18
Am nächsten Nachmittag brachte mich der Drachenmeister auf einem Karren zu meiner Stallbox in den Hof der Schüler zurück.
Die harte Holzbank unter mir knarrte, als der Karren über den Hof rumpelte. Feuchter Staub klebte in roten Klumpen an den Rädern, ließ den Karren holpern. Im Geschirr ging eine Drachenkuh, die uns schnaubend vorwärts zog, während Dampf aus ihren Nüstern quoll. Ihre Vitalität zeigte sich in ihren leuchtend braunroten und efeugrünen Schuppen, in ihren fleischigen, schimmernden Kinnlappen, der Ungeduld, mit der sie sich in das knarrende Leder ihres Geschirrs legte. Ihre echsenartig geschlitzten Augen nahmen alles begierig in sich auf, obwohl sie während ihrer Arbeit schon häufig durch die Stalldomäne von Roshu-Lupini gegangen sein musste.
Ihre Lebhaftigkeit war begeisternd.
Nebelschwaden hingen schwerelos zwischen der feuchten roten Erde und den tiefhängenden Wolken. Das Dazwischen, die Zeit zwischen Regen-und Feuerzeit, näherte sich dem Ende. Ich war in der Zeit der Nässe in der Gewölbekammer der Viagand eingekerkert gewesen, während der gesamten Regenzeit, der Zeit der Monsune.
Ein Windstoß fuhr mir durchs Haar und tupfte Nebeltropfen auf meine Wangen. Ich schlang die Arme um mich, die bei der Kälte von einer Gänsehaut überzogen waren. Meine Hände wirkten zerbrechlich, waren eiskalt.
Als wir auf den Stallhof fuhren, schlug uns geschäftiger Lärm entgegen. Maulstöcke mit den spitzen Haken zischten wie Sensen durch die Luft. Mistgabeln kratzten über die Pflastersteine. Rufe, gebrüllte Befehle, Flüche und Eierkopfs dröhnende Stimme hallten über den Hof.
Der nussige Geruch frischer Featon-Spreu waberte über mich, so warm wie frisch gebackenes Brot, unterlegt von dem strengen, stechenden Geruch von zerquetschten Schlingpflanzen und dem pfeffrigen von Hoontip-Blüten, die zu Futter vermischt wurden. Der lederne Geruch der Drachen, gewürzt von dem zitronigen Duft ihres Giftes, überlagerte diese Gerüche wie eine aromatische Wohltat.
Eine Woge von Emotionen stieg wie ein vom Monsun anschwellender Fluss in mir an, als ich die Vertrautheit des Ortes und der Gerüche wahrnahm.
Eine Klaue voll Veteranen führte gerade nervöse Jährlinge zum Ausbildungsfeld. Die Veteranen hielten die Drachen ruhig, so gut sie konnten, als wir vorüberfuhren. Ich entdeckte Eidon mit seinem flammend roten Haar und seiner stämmigen Gestalt, der stark wie ein Jungbulle neben seinem Drachen stand. Mein Herz klopfte heftig, und mir schnürte sich die Kehle zusammen. Ich hob grüßend die Hand.
Er sah mich an; sein Blick war unergründlich, sein Gesicht reglos. Meinen Gruß erwiderte er nicht.
Jetzt erst bemerkte ich, wie die Schüler sich versteiften, wenn ihr Blick auf mich fiel. Sie blähten die Nasenflügel, umklammerten die Schäfte ihrer Mistgabeln und Maulstöcke fester. Die Rufe verstummten.
Spannung ging von den Veteranen aus, und der Boden schien unter ihrem finsteren Schweigen beinahe zu rumpeln.
Die Diener, die damit beschäftigt waren, die Schwingen und schuppigen Rücken der Drachen zu pflegen, hielten in ihrer Arbeit inne. Einer nach dem anderen blickte hoch. Ihre Mienen durchliefen rasend schnell die Stadien von Schock, Bestürzung und Widerwillen, bevor sie sich verfinsterten. Ich erkannte Ringus auf einem der Drachen; er wich meinem Blick aus und errötete bis unter die Haarwurzeln.
Die Novizen, welche die Ställe ausmisteten, altes Stroh und Dung in Fässer schaufelten, um Brennmaterial daraus zu machen, hörten ebenfalls auf zu arbeiten. Sie versuchten nicht einmal, ihr Erstaunen zu kaschieren, das rasch in Furcht und Erschrecken umschlug.
Einige wechselten entsetzte Blicke und zischten sich kurze Fragen zu; Fragen, die ich über dem Schnauben der ungeduldigen Drachenkuh, dem Knarren der Deichsel und des Holzes nicht hören konnte.
Aber ich konnte sie erraten.
»Wie?«
»Warum?«
Ein harter Kloß stieg von meinem verkrampften Bauch auf und nistete sich in meiner Kehle ein. Ich ließ meine zum Gruß erhobene Hand steif in meinen Schoß sinken und starrte geradeaus. Mir verschwamm alles vor den Augen. Das muss am Nebel liegen, nur am Nebel, sagte ich mir.
Der Drachenmeister neben mir knurrte.
»Du wirst nicht mit ihnen essen, heho. Und auch nicht mit ihnen Ställe ausmisten. Ich bringe dir jeden Morgen und Abend dein Essen, und du wirst jede Stunde, die du wach bist, mit mir trainieren. Verstanden?«
Ich nickte brüsk.
Er zog die Zügel an. Die Drachenkuh vor unserem Karren warf ihr Maul hoch und blieb dann neben meiner Stallbox stehen. Meine Hängematte war von Spinnweben überzogen, verstaubt und mit Spreu bedeckt und wirkte kalt.
Zwei dunkelhäutige Männer traten aus dem Schatten.
Ich wich zurück und warf dem Drachenmeister einen panischen Blick zu.
»Wachen der Cafar Re«, erklärte er überflüssigerweise. Ich konnte sehen, was die Männer waren, erkannte es an ihren mit Stahlplatten verstärkten Brustharnischen, an ihren feinen Kettenhemden, ihren ledernen Beinschienen und den geschmückten Schwertscheiden, die tief an ihren Hüften saßen. Mit den verschlungenen Kriegermalen auf ihren Gesichtern sahen sie aus wie finstere Drachen.
Alles an den beiden Wachen strahlte ruhige, selbstbewusste Drohung aus.
»Was tun sie hier?«, keuchte ich.
»Sie sind zum Schutz hier.«
»Vor wem?«
Der Drachenmeister blickte zur Seite und spie über den Rand des Karrens.
Ich schluckte. Die feindseligen Blicke sämtlicher Schüler schienen sich in meinen Rücken zu bohren.
»Warum?«, wollte ich wissen.
»Während deiner Abwesenheit war fast jeden Abend ein Drachenjünger hier«, stieß der Drachenmeister verbittert hervor. »Er hat aus den Tempelschriften rezitiert.«
Er bedeutete mir, vom Karren zu steigen. Ich zögerte, während sich die Gedanken und Gefühle in mir überschlugen.
»Steig aus, Mädchen. Ich habe woanders zu tun«, sagte er ungeduldig. »Du solltest heute schlafen, Kraft sammeln. Ich komme heute Abend mit dem Trank zurück, den Gen dir verabreichen will. Und vergiss nicht: Iss nichts, was ich dir nicht gegeben habe. Hast du gehört?«
Ich schluckte schwer.
»Jawohl, Komikon«, antwortete ich.
Aber ich konnte nicht schlafen, nicht angesichts der erschreckenden Feindseligkeit meiner Schülergefährten, die meinen Geist zu erdolchen schien, nicht in der beunruhigenden Gegenwart dieser beiden Cafar Wachen, die den Wächtern so ähnlich sahen, welche Tag und Nacht die Tür der Viagand bewacht hatten. Ich lag in meiner Hängematte, rang die Hände, während sich meine Gedanken überschlugen, und döste gelegentlich vor Erschöpfung ein, nur um kurz darauf hochzuschrecken, mit rasendem Herzen, überzeugt, dass einer der Wachen sich mir in lüsterner Absicht näherte, ungeachtet dessen, dass sie regungslos auf der Schwelle meiner Box standen.
Als es schließlich dunkel wurde und die Schüler von der Arbeit zurückkehrten, sah ich, dass sich viele mit dem Daumennagel gegen das Ohrläppchen schlugen, um das Böse abzuwehren, sah, wie viele ausspuckten, während ihre Blicke in meine Richtung zuckten. Eidon ging, ohne mich eines Blickes zu würdigen, an meiner Stallbox vorbei. Ringus folgte ihm wie ein geprügelter Hund.
Ich rührte mich nicht aus meiner Box, blieb hinter der unerwünschten Barrikade der beiden Cafar Wachen.
Der Drachenmeister tauchte wieder auf. Sein kahler Schädel war feucht vom Nebel, als er in meine Stallbox stapfte und mir wortlos eine Zinndose hinhielt. Anschließend reichte er jedem der beiden Wächter ebenfalls eine. An seinem Hals baumelten ein praller Lederschlauch und ein Kürbis, die an einer Schnur befestigt waren.
Die Zinndose lag warm, fast noch heiß, in meinem Schoß, und der appetitliche Geruch von Fleisch drang heraus. Auf den Deckel der Dose waren die Abbilder von Dracheneiern und Featon-Garben eingeprägt. Ich öffnete ihn. Dampf quoll heraus. Zwei dicke Scheiben Paak, frisch aus dem Ofen. Neben ihnen lag auf doppelt gekochter Hafergrütze eine Scheibe Aroosh, Gharial-Fleisch, das mit dickem Featonmehl paniert war. Eine Limone, drei wächserne rote Paprika und ein kleines Fläschchen, in dem, wie ich wusste, Sesalpaste war, füllten den Rest der kleinen Zinndose.
Die Cafar Wachen begannen, lautstark zu essen.
Ich starrte den Drachenmeister an, beunruhigt über diese luxuriöse Mahlzeit.
»Du musst so schnell wie möglich wieder zu Kräften kommen«, knurrte er zur Erklärung.
Die Schüler, die vor der Hütte lagen, warfen mir finstere Blicke zu. Der starke, ölige Geruch von gebratenem Gharial-Fleisch war bis zu ihnen gedrungen, hatte den Geruch ihres lauwarmen Eintopfs nach eingeweichtem Brei überdeckt.
»Hier, trink das zuerst«, sagte der Drachenmeister und entkorkte den Kürbis, der an seinem Hals hing. Er reichte ihn mir.
Drachenjünger Gens Trank.
Ich nahm ihn vorsichtig entgegen und roch daran. Es war ein erdiger Geruch nach Kräutern, der mich an verfaulte Pilze erinnerte. Ich ließ den Kürbis mit einer Grimasse sinken.
»Was ist das?«, fragte ich mürrisch.
»Beeil dich; der Zauber hält nur eine kurze Weile.«
»Der Zauber?«
Der Drachenmeister sah mich finster an und blickte dann zu den Wachen hinüber. »Senk deine Stimme!«
»Aber was ist darin?«
Er gab einen erstickten Laut von sich, packte mit einer Hand meinen Kopf, mit der anderen den Kürbis und brachte die beiden kraftvoll zusammen. Der Rand des Kürbisses prallte auf meine Unterlippe, die aufplatzte und blutete.
»Das Abbasin Shinchiwouk ist nur noch eine Klaue voll Wochen entfernt«, zischte er. »Falls der Himmelswächter nicht in dem Moment erscheint, in dem du deinen Fuß in die Arena setzt, hast du keine Chance, in deinem derzeitigen Zustand gegen Re zu bestehen. Ich werde nicht zusehen, wie die Befreiung meines Volkes vor meinen Augen zunichte wird. Und jetzt trink, Mädchen, trink!«
Ich trank.
Ein Funkenregen aus leuchtendem Blau schien meine Kehle hinabzurieseln, ein sichtbarer Geschmack, eine sprudelnde Farbe. Der Trank schmeckte ein wenig nach Wild, und ich fühlte, wie sich etwas in mir öffnete, als hätte sich einen Augenblick lang ein fleischiger Käfig ausgeweitet.
Ich ließ den leeren Kürbis sinken und hustete.
»Das Gift wird so rascher aus deinem Blut gezogen«, erklärte der Drachenmeister grimmig. »Und die Entwöhnung ist weniger hart. Gen schwört es.«
Draußen vor meiner Box, auf der anderen Seite des Hofs, wo die Hütte der Schüler stand, erregte ein Aufblitzen von smaragdgrüner und purpurner Seide meine Aufmerksamkeit. Ich richtete mich auf und sah genauer hin.
»Großer Re!«, stieß ich hervor. »Was ist das denn?«
»Wie sieht es denn aus, Mädchen?«, blaffte der Drachenmeister. »Es ist ein Drachenjünger!«
Ich sah fassungslos zu, wie der Drachenjünger in seinem vollen Prunkgewand eine Clackronmaske vor sein Gesicht hob. Die bunt bemalte Maske hatte die Form eines Drachenkopfes, und der übergroße, trichterförmige Mund verstärkte die Stimme des Drachenjüngers, als er jetzt aus einer Rolle rezitierte, die er in einer Hand hielt.
»Wisset durch diese Worte, dass die Nachkommen der Kwano verkleidet überall lauern«, dröhnte er, während ihm zu Füßen die Schüler mürrisch ihren dünnen Eintopf löffelten. »Lasset während dieser leidvollen Tage niemanden unwissend sein, der im Königreich des Imperators lebt. Mitten im Obstgarten von Fas Reich tobt der Kampf gegen die Eine Schlange weiter. In Täuschung gewunden, gekrönt mit Heimtücke, nehmen die saugenden Diener des geschworenen Widersachers viele Formen an, um dem Heiligen Orden des Ranon ki Cinai Schaden zuzufügen. Wenn Ihr alles genau betrachtet, werdet Ihr erkennen, dass vieles nicht ist, was es zu sein scheint, und dadurch schlimmen Schaden an Herz, Leber und Hirn mit sich bringt.«
»Ignoriere den Narren!«, fauchte der Drachenmeister. »Iss, iss. Komm zu Kräften.«
»Oh, Wai-Cinai, du, der Eine aller Drachen, du Quell der Reinheit und Stärke, erbarme dich deiner armen, trauernden Gläubigen!«, dröhnte der Drachenjünger weiter. »Sieh hinab von deinem Himmlischen Reich, und vertreibe alles, was unter uns unheilig ist.«
Einige Schüler warfen mir düstere Blicke zu.
Ich biss die Zähne zusammen, beugte mich über meine Zinndose und begann zu essen.
Nachdem ich am nächsten Tag eine weitere köstliche Mahlzeit aus der Zinndose des Komikon verzehrt und einen weiteren Trunk aus zerdrückten Kräutern getrunken hatte, nahm ich neben dem Drachenmeister mein Vebalu-Training wieder auf. Die beiden Cafar Wachen bauten sich neben dem Eingang des Übungsfeldes auf.
Der Drachenmeister und ich waren allein auf dem Feld. Der Boden war in der Zeit der Nässe von nackten Füßen zu einem tiefen Schlammfeld aufgewühlt worden. Ich trug immer noch den hellen Bitoo, den mir der Eunuch aus der Viagand vor Monaten gegeben hatte.
Mit Zähnen und Händen riss ich die Kapuze von dem Gewand und kürzte den Saum bis zu meinen Schenkeln. Dann legte ich den roten Vebalu-Umhang an, den der Drachenmeister mir hinhielt.
Als ich die rostige Klammer über meiner linken Schulter befestigte, legte sich die schwere Kette wie eine Henkersschlinge um meinen Hals, direkt unter meine Kehle. Das Gefühl war schrecklich vertraut. Ich erschauerte und sehnte mich einen Augenblick lang nach dem Gift. Im selben Augenblick sah ich meinen Bruder Ingalis vor mir stehen, dessen gehetzte Augen voller Entsetzen schienen; wohlgemerkt, ich sah ihn nicht in meiner Erinnerung vor mir, sondern mit schwindelerregender Klarheit, als wäre er aus Drachenjünger Gens sicherem Zufluchtsort gerissen und vor mir abgesetzt worden. Gleichzeitig breitete sich der starke, pilzige Geschmack von Gens Trank in meinem Mund aus.
Ah. So funktionierte das also. Jedes Mal, wenn ich mich nach dem Gift sehnte, würde ich das Abbild meines misshandelten und entsetzten kleinen Bruders vor mir sehen, welcher der Willkür des Geistes meiner Mutter ausgeliefert war.
Wütend auf Drachenjünger Gen, seinen verzauberten Kräutertrunk, und ebenso wütend auf meine Lust nach Gift und Drachen, ignorierte ich mein Verlangen nach dem Drachenfeuer und konzentrierte mich, so gut ich konnte, auf den Drachenmeister, der vor mir stand.
Er reichte mir einen Prügel.
»Also«, er sah mich an, »du wirst das Ding jetzt benutzen, ja?«
Ich schluckte, erinnerte mich an die wütenden, feindseligen und widerwilligen Blicke der Schüler vom Vortag. Und mir fiel auch mein Schwur ein, niemals einen von ihnen in der Arena niederzuschlagen, niemals ein Leben zu opfern, um meines zu retten.
»Nein«, krächzte ich. »Ich werde ihn nicht benutzen. Nicht, wie Ihr es beabsichtigt.«
Seine Augen traten fast aus den Höhlen. »Bei allem, was heilig ist, besitzt du denn gar keinen Verstand?«
»Ich habe ein Gelübde getan. Und ich werde es halten.«
»Du wirst ihren Hass nicht überleben, Mädchen, mit deinem dummen Schwur! Sie wurden gegen dich aufgehetzt; du hast außer mir keinen Verbündeten in der Arena!«
»Ich werde keinen Schüler opfern. Ich werde keinen Mord begehen.« Aber noch während ich das sagte, regte sich ein gehässiger Zweifel in mir. Ich war nicht mehr so stark wie vor meiner Entführung. Nicht einmal annährend so stark.
»Ich befehle dir, ihn zu benutzen.«
»Nein, Komikon.«
»Ich peitsche dir die Haut vom Rücken, wenn du dich weigerst.«
Ich räusperte mich, während mir die Tränen in die Augen stiegen. »Das dürfte meine Chancen, die Arena zu überleben, schwerlich erhöhen, Komikon.«
Er starrte mich einige Sekunden lang an, mit geballten Fäusten, die krummen Beine gespreizt, während sich seine vernarbte Brust unter seinen erregten Atemzügen hob und senkte. Dann riss er seinen eigenen Prügel vom Boden hoch und hieb ihn hart gegen meinen Rumpf.
Ich sank mit einem Schrei in die Knie.
»Hoch mit dir, Rishi-Balg!«, knurrte der Drachenmeister. »Steh auf und trainiere!«
Ich starrte auf den zähen Schlamm, der wie Lehm zwischen meinen Fingern hindurchquoll, holte bebend Luft und rappelte mich auf.
Ich trainierte hart an diesem Tag, wenngleich nicht annährend so hart wie selbst der jüngste Novize. Dafür verbrachte ich zu viel Zeit zusammengekrümmt, die Hände auf meine Schenkel gepresst, keuchend, wie ein altes Weib mit einer Rippenfellentzündung. Ich war schwach, entsetzlich schwach. Selbst meine besondere Technik mit meinem Umhang schien mir entglitten zu sein, denn ich war nicht annährend so schnell und geschickt, wie ich vor meiner Entführung durch den Tempel gewesen war.
Am Ende des Tages zitterte ich vor Erschöpfung und Bestürzung.
»Ich bete darum, dass der Himmelswächter schnell in der Arena auftaucht«, sagte der Drachenmeister in einer Mischung aus Wut und Ekel, als wir bei Einbruch der Dämmerung das Übungsfeld verließen. »Oder die Hoffnung meines Volkes ist vernichtet.«
»Gebt mir Zeit«, bat ich ihn.
»Wir haben keine Zeit.«
»Dann gebt mir mehr von Gens Trunk.«
»Ein ganzer See von diesem Zeug würde dir nichts nützen, wenn du dich weigerst, dich an die Regeln zu halten.«
Seine Worte ähnelten viel zu sehr denen, die Dono geäußert hatte, kurz nachdem ich in die Lehre des Drachenmeister gekommen war. Du wirst die Arena nicht überleben, Zarq. Es spielt keine Rolle, wie hart du trainierst, und auch nicht, ob der Drachenmeister den Zorn des Tempels von dir fernhalten kann. Wenn du das Spiel nicht nach den Regeln spielst, wirst du es nicht schaffen.
Der Drachenmeister wandte sich an die Cafar Wachen. »Bringt sie in ihre Box zurück, bevor ich sie erwürge. Ich hole euer Essen!«
Ich konnte kaum in meinen Stall gehen, obwohl ich mir auf die Wange biss, als ich in Sichtweite der Schüler kam, die vor der Hütte lagerten, mich straffte und die Füße hob. Sie alle drehten sich um und beobachteten mich, alle bis auf Ringus, der mit dem Rücken zu mir am Kessel stand.
Auf der Schwelle meiner Stallbox blieb ich wie angewurzelt stehen. Meine Hängematte war abgeschnitten und zerfetzt worden.
Ich schloss die Augen.
Dann dachte ich an die Vorbereitungszelle, an die verfaulenden Holzwände mit ihren Nachrufen. Ich hatte auf dem schmutzigen Boden geschlafen, hatte diese von Ungeziefer verseuchte Isolation überlebt. Ich brauchte keine Hängematte.
Ich betrat meinen Stall und brach auf der alten Faeton-Spreu auf den Pflastersteinen zusammen, dem Stroh, das von der Zeit und zahllosen nackten Füßen plattgedrückt worden war, die den Messerschwingern gehörten, die meine Hängematte zerstört hatten.
Zitternd wartete ich auf die Rückkehr des Drachenmeisters.
Der nächste Tag verlief fast genauso wie der erste.
Ebenso der Tag danach und auch der folgende. Mit jedem Tag, der verstrich, nahm meine erbärmliche Sehnsucht nach dem Gift ab, obwohl der Widerwille der Schüler bösartiger wurde, aufgrund der unangemessen vielen Zeit, die der Drachenmeister an mich verschwendete.
Immer wieder wurde meine Stallbox verwüstet, wenn ich trainierte, mit Drachendung oder Renimgar-Eingeweiden verunreinigt, und wenn der Drachenmeister alle Schüler bei Anbruch der Dämmerung vor der Stalldomäne Aufstellung nehmen ließ und auspeitschte, verstärkte er nur ihre entschlossene Abneigung gegen mich.
Ich wusste nicht, wie ich ihren anwachsenden Groll gegen mich abwenden konnte, wusste nicht, wie ich meiner Entfremdung Einhalt gebieten sollte. Zudem wurde ich von einer hartnäckigen, hoffnungslosen Verzweiflung gequält, die noch dadurch verstärkt wurde, dass ich offenbar meinen Gleichgewichtssinn beim Vebalu nicht wiederfinden konnte und offenbar alle schnellen Reflexe verloren hatte. Meine Energie schien ebenfalls unzureichend, ungeachtet des ausgezeichneten Essens, des verzauberten Trunks und des mehr als ausreichenden Schlafs. Der Drachenmeister hatte recht. Mit meiner eigensinnigen Weigerung, meine Werkzeuge zur Erregung des Bullen als Waffen gegen meine Mitschüler einzusetzen, würde ich die Arena niemals überleben, es sei denn, der Himmelswächter tauchte in dem Moment auf, in dem ich in den Schatten dieser gewaltigen Arena trat.
Dann wurde der Drachenmeister eines Morgens zu den Stallungen der kranken Drachen gerufen, wo er sich um eine gereizte Drachenkuh kümmern musste, die unter einem hartnäckigen Abszess am Gelenk einer ihrer Schwingen litt. Er schickte mich allein auf das Vebalu-Feld.
»Absolviere Zielübungen mit der Peitsche, bis ich zu dir komme«, befahl er mir, während er eine Klinge schärfte, mit der er den Abszess der kranken Drachenkuh öffnen wollte. »Übe, bis du umfällst.«
»Jawohl, Komikon.«
Ich fühlte mich wie eine uralte Achse eines knarrenden Wagens, als ich zum Übungsfeld ging. Meine Wachen flankierten mich wie Schatten.
In dem Moment sah ich Ringus, der in einer Stallbox verschwand, um eine Drachenkuh zu pflegen.
Ohne nachzudenken, bog ich von meinem Weg ab und trieb ihn in die Enge.
Beunruhigt sah Ringus sich um. Er saß in der Falle und hielt den Schlangenstock quer vor seine Brust, als wäre es ein Schild. Die Drachenkuh witterte seine Angst, stampfte, schnaubte, und ihre Pupillen weiteten sich. Die ebenholzschwarzen Klauen am Ende ihrer Schwingen klackten gegeneinander.
Ich leckte mir die Lippen, wusste nicht genau, was ich sagen sollte, war mir meines verzweifelten Bedürfnisses nach einem Komplizen nur zu bewusst, der Wachen, die mich flankierten, der anderen Schüler, die mich vielleicht mit Ringus sahen und ihre Wut an dem Diener ausließen.
In dem Moment erhellte ein Licht die Stallbox.
Ich kann nicht erklären, wie oder woher es kam. Vielleicht lag es an meiner Not, im Verein mit der Djimbi-Magie, die ich vielleicht mit der Muttermilch aufgesogen hatte. Vielleicht war es auch der Wille des Beschwingten Unendlichen, der mich mit diesem übernatürlichen Licht erfüllte. Oder es war nur eine Halluzination, die durch den Entzug des Giftes ausgelöst wurde. Denn ja, ich hatte seit meinem Aufenthalt in der Viagand viele solcher Licht-Halluzinationen erlebt. Aber was auch immer die Wahrheit sein mochte, es passierte jedenfalls, und wenn Ringus noch lebte, würde er meine Geschichte zweifellos bestätigen.
Ein schillerndes blaues Licht erfüllte die Stallbox, ließ Steine und Spreu, die Wand und die Holzbalken der Decke fahl erscheinen, radierte alle Schatten und Räumlichkeit aus. Es war fast so, als beständen wir nur aus Breite und Höhe, ohne jede Substanz, als wären wir ein verblichenes Bild, das in geisterhaften Farben gezeichnet war.
Die Drachenkuh neben Ringus erstarrte. Die Spitze ihrer gegabelten Zunge glitt zwischen ihren grünlichen Gaumen hervor und zitterte. Langsam und sicher streckte sie mir ihre ganze Zunge entgegen. Nicht ein Tropfen Gift befand sich darauf, sie war so rosa und rein wie die vom Regen benetzte Blüte einer fleischfressenden Lilie. In diesem weißlichen, schillernden blauen Licht hatte allein ihre Zunge Farbe. Wie der Finger eines Geliebten liebkoste ihre gegabelte Zunge meine Wangen, zuckte über meine Lippen, schlang sich um meinen Hals und zog mich zu ihr.
Ich schwebte die paar Schritte zu der Drachenkuh, ich ging nicht, sondern schien zu treiben. Ihre bernsteinfarbenen, echsenartigen Augen kamen immer näher, wurden größer, bis sie die ganze Welt auszufüllen schienen. Ich schloss meine Augen.
Schuppige Lippen pressten sich auf meine. Ich atmete die Essenz eines Drachen ein. Ihr Maul öffnete sich, weiter, noch weiter, und gezackte Zähne und Reißzähne von der Länge von Dolchen kratzten über meine Wangenkochen, mein Kinn.
Mein Kopf steckte im Schlund eines Drachen.
Sonnenlicht drang in den Stall ein; ich sah es als kupferfarbenen Schein hinter meinen geschlossenen Lidern. Es explodierte förmlich auf jedem Stäubchen, das in der Luft tanzte, als wären sie winzige, strahlende Sonnen. Das blaue Leuchten, das zuvor Wände und Boden in fahles Licht getaucht hatte, zog sich zu einer Spirale zusammen und drehte sich langsam und schwerfällig um den Drachen und mich. Ein Ende der Spirale streifte Ringus’ Schlangenstock, und die Klinge zerbarst zu Licht.
Ich schwebte in der Luft, im Inneren des Drachen, umhüllt von dem funkelnden Strahlen.
Dann berührten meine Füße den Boden, der Drache zog sein Maul zurück, und ich starrte benommen auf den glotzenden Diener.
»Ich bin nicht böse, Ringus«, stieß ich rau hervor. »Ich bin nicht dein Feind. Die Gnade des Einen Drachen berührt alle, die mich berühren.«
Ringus nickte, bedächtig, wie verzaubert.
Als ich am Morgen des achtundzwanzigsten Tages nach meiner Rückkehr in die Stalldomäne aufwachte, glühte die Sonne bereits an einem strahlend blauen Himmel. Der säuerliche, saftige Geruch von Farnwedeln, die sich im Dschungel entfalteten, hing in der Luft. Dieser unverkennbare Duft läutete den Beginn der Zeit des Feuers ein. Das Abbasin Shinchiwouk, die Arena, stand unmittelbar bevor.
Ich erschauerte.
Im selben Moment durchzuckte mich der Gedanke, dass ich den Geist meiner Mutter nicht mehr gesehen hatte, seit er bei meiner Rückkehr auf das Gebiet von Brut Re aus meinem Körper gefahren war.
Dieser Offenbarung folgte rasch die Erkenntnis, dass ich auch keine einzige Gutembra erlebt hatte, keine Traumerinnerungen von Waivia, obwohl Ingalis, mein Bruder, schon lange aus Brut Re weggeschafft und so dem Einfluss des Geistes entzogen worden war. Zu wem also war der Geist gegangen, um Hilfe bei der Suche nach meiner Schwester zu finden?
Und wenn der Geist jetzt nicht in der Arena erschien, um mir zu helfen?
Ich richtete mich mit einem Ruck auf.
Ich leckte mir die Lippen; sie waren noch klebrig von Drachenjünger Gens Trunk, den ich in der Nacht zuvor zu mir genommen hatte.
Er würde auftauchen, ganz sicher. Der Himmelswächter hatte mich zweimal gerettet, als mein Leben in Gefahr war. Es war einfach nur Glück, dass der Geist mich nicht weiter verfolgt hatte, nicht wahr? Bei allem, was ich im Augenblick durchmachte, hätte es mir auch gerade noch gefehlt, wenn ich jetzt von dem Geist verfolgt worden wäre, der mich zwingen wollte, meine tote Schwester zu suchen. Ich sollte Re für diese Schonfrist danken. Ganz sicher war das so.
Aber der Dank, den ich stillschweigend an unseren gewaltigen Brutstätten-Bullen richtete, war ambivalent. Denn was würde passieren, wenn der Geist nicht in der Arena auftauchte?
Mein Puls pochte, als ich mich mit steifen Gliedern von meinem Strohlager erhob und meine kalten, schmerzenden Glieder streckte. Ohne die Cafar Wachen eines Blickes zu würdigen, stolperte ich auf den Hof hinaus, zu meiner wackligen Latrine. Weit über mir kreiste ein Vogel.
Der Geist.
Ich blickte rasch hoch und blinzelte in den Himmel. Die geflügelte Gestalt war zu weit oben, ich konnte nicht erkennen, welcher Spezies sie angehörte.
Aber es musste der Geist sein. Er musste es sein.
Ich knirschte mit den Zähnen und setzte meinen Weg zur Latrine fort.
Die Cafar Wachen folgten mir, räusperten sich, schnaubten ihre Nasen aus. Während ich unbeholfen in meiner Latrine verschwand, den Rücken gekrümmt, erleichterten sich die Wachen ebenfalls. Schweigend kehrten wir anschließend zu meiner Box zurück und warteten darauf, dass der Drachenmeister auftauchte.
Wo er schlief, wusste ich nicht, ebenso wenig, wo er aß oder wie er unser Essen beschaffte. Aber jeden Morgen erschien er bei Tagesanbruch mit seinen drei kleinen Zinndosen, in deren Deckel Eier und fruchtbare Featon-Garben geprägt waren und in denen immer frisch gebackenes Paak, Fläschchen mit Sesalpaste, Stücke von mit Chili gewürztem Gharialfleisch und manchmal auch kleine, mit Kork umwickelte Töpfchen mit heißem Jalen waren. Ich freute mich am meisten auf dieses Bayen-Essen, denn die fette Eigelbsoße, die mit Minze und gehackten Muay-Blättern gewürzt war, war sehr kräftigend.
Während meine Wächter und ich diese herzhafte Mahlzeit ungestört in meiner Stallbox verzehrten, schlürften meine Schülergefährten ihren lauwarmen Eintopf aus ihren kalten, hölzernen Näpfen. Ich fühlte, wie ihre Abneigung gegen mich mit jedem Bissen wuchs.
Das war auch an diesem Morgen nicht anders. Der Drachenmeister tauchte mit den Zinndosen auf. Ich trank den verzauberten, pilzigen Kräutertrunk aus seinem Kürbis und aß. Die Wachen verschlangen ihre Mahlzeit und spülten mit Wasser verdünntes Maska aus dem Trinkschlauch hinterher, den der Drachenmeister mit ihnen teilte. Dann marschierten wir allesamt zum Vebalu-Übungsfeld, während die anderen Schüler in den Stallungen schufteten.
Diesmal jedoch blieb ich mitten auf dem Hof wie angewurzelt stehen.
Dono. Er führte einen Jährling durch den Sandsteinbogen in den nächsten Stallhof.
Mir blieb fast das Herz stehen, um dann wie rasend weiterzuschlagen, als die Emotionen über mich hinwegspülten. Die Cafar Wachen, die mich flankierten, folgten meinem Beispiel und blieben ebenfalls stehen.
Der Drachenmeister, der ein Stück vorausgegangen war, setzte seinen Weg fort; offenbar hatte er nicht bemerkt, dass ich angehalten hatte. Er brummte etwas vor sich hin, seine Miene war finster, und er schüttelte seinen kahlen Schädel. Es missfiel ihm ganz offensichtlich, dass jeder Schüler, dem wir begegneten, ein Zeichen zum Schutz gegen das Böse machte, wenn wir an ihm vorübergegangen waren. Ob es ein Novize war, der Löcher in der Stallwand ausbesserte, ein Diener, der Drachenschuppen pflegte, oder ein Veteran, der die Schwingen eines Drachen zusammenband, um das Tier zum Ausbildungsfeld zu führen, jeder einzelne Schüler berührte beide Ohrläppchen, und das mehrere Male.
Aus den Augenwinkeln bemerkten wir es, aber wenn der Drachenmeister sich umdrehte, um einen Schüler dabei zu ertappen, kratzte der sich die Nase, den Kopf oder den Hals und tat, als würde er sich über einen lästigen Moskito oder eine Laus ärgern.
Erst als der Drachenmeister bereits mehrere Stallboxen weit von uns entfernt war, bemerkte er, dass ich ihm nicht mehr folgte. Mit einem Knurren, das fast wie das eines Drachen klang, wirbelte er herum und fuchtelte mit den Fäusten durch die Luft.
»Du kannst doch nicht schon müde sein! Geh, du erbärmliches Rishi-Balg, setz dich in Bewegung!«
Ich deutete auf die Reihe von Veteranen, die gerade die Drachen, deren Schwingen zusammengebunden waren, zum Ausbildungsfeld führten.
»Was macht er hier?«, fragte ich schrill. »Was im Namen Res macht er hier?«
Der Drachenmeister folgte meinem ausgestreckten Finger mit dem Blick. Er zog die Schultern bis zu den Ohren hoch, trat neben mich und wollte etwas sagen. Ich kam ihm zuvor.
»Ihr habt ihn die ganze Zeit hier behalten! Nach allem, was er angerichtet hat!«
»Ich habe ihn in dem Moment verbannt, als ich herausfand, dass er den Tempel informiert hatte«, schnarrte der Drachenmeister. »Stell mein Urteil nicht in Frage und halte mich nicht für einen Narren!«
Ich starrte in das knochige Gesicht des Drachenmeisters. Die braungrüne gefleckte Haut auf seinen Wangen sah aus wie schlecht gegerbtes Leder, das nur ungenügend an seinen Schädel angepasst war.
»Was macht er dann hier?«, flüsterte ich.
»Der Ranreeb hat es verlangt.«
Ich sah ihn ungläubig an.
»Hast du etwas anderes erwartet?«, fragte mich der Drachenmeister bissig. »Der Tempel will deinen Tod, Mädchen. Und Dono ist der auserwählte Meuchelmörder.«
»Wie lange war er verbannt?«
»Er ist heute zum ersten Mal wieder hier.«
»Also ist auch er nicht weiter ausgebildet.«
Der Drachenmeister schnaubte. »Komm nicht auf die Idee, seine Fähigkeiten mit den deinen zu messen.«
Ich sah wieder zu Dono hin. Genau in diesem Moment drehte er sich um. Der Stallhof schien sich schlagartig zu verkleinern; es war, als stünden wir unmittelbar voreinander, Auge in Auge. Ich hielt den Atem an, als ich seinen boshaften Blick bemerkte.
»Er darf die Arena nicht mit mir betreten!«, stieß ich hervor.
»Der Ranreeb besteht darauf.«
Ich riss meinen Blick von Donos los und starrte stattdessen den Drachenmeister an. Er sah mir in die Augen; es war ein quälender Blick, als würde ich in einen Abgrund schauen, an dessen Boden sich ein kaum sichtbarer Spiegel befand, ein Spiegel, der mein Gesicht reflektierte.
»Halte dich in der Arena von Dono fern. Was auch immer geschieht, wie der Bulle auch immer angreift, sei dir immer bewusst, wo sich dieser Veteran befindet.« Er spie aus. »Und wenn dir dein Leben lieb ist, dann benutze deine Waffen so, wie sie gedacht sind. Vergiss deinen dummen Schwur.«
Die Furcht machte mir eine Antwort unmöglich.
An diesem Tag trainierte ich hart, härter als je zuvor.
Ich schwitzte, mir tat alles weh, eine große Blase auf meiner Handfläche platzte auf, weil ich mit meinem Poliar so heftig Schläge parierte. Es wurde gerade dunkel, als ich zum ersten Mal seit meiner Rückkehr erfolgreich meinen Trick mit dem Umhang gegen den Drachenmeister anwandte.
Ich riss mir den Umhang geschickt über den Kopf, wirbelte ihn rasch zu einem Tau zusammen und schlug damit zu, das Ende mit der Kette nach außen, zielte auf die Hoden des Komikon, um ihn abzuwehren. Mit einem erschreckten Schrei sprang der Drachenmeister zurück. Der Schlag brannte sicherlich höllisch. Ich genoss meinen Triumph mit einem grimmigen Nicken in Richtung des Drachenmeisters, der leicht gekrümmt dastand. Seine Wangen glühten von dem scharfen Schmerz in seiner Männlichkeit. Aber er gewann seine Fassung mit einer Schnelligkeit zurück, die jahrzehntelange Disziplin und Ausbildung ihn gelehrt hatten.
»Das wurde auch langsam Zeit«, knurrte er und deutete auf den Bambusbullen. »Jetzt spring da rüber, heho!«
Ich blähte meine Nasenflügel und starrte den Bambusbullen an; eine dunkle, schattige Masse in der aufkommenden Dämmerung.
»Spring da rüber, sage ich!«, befahl der Drachenmeister.
»Jawohl, Komikon«, antwortete ich förmlich.
Ich legte meinen Poliar weg und überzeugte mich, dass mein Umhang sicher an meinem Hals befestigt war. Dann holte ich mehrmals tief Luft, wippte auf den Fußballen vor und zurück und duckte mich, um auf den falschen Bullen loszustürmen.
Ich konnte es schaffen.
Ich war im Konvent von Tieron häufig auf die Rücken der Kuneus gesprungen, hatte eines ihrer Vorderbeine als Sprungbrett genutzt, um mich auf die Biester zu schwingen, wenn ich sie säubern wollte. Ich hatte es geschafft, selbst als ich von Hunger geschwächt war, während mich der Geist gequält hatte. Ganz sicher konnte ich dieses unbewegliche Bambusgestell vor mir besteigen, auch wenn es viel größer war als die altersschwachen Bullen, denen ich einst gedient hatte.
Allerdings blieb die Frage offen, ob es mir auch gelingen würde, über seinen Rücken zu springen, wie der Drachenmeister es befohlen hatte, mit einem Überschlag, wie Ringus und die anderen Diener es oft geschafft hatten.
Ich holte tief Luft und näherte mich dem mit Tierhaut bedeckten Bambusgestell.
Ich lief locker darauf zu. Ein paar Schritte vor dem Vorderbein machte ich kürzere Schritte und beschleunigte mein Tempo. Ich sprang auf das Bein und nutzte den Schwung meines Laufs, um auf den Rücken zu springen.
Mit einem lauten Klatschen landeten meine Hände auf der derben Haut, und das Gestell erzitterte. Ich ließ meine Arme ausgestreckt, während meine Beine hinter mir durch die Luft schwangen. Einen kurzen Augenblick lang waren meine Füße hoch in der Luft, während ich einen Handstand auf dem Rückgrat des Bambusdrachen machte, und dann, den Schwung meines Sprungs ausnutzend, drückte ich mich ab, in die Luft.
Es war, als würde ich fliegen, ein durchdringendes Gefühl der Freiheit des Geistes und Körpers. Einen berauschenden Moment lang war ich schwerelos. Die Luft und ich waren eins. Ich hatte das Gefühl, als müssten gleich lederne Schwingen aus meinen Schulterblättern sprießen.
Dann stürzte ich.
Ruderte mit den Armen.
Ich landete mit einem lauten Rumms auf dem Rücken, und mein Kopf schlug mit betäubender Wucht auf dem Boden auf. Ich hatte wohl ein paar Sekunden das Bewusstsein verloren, denn als ich wieder zu mir kam, hielt der Drachenmeister meinen Kopf in seinem Schoß.
Mir war speiübel. Der Bambusbulle erhob sich über mir, wogte vor meinen benommenen Augen. Es rauschte in meinem Kopf.
»Brut Res Calim Musadish ist in drei Wochen angesetzt«, erklärte der Drachenmeister über mir. Seine Worte klangen langgezogen, verzerrt. »Drei Wochen, verstanden?«
Calim Musadish: Abstieg ins Tal. Der vom Tempel ausgesuchte Tag, an dem der Bulle einer Brutstätte zur Arena transportiert wird.
Der Calim Musadish war immer sehr gut besucht, und die Zuschauermenge befand sich in einem Zustand religiöser Verzückung, weil sie die heilige Pracht von Re zu sehen bekam. Jedes Jahr wurden von diesem Mob eine Klaue voll junger und alter Menschen zu Tode getrampelt. Mutter hatte Waivia und mir verboten, auch nur einen einzigen Calim Musadish zu besuchen. Ihre recht bildhaften Schilderungen, wie Unselige unter den Füßen der in Verzückung versetzten Frommen zertrampelt wurden, hatten in allen Frauen meines Geburtclans Furcht erzeugt, so dass keine Kinder aus Brut Res Töpferclan jemals dieses Spektakel besucht hatten, jedenfalls nicht in meiner Jugend.
Die bittere Ironie bestand darin, dass ich sie jetzt nicht nur besuchen, sondern sogar an eben dieser Zeremonie aktiv teilnehmen würde.
»Morgen üben wir weiter an diesem Bullen, heho«, erklärte der Drachenmeister grimmig. »Ich werde keine Wiederholung der heutigen Vorstellung dulden, hast du gehört?«
Ich konnte nur in den Himmel starren; mir schwindelte, und ich erschauerte beim Anblick des rötlichen Leuchtens der Dämmerung.