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Der Drachenmeister warf mich über seine Schultern wie ein erlegtes Kitz und trug mich hinter die imposanten Sandsteinmauern der Stallungen, hinein in die Welt, in welcher er herrschte. Dann legte er mich bäuchlings auf eine Hängematte, befestigte brüsk den Umhang, den Kratt mir übergeworfen hatte, mit der Spange an meinem Hals und zog ihn so gut er konnte zurecht, um meinen abstoßend nackten Leib vor den Augen seiner Schüler zu verbergen. Ich nahm diese Schüler nur undeutlich wahr; Fieberkrämpfe schüttelten mich, so wie sie nur unter dem Einfluss des Gifts auftreten, vom Schmerz intensiviert.

Ich schlief den ganzen Tag bis in die Nacht hinein, auf dem Bauch liegend, in einem Meer aus Gift treibend. Auch als es schließlich dunkel wurde, ein Dunkel, das so dick und erstickend wirkte wie Kohle, die in Wasser aufgelöst wird, blieb ich in den Klauen des Giftes gefangen, allein in dieser Hängematte, die von den Dachbalken einer der hundert Boxen in den Drachenställen von Roshu-Lupini Re, dem Kriegerfürsten meiner Geburts-Brutstätte, herunterhing.

Ich sage, ich schlief, was ein wenig ungenau ist, denn Schmerz, Furcht und Halluzinationen fördern den Schlaf nur wenig.

Die Nacht zog sich lang hin, unmöglich lange. Sie dehnte sich ohne Anzeichen, jemals enden zu wollen, wie eine ebenholzschwarze Schlange, die langsam aus dem Schlund einer gewaltigen, zeitlosen Himmelsbestie hervorgewürgt wird.

Mitternacht kam und verstrich, schien erneut zu kommen; ich hasste diese Dunkelheit, die so erbarmungslos allgegenwärtig war, jedes Mal, wenn ich mich im Schlaf wälzte und mich der Schmerz weckte, den diese Bewegung auslöste. Irgendwann tauchte der Drachenmeister auf, stumm wie eine Erscheinung in meinem Kopf, und schob mir den kalten Stahl eines Trinkrohrs zwischen meine vor Trockenheit spröden Lippen.

»Trink, trink das«, zischte er. Sein Atem roch nach dem Limonenaroma des Giftes.

»Was ist das?« Meine Worte waren vom Gift verzerrt und unverständlich. Ich brauchte jedoch keine Antwort, ich wusste sehr wohl, welche kalte, zähe Flüssigkeit in dem Trinkkürbis schwappte, den der Drachenmeister in den Händen hielt.

Also trank ich.

Geschüttelt von Schmerz, zitternd vor Kälte, brennend vor Durst, trank ich sein fürchterliches Gebräu, mit jedem Schluck das Gift darin gleichzeitig ersehnend und verachtend.

Ich verachtete es, weil ich einst so abhängig davon gewesen war, weil es mich so leichtsinnig machte, meine Glieder mit animalischer Lust erfüllte und meinen Verstand mit lebhaften Halluzinationen vernebelte.

Ich sehnte mich danach, weil das Gift einen Schild gegen den Geist meiner Mutter schuf, den Himmelswächter, der versuchte, mich von meiner Aufgabe abzubringen und mein Leben damit zu verschwenden, nach Waivia zu suchen, meiner verschwundenen und sehr wahrscheinlich toten Halbschwester.

Sollte jemand herausfinden, dass der Drachenmeister mir dieses Gift gab, hätte das ernstliche Konsequenzen gezeitigt.

Der Genuss des Giftes wurde vom Ranon ki Cinai streng geregelt, dem Tempel des Drachen, und es durfte niemals an eine Rishi verschwendet werden, an eine Brut-Leibeigene, wie ich eine war. Niemals. Doch nicht aus Furcht vor dem Tempel erzitterte ich jedes Mal, wenn ich einen Schluck des Gebräus nahm.

Wann würde der Morgen grauen?

Niemals.

Ich würde für immer in diesem Kreis aus Schmerz und Schwindel, aus Verlangen und Verachtung, aus Realität und eisblauen Halluzinationen gefangen bleiben.

Diese Halluzinationen! Es waren quälende, anklagende Visionen. Von meiner Schwester Waivia, die von brutalen Männern zu entwürdigenden sexuellen Handlungen gezwungen wurde. Von ausgemergelten heiligen Frauen, die mit kochendem Öl gefoltert und anschließend vom Krummsäbel eines Inquisitors enthauptet wurden. Immer und immer wieder hörte ich dieses Geräusch, wenn der Säbel auf den Hals traf, wie wenn eine Melone halbiert wurde; das feuchte, blubbernde Ausatmen; das gruselige Klatschen der Klinge, wenn sie traf und plötzlich vom Knochen aufgehalten, vom Inquisitor mit einer Drehung des Handgelenks aus dem halb durchgetrennten Hals gezogen wurde; sein angestrengtes Knurren, wenn er erneut zum endgültigen Streich ausholte.

Es war eine bittere Nacht, in der ich abwechselnd von Halluzinationen verfolgt und vom Schmerz gepeinigt wurde.

Schließlich graute der Morgen doch. Fahl sickerte das Licht des frühen Tages in den Stall, wo ich nach wie vor in der Hängematte lag, und färbte die Steine unter mir hellgrau. Liebkost von diesem Licht, begannen die Muskeln in meinem Körper sich ein wenig zu entspannen.

Endlich kam der Schlaf.

»Sa Gikiro«, keckerte eine Stimme in mein Ohr. Mein Herz setzte einen Schlag aus, dann raste es, und ich war mit einem Schlag wieder schmerzlich wach. »Zeit für mich, mehr Novizen einzusammeln, heho! Frisches Futter für unseren Drachenbullen.«

Ich drehte den Kopf und starrte in die blutunterlaufenen Augen des Drachenmeisters. Der grüne Knebel am Ende seines Kinnbartes baumelte vor meinen Augen hin und her, als er einen weiteren Kürbis mit Giftgebräu vor meinem Gesicht hin und her schwenkte.

»Trink, Babu, trink.«

Das Gift, das noch von dem letzten Trank durch meine Adern strömte, verlieh mir die Kraft, mich zu weigern. »Nein.«

»Du wirst diese Entscheidung sehr bald bereuen! Es gibt keinen Zentimeter auf deinem Rücken, der nicht blutig oder verletzt ist.«

»Ich brauche Euer Gift nicht«, sagte ich weit zuversichtlicher und mit weniger Furcht in der Stimme, als ich empfand.

Der Drachenmeister beugte sich vor. »Du willst also nicht trinken, heho?«

Er kicherte. Ich schloss die Augen, als mir sein säuerlicher Atem ins Gesicht schlug.

»Dann werde ich es tun.«

Ich riss die Augen auf. Er setzte den Kürbis an die Lippen. Das stählerne Trinkrohr fiel klappernd zu Boden. Seine Gurgel tanzte auf und ab, da er den Kürbis leerte. Wut überkam mich, denn dieses Gift war für mich bestimmt gewesen.

Kaum schoss mir dieser Gedanke durch den Kopf, hasste ich mich dafür und auch den Drachenmeister, der ihn provoziert hatte.

Er leerte den Trinkkürbis, warf ihn achtlos beiseite und grinste mich an. Tropfen des verdünnten Gifttrunks glitzerten in seinem Bart, und in seinen Augen flammte Triumph auf, als er meine widerstreitenden Gefühle sah.

»Ich komme heute Abend zurück, mit frischem Futter für Re und Gift für dich. Ich warne dich, Mädchen, verschmähe es nicht noch einmal!«

Er drehte sich um und schlurfte aus dem Stall.

Kochend vor Widerwillen und Bedauern, sah ich ihm nach, wie er den Hof überquerte, betrachtete seine mit Narben übersäte, muskulöse Gestalt. Der Drachenmeister bewegte sich wie ein Affe, vornüber gebeugt, die langen Arme nahezu über den Boden schleppend. Ich erwartete fast, dass er auf die Dächer der Stallungen springen und sich von Giebel zu Giebel schwingen würde.

Was er nicht tat.

Stattdessen ging er zu einer langen, weiß gekalkten Lehmhütte, die an die Sandsteinmauer grenzte, welche die gesamten Stallungen umringte, und verschwand durch eine Türöffnung, vor der Tierhäute hingen.

Erst jetzt atmete ich aus, und der Schmerz, der eben noch so beherrschbar gewesen zu sein schien, schwoll an, brannte wie Feuer auf meinen Waden, ein Feuer, das sich rasch über meine Pobacken und meinen Rücken ausbreitete.

Was hatte ich nur getan, in meinem derzeitigen Zustand das Gift auszuschlagen?

Doch nein, gewiss konnte ich den Schmerz auch ohne die Hilfe des Drachengiftes besiegen. Ganz sicher, denn nach all dem, was ich in meinem Leben bereits durchgemacht hatte, war ich stark genug dafür.

Ich kniff die Augen fest zu, wandte das Gesicht vom Hof ab, kehrte sozusagen dem Drachenmeister den Rücken, und lag so reglos wie möglich bäuchlings da, atmete nur flach, sorgfältig, ritt auf den Wellen des Schmerzes. Verzweifelt erwartete ich den Anbruch der Nacht, die Rückkehr des Drachenmeisters und sein böses, unwiderstehliches Gebräu.

Das Getrampel und Gebrüll der hungrigen Drachen in den Stallungen kündete den neuen Tag an. Ein Schwarm Tauben landete gurrend im Hof und flatterte dann flügelklatschend wieder auf. Draußen vor den Stallmauern kläffte ein Hund, ein anderer fiel mit ein. Aus der Hütte, in welcher der Drachenmeister verschwunden war, drangen streitende Stimmen, die rasch wieder verstummten.

Die Sonne klomm über die Bergkämme, die das Tal von Brut Re umringten. Ich fühlte, wie das Licht des Tages vom Hof auf meinen verwundeten Rücken reflektiert wurde. Meine Blase, die von der Flüssigkeit gefüllt war, welche ich in der Nacht zu mir genommen hatte, pulsierte drängend, wollte geleert werden.

Was sollte ich tun? Aufstehen? Unmöglich, in meinem Zustand. Und auch sinnlos, denn wohin sollte ich mich wenden, hier in der nur für Männer eingerichteten Domäne des Drachenmeisters? Es gab hier gewiss keinen vom Tempel gebilligten Ort, an dem eine Frau ihr schmutziges Wasser ausscheiden konnte, ohne die vom Drachen gesegnete Erde zu verseuchen.

Doch schließlich war ich keine gewöhnliche Frau. Ich war schon vor Jahren beschnitten worden, im Konvent von Tieron, gesäubert worden von einem Heiligen Messer. Also, konnte ich folglich nicht dorthin pissen, wohin auch die männlichen Schüler und Novizen ihr Wasser trugen?

Der Drang zu urinieren machte mich fast wahnsinnig. Ich stützte mich auf die Ellbogen; quälender Schmerz schoss über meinen Rücken. Ich keuchte, und mir traten Tränen in die Augen.

Ich hielt den Atem an, setzte mich langsam auf und schwang meine Beine über den Rand der Hängematte. Kratts Umhang hing schief von meinem Hals herunter, bedeckte meinen Körper bis zu meinen Oberschenkeln, und meine Blase drohte, sich ohne mein Zutun zu entleeren, als die Veränderung meiner Körperhaltung den Harndrang verstärkte.

Doch nein, ich konnte unmöglich hier urinieren, mitten auf den Stallboden! Zwar ist die gesamte Erde einer Brutstätte vom Drachen gesegnet und darf nicht von den Ausscheidungen einer Frau entweiht werden, doch der Boden der Drachenställe selbst, wo der heilige Drachenbulle der Brutstätte residiert, ist der bei weitem heiligste Grund. Wie sehr ich auch mein Handeln damit rechtfertigen mochte, dass meine Weiblichkeit vom Heiligen Messer eines Konvents beschnitten worden war, würde ich dennoch ein grundlegendes Prinzip der Tempelstatuten verletzten, wenn ich hier urinierte.

Ich musste den Drachenmeister suchen, ihn fragen, wo ich mich erleichtern konnte.

Ich ignorierte den Schmerz, als die harten Fasern über meine wunden Pobacken scheuerten, glitt von der Hängematte, schwindelnd vor Schmerz, dem Gift und dem Drang. Ich zuckte in dem hellen Licht zusammen und taumelte zu der Hütte am rechten Ende des Hofs, in die der Drachenmeister verschwunden war.

Ich spürte jeden Schritt wie einen Peitschenhieb auf meinen Rücken, als ich über die staubige, harte Erde des Hofs ging. Jeder Schritt vibrierte schmerzhaft wie die Nachwirkungen eines Keulenschlags in meinen von Schwellungen gezeichneten Pobacken. Die weiß gekalkte Hütte verschwamm vor meinen Augen, als wäre ich trunken, wurde nur mit fast quälender Langsamkeit größer.

An der Hütte roch es nach der feuchten Asche der primitiven Kochstelle, die sich davor befand, und der stechende Gestank des Blutes, das in den Schlachttisch daneben eingesickert war, drang mir in die Nase.

Die Gharial-Häute, die vor dem Eingang hingen, fühlten sich hart wie Borke an, waren von einer dicken Staubschicht überzogen und von Guano gesprenkelt.

Ich duckte mich in das dunkle Innere und stolperte, weil der quälende Drang mich ungeschickt machte. Dann fiel ich der Länge nach auf den harten Lehmboden; meine Blase entleerte sich. Ich zitterte vor schamerfüllter Erleichterung.

Einige Herzschläge lang blieb ich einfach dort liegen, verachtete mich dafür, dass ich heilige Erde entweiht hatte, und murmelte ein Gebet in die ranzig stinkende Erde unter mir.

»Ris shiwenna gindwari, mo Fa CinaiReinster Drache, strafe und vergib mir.

Etwas bewegte sich dicht neben meinem Kopf.

Ich stützte mich rasch auf die Ellbogen und sah mich um. Ich erkannte nur Dunkel und Schatten, roch feuchte Erde und ranzigen Talg.

Doch da …

Bewegungen. Geflüster erfüllte die Luft um mich herum, glitt über mich hinweg. Ich nahm den Geruch ungewaschener Leiber wahr.

Ich war umstellt.

Ich versuchte, zur Tür zu krabbeln, durch die ich gerade hereingestolpert war, kroch durch die entweihende Pfütze, die ich selbst gemacht hatte, und stieß gegen haarige Schienbeine, vor denen ich mit einem Aufschrei zurückwich; ich erstarrte und wagte mich nicht zu rühren.

Langsam stellten sich meine Augen auf die Dunkelheit ein.

Ich war von Männern umringt.

Es waren Jünglinge und Männer, die mich ausnahmslos alle anstarrten, wie ich, erstarrt vor Angst, auf dem Boden hockte. Ihre starren Augen schimmerten feucht und weißlich in dem spärlichen Licht, das seinen Weg zwischen den Häuten vor der Tür fand.

Draußen brüllte ein hungriger Drache; ich fuhr zusammen. Von den anderen in der Hütte rührte sich niemand.

Dann überlief mich ein machtvoller Schauer von Kopf bis Fuß. Meine Zähne schlugen fest zusammen, dann noch einmal und noch mal. Es hörte sich an, als würde jemand mit einem Stock über die Holzlatten eines Zaunes fahren. Ich presste die Kiefer zusammen, aber es nützte nichts. Die Zähne klapperten unaufhörlich. Gelähmt vor Angst, vermochte ich mich nicht vom Boden zu erheben.

»Du bist ja ein Mädchen!«

Mein Blick zuckte über die Gesichter, hin und her, rundherum.

»Das bist du doch, he?« Die Stimme klang wie die eines reifen Mannes, und dennoch schwang die Unschuld der Jugend darin mit. Die Worte dagegen schienen ein wenig undeutlich, als wären die Lippen des Mundes, der sie aussprach, schlaff. Jemand in der Menge bewegte sich. Mein Blick zuckte dorthin.

Ein korpulenter, breitschultriger Jüngling trat vor und zog verblüfft die Nase kraus. Seine kräftigen Arme hingen weit über seine Oberschenkel hinab, und seine Haltung war leicht gebeugt.

Dann deutete er auf mich. »Mädchen können nicht in die Lehre gehen.«

»Ich habe schon Bullen gedient.« Ich leckte meine trockenen Lippen, ich wollte Wasser.

»Wo?«

»Tieron. Konvent Tieron. Ich war eine Onai.«

»Und?«

Eine andere Stimme antwortete für mich, eine aus dem dunklen Schatten der Hütte. »Sie glaubt, sie kann dienen, weil sie beschnitten wurde, Eierkopf. Geläutert. Beschnitten, als heilige Frau.«

Jemand kicherte, während einige der Jünglinge sich unsicher ansahen.

Die Augen des Einfältigen weiteten sich, als er auf meine Lenden starrte. Lust zeichnete sich auf seinem großen, übergroßen Mondgesicht ab. Die Lähmung wich mit einem Schlag von mir, ich rappelte mich auf, während das Herz mir bis zum Hals schlug, und zog Kratts Umhang so fest um mich, wie ich konnte. Den Schmerz, den die Berührung des Stoffs auf meinem Rücken auslöste, ignorierte ich.

»Du bist also ein Mädchen«, stieß der Gimpel hervor, ohne den Blick von meinem Schoß abzuwenden. »Wie sieht das aus, da, wo du beschnitten worden bist?«

»Warum siehst du es dir nicht selbst an, heho?«, schlug dieselbe unsichtbare Stimme im Schatten vor. »Mach schon, Dotterhirn.«

Unmerklich rückten die Schüler dichter aneinander, bildeten einen engeren Ring. Auf einigen Gesichtern lag ein Grinsen, ein unfreundliches Grinsen.

»Fasst mich nicht an!«, stieß ich heiser hervor.

»Warum denn nicht?«, fragte die Schatten-Stimme. »Mach schon, Dotterhirn, spreiz ihr die Beine. Zeig uns, wie sie aussieht.«

»Ja, mach schon, Eierkopf!«, sagte ein anderer. »Und wenn du einmal dabei bist, kannst du sie auch gleich besteigen.«

Sie kicherten, schubsten sich und grinsten angespannt.

Der kräftige Einfaltspinsel trat auf mich zu. »Zeig es mir.« Seine Stimme klang belegt. »Lass es mich sehen.«

»Lass mich in Ruhe!«

»Komm schon. Will’s doch nur ansehen. Tu dir nichts. Los, komm schon.«

»Nur zu, Dotterhirn!«, rief jemand. »Wir halten sie fest, wenn sie zu kräftig für dich ist.«

Gelächter.

»Los, Eierkopf, spreiz ihre Beine!«

»Besteig sie, Dotterhin, los, besteig sie!«

»Nein!«, schrie ich. »Niemand berührt mich. Ich habe Pocken, hört ihr!«

Der Einfaltspinsel blieb wie angewurzelt stehen und runzelte angestrengt die Stirn. »Pocken?«

»Warum sonst wohl würde ich mein Leben riskieren, indem ich mich dem Tempel widersetze, hm?« Ich stieß diese Lüge zuversichtlich, glaubwürdig hervor, auch wenn meine Stimme krächzte. »Ich sterbe. Und wer mir zu nahe kommt, wird mir bald in den Tod folgen.«

Der Gimpel schnaubte angewidert. »Ich werde sie nicht anfassen.«

»Sie lügt, Dotterhirn. Sie hat keine Pocken.«

Ich drehte mich zu der Stimme um, die nach wie vor aus dem undurchdringlichen Dunkel der Hütte kam. Halb verrückt vor Angst und berauscht von dem Gift, das noch in meinem Blut floss, stieß ich atemlos hervor: »Was für ein Feigling bist du, dass du dich im Schatten versteckst und andere zu bösen Taten anstachelst?«

Der Raum selbst schien den Atem anzuhalten.

Die jungen Männer bewegten sich, als der Besitzer der Stimme vortrat, und ich verfluchte mein impulsives Wesen, das meine Schwierigkeiten erneut nur vergrößert hatte.

Ich erkannte ihn, den hageren, muskulösen Jüngling, der auf mich zukam. Ich kannte sein Gesicht, obwohl es von Aknenarben entstellt war. Ich erkannte die Art, wie sein braunes Haar die vertrauten, lebendigen, intelligenten Augen über der gebogenen Nase halb verhüllte. Dieses Gesicht, auf dem Bartstoppeln wucherten und das von einer harten Jugend gezeichnet war, hatte einst neben mir an der Brust meiner Mutter getrunken.

Vor mir stand Yelis Dono.

Dono, ein Waise aus dem Danku Re, dem Töpferclan, in dem ich geboren worden war. Dono, mein Spielkamerad aus der Kindheit. Dono, der Möchtegern-Liebhaber meiner so schändlich verkauften Schwester.

»Dono«, sagte ich abfällig.

Er stand vor mir, schön wie ein verlorener Rubin, den man angeschlagen und schmutzig auf einer einsamen Straße wiedergefunden hatte.

»Ich kenne dich«, er kniff die Augen zusammen. »Wie heißt dein Clan?«

Jetzt erst fiel mir auf, dass Dono seinen Sprachfehler überwunden hatte, der in seiner Jugend so auffällig gewesen war. Als Siebenjähriger bereits hatte er seine Männlichkeit erlangt, indem er sich alle ihm verbliebenen Milchzähne herausgerissen hatte. Die daraus folgende Infektion hatte seine gerade erst im Wachsen begriffenen zweiten Zähne verfaulen lassen und ihn fast umgebracht. Seitdem hatte er gelispelt. Ich konnte mir vorstellen, wie er am Anfang seiner Lehrzeit jede Nacht grimmig die Worte geübt, sich gezwungen hatte, klar und deutlich zu sprechen, und schließlich das Lispeln abgelegt hatte, während er sich irgendwo in den dunklen Stallungen verbarg.

Absurderweise rührte mich die Erkenntnis, dass es ihm gelungen war.

»Ich bin’s, Zarq. Danku Res Darquels Zarq. Wir sind zusammen aufgewachsen.«

Die Schüler, die uns umringten, sahen sich verblüfft an.

Dono starrte mich ungläubig an. »Zarq? Was in Res Namen willst du hier?«

»Ich bin in die Lehre des Drachenmeisters eingetreten. Wie du.«

»Du bist eine Frau.«

»Ich wurde geläutert.«

Er runzelte die Stirn. »Das kannst du nicht tun.«

»Ich habe bereits in einem Konvent den Bullen gedient …«

»Eine heilige Frau, die einem ausgemusterten Bullen dient, ist etwas vollkommen anderes als ein jungfräuliches Mädchen, das einem fruchtbaren Bullen dient. Das weißt du.«

»Ich erkenne da keinen Unterschied.«

»Du kannst Re nicht dienen.« Er ballte die Hände zu Fäusten; so fest, dass die Adern auf seinen Unterarmen hervortraten. »Wenn du den Tempel gegen den Drachenmeister aufbringst, werden sie ihm den Titel aberkennen. Aber dann verlieren auch alle Schüler, die unter ihm dienen, ihren Status. Ich werde hier herausgeworfen. Wir alle werden herausgeworfen.«

Die anderen Schüler murmelten untereinander, einige fluchten und zupften sich an den Ohrläppchen, um Unbill und Böses abzuwenden. Einer spie in meine Richtung.

Seine Spucke landete vor meinen Füßen. »Hör zu, Dono. Es gibt eine Schriftrolle, in der steht, dass jemand wie ich dienen …«

»Verschwinde hier, Zarq.« Donos Wut wurde von dem Unbehagen, das er unter seinen Gefährten erzeugt hatte, noch gesteigert. »Verschwinde, sofort!«

»Der Drachenmeister hat mich als Novizen auserwählt.«

»Du hast meine Pläne schon einmal durchkreuzt, Zarq. Ich lasse mich eher in den Arsch ficken, als dass ich das noch einmal dulde. Und jetzt verschwinde!«

»Ich hätte deine Pläne vereitelt? Was redest du da?«, schrie ich. »Ich habe dich nicht mehr gesehen, seit wir neun Jahre alt waren. Ich habe dir nichts getan!«

»Raus!«, brüllte er.

Ich betrachtete erneut die Gesichter derer, die mich umringten. Einige der Jünglinge schienen kurz davor, mir Gewalt anzutun; andere waren rot angelaufen vor Unbehagen. Ich verkniff mir eine Erwiderung, die ohnehin sinnlos gewesen wäre, schob mich durch die Meute und stolperte aus der Hütte.

 

Trotz meiner eiternden Wunden und einem Fieber, das durch die nachlassende Wirkung des Giftes stärker wurde, kehrte ich nicht in die leere Stallbox zurück, die mir zugewiesen worden war, damit Dono die anderen Lehrlinge nicht anstacheln konnte, mich mit Gewalt aus der Domäne des Drachenmeisters zu entfernen. Stattdessen taumelte ich über den Hof und verschwand im nächsten Stall, dann im nächsten und verlor mich rasch in dem Labyrinth aus aneinandergrenzenden Stallhöfen.

Ich bewegte mich wie ein verwundeter Eber, wenn er durch das Unterholz bricht und blindlings versucht, vor dem Schmerz zu fliehen, den die Speere in seiner Flanke ihm bereiten, und dennoch diese Qualen überall mit hinnimmt, wohin er sich auch wendet.

Mein Schmerz stammte nicht nur von den Striemen auf meinem Rücken.

Während sich das Gift in meinem Blut immer weiter auflöste, toste ein Mahlstrom aus Gefühlen in meinem Inneren, der nicht nur durch den langsamen Rückzug des Drachenfeuers freigesetzt wurde, sondern auch von Donos Feindseligkeit und der pulsierenden, hartnäckigen Erinnerung an Kratts Vergnügen, als er mich am Vortag bis zur Bewusstlosigkeit gepeitscht hatte.

Beides war gleichermaßen beunruhigend.

Es brannte mir auf der Seele, dass ich Kratt erlaubt hatte, Hand an mich zu legen. Es tat weh, dass ich mich ihm so einfach unterworfen hatte, ausgerechnet ihm, den ich hatte umbringen wollen. Ich hatte es so sorgfältig geplant, hatte jahrelang Pläne geschmiedet, wie ich an dem Mann Vergeltung üben wollte, der meinen Clan ruiniert und mir meine Kindheit genommen hatte. Bis zu dem Moment, als der Drachenmeister mich aus der Menge auserwählt hatte, welche die Straße der Geißelung am Mombe Taro säumte, hatte ich fest damit gerechnet, für die Ermordung Waikar Re Kratts getötet zu werden.

Und jetzt erwies sich dieser Wahnsinn, der mich gepackt hatte, seit der Drachenmeister mir diese verrückte Hoffnung eingeimpft hatte, als genau das: Wahnsinn. Hier stand ich, litt unsägliche Schmerzen, wenn ich doch längst in die Schwärze der Unterwelt des Einen Drachen hätte stürzen können. Statt von dem gefühllosen Vergessen des Todes umhüllt zu werden, befand ich mich hier, schrecklich lebendig und schwindelnd von der schockierenden Feindseligkeit eines Milchbruders, der nicht bereit war zu akzeptieren, dass ich in die Lehre des Drachenmeisters berufen worden war, den Konventionen trotzte und meinem geschworenen Feind erlaubte, weiterzuleben – und all das nur, damit eines Tages solche wie Dono und ich selbst frei von der Tyrannei des Tempels, der Aristokraten und des Imperators leben konnten.

Ich sank auf die Knie in den kühlen Staub hinter einem Getreidesilo. Dort kniete ich, schwankte in dem spärlichen Schatten, durchgeschüttelt von körperlichem und seelischem Schmerz, während die grelle Sonne glühend und pulsierend am Himmel stand.

Ich hatte Durst. Und träumte.

Ich träumte von einem Aasvogel, dessen Talgdrüsen auf dem Schnabel obszön rot schimmerten. Er stand vor mir, den großen, grauen Schädel leicht auf die Seite gelegt. Wie brillant und grausam diese glasklaren Augen mich anstarrten!

»Ich kann es beenden, heho!«, krächzte der Truthahngeier. »Ich kann deinem Schmerz ein Ende bereiten.«

Ich ignorierte die Halluzination, konzentrierte mich aufs Atmen, darauf, nicht mit dem Gesicht in den Staub zu fallen.

»Ein Handel, ja?«, krächzte der Vogel. Er hob eine Schwinge, die so lang war wie der Arm eines Mannes. Mit dem Schnabel fuhr er geschwind in das Gefieder, schnappte nach Läusen und Staub. Dann sah der Vogel mich wieder an und faltete die Schwinge. Im Schnabel hielt er eine Feder. Eine blaue Feder.

Natürlich. Das war kein Fiebertraum, und es war auch kein gewöhnlicher Aasvogel. Es war der Geist meiner Mutter. Ich hasste und fürchtete diese Kreatur fast genauso, wie mich ihr Erscheinen erleichterte.

»Mutter!«, stieß ich keuchend hervor.

Der Geist legte behutsam die Feder auf den Boden.

»Ein Handel«, krächzte er. »Gesundheit gegen deine Dienste.«

Ich starrte die Feder an, die in der Hitze flimmerte, und sagte mir, dass dies nicht meine Mutter war, sondern eine Verkörperung der Besessenheit meiner Mutter, Waivia zu finden. Was von meiner Mutter auch immer in dieser Kreatur stecken mochte, es lag tief unter vielen Schichten von Wahnsinn, Magie und bösen Absichten verborgen.

»Du weißt, das dies dich heilen kann, ja?« Der Vogel stieß mit seiner schuppigen Kralle gegen die blaue Feder.

Ja, ich wusste, dass die Feder mich heilen konnte. So etwas war schon einmal geschehen. Und ich musste gesund werden, nicht nur, um die Feindschaft Donos und seiner Gefährten zu überleben, sondern auch, um das Wagnis angehen zu können, ein Leben als Schüler zu überstehen.

»Wenn du sie nimmst, dann stimmst du zu, hier wegzugehen und Waivia zu suchen«, krächzte der Vogel. »Gesundheit gegen deine Dienste.«

»Einverstanden«, sagte ich und stürzte mich schnell wie eine Schlange auf die Feder. Der Geier erhob sich mit einem schrillen Schrei in die Luft, und der Schlag seiner Schwingen wirbelte mir Staub in Augen und Mund. Meine Finger packten die Feder; sie löste sich in eine prickelnde Wolke auf, die sich sanft wie Nebel über mich legte, so zärtlich wie die Liebkosung einer Mutter. Ein feuchter Duft breitete sich aus, ein schwacher Geruch, wie Tau auf einer Orchideenblüte.

Mein Kopf wurde sofort klar, meine Sinne geschärft. Auch wenn die Wunden auf meinem Rücken noch pulsierten, ebbte der Schmerz ab, bis er erträglich wurde.

Der Geier landete einige Meter entfernt wieder auf der Erde und betrachtete mich argwöhnisch.

Du wirst jetzt diesen Ort verlassen, sagte die Kreatur in meinem Schädel. Du wirst deinen Teil der Abmachung einhalten.

Ich zögerte, stellte mir ein Leben vor, in dem ich fruchtlos Brutstätte Re durchwanderte, auf der Suche nach meiner gewiss längst toten Schwester.

Der Geier hackte mit dem Schnabel nach mir. Du wirst dein Leben nicht wegen der Vision eines Wahnsinnigen wegwerfen! Nein! Es ist nur eine Fantasie, eine, an die du selbst nicht glaubst.

Es ärgerte mich, dass sie so rasch und mühelos meine Schwäche und meinen Zweifel durchschaute. Wie alle Töchter meines Alters – ich war siebzehn und ungeheuer welterfahren, oder zumindest glaubte ich das – war auch ich sogleich entschlossen, die Wahrheit abzustreiten, die in den Worten meiner Mutter lag, und wenn auch nur, weil sie die Unverfrorenheit besaß, das Offenkundige auszusprechen.

»Ich glaube an das, was ich in seinen Augen sah!«, schrie ich. »Ich kann es schaffen. Ich muss es, und ich werde es!«

Wenn du dem Drachenmeister folgst, dann begibst du dich auf den Weg eines langsamen Selbstmordes.

»Und was verlangst du von mir? Dass ich mein Leben wegwerfe, um eine Schwester zu suchen, die sehr wahrscheinlich längst tot ist.«

Betrügerin! Lügnerin!

»Nein! Ich halte mein Wort; ich werde hier weggehen.« Ich holte bebend Luft. »Aber noch nicht. Du hast nicht gesagt, wann ich gehen sollte, und ich bin noch nicht bereit dazu. Ich kann gut mit Drachen umgehen; vielleicht kann ich das erreichen, was ich im Blick des Drachenmeisters sah.«

Der Geier kreischte und spreizte seine Schwingen.

Ich hielt mir die Ohren zu, aber das konnte nicht verhindern, dass die krächzenden Schreie des wütenden Vogels in meinem Kopf widerhallten.

Niemals mehr! Du wirst niemals mehr eine meiner Federn bekommen!

»Dann lass mich allein! Verschwinde!«

Mit einem letzten wütenden Kreischen schwang sich der erboste Vogel in die Luft, stieg mit kräftigen Schlägen seiner Schwingen in den Himmel empor und verschwand hinter den Stalldächern. Ich sank zitternd in den Schatten des Silos zurück.

Ich hatte den Geist wirklich wütend gemacht. Welche Konsequenzen hatte ich zu erwarten?

Ich wusste es nicht, und diese Ungewissheit bereitete mir Kopfzerbrechen.

Die Sorge verschlimmerte noch meine Gewissensbisse, weil ich einen raffinierten Trick angewandt hatte, um die heilende Feder von dieser Kreatur zu ergattern, die – in einer anderen Form – meine Mutter gewesen war. Dennoch, war es nicht gerade das Fehlen von Mitgefühl, welches diesen Geist veranlasste, mir unaufhörlich nachzustellen? Re mochte mich davor bewahren, in meinem Streben, das zu erreichen, was ich begehrte, blind für Mitgefühl und Anstand zu werden. Re mochte mich davor behüten, zu einem Abbild meiner Mutter zu werden, zu dem, was sie in den letzten, wahnsinnigen Jahren ihres Lebens gewesen war.

Doch was war es, wonach mich nun am stärksten verlangte?

Konfus, nicht vor Schmerzen, sondern nur wegen meiner verzerrten Gedanken, döste ich ein.

 

Leises Rauschen säumte meinen Schlaf, etwa wie Wogen, die gegen den Rumpf eines Bootes lecken und sich in den Schlaf schleichen, ohne einen wirklich aufzuwecken. Die Geräusche, die ich hörte, lösten nicht den Instinkt aus, hellwach hochzuschrecken, sprachen nicht den Trieb an, wegzulaufen, sich zu verbergen oder um Gnade zu bitten.

Es waren Laute, wie man sie vielleicht im Mutterleib hört. Das Geräusch von Arbeit, von Menschen, die schwer und ehrlich schufteten. Das Kratzen von Rechen auf Sand, das Klirren von Mistgabeln auf Stein, das Murmeln von Wasser, Rumpeln von Rädern, Quietschen von Achsen. Scherzende Stimmen in einem Spiel von Frage und Antwort, dann wieder andere, die befahlen und organisierten. Beruhigende Geräusche.

Im Verein mit der Hitze und der Magie, mit welcher die Feder, die in meine Haut eingedrungen war, mich eingehüllt hatte, wiegten mich diese Klänge in einen erholsamen Schlaf.

Magie. Ja.

Zweifellos war etwas Überirdisches geschehen, als diese leuchtende Feder sich in Dunst aufgelöst und sich auf meine Haut gelegt hatte, denn als ich erwachte – es herrschte bereits Zwielicht -, fühlte ich mich weder hungrig noch durstig, weder steif noch wund, und die blutigen Striemen auf meinem Rücken waren nur noch zarte Schwellungen, die durch den Heilprozess heftig juckten.

Ich wagte es, vorsichtig meinen Rücken an den Silo hinter mir zu lehnen. Kein flammender Schmerz, keine Qual war zu spüren, als meine Haut das sonnengewärmte Holz des Silos berührte.

Dafür jedoch hörte ich ein ersticktes Lachen.

Mein Kopf ruckte herum. Der Drachenmeister hockte im Schatten, genau dort, wo der Aasgeier am frühen Morgen gestanden hatte. Er rieb sich die Hände, und seine Augen schimmerten im Zwielicht.

»Ein gerissenes kleines Rishi-Balg, heho?«, keckerte er. »Gut gemacht.«

Die unnatürliche Heilung meines Körpers fühlte sich plötzlich besudelt an, entweiht von seinem sichtlichen Vergnügen.

»Wo soll ich pissen?«, fuhr ich ihn an.

Sein selbstgefälliges Grinsen erlosch und seine Miene verfinsterte sich. Er stand auf. »Das ist nicht meine Sorge.«

»Das wird aber Eure Sorge sein, wenn ich anfangen muss, hier überall hinzupinkeln. Wie sehr wollt Ihr den Tempel verärgern?«

Er machte einen Satz auf mich zu und gab mir eine Ohrfeige. Mein Kopf flog zurück und knallte gegen den Silo. Dieser plötzliche, unerwartete Schlag hinterließ ein brennendes, stechendes Gefühl; es rauschte mir in den Ohren und summte wie Hornissen in meinem Kopf.

Er stieß die geballte Faust in die Luft, als müsste er sich beherrschen, um mich nicht noch einmal zu schlagen, und er verdrehte kurz die Augen.

Ich starrte ihn an und wagte nicht zu atmen.

»Du bist sterblich, Tochter des Himmelswächters«, stieß er schließlich schwer atmend hervor. Er ließ die Hand sinken. »Vergiss das nie. Du bist sterblich, und du bist meiner Autorität unterworfen!«

Ich berührte behutsam meine brennende Wange, und die Tränen, die mir in die Augen getreten waren, verschleierten meinen Blick.

Sein Gesicht verzerrte sich, und fast wie aus eigenem Willen flog seine Hand empor, als wollte sie mich erneut schlagen.

»Deine Antwort lautet: ›Jawohl, Komikon!‹«

»Jawohl, Komikon«, keuchte ich. Jawohl, Meister.

Er beugte sich vor, sein Gesicht unmittelbar vor meinem; sein Kinnbart schwang wie ein Rattenschwanz über meinen Hals, sein Atem stank stechend wie Galle. »Man kann dir wehtun, Rishi-Balg. Du blutest. Vergiss das nicht.«

»Das werde ich nicht, Komikon.«

»Du wirst dir eine Latrine bauen, verstanden? Du wirst jeden Monat dafür zahlen, dass sie gereinigt wird, so wie du auch für die Läuterung des Quartiers der Schüler bezahlst.«

Er wartete, angespannt.

»Jawohl, Komikon«, sagte ich hastig.

»Gut.« Er schnaubte und wandte sich zum Gehen.

»Wie?«, wagte ich zu fragen. »Wie werde ich zahlen? Komikon.«

Er blieb stehen und drehte sich um. Dann grinste er, böse und giftig.

»Du wirst meinen Wünschen Folge leisten, Mädchen. So wirst du zahlen. Und jetzt geh zurück zu deiner Hängematte.«

Ich brachte nicht den Mut auf, ihn zu fragen, welche Wünsche das wohl sein würden.