12
Ein fetter Eunuch badete mich in lauwarmem Wasser, in einem blaugefliesten Raum. Ich zuckte vor seiner Berührung zurück, vor dem Licht der Laterne, das grell auf den gesprungenen und angeschlagenen Fliesen mit ihren gelbbraunen Wasserflecken schimmerte. Ich betrachtete argwöhnisch den hölzernen Trog, aus dem er das Wasser schöpfte, wurde von dem Gefühl überwältigt, als das lauwarme Wasser über meinen Kopf floss. Ich keuchte, spuckte, zitterte und verbarg mein Gesicht hinter den Händen, während ich splitternackt dort stand und seine Fürsorge ertrug.
Er benutzte eine körnige Seife. Sie roch nach zerstoßenen Pflanzen und brannte auf den aufgeschürften Wunden der Druckstellen, die er eifrig schrubbte.
Schnalzend und murmelnd wusch er mich, tätschelte gelegentlich meinen Bauch, meinen Rücken oder die Schultern, als wären es alle eigenständige Wesen, die des Trostes bedurften. Während ich zitterte und vor Angst weinte, weil ich nicht wusste, was diese Waschung zu bedeuten hatte und mich deshalb fürchtete, wusch er mein Haar, fuhr mit den Fingern durch die verfilzte Mähne, bis mein Haar in ordentlichen, nassen Strähnen bis knapp unter mein Kinn reichte.
Er trocknete mich mit einem Leinentuch ab, das einst recht vornehm gewesen sein mochte, den Stickereien an seinem Rand nach zu urteilen, das jetzt jedoch fleckig, verschlissen und an vielen Stellen bereits fadenscheinig war.
Als ich trocken war und meine Kopfhaut von den Berührungen durch seine Finger noch heiß pulsierte, kleidete er mich in einen Bitoo. Ich staunte und war gleichzeitig beunruhigt, wie vornehm dieses leichte, hellgrüne Leinen war, wie weich es um meine Knöchel floss und wie genau es meine Arme bedeckte.
Er zog mir die Kapuze des Bitoo über mein feuchtes Haar und trat zurück. Dann strahlte er, als er hätte er mich nicht nur gewaschen, sondern mich erschaffen.
Der Eunuch musste um die zwanzig sein, obwohl es sehr schwer war, das Alter eines Eunuchen zu schätzen. Seine Wangen waren so prall wie die eines Babys. Seine verschlissene Hanftunika klebte an seiner Brust, nass vom Waschen. Auf seinem Schmerbauch ruhten zwei Brüste, größer als meine, beide ein wenig nach außen stehend, in perfekter Symmetrie zu seinen Füßen. Seine haarlosen Schienbeine und Schenkel wirkten so weich wie feinstes Ziegenleder, und die Zehennägel hatte er mit Henna orange gefärbt, wie es bei Eunuchen Sitte ist.
Als er mich anstrahlte, erschienen Grübchen neben seinen vollen Lippen.
»Schon besser, hmm?«
Ich wäre fast vor ihm weggelaufen, von dem verrückten Drang gepackt, mich in meine Gefängniszelle zu flüchten, denn dort wusste ich, was mich jeden Tag erwartete, und dies zu wissen gewährte mir einen gewissen Trost.
»Ich stelle dich jetzt den anderen aus der Viagand vor. Komm mit.«
Viagand bedeutet Herde von Mädchen.
Er nahm meine Linke und zog mich sanft, aber bestimmt mit sich.
Das würde er noch viele Male tun, in den Monaten, die noch kommen sollten. Er nahm behutsam meine Hand in seine und führte mich herum; ob nun in die Hütten der Wächter, wo ich vergewaltigt wurde, ins Badehaus, um mich zu waschen, zu den Latrinen, in die Gemächer der Viagand, zu den Stallungen der Brutdrachen, den Erholungsnischen oder in die Hütte der Ärzte.
Immer war sein Griff um meine Hand sanft.
Aber fest. Duldete keinen Widerspruch. War absolut. Jedenfalls redete ich mir das ein.
Aber ich greife vor.
An diesem ersten Tag führte er mich durch ein Labyrinth aus steinernen Korridoren, treppauf, treppab, deren von grünem Schleim überzogene Wände hier und da von einer einzelnen, blakenden Fackel oder grünlichem Sonnenlicht beleuchtet wurden, das durch lange, schmale Fenster hoch oben in den Steinwänden hineinschien. Wir sahen niemanden, hörten keine menschlichen Laute. Einmal, als wir unter dem grünlichen Licht eines Fensters hindurchgingen, durch das bereits Schlingpflanzen gewuchert waren, hörte ich einen Papagei krächzen, dem das laute Johlen einer Horde Heuleraffen folgte. Das sagte mir, dass diese Festung vom Dschungel umgeben war. Und zwar nur vom Dschungel.
Schließlich stießen wir auf Menschen, auf zwei Männer. Sie standen Wache vor einer Tür am Ende eines Korridors, der in einer Sackgasse endete. Es waren mürrische, stinkende Männer, mit langem, verfilztem Haar. Sie trugen eine schäbige Uniform, eine Persiflage der Uniform der Cafar Wachen, waren jedoch unbewaffnet. Ihre mit Stahlplatten besetzten Röcke und Brustpanzer waren rissig und ungepflegt, ihre Sandalen in einem ebenso erbärmlichen Zustand.
Mein Herz hämmerte hart gegen meine Rippen, als der Eunuch mich zu den beiden führte, durch den Korridor, der an der Tür endete, die sie bewachten.
Der Eunuch machte einen Kotau vor den beiden Männern.
»Wachen«, murmelte er. Ob er die beiden ansprach oder mich über ihre Funktion informierte, wusste ich nicht; es kümmerte mich auch nicht. Die Wachen grinsten mich so lüstern, wissend und zuversichtlich an, dass ich sie augenblicklich fürchtete.
Der Eunuch stieß die Holztür auf und zog mich an den Wachen vorbei hindurch.
»Die Gemächer der Viagand«, verkündete er und strahlte. »Dein neues Zuhause.« Er schloss die Tür hinter uns.
Mein Blick zuckte durch die Kammer, in der wir uns befanden, schoss von einer Nische zur nächsten. Mein »neues Zuhause« war ein dunkles Steingewölbe, das nur von dem grünlichen Sonnenlicht erhellt wurde, das durch einige schmale Fenster in den steinernen Mauern fiel. Zerfetzte, staubige Wandbehänge hingen an den Wänden. Den Steinboden bedeckten verblichene grüne und rote Teppiche, die teilweise übereinander lagen und einst elegant gewesen sein mochten, jetzt jedoch fadenscheinig waren und am Rand bereits ausfransten. Kissen und Musikinstrumente, niedrige Tische, Diwane, Staffeleien und Tintenfässer lagen und standen überall herum. Dazwischen fanden sich Handpuppen und vergessene Schicksalsräder.
Alles wirkte schäbig, als hätte sich jahrzehntealter Staub in jede einzelne Oberfläche gegraben. Der Geruch von Frauen hing in der feuchten Luft, ein weicher, salziger Geruch, der mir aus meiner Jugend aus den Frauenhäusern des Töpferclans vertraut war.
Er wurde jedoch von den Steinwänden hinter den stockigen Wandbehängen gründlich verändert, sowie von der modrigen Dunkelheit, die hinter dem Licht drohte, das durch die schmalen Fenster in den Raum hineinfiel.
Wie er auch von dem Duft des Giftes verändert wurde, der dieses Gewölbe durchdrang.
Pulsierend und schmerzhaft lief mir plötzlich das Wasser im Mund zusammen, mein Herz schlug unregelmäßig und schien in meiner Brust zu tanzen.
»Großmutter!«, rief der Eunuch. Er ließ meine Hand los und umklammerte seinen Bauch. »Großmutter!«
Aus verschiedenen dunklen Ecken des Gewölbes, aus Nischen, die hier und da in die Wände des Gewölbes eingelassen waren, in dem wir standen, drang ein leises Rascheln, als würden sich Tote aus ihrem ewigen Schlummer erheben und auf uns zuschlurfen. Mein Herz schlug schmerzhaft, wie rasend, und ich wandte mich unwillkürlich zu der Tür um, durch die wir gerade getreten waren. Dann fielen mir die beiden Wachen ein, die mich so selbstsicher und lüstern angestarrt hatten. Ich schluckte, drehte mich wieder von der Tür weg und stellte mich dem, was mich erwartete.
»Kommt schon, kommt.« Der Eunuch schnalzte ungeduldig mit der Zunge.
Dann sah ich sie, als sie auf uns zuschwebten, so schlank und bleich, als würden sie im Schein des Mondes wandeln.
Frauen.
»Da ist sie: das hunderteste Mädchen. Stellt Euch Najivia vor, Mädchen.«
Ich versteifte mich, biss mir auf die Zunge, um nicht zu schreien.
Die Frauen, die auf mich zuschlurften, wirkten unnatürlich; ihre Haut war fast so weiß wie die eines Nordländers, dabei jedoch so wächsern wie die Blüte einer Orchidee. Ihre Schultern hingen herab, als bestünden sie aus schmelzendem Wachs, und ihre Hände hingen herunter, als wären sie zu schwer, als dass man sie anheben könnte. Ihr dünnes Haar reichte bis zu ihren Ellbogen, und ihre Kopfhaut war unter ihren Haaren deutlich zu erkennen. Die Augen ausnahmslos aller Frauen waren von eiternder, roter Haut umringt und wirkten viel zu groß – als hätte man sie einem größeren Geschöpf entnommen und wie große, verfaulende Pflaumen in ihre schimmernden, teigigen Gesichter gepflanzt.
Nicht dass ihre Gesichter plump gewesen wären, oh nein. Nein, sie waren hager. Aber kaum eine Falte, keine Furche verunstaltete ihre Wangen, so dass ihre Gesichter mich an den Teig erinnerten, aus dem man die heiligen Kuchen machte: Rund, glatt, mit einer dünnen Schicht Schmalz überzogen.
Es waren jedoch ihre Augen, bei deren Anblick mir das Entsetzen Schauder über den Rücken sandte. Übergroße Augen, umgeben von gereizter, eiternder Haut. Drachenaugen.
Drachenaugen, wie ich sie zuvor noch niemals gesehen hatte. Es waren Augen, wie ich sie auch niemals für möglich gehalten hätte.
Das Weiße der Augen dieser Frauen war so dicht von geplatzten, roten Äderchen marmoriert, dass ihre Iriden in Becken von Blut zu schwimmen schienen. Und die Iriden selbst … waren von weißen Punkten übersät. Es war kein reines Weiß, sondern das bläuliche Weiß der Sterne an einem kalten, klaren Winterabend. Dieses blaue Weiß, das man noch einige Sekunden lang vor Augen hat, wenn die Feder eines Himmelswächters wie ein Funkenregen auf der Haut explodiert ist.
Zudem waren sie so unbeweglich wie festgemauerte Steine, diese Augen.
»Hallo.« Eine der Frauen blieb vor mir stehen. Die Luft, die sie ausstieß, duftete nach Gift. Ihre Schneidezähne fehlten. Und ihr langes, schwarzes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. »Du bist also Naji.«
»Das ist sie, Großmutter«, antwortete der Eunuch. »Frisch aus der Vorbereitungszelle.«
»Verstehe.« Ihr Blick bohrte sich in meinen, so wie Felsbrocken im Schlamm am Grund eines Flusses versinken. »Ich bin Makwaivia, das einundvierzigste Mädchen. Aber nenne mich Großmutter.«
Die Frauen bewegten sich lethargisch, bildeten einen Halbkreis vor mir. Der Duft des Gifts, der in diesem Raum hing, wurde stärker, als sie näher kamen. Es waren fünf Frauen. Sie waren alle in blasse Bitoo gekleidet und sahen sich sehr ähnlich.
»Ich bin Sutkabdevia«, murmelte eine. Das siebenundsechzigste Mädchen.
»Kabdekazonvia.« Das zweiundsiebzigste Mädchen.
»Misutvia.« Das achtzigste.
»Prinrutvia.« Das dreiundneunzigste. »Aber bitte, nenn mich Prinrut, wie alle hier. Das ist kürzer.«
Ich starrte sie entsetzt an.
Der Eunuch neben mir schnalzte mit der Zunge. »Weißt du noch, wie dein Name lautet?«
Ich verstand ihn nicht.
»Najivia«, sagte er freundlich. »Das hundertste Mädchen. Vergiss das nicht, heho!« Dann drehte er sich wieder zu den Frauen um. »Ihr zeigt ihr alles, nicht wahr, Mädchen? Ich muss das Mittagsmahl zubreiten. Wartet nur, was heute Köstliches auf euch wartet!« Er leckte sich die Lippen und rieb sich voller Vorfreude die Hände.
Dann legte er sie schwer auf meine Schultern. »Du hörst Großmutter und den Mädchen genau zu, heho? Großmutter ist schon lange hier; sie weiß, was das Beste für dich ist. Das ist doch so, Großmutter?«
Dann schritt er zur einzigen Tür des Raumes, wobei er seine Hüften wie ein rachitischer Hund bewegte.
Eine der Frauen vor mir seufzte. »Setzen wir uns. Das Stehen ist zu anstrengend.«
Die anderen murmelten zustimmend. Die Frauen verteilten sich auf die Kissen und Diwane, die im Raum herumstanden, und ließen sich darauf niedersinken, als hätten sie keine Knochen im Leib.
»Komm, Kind«, sagte die grauhaarige Frau, welche die anderen Großmutter nannten, und deutete auf einen verschlissenen Teppich vor dem mitgenommenen Kissen, auf dem sie saß. »Du hattest schon lange nicht mehr das Vergnügen, auf einem weichen Kissen zu sitzen.«
Ich näherte mich ihr mit steifen Beinen und versuchte, mich hinzusetzen. Doch es wollte mir einfach nicht gelingen, nicht ohne eine Wand, an der ich hinabgleiten konnte, die mich stützte. Dass mein Körper unfähig war, eine ganz natürliche Bewegung zu vollbringen, erstaunte mich.
»Helft ihr«, befahl Großmutter und deutete auf zwei Frauen, die mir am nächsten saßen.
Sie seufzten erschöpft, als sie mir halfen, mich auf dem weinroten Teppich auszustrecken. Ihre Berührungen waren sanft, und sie behandelten mich freundlich. Lippen streiften meine Stirn in einem Kuss. Der Duft von Gift war in diesem kurzen Augenblick so stark, als hätte ich ihn aus dem Schlund eines Drachen mit ungestutzten Flügeln geatmet.
»Deine Beweglichkeit und deine Kraft werden schon bald wieder zu dir zurückkehren, Naji«, erklärte Großmutter. »Iss gut, dehne deine Gliedmaßen und ruh dich aus.«
Fünf Paar blutunterlaufene, übergroße, starre Augen blickten mich an.
»Hör mir genau zu, dann wirst du nicht in die Vorbereitungszelle zurückkehren, es sei denn, du willst es. Verstanden?«
Sie wartete auf eine Antwort.
»Ja«, hauchte ich. Ich wollte nur meine Augen schließen und mich verstecken.
»Im Augenblick leben zwölf von uns in der Viagand. Du bist die Dreizehnte.« Großmutters reglose Augen schienen in meinen Wurzeln zu schlagen. »Einige von uns sind gerade nicht da. Entweder befinden sie sich in den Stallungen oder einer Erholungsnische. Du wirst sie kennenlernen, sobald sie alle zurückkehren. Ich vermute, dass du jedenfalls gute Chancen hast, die Stallungen zu überleben; deine Augen reden von früherer Erfahrung mit dem Gift.«
»Ich …«
»Du wirst nicht darüber reden, welches Leben du führtest, bevor du hierher kamst; du wirst uns nicht einmal deinen alten Namen verraten. Falls du es tust, werden wir dieses Fehlverhalten den Wächtern melden, woraufhin du entsprechend bestraft wirst. Jede von uns hier übernimmt diese Pflicht, verstehst du, das Fehlverhalten der anderen zu melden. Das hält uns rein. Es verschafft uns Respekt bei den Wächtern und erhöht folglich unsere Lebenserwartung. Auch du wirst lernen, dies zu tun, und zwar in unterschiedlichen Abstufungen.«
Sie sprach in einem Ton, den eine ältere Schwester anschlagen mochte, die ihrem jüngeren Geschwister zum ersten Mal erklärt, wie man Paak backt.
»Aber dein Alter müssen wir erfahren«, mischte sich eine andere Frau ein. Ihrem Aussehen nach hätte ich, jedenfalls unter anderen Umständen, vermutet, dass sie kaum älter war als ich.
»Geduld, Misutvia. Dazu wollte ich gerade kommen«, tadelte Großmutter sie. Aber ihre Stimme klang beinahe tonlos, und sie starrte mich wartend an.
»Siebzehn«, erwiderte ich mit belegter Stimme. »Ich bin siebzehn.«
Es trat ein kurzes Schweigen ein, in dem die anderen Frauen diese offenbar bedeutungsvolle Information verarbeiteten. Dann sprach Großmutter weiter.
»Wie der Eunuch dir bereits gesagt hat, bin ich die längste Zeit hier. Du bist klug beraten, mich nicht als Freundin zu betrachten. Ich selbst werde dich nie als solche sehen. Verstehst du das?«
Ich nickte kurz, wobei mein Hinterkopf über den zerschlissenen Teppich unter mir schabte.
»Dein Überleben an diesem Ort hängt von drei Fähigkeiten ab. Erstens: Deiner Fähigkeit, einen höherstehenden Wächter zu erfreuen, damit er deine Aufmerksamkeit bevorzugt und andere Wächter daran hindert, sich ebenfalls deiner Dienste zu bemächtigen. Zweitens: Deiner Fähigkeit, die Berührung des Giftes zu überleben. Drittens: Deiner Fähigkeit, das zu interpretieren, was du in den Stallungen hörst, und deiner Bereitschaft, dies in den Erholungsnischen auf eine nützliche Art und Weise wiederzugeben. Diese Fähigkeit ist von allen dreien die entscheidende.«
Ich verstand kein Wort.
»Du hast ihr ihre Aufgabe noch nicht erklärt, Großmutter.« Wieder ergriff die junge Frau das Wort, die Misutvia genannt wurde. »Du hast ihr nicht erklärt, dass dies kein normales Gefängnis für Frauen ist.«
Großmutter legte den Kopf auf die Seite, als lausche sie auf die Geräusche eines Wurmes unter den Steinfliesen. »Habe ich das vergessen?«
Ein vielstimmiges gleichgültiges Murmeln brandete um uns auf:
»Ja, Großmutter, das hast du.«
»Du hast es vergessen.«
»Ja.«
Ein Ausdruck der Bestürzung huschte über das glänzende Gesicht von Großmutter, aber in ihren blutunterlaufenen Augen mit den weiß gefleckten Iriden zeigte sich keinerlei Emotion.
»Das ist kein gutes Zeichen. Ganz und gar nicht. Ich sollte entsprechend bestraft werden.«
Einige Frauen murmelten zustimmend.
»Also gut. Lasst mich dort fortfahren, wo ich hätte beginnen sollen. Bei deiner Aufgabe, hier, Naji: Du wirst dich abwechselnd mit den anderen Frauen zu einem der vier Drachen legen, die in den Stallungen der Brutdrachen leben und deren Giftsäcke noch intakt sind. Dort wirst du dem Drachen erlauben, seine Zunge in deinen Leib zu schieben, woraufhin du der göttlichen Gedanken der Drachenkuh teilhaftig wirst. Wenn sich der Drache aus dir zurückzieht, wirst du von den Wächtern zu einer Erholungsnische getragen, wo du dann in aller Ausführlichkeit den wartenden Drachenjüngern alles mitteilst, was du während dieses göttlichen Austauschs in Erfahrung gebracht hast. Wenn du behauptest, nicht verstanden zu haben, was die Drachen dir mitteilten, werden die Drachenjünger verschiedene Methoden anwenden, um dich zu ermutigen, diese Informationen nicht für dich zu behalten. Verstehst du das?«
Ich starrte sie an, während mein Entsetzen wuchs. Mein Blick glitt über die anderen Frauen, die sich um mich herum auf ihren diversen Sitzgelegenheiten drapiert hatten. Ihre rotgeränderten, ausdruckslosen Augen funkelten in ihren teigigen, glänzenden Gesichtern.
»Aber die Gedanken der Drachen sind unverständlich!«, stieß ich keuchend hervor.
»Du hast diese Erfahrung bereits gemacht. Das erklärt deine Augen, heho!«
»Ich verstehe nicht, was die Drachen sagen! Ich kann es nicht verstehen!«
»Du musst es verstehen. Dein Leben hängt davon ab.«
»Interpretiere die Bilder, die du siehst, verbinde sie mit den Emotionen, die sie provozieren«, unterbrach Misutvia Großmutter ein drittes Mal.
»Färbe nicht die Art, wie sie die Gedanken der Drachen übersetzen könnte, indem du sie über deine eigenen Methoden der Interpretation aufklärst, Misutvia«, erwiderte Großmutter. Ihre tonlose Stimme schien zum ersten Mal durch eine subtile Dringlichkeit gefärbt zu sein. »Das ist ein Fehlverhalten. Ich übernehme die Pflicht, es zu melden. Du wirst entsprechend bestraft werden.«
Misutvia senkte den Kopf und sah auf ihre Hände, und jetzt bemerkte ich, dass ihr Haar nicht so dünn und ölig war wie das der anderen Frauen.
»Du hast selbstverständlich recht«, murmelte Misutvia. »Und ich übernehme die Pflicht, deine Vergesslichkeit zu melden, Großmutter, die du vor wenigen Momenten selbst als Fehlverhalten eingestanden hast.«
»Bisher hat außer dir niemand diese Pflicht für sich beansprucht, also gehört dieses Recht auf jeden Fall dir. Ich hätte diese Pflicht selbst übernehmen sollen. Meine geistigen Fähigkeiten werden eindeutig schwächer. Ich werde das mit den Eunuchen und meinem Wächter diskutieren. Vielleicht wird mir ja meine Exekution gewährt.« Es herrschte einen Augenblick tiefstes Schweigen um uns herum, während ich Großmutter fassungslos anstarrte. Sie hatte vollkommen ruhig und vernünftig gesprochen, so gelassen, als würde sie über die Vorzüge eines Bitoo reden, den sie kaufen wollte.
»Du strebst auf bewundernswerte Weise nach Reinheit, Großmutter«, murmelte Misutvia schließlich, ohne den Blick von ihren Händen zu heben.
»Ja. Das tue ich«, erwiderte Großmutter.
In dem Moment öffnete sich die Tür hinter uns mit einem leisen Seufzen. Die Frauen wandten sich gemächlich um, und auch ich hob den Kopf vom Boden. Der Eunuch tauchte wieder auf, mit einem Tablett mit Essen in den Händen. Ihm folgte ein zweiter Mann, ebenfalls mit einem Tablett, und ganz offenkundig ebenfalls ein Eunuch. Er ging merkwürdig, trippelnd, so als würden Dornen unter den Sohlen seiner Füße stechen. Ein dritter Eunuch folgte ihnen, ein Junge noch, der zwei Eimer an einer Stange trug, die er auf Schultern und Nacken balancierte. Er trat die Tür mit dem Fuß zu und setzte seine Last stöhnend ab.
»Mittagmahl, Mädchen«, sang der dicke Eunuch. Es war der, der mich gebadet hatte. »Teigwaren und Nerwon, und ich möchte, dass ihr mehr esst als beim Frühstück, heho.«
Die Frauen um mich herum seufzten oder schlossen müde die Augen.
Ich dagegen wurde sofort von Heißhunger gepackt; hätte mein Körper meinem heftigen Bedürfnis gehorcht, hätte ich den Eunuchen wie ein Panther angesprungen und das Essen von seinem Tablett verschlungen. So jedoch konnte ich nur gierig zusehen, wie er einen Teller auf dem Teppich nicht weit von mir absetzte. Ich wollte nicht, dass jemand anders die Speisen auf diesem Tablett berührte. Ich wollte sie für mich allein.
Nerwonwürfel, gebackenes Eigelb, das mit heißem Fett übergossen und mit bittersüßen, zerquetschten Pflaumen gemischt wurde, dampften in einer angeschlagenen Schüssel. In einer Schüssel daneben lagen weiße Scheiben Paak wie kleine Inseln in einem Meer aus Eigelbsoße, die mit gehackten Muay-Blättern gewürzt war. Sauber aufgeschichtete Quanis bildeten eine dampfende Pyramide in einer weiteren großen Schale: Die mit Essig getränkten Muay-Blätter enthielten die traditionelle Füllung aus zerstoßenen Coranüssen, getrockneten Orangen und Scheiben von scharfem Chili. Angelaufene Löffel lagen um die drei großen Schüsseln herum, als hätte man sie noch nachträglich auf die Tabletts gelegt.
Der Eunuch, der wie über Dornen trippelte, stellte sein Tablett neben die ersten: Teiggebäck in den Farben eines wundervollen Sonnenuntergangs lag darauf, weinrot, orangerot und altgelb, und das alles sorgfältig als Sonnenuntergang arrangiert. Es duftete nach Honig.
Ich wimmerte.
»Ja, wir werden dich zuerst füttern, Naji.« Der fette Eunuch schnalzte nachsichtig mit der Zunge. »Seht zu, wie gut sie isst, Mädchen, heho? Denkt daran, wie sehr es die Wächter erfreut, wenn eine Frau ein bisschen Speck auf den Hüften hat. Denkt daran, wie beliebt Naji sein wird.«
Er schlurfte auf mich zu. Die Eigelbsoße schwappte über den Rand der Schüssel.
»Ein bisschen Jalen für dich, kein Nerwon, keine Quanis. Das ist zu fett. Morgen vielleicht, ja?« Er hob die Schüssel mit den Paakscheiben an, die in der Soße aus Eigelb und gehacktem Muay schwammen. Jalen hatte er dieses Essen genannt. Ich hatte solch reichhaltige Nahrung noch nie gekostet, nicht einmal in meiner Jugend im Töpferclan, denn diese Speisen erforderten Zutaten und Zubereitungszeit, die sich Rishi nicht leisten konnten. Der Eunuch nahm einen Löffel vom Tablett und begann, mich zu füttern.
Er machte es auf eine sehr merkwürdige Art und Weise. Er schob mir sorgfältig den vollen Löffel in den Mund und leckte ihn dann sauber, nachdem ich das Essen geschluckt hatte. Das widerte mich an, aber ich war zu hungrig, um mich abschrecken zu lassen.
Bevor mein Hunger auch nur im Entferntesten gestillt war, leckte der Eunuch den Löffel ein letztes Mal ab, seufzte und strahlte dann die Frauen an, die sich um uns geschart hatten.
»Hat sie das nicht gut gemacht, hm? Sie würde noch viel mehr essen, wenn ich es zuließe, nicht wahr?« Er schnalzte wieder mit der Zunge. »Morgen. Heute gibt es nur eine kleine Menge, heho! Also, wer ist die Nächste? Großmutter?«
Unglaublicherweise fütterte er Großmutter auf dieselbe Art, mit demselben Löffel, den er ebenfalls nach jedem Bissen von ihr sauber leckte. Er drängte sie dazu, ein Stück Quani zu knabbern und zwei Würfel Nerwon zu essen. Als sie protestierend die Augen schloss und auf sein Drängen, mehr zu essen, schwach abwehrend mit der Hand winkte, schnalzte der Eunuch missbilligend und ging zur nächsten Frau.
Der trippelnde Eunuch fütterte die anderen Frauen um mich herum, schmeichelte ihnen, redete ihnen gut zu, als wären sie Kleinkinder, nicht erwachsene Frauen. Der Junge hockte sich an die Wand neben der Tür hin und döste.
Ein paar der Frauen weinten, hilflos, als die Eunuchen sie hartnäckig zum Essen anhielten.
»Ihr seid nur Haut und Knochen; kein Wunder, dass die Wachen euch so grob nehmen!«, fuhr der dicke Eunuch sie an. »Sie wollen etwas Weiches, wollen Fleisch! Esst, esst, dann lebt ihr länger; dann werden sie euch weniger Schmerz zufügen. Esst!«
Ich schloss meine Augen vor dieser Tyrannei, wünschte mir, ich könnte auch meine Ohren verschließen.
Schließlich hörten die Eunuchen auf, weckten den Jungen, der immer noch neben der Tür döste, und dann aßen die drei die Reste selbst. Sie aßen melodramatisch, leckten sich schmatzend die Soße von den Fingern, verdrehten die Augen, wenn sie sich die Teigwaren in die klebrigen Münder stopften und sich das Fett vom Kinn leckten. Ich sah zu, fasziniert und gleichzeitig angewidert, wie in einem merkwürdigen Traum, aus dem ich gleich erwachen würde. Die Frauen um mich herum sahen ebenfalls zu; mit ihren großen, starren Augen und unbewegten Mienen.
Trägheit überkam mich, drohte mir mit einem tiefen, langen Schlaf.
»Heho, Mädchen, auf die Füße, kommt hoch, kommt!«, sang der fette Eunuch und klatschte laut in die Hände. Der andere Eunuch trippelte zur Tür. Der Junge hatte jetzt einen Besen und eine Schaufel in der Hand; als die Frauen sich matt erhoben und zur Tür schlurften, hastete der Junge um Teppiche und Kissen herum und fegte achtlos die Krumen zusammen.
Der korpulente Eunuch zog mich brüsk, beinahe ungeduldig hoch.
»Du kannst später schlafen, Naji. Geh jetzt. Ich weiß, dass du gehen kannst.«
Aber meine Beine wollten nicht gehorchen. Ich wollte nicht gehorchen. Ebenso wenig wollte ich jedoch schlafen, denn der Geist meiner Mutter pochte stark in mir; er blähte sich in mir auf, ließ mich schwitzen, versuchte aus dem Kokon in meinem Inneren auszubrechen und mich mit seinem Willen zu verseuchen, meinen Verstand und meine Glieder zu kontrollieren und damit alles auszulöschen, was ich wirklich war.
Der Eunuch packte mein Handgelenk und zerrte mich vorwärts. Ich stolperte und wäre fast gefallen. Er schnalzte gereizt mit der Zunge und bedeutete dann dem Jungen mit einer herrischen Geste, Handfeger und Schaufel beiseite zu legen und mir als Krücke zu dienen. Der Junge hastete heran und schob mit geübter Leichtigkeit einen meiner Arme über seine schmalen, kleinen Schultern. Seine Zehennägel waren ebenfalls orange bemalt.
Der trippelnde Eunuch öffnete die Tür und winkte die Frauen weiter. Bevor sie heraustraten, tauchte er eine Kelle in einen der Wassereimer, die der Junge hereingeschleppt hatte. Jede Frau trank gierig und verlangte dann nach mehr. Der Trippelnde gewährte oder versagte ihnen ihren Wunsch, jeweils auf Befehl des fetten Eunuchen.
»Du hast heute gut gegessen, Großmutter; trink, so viel du willst. Gutes Mädchen. Nein, nein, Prinrut. Für dich gibt es nicht mehr Wasser. Du hast kaum etwas gegessen; ich bin sehr enttäuscht von dir. Und du, Kabdekazon, nur eine halbe Kelle Wasser für dich. Ich vermute, dass du in einer Klaue voll Tagen sowieso tot sein wirst.«
Als ich aus der Tür schlurfte, hielt mir der trippelnde Eunuch ebenfalls die Kelle an die Lippen. Das Wasser schmeckte, als wäre es durch Moos gefiltert worden, etwas schlammig, aber ich trank es trotzdem voller Dankbarkeit. Ich verlangte jedoch nicht nach mehr, denn mich verlangte nicht so sehr nach Wasser wie die anderen Frauen, die vom Gift gesättigt waren. Der Eunuch bot mir auch keine zweite Kelle an.
Erneut warfen mir die Wächter vor der Tür gierige, erwartungsvolle Blicke zu. Der fette Eunuch verbeugte sich flüchtig vor ihnen und trat dann an die Spitze der Reihe von Frauen.
Wir folgten ihm durch einen feuchten, glitschigen Korridor zu einer steinernen Treppe, stiegen sie hinauf, bogen nach links in einen weiteren Korridor ein und dann nach rechts in einen anderen. Ich sehnte mich danach, einfach zusammenzubrechen. Der Junge, der mich stützte, kniff mich, damit ich wach blieb und weiterging.
Schließlich erreichten wir die beiden steinernen, stinkenden Latrinen, die am Ende des Ganges standen wie zwei verfallende Throne. Sie hatten keine Türen. Wir mussten uns vor aller Augen entleeren.
Danach kehrten wir zu den Gemächern der Viagand zurück, wo mich der Junge zu einer der vielen, schmalen Steinnischen führte, die in die Wände der Gewölbekammer geschlagen waren. Nur Schatten und Dunkelheit gewährten in diesen Nischen so etwas wie Privatheit; es gab weder Türen noch Vorhänge vor ihrem Eingang. Allerdings bedurfte es auch keines Abschlusses am Eingang außer Schatten. Denn die Nische war niedrig, und ich musste kriechen, um in diese feuchte Grotte zu gelangen. Man hätte erwarten sollen, dass ich mich weigerte, nach so vielen Wochen in der Vorbereitungszelle; man hätte denken können, dass ich zu verängstigt gewesen wäre, mich in eine dunkle, unbekannte und so enge Nische zu quetschen, dass mein Kopf gegen die feuchte Decke stieß, als ich hineinkroch. Aber ich wehrte mich nicht und hatte auch keine Angst. Ich war zu erschöpft, zu überwältigt, um die Energie und den Verstand aufzubringen, die man für Trotz benötigte. So begann ich, mich dem Willen meiner Wächter zu unterwerfen.
In der Nische war es dunkel; stockige Kissen lagen dort, und es roch so stark nach Gift, dass mich das Gefühl beschlich, ich kniete nicht in einer steinernen Gruft, sondern in den Giftsäcken eines Drachen. Ich legte mich auf diese schimmeligen Kissen und rollte mich wie ein Kleinkind zusammen.
»Trink das«, murmelte der Eunuch. Sein massiger Körper verdeckte den Eingang meiner Nische, hob sich als Silhouette vor dem grünlichen Dschungellicht ab, das durch die Fensterschlitze der Gewölbekammer hereinschien. »Trink es, Naji, trink. Es wird deinen Schmerz lindern, dir helfen zu schlafen. Trink.«
Er hielt mir einen Trinkschlauch hin. Aus dem mir ein zitroniger Duft entgegenschlug. Gift.
Mit zitternden Händen griff ich danach.
Das Gift rann brennend durch meine Kehle, meine Augen brannten und juckten, als hätte ich grobes Salz hineingerieben. Im nächsten Moment flossen die Tränen. Meine Nasenflügel brannten, als wären sie mit Chilipaste überzogen. Und durch meinen Schoß strahlte lüsterne Hitze.
Ein Segen.
»Danke«, keuchte ich, überwältigt von Dankbarkeit für den, der mich gefangen hielt. »Danke.«
Der Eunuch schnalzte wohlwollend mit der Zunge und nahm mir den leeren Schlauch weg. Ich schloss die Augen und sank auf die klammen Kissen zurück. Sie fühlten sich so weich an wie Entendaunen. Ich schien auf ihnen zu schweben. Die Nische war nicht mehr beengend. Sie umhüllte mich sanft, wie die Arme einer Mutter. Umfing mich und wiegte mich. Ich seufzte zufrieden.
Und dann, zum ersten Mal seit meiner Verhaftung im Stall des Drachenmeisters, schlief ich. Schlief ich wirklich. Ohne dass der Geist meiner Mutter mich störte.