte, nicht nur vor Anstrengung, sondern auch, weil ich mich Eierkopf widersetzte.

»Was glaubst du, ist deine Aufgabe in der Arena, hm?«

Ich schluckte. »Re zu dienen.«

»Und du glaubst, das kannst du schaffen, wenn jeder andere Novize, der draußen mit dir in der Arena ist, versucht, dich niederzuschlagen?«

»Ich … ich werde es jedenfalls versuchen.« Meine Stimme klang genauso verwirrt und unsicher, wie ich mich fühlte.

Eierkopf stand wie vom Donner gerührt da und klappte mehrmals den Mund auf und zu, bevor er schließlich stammelte: »Du bist vollkommen bescheuert!«

»Es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, dass ein Novize einen anderen in der Arena opfern muss, um zu überleben, stimmt’s?«, fragte ich.

»Das sagt schon der gesunde Menschenverstand!«

Ich schüttelte finster den Kopf. »Ich habe diese Lehre nicht begonnen, um zum Mörder zu werden.«

Eierkopf stieß eine Reihe von Flüchen aus und wirbelte dann zu den Novizen herum, die sich hinter uns drängten.

»Steht nicht hier rum und glotzt!«, schrie er sie an. »Trainiert gefälligst weiter, los, bewegt euch!«

Die Kunde, dass ich mich geweigert hatte, einen anderen Novizen anzugreifen, verbreitete sich jedoch wie ein Lauffeuer unter den Schülern, und bei jeder neuen Runde des Vebalu-Parcours bekam ich es mit einem neuen Gegner zu tun. Jeder der Jungen griff mich kühn und voller Hohn an. Während die Sonne über uns brannte, verlangsamten sich meine Reflexe, und es gelang einigen der Novizen, harte Schläge auf meine Kniescheiben oder Knöchel zu landen, woraufhin ich zu Boden ging.

Aber ich hielt durch.

Wenngleich der Knüppel in meiner Hand mehr als einmal zuckte, als der Schmerz die Wut in mir aufflammen ließ und mich fast dazu gebracht hätte, brutal zurückzuschlagen.

Allmählich bildete sich eine Gruppe von Zuschauern entlang des Hindernisparcours. Die Diener und Veteranen hatten ebenfalls von meiner Weigerung, die anderen anzugreifen, gehört. Sie legten in der schlimmsten Mittagshitze eine Pause bei ihren Übungen ein und scharten sich zusammen, um zu beobachten, wie ich Schläge abwehrte oder ihnen auswich.

Die Wirkung des Giftes war mittlerweile vollkommen verschwunden, und nur meine Zähigkeit, die ich mir nach Jahren harter Arbeit im Konvent angeeignet hatte, hielt mich auf den Beinen und in Bewegung. Höhnische Rufe hallten durch die Luft.

»Lasst einen Diener gegen sie antreten!«, rief jemand. »Mal sehen, wie lange sie ihren Schwur dann hält!«

»Nein, lasst einen Veteranen gegen sie kämpfen!«

Gelächter brandete auf.

Dann trat jemand zwischen mich und meinen Widersacher. Ich blieb schwankend stehen und blinzelte ihn mit meinen vom salzigen Schweiß brennenden Augen an.

Dono.

Erleichterung durchströmte mich. Er würde dieser albernen Farce ein Ende setzen, mich retten.

»Ich kämpfe gegen sie«, sagte er ruhig, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Gib mir deinen Knüppel, Junge.«

Mein junger Gegner gehorchte und trat dann rasch zu den anderen an den Rand des Parcours.

Dono fing an, mich langsam zu umkreisen; ich spiegelte instinktiv jede seiner Bewegungen. Doch dann blieb ich stehen.

»Warte.« Meine Stimme drang heiser aus meiner trockenen Kehle. »Ich will nicht gegen dich kämpfen.«

»Du kämpfst, oder ich schlage dich zu Boden.«

»Also gut«, erwiderte ich leise. »Aber ich muss erst etwas trinken.«

Die Zuschauer johlten höhnisch.

Dono dachte nach und hob dann gebieterisch eine Hand. »Also gut«, sagte er, als Ruhe eingekehrt war. »Wenn du trinken willst, dann geh.«

Ich stolperte in einer Art Krebsgang zu der von einer Staubschicht überzogenen Zisterne, die in einer Ecke des Übungsplatzes lag. Ich hatte meine Lektion vom Drachenmeister gelernt. Wenn du jemandem den Rücken zukehrst, wirst du sehr wahrscheinlich geschlagen. Dono hatte mir erlaubt, etwas zu trinken, weil er sicher gewesen war, dass ich ihm den Rücken zukehren und er mich dann demütigen könnte, indem er mich mit seinem ersten Schlag fällte. Er stand angespannt da, als ich von ihm wegging, und der Knüppel zuckte in seiner Hand; er war sichtlich bereit, mich zu fällen.

Eine solche Genugtuung würde ich ihm natürlich nicht gewähren.

Während die Schüler wetteten, wie lange ich gegen Dono bestehen würde, tauchte ich meinen Kopf in das schleimige, algige Wasser der Zisterne, um mich zu beleben. Es war widerlich und lauwarm.

Ich wollte nicht gegen Dono kämpfen.

Überhaupt nicht.

Ich sehnte mich nach seiner Freundschaft, nach seiner Hilfe; selbst seine Gleichgültigkeit wäre mir lieber gewesen als seine Feindseligkeit. Hatte er vergessen, wie wir als Kinder in der Dämmerung Kakerlaken hatten um die Wette laufen lassen? Wir hatten sogar einst einen Trank aus toten Hornissen geteilt, in dem kindlichen Glauben, dass uns Stacheln wuchsen, wenn wir die zerquetschten Insekten tranken. Meinen ersten Maska-Wein hatte ich mit sieben getrunken, als Dono die Kühnheit besessen hatte, ihn aus der Hütte seines Blutonkels zu stehlen und mit Waivia und mir zu teilen.

Offenbar jedoch erinnerte er sich an nichts davon. Es kümmerte ihn nicht, dass ich zu seinem Clan gehörte, seine Milchschwester war. Ihm war nur wichtig, ein Cinai Komikonpu zu bleiben, ein ordentlicher Schüler des Drachenmeisters, ein Veteran, und dass ich Ausgeburt aus der Stalldomäne entfernt wurde, bevor der Tempel den Drachenmeister deshalb absetzen, seine Herrschaft beenden und all seine Schüler hinauswerfen konnte.

Ich schöpfte Wasser mit meinen hohlen Händen und tat das, weshalb ich zu der Zisterne gekommen war: ich trank.

Wer jemals die sonderbare Erfahrung gemacht hat, wie er nach einer durchzechten Nacht Wasser auf nüchternen Magen trinkt, was den Alkohol im Blut kurzzeitig wieder aktiviert, der versteht vielleicht die List, die sich hinter meiner Bitte um Wasser verbarg: Ich hatte nichts zu mir genommen, außer dem Gifttrunk des Drachenmeisters, und so wie es viele Male im Konvent von Tieron geschah, als ich dem Gift verfallen war, wurde das Gift in meiner Blutbahn erneut aktiviert, als ich das Wasser aus der Zisterne trank.

Wenn auch nur schwach.

Ich kehrte zu Dono zurück und stellte mich vor ihn. Unter einem Chor aus höhnischen Schmährufen gegen mich begannen Dono und ich, uns zu umkreisen.

Ich sah seinen Angriff nicht einmal. Er bewegte sich und stürzte sich im nächsten Moment auf mich, während ich unter dem Hagel seiner Schläge zurückwich. Sie prasselten auf meinen Kopf, meine Arme, meine Taille herunter. Ich sah nichts mehr und hob automatisch die Hände, um meinen Kopf zu schützen. Er versetzte mir einen kurzen, harten Schlag in den Magen, der mir den Atem nahm, packte meinen Umhang und zog ihn um meinen Hals zusammen. Ich rang würgend nach Luft und klaubte vergeblich an der Kette.

Er ließ mich los und sprang geschickt zurück, außerhalb meiner Reichweite.

Halb benommen, versuchte ich mich zu orientieren, zu Atem zu kommen. Im selben Moment stürzte er sich wieder auf mich.

Ich stolperte nach hinten, wäre bei meinem verzweifelten Versuch, seinen Schlägen auszuweichen, fast gefallen. Der Sinn seines Angriffs war unverkennbar: Er wollte mich demütigen und überwältigen, nicht jedoch ernsthaft verletzen; denn kein Schlag richtete wirklich Schaden an. Sie wirkten nur betäubend. Mir klingelten die Ohren, und ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich kam weder dazu, Atem zu schöpfen, noch mich so weit zu sammeln, dass ich dem Hagel seiner Schläge hätte wirksam entkommen können.

Ich versuchte es, versuchte auszuweichen, mich zu ducken oder seine Schläge zu parieren. Aber es gelang mir nur bei einem von acht Versuchen.

Er packte erneut meinen Umhang, würgte mich kurz, ließ los und sprang zurück.

Ich starrte ihn an, keuchend, während mir der Schweiß in schmutzigen Strömen über den Leib lief. Die Schüler lachten und höhnten.

»Du schaffst es nicht, Zarq«, erklärte Dono. Er selbst atmete angestrengt, was mich irgendwie freute. »Geh nach Hause.«

Seine Worte schmerzten weit mehr als jeder seiner Schläge. Ich besaß kein Zuhause. Mein Clan hatte mich ausgestoßen. Der Konvent von Tieron war von den Tempel-Inquisitoren gesäubert, meine heiligen Schwestern waren hingerichtet worden, alle, bis auf eine, Kiz-dan, die mit mir geflohen war; doch selbst sie und ihr Kind hatten mich, zu meiner endlosen Trauer, am Ende im Stich gelassen.

Mein einziges Zuhause waren die Stallungen des Drachenmeisters.

Ich schluckte und schüttelte den Kopf, während mir schwindelte. »Ich werde nicht gehen, Dono.«

Er griff erneut an.

Ich fiel.

Benommen lag ich ihm Staub und starrte an den gleißend hellen Himmel. Dono beugte sich über mich.

»Gib auf und geh.«

Ich leckte mir die Lippen. »Nein.«

»Gib auf, Zarq, sonst tue ich dir ernstlich weh.«

Ich schloss die Augen, raffte alle Kraft zusammen und rappelte mich mühsam auf. Dann wappnete ich mich gegen seinen nächsten Angriff.

Der nicht auf sich warten ließ; er stürzte sich schnell und wütend auf mich, und ich landete mit dem Gesicht zuerst im Staub. Die Knie schmerzten von seinen Hieben.

Taumelnd richtete ich mich erneut auf. Die höhnische Rufe um mich herum verstummten allmählich. Donos Gestalt verschwamm vor meinen Augen.

»Wenn du nicht aufgeben willst, musst du mich schlagen«, keuchte er. »Ich lasse meine Deckung offen für dich, Zarq.«

»Nein.«

»Du schlägst mich oder du gehst zu Boden!«

»Ich werde dich nicht niederschlagen«, krächzte ich.

»Dann gehst du eben zu Boden.« Er stürzte sich auf mich und schlug mich nieder, bevor ich auch nur blinzeln konnte.

Staub brannte mir in den Augen, knirschte mir zwischen den Zähnen. Meine Waden brannten vor Schmerz, die Muskeln geschwollen von den Prellungen. Die Schüler schienen erst zur einen, dann zur anderen Seite zu kippen, als ich versuchte, auf den Beinen zu bleiben. Es schillerte vor meinen Augen, dann legte sich eine Wolke vor meinen Blick.

»Bleib liegen, Zarq«, keuchte Dono. »Du hast nicht das Zeug für einen Schüler in dir.«

Ich ignorierte ihn und richtete mich auf. Ich schwankte, taumelte und wäre fast gefallen. Aus einer Wunde auf meiner Wange tropfte Blut in den Staub.

Auf dem Übungsfeld herrschte tiefstes Schweigen.

Das sich in der Gluthitze scheinbar endlos ausdehnte.

Schließlich spie Dono aus. »Ich verschwende meine Zeit. Du wirst die Arena nicht überleben, Zarq. Es spielt keine Rolle, wie hart du trainierst, und auch nicht, ob der Drachenmeister den Zorn des Tempels von dir fernhalten kann. Wenn du das Spiel nicht nach den Regeln spielst, wirst du es nicht schaffen.«

Er trat auf mich zu und legte eine Hand auf meine Stirn.

Es wäre so einfach gewesen, ihn zu schlagen. So leicht, ihm meinen Prügel über das Gesicht zu ziehen. Aber ich tat es nicht. Ich würde keinen Schüler niederschlagen, würde auf dem Weg zu dem, was ich wollte, der Ehre nicht den Rücken kehren. Ich würde niemals so werden wie der Geist meiner Mutter.

Mühelos stieß Dono mich in den Staub.