10

Vergewissere dich, dass sie atmet«, knurrte der Komikon, als er meine schlaffe Gestalt in Donos Arme legte. »Du kennst die Tücken des Gifts.«

Dono antwortete nicht, oder vielleicht doch? Möglicherweise hörte ich seine Erwiderung auch einfach nicht, weil ich im seidigen Nichts des Drachengiftes schwebte.

Dono trug mich von dem Ausbildungsfeld zurück zu meiner Hängematte.

Ich hatte das Gefühl, zu treiben, irgendwo zwischen Boden und Himmel zu schweben. Die Sterne tanzten wie Glasmurmeln über meinem Kopf, wie von einem unsichtbaren Spieler geworfen. Eine warme Flüssigkeit rann über meine Schenkel, durchdrang die Nacht mit dem lüsternen Aroma meiner weiblichen Säfte und dem Limonenduft des Drachengifts.

»Atme weiter!«, fuhr Dono mich an, als er mich, unendlich viel später, wie es mir vorkam, in die Hängematte herabließ. Seine Stimme schien mir wie eine Kakerlake, die über einen staubigen Felsbrocken krabbelt.

»Warum soll ich atmen?« Meine Stimme klang belegt.

Eine gute Frage, jedenfalls dachte ich das in diesem Moment. Warum, fürwahr, sollte ich weiteratmen? Meine Lungen fühlten sich an, als würden sie gleich in meiner Brust explodieren, zu geschmolzener Lava werden, die sich rasch in porösen Basalt verwandelte; ein Gefühl, das mich keineswegs erschreckte oder mir auch nur inakzeptabel erschien. Ich war sogar davon überzeugt, dass ich die Musik der Drachen verstehen würde, könnte ich nur lange genug den Atem anhalten. Nicht dass ich hätte sterben wollen. Nein. Ich wollte nur den Gesang der Drachen hören.

»Atme!«, wiederholte Dono mürrisch, kaum einen Herzschlag später, einen Moment, der mir wie ein Lebensalter vorkam, da ich jedes Zeitgefühl verloren hatte. Ich tat, was er verlangte. Ich atmete. Sei es aus Gehorsam oder wegen des natürlichen Drangs meines Körpers, jedenfalls atmete ich weiter.

So verstrich die Nacht. Dono hielt die ganze Zeit neben mir Wache, und als mein Bedürfnis, nicht mehr zu atmen, schwächer wurde, trat die Lust an seine Stelle. Ich griff nach Dono; er stieß meine Hände zur Seite und versuchte, mein unanständiges Flüstern zu ignorieren.

Doch kurz vor Tagesanbruch wich seine Entschlossenheit, und er paarte sich mit mir. Irgendwie landeten wir dabei auf dem Stallboden.

Mein Stall war erst kürzlich mit frischem Stroh ausgelegt worden, das bis zur Höhe meines Schienbeins reichte, scharf und süßlich roch, wie die frisch abgeschälte Borke eines jungen Triebes. Das Stroh polsterte meinen Rücken, ermöglichte es mir, mit den Hüften besonders heftig zuzustoßen. Dono klammerte sich an mir fest, biss mir in den Nacken und ergoss sich in mir, während kleine Stücke von Featon-Spreu um unsere Köpfe schwebten, so wie uns in unserer Kindheit der Staub der Porzellanerde überzogen hatte, als wir zu Füßen meiner Mutter herumgekrochen waren, wenn sie am Töpferrad arbeitete.

Durch das Gift in meiner Vulva wurde Donos Lust sehr bald erneut angestachelt, da das Gift auch ihn durchströmte. Er drehte mich auf den Bauch und nahm mich erneut, diesmal von hinten. Dabei flüsterte er den Namen meiner Schwester wie eine Anrufung, beschwor ihre Gegenwart, so dass wir nicht mehr zu zweit auf dem Stallboden zu liegen schienen, sondern sich eine dritte Person zu uns gesellte, ätherisch und dennoch greifbar wie ein unstillbares Verlangen.

»Waivia!«, stöhnte er. »Waivia.«

Das war meine erste Nacht mit einem Mann. Ich fand Donos Vorstellung im Vergleich zur Zunge eines Drachen ein wenig dürftig. Unsere Kopulation provozierte keinen Drachengesang in mir, ebenso wenig wie das Wispern tiefer, uralter Gedanken. Nach einer Weile bat ich Dono, aufzuhören.

Er kam meiner Bitte nach.

Als ich weinte, umarmte er mich und begann, von unserer Kindheit zu erzählen, von sich. Und von Waivia.

»Sie gehörte mir, weißt du. Wärst du nicht gewesen, wäre ich heute nicht hier, und sie wäre noch am Leben.« Während er sprach, streichelte er zerstreut meinen Rücken. »Als du meine Peitsche gestohlen hast, hast du mir auch Waivia weggenommen, Zarq.«

Ich begriff plötzlich, mit absoluter Klarheit und Gewissheit, dass er mich und auch sich selbst für die Kühnheit verachtete, mit der er damals verlangt hatte, in die Lehre des Drachenmeisters aufgenommen zu werden. Diese Anmaßung hatte den Tempel verärgert, unseren Clan ruiniert und letztlich bewirkt, dass Waivia verkauft wurde, um unsere Armut ein wenig zu lindern.

Ich setzte mich langsam auf und wischte mir die Tränen vom Gesicht.

»Was damals geschehen ist, war nicht meine Schuld«, erwiderte ich ruhig. »Ebenso wenig wie deine. Der Tempel hat die Sa-Gikiro-Regeln nicht befolgt, hat unserem Clan nicht die Entschädigung gegeben, die wir hätten erhalten müssen, weil wir dich an den Drachenmeister verloren hatten.«

Ich zögerte und legte eine Hand auf Donos Knie. »Der Tempel ist schuld daran, dass Waivia für uns verloren ist. Weder du noch ich tragen dafür die Verantwortung. Wir waren nur Kinder.«

Als ich diese Worte aussprach, schien sich etwas Dunkles, Schweres von uns zu heben. Ich sah, wie es emporschwebte. Dono spürte es auch und erschauerte.

Der große, schwarze Schatten stieg in die Luft, breitete so etwas wie Flügel aus. Taumelnd flatterte er über den Hof und schwang sich höher in den Himmel hinauf. Die Sterne schienen durch diese Dunkelheit wie Quarzbrocken am Boden eines verschlammten Flusses. Der Wind, den der Schatten mit seinen Schwingen verursachte, strich durch Donos Haar und liebkoste meine Wangen. Er roch wie der schlammige Boden eines Flusses, wie Verfaultes, wie Moder, der schon lange nicht mehr der Sonne ausgesetzt gewesen war. Es war ein starker, fruchtbarer Geruch, der von Geburt und Tod kündete.

Wir blickten dem Schatten nach, Dono und ich, wenngleich ich vermutete, dass er ihn nicht sehen, sondern nur spüren konnte. Obwohl sein Ärger auf mich und seine Selbstverdammung verschwunden sein mochten, wusste ich dennoch, dass er sich immer noch nach seiner ersten Liebe sehnte. Waivia.

 

Der Drachenmeister gewährte mir viele Wochen Zeit, die Erfahrung mit seinem Reittier zu verarbeiten und mich von der schwindelnden Wirkung des Giftes zu erholen. Meine Ausbildung litt zunächst unter dieser intimen Begegnung mit der alten Drachenkuh, und ich zitterte mehrere Tage lang am ganzen Körper. Ich stolperte häufig, und mein Gleichgewichtssinn war stark beeinträchtigt, vor allem beim Vebalu-Training. Das Sonnenlicht schmerzte in meinen Augen; ich war dankbar, dass die Regenzeit bevorstand, und freute mich über die Wolken, die den Himmel zunehmend überzogen.

Obwohl meine Kameraden den Grund für meine Beeinträchtigung nicht kannten, vermuteten sie, dass ich unter etwas litt, was der Drachenmeister mir zugefügt hatte. Zum Glück behandelten mich die meisten daraufhin wie ein rohes Ei, das sie nicht zerbrechen wollten. Die wenigen Schüler, die meine Schwäche auszunutzen versuchten, wurden von Eidon verprügelt.

Während Dono mit seinen eigenen, vielschichtigen Emotionen rang, schwankte sein Verhalten mir gegenüber zwischen Besorgtheit und Ärger. Die Leidenschaft, die wir auf dem Stallboden miteinander erlebt hatten, erneuerte nicht nur das Band unserer Kindheit, sondern schuf auch etwas Neues, das Gefühl, das man erlebt, wenn man diesen bedeutsamen, zerbrechlichen Teil von sich selbst mit einem Geliebten geteilt hat. Außerdem hatte Dono, nachdem er sich unter dem Einfluss des Giftes mit mir gepaart hatte, mich – jedenfalls in seinem Kopf – untrennbar mit der Erinnerung an seine erste Liebe verbunden. Bis zu einem gewissen Maß war ich für ihn zu Waivia geworden.

Er fand häufig einen Vorwand, seine Hand auf meinen Rücken, meine Taille oder Schulter zu legen, während er mir zeigte, wie ich etwas reparieren musste, obwohl ich das längst wusste. Wenn er konnte, arbeitete er neben mir, pflegte Drachen, besserte Mauern aus, schrubbte Tröge. Und wenn er sich an einer engen Stelle an mir vorbeidrängte, fühlte ich häufig seine Erektion an meinem Körper.

Aber er konnte dennoch nicht vergessen, dass ich mich bereiterklärt hatte, mit diesen Bestien zu verkehren, statt aus der Stalldomäne zu fliehen. Deshalb konnte es geschehen, dass er an einem Tag gelöst mit mir auf dem Verbalu-Übungsfeld kämpfte und mir Ratschläge gab, wie ich meine Reflexe besser schulen konnte, am folgenden Tag jedoch unbarmherzig auf mich einschlug.

Währenddessen beobachtete der Drachenmeister mich scharf und befragte mich jeden Abend, in der Hoffnung, dass sich mir tagsüber vielleicht der Sinn dessen offenbart hätte, was ich gehört hatte, als ich bei seinem Reittier lag. Ich konnte ihm jedoch nicht mehr verraten, als ich ihm bereits in diesem verborgenen Stall gesagt hatte: Die uralten Erinnerungen der Drachen waren ein göttliches, rätselhaftes Lied, das ich zwar zu hören, jedoch nicht zu verstehen vermochte. Seine Enttäuschung über meine immer gleiche Antwort wuchs. Ich wusste, dass er mich schon bald auffordern würde, erneut seinem Reittier beizuwohnen.

Diese Nacht erwartete ich voller Freude.

 

»Fester!«, brüllte Eierkopf mir ins Ohr. Es war meine dritte Runde auf dem Vebalu-Parcours an diesem Tag, ich war wie ausgedörrt, müde und aufgebracht von Eierkopfs grobem Gebrüll. Zudem hasste ich diesen Teil der Vebalu-Ausbildung: Das Reiben des Hodensacks. Mit geschossenen Augen rieb ich meinen ganzen Körper an dem mit Haut überzogenen Bambusgestell.

»Fester! Fester!«, brüllte Eierkopf mir erneut ins Ohr. »Das Ding muss sich über dir bewegen, heho! Und lass dir nicht so viel Zeit! Glaubst du, Re wird stillstehen, während du das machst? Du musst ran und weg, ran und weg, sonst wirst du zertrampelt!«

Mit zusammengebissenen Zähnen erhöhte ich den Druck meines Körpers auf den Sack und die Geschwindigkeit, mit der ich mich bewegte. Das ganze Gerüst über mir geriet von meinen Anstrengungen ins Schwanken.

»Schon besser!«, blaffte Eierkopf. »Und jetzt lauf weiter!«

Ich sprang auf den Holzbalken, um die nächste Runde auf dem Vebalu-Übungsfeld zu beginnen.

Ringus tauchte vor mir auf. Seine Wangen waren gerötet, und seine Augen strahlten.

»Du hast Besuch!«, stieß er atemlos hervor. »Rutkar Re Ghepp.«

Ich starrte ihn an und dann in die Richtung, in die er mit dem Daumen wies.

Mein Herz blieb stehen, setzte mehrere Schläge aus, bevor es dann heftig weiterschlug. Er hatte die Wahrheit gesagt: Rutkar Re Ghepp stand am Eingang des Übungsfeldes. Er trug ein leuchtendes, smaragdgrünes Hemd und eine geschlitzte, rotbraune Hose. Wachen der Cafar und Ratgeber flankierten ihn.

Rutkar Re Ghepp war der dritte Sohn Roshu-Lupini Res, des Kriegerfürsten unserer Brutstätte, und der Erbe von Brut Re – wäre da nicht Waikar Re Kratt gewesen. Ghepp wurde von Roshu-Lupinis Erster Erwählter Frau zur Welt gebracht, lange nachdem Roshu-Lupini die Hoffnung aufgegeben hatte, dass eine seiner Roidan Yins, seiner erwählten Frauen, jemals einen lebenden Sohn gebären würde.

Alle Kinder, die von Roshu-Lupini gezeugt wurden, waren bei der Geburt gestorben, ganz gleich, welche der Roidan Yins sie zur Welt brachte. Roshu-Lupini hatte versucht, dieser Tragödie ein Ende zu setzen, indem er immer mehr Frauen erwählte, aber nachdem auch seine vierzehnte Roidan Yin mit einer Totgeburt niederkam, kehrte er allen erwählten Frauen den Rücken zu und vergnügte sich nur noch mit seinen besten Ebanis. Dann, vollkommen unerwartet, wurde seine Lieblings-Ebani, eine blauäugige Xxeltekin, die hervorragend in der Kunst geschult war, Männern Vergnügen zu bereiten, von ihm schwanger. Obwohl jedes Kind, das eine Ebani zufällig von ihrem Gebieter empfängt, legitim ist, hat es doch einen niedrigeren gesellschaftlichen Status als die Kinder, welche die Roidan Yins seines Haushalts gebären. Der Roshu-Lupini jedoch machte eine Ausnahme von dieser kulturellen Norm und verkündete, dass er dieses Baby, falls es die Geburt überlebte und noch dazu ein Junge wäre, als seinen legitimen Erben ansehen würde.

Waikar Re Kratt kam mehrere Monate später zur Welt.

Außer sich vor Freude über diesen Erfolg, besuchte Roshu-Lupini erneut mit seinen Roidan Yins die Paarungskammern, und neun Monate später wurde ihm ein zweiter Sohn geschenkt, der tragischerweise im Alter von zwei Jahren an einem Schlangenbiss starb. Unerschrocken bestieg Roshu-Lupini jedoch auch weiterhin seine Frauen, und sieben Jahre nach Waikar Re Kratts Geburt erblickte Rutkar Re Ghepp das Licht der Welt, als Kind von Roshu-Lupinis Erster Erwählter Frau.

Und eben dieser Ghepp stand jetzt hier, auf dem staubigen Vebalu-Übungsfeld, und wollte mit mir reden.

»Du stinkst.« Ringus lenkte meine Aufmerksamkeit von dem Bayen auf sich. Er deutete mit einem Finger auf die Zisterne am anderen Ende des Feldes. »Ich würde mich vorher lieber waschen.«

»Ja«, murmelte ich verwirrt. »Sicher.«

Ringus spitzte seine festen, süßen Lippen und traf schließlich eine Entscheidung. »Ich hole den Drachenmeister. Falls du ihn brauchst.«

»Danke.« Mein Herz hämmerte vor Aufregung, dann drehte ich mich um und ging rasch zu der Zisterne.

Was konnte Ghepp von mir wollen?

Rutkar Re Ghepp war angeblich ein bedachtsamer, berechenbarer Mann, vielleicht ein wenig zu gemessen für sein Alter. Wie viele Rishi von Brut Re hielt ich ihn für einen weitaus besseren künftigen Kriegerfürsten der Brutstätte als Kratt, dessen Sadismus und Ungeduld bereits vielen Menschen in unserer Brutstätte Elend und Tod gebracht hatten.

Als ich jetzt Ghepp dort am Rand des Vebalu-Übungsfeldes stehen sah, erinnerte ich mich plötzlich an meinen Schwur, an seinem Bruder Rache zu üben und ihn zu vernichten. Bei dem täglichen Arbeitspensum, das ein Novize zu bewältigen hatte, und aufgrund der steigenden Furcht vor dem Tag der Arena hatte ich mein ursprüngliches Motiv, weswegen ich überhaupt in die Lehre des Drachenmeisters getreten war, vollkommen aus den Augen verloren.

Dass ich jetzt so unvermittelt an so etwas Bedeutsames wie diesen wahnsinnigen Ehrgeiz erinnert wurde, erfüllte mich mit Unbehagen. Es war recht angenehm gewesen, eine Weile nicht mit dem Wunsch nach Vernichtung eines Menschen und gesellschaftlichen Veränderungen beschäftigt zu sein, sondern nur die Erfolge jedes einzelnen Tages zu genießen oder gegen das Scheitern anzukämpfen. Ich fühlte mich dabei, als hätte ich wieder einen Clan und ein Zuhause.

Hastig wusch ich mich, spritzte mir Wasser ins Gesicht und schüttelte es ab, wie ein Hund es tut. Dann holte ich tief Luft und setzte mich in Richtung Ghepp in Bewegung, wobei ich einen Bogen um die Diener machte, die am anderen Ende des Übungsfeldes miteinander rangen.

Ich fühlte, wie ihre Blicke mir folgten, selbst während sie gegeneinander kämpften.

Rutkar Re Ghepp machte, gekleidet in grüne und rötliche Seide, eine ausgezeichnete Figur auf dem ansonsten eher trostlosen Vebalu-Feld. Ihm zur Seite standen zwei Männer, welche die reich bestickten, blauroten Roben von Ratgebern der Cafar trugen, und neben jedem dieser Ratgeber standen Cafar Wachen, prächtig anzusehen mit ihren kurzen Röcken und Brustpanzern aus stahlplattenbesetztem, schwarzem Leder.

Ich blieb vor Ghepp stehen und starrte, wie es der Brauch verlangte, auf seine Stiefel. Sie bestanden aus einem weichen Leder, das ich noch nie zuvor gesehen hatte, einem Wildleder, das möglicherweise von einer im Dschungel gefangenen Kreatur stammte oder von einem Tier vom Archipel oder aus den Nördlichen Reichen, das ich niemals zu Gesicht bekommen würde. Die Ratgeber konnte ich riechen. Sie stanken so stark nach Parfum und Pomade, dass sich der Geruch wie ein bitterer Geschmack auf meine Zunge legte. Einer der Ratgeber atmete vernehmlich durch die Nase, als litte er unter Verstopfung. Eine Feuerameise lief über meinen nackten Fuß.

»Was hast du hier zu schaffen, in den Stallungen der Brutstätte meines Vaters?«, murmelte Ghepp.

Ich hob den Kopf, ich konnte nicht anders, und begegnete dem ruhigen Blick seiner mandelförmigen, braunen Augen. Das dunkle Haar über seiner Stirn war ein wenig zerzaust, seine Haut hatte die Farbe alten Elfenbeins, und seine vollen Lippen unter den hohen Wangenknochen waren leicht geöffnet. Er hatte ein wunderschönes Gesicht, eines, dem Frauen sicherlich viele romantische Fantasien widmeten – und gewiss auch viele Männer.

»Ich möchte als Schülerin dienen, Bayen Hacros«, antwortete ich.

»Frauen gehen nicht in die Lehre. Frauen dienen keinen Drachen.«

»Onai dienen Drachen. Ich wurde mit einem Heiligen Messer auf die Weise dieser Frauen beschnitten.«

»Ich habe gehört, wie mein Bruder dieses Argument gegen den Ranreeb und unseren Daron angeführt hat.«

Natürlich hatte er das gehört. Ich senkte den Blick. »Ja, Bayen Hacros. Vergebt mir.«

Seine weichen Wildlederschuhe bewegten sich. »Du möchtest also Schülerin sein. Du möchtest Roshu-Lupini Res Drachen dienen.«

»Ja, Bayen Hacros.«

»Und eines Tages Drachenmeister dieser Brutstätte werden?«

Das Blut rauschte in meinen Ohren.

»Siehst du dich eines Tages als Drachenmeister von Res Besitz?«, wiederholte Ghepp seine Frage.

Ich hob den Kopf, höher, als mir zustand. »Ich will die Arena überleben, und zwar mehr als einmal, und ich will dabei Ruhm über Re bringen. Ja, Bayen Hacros, ich werde Drachenmeister werden.«

Er neigte ein wenig den Kopf. »Eine hehres Ziel für eine Rishi Via.«

»Ich bin keine gewöhnliche Rishi Via.«

Er sah zwar nicht zum Himmel, aber ich wusste, welcher Gedanke ihm durch den Kopf schoss: Der Himmelswächter.

»Nein«, gab er murmelnd zu. »Das bist du nicht.«

Einige Herzschläge lang geschah nichts. Wir standen so dicht voreinander, dass ich sogar den winzigen Schnitt an seinem Kinn sehen konnte, wo ein unachtsamer Bediensteter ihn an diesem Morgen beim Rasieren geschnitten haben musste. Ich starrte diesen kleinen Schnitt an, in einer Haut, die so makellos glatt war, dass sie mich an die straffen Muskeln unter dem blassgelben Fell eines Wangiki-Rehs erinnerte.

»Und warum willst du Drachenmeister werden?«, fragte er schließlich. »Welche Verwendung hätten eine Brutstätte und ein Bulle wohl für einen weiblichen Drachenmeister?«

Ich musterte ihn unter meinem dunklen Pony. Dann beschloss ich, ein Risiko einzugehen, ermutigt von seiner ruhigen Miene, seiner sanften Schönheit, seinen fesselnden, mandelförmigen Augen, die wie polierte Walnüsse glänzten.

»Ein Drachenmeister besitzt Macht, Bayen Hacros. Die gesellschaftliche Stellung einer Brutstätte wird jedes Jahr von der Leistung des Drachenmeisters in der Arena bestimmt.« Ich sprach leiser, und meine Stimme klang plötzlich heiser. »Ich würde diese Macht nutzen, um das Leben jener zu erleichtern, die meiner Meinung nach dieses Wohlwollen verdient hätten, und jene in ihre Schranken weisen, deren grausame Natur nur den Wohlstand einer Brutstätte bedroht. Meine Weiblichkeit gewährt mir die Vision und den Horizont, der anderen Schülern, die nur von der Gier nach Ruhm und Wohlstand geleitet werden, versagt bleibt.«

Der Blick seiner wunderschönen Augen wandte sich keinen Moment von mir ab. »Du maßt dir damit einiges an, Rishi Via.«

»Ein Himmelswächter gehorcht mir, und ich äußere meine Absichten in der Zuversicht, diese Kreatur als Verbündeten zu haben.«

Er betrachtete mich eine Weile, wandte dann den Blick ab und zupfte an seinem Ohrläppchen, in dem ein hölzerner Ohrring hing, eine Spirale, die geformt war wie der Schweif eines Drachen.

Die beiden Berater, die ihn flankierten, schienen vollkommen unbeteiligt, obwohl sie mich scharf beobachteten. Die beiden Soldaten der Cafar, die dicht neben uns Wache hielten, blickten überhaupt nicht zu uns hin, sondern behielten ihre Umgebung im Auge. Sie taten, als wären sie taub.

»Einer unserer größten Geschichtenerzähler meinte einmal, dass Adel ohne Tugend nur eine hübsche Fassung ohne Edelstein wäre«, murmelte Ghepp fast wie zu sich selbst. Dann sah er mich an. »Dem würdest du wohl zustimmen, scheint mir.«

»Ja, Bayen Hacros.«

»Mein Bruder geht ein großes Risiko ein, indem er dich in den Stallungen meines Vaters behält. Offenbar hat er von deinen Ansichten noch nichts gehört.«

Ich leckte mir die Lippen und versuchte, mich von den unregelmäßigen, schmerzhaften Schlägen meines Herzens nicht am Sprechen hindern zu lassen. »Ich hatte diese Ansichten bis zu diesem Augenblick noch nie ausgesprochen.«

»Du riskierst eine Menge, da du es jetzt tust.«

»Eine Person, die nichts riskiert und nichts tut, ist nichts.«

»Du bist eine Rishi. Du verstehst nichts von Politik, weißt nichts über Heimtücke und Ränke. Du besitzt keinerlei Finesse.«

»Ich bin eine Rishi; ich kenne Not und Entbehrung. Stärke allein kennt den Kampf.«

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht; anscheinend amüsierte ihn unser Wortwechsel. »Der Tempel will dich exekutieren, du kluge und mutige Ausgeburt.«

Ich holte bebend Luft. »Wenn ich scheitere, wird mein Scheitern dennoch nur eine Ermutigung für andere sein. Aber ich werde nicht versagen. Ich genieße Unterstützung, denn die Schriftrolle des Rechtshäuptigen Kranichs und der Himmelswächter sind auf meiner Seite.«

Wir sahen uns lange in die Augen. Dann nickte er.

»Das war eine höchst interessante Unterhaltung. Ich werde sehr genau verfolgen, was aus dir wird.« Er tippte sich nachdenklich mit einem Finger gegen die Unterlippe. »Sehr genau.«

Danach drehte er sich um, gab seinen Begleitern ein Zeichen, und sie verließen das Übungsfeld in dem Moment, in dem der Drachenmeister heranstürmte, begleitet von Ringus.

Als der Komikon am Eingang stehen blieb, um Ghepp den Vortritt zu lassen, verbeugte er sich. Es war eine flüchtige Verbeugung, und Ghepp nahm sie kaum zur Kenntnis. Die beiden Männer mochten sich ganz offenkundig nicht.

Nachdem Ghepp verschwunden war, trat der Drachenmeister zu mir und zupfte vor Aufregung an seinem Kinnbart.

»Was wollte er von dir?«, erkundigte er sich.

Ich runzelte die Stirn, zuckte mit den Schultern und antwortete wahrheitsgemäß. »Das weiß ich nicht, Komikon.«

»Was hat er dich gefragt?«

»Warum eine Frau Schülerin eines Drachenmeisters werden wollte.«

Er knirschte mit den Zähnen. »Und wie lautete deine Antwort?«

Die sichtliche Besorgnis des Drachenmeisters gab mir zu denken. Ich antwortete ausweichend. »Ich sagte ihm, dass der Himmelswächter meine Handlungen leitet.«

Der Drachenmeister grunzte und rollte die Schultern, während er in die Richtung blickte, in die Ghepp verschwunden war. »Dir ist klar, dass es in seinem Interesse liegt, wenn der Tempel dich exekutiert?«

Mein Blut schien zu gefrieren.

»Wieso?«, fragte ich so gelassen, wie ich konnte.

»Der Tempel wird Waikar Re Kratt niemals die Herrschaft über Brutstätte Re überlassen, wenn er einen rechtmäßigen Grund für deine Hinrichtung finden kann, ungeachtet dessen, was die Schriftrolle des Rechtshäuptigen Kranichs besagt!«, fuhr der Drachenmeister mich an. »Sie werden Ghepp als Erben der Brutstätte einsetzen, weil Kratt eine Ausgeburt unterstützt und sie in seinen Stallungen geduldet hat. Täusche dich nicht; dieser Mann dort«, er deutete mit seinem schwieligen Finger in die Richtung, in die Ghepp verschwunden war, »ist nicht dein Freund.«

Natürlich, daran hatte ich nicht gedacht. Mit wachsender Verzweiflung begriff ich, dass Rutkar Re Ghepp recht gehabt hatte: Ich war naiv, verstand nichts von Raffinesse und Politik.

Jetzt blieb nur abzuwarten, welche Folgen meine impulsive Unterredung mit Kratts intrigantem Bruder zeitigen würde.

 

»Du sollst mit mir kommen, heho.« Dono stand vor mir.

Es war dunkel, und wir lagen vor der Hütte der Schüler, die Bäuche voll Eintopf und mit müden, erschöpften Gliedern. Ich saß zwischen Eidons Anhängern und grübelte über Ghepps Besuch und meine übereilte Offenheit ihm gegenüber nach. Dono hatte sich ohne Bedenken unter uns gemischt: Eidon und er hatten im Hinblick auf mich einen unausgesprochenen Waffenstillstand verabredet, da Dono mich meistens gut behandelte und weil der Drachenmeister ihn als meine Eskorte für meine jüngsten geheimnisvollen Treffen mit ihm bevorzugte.

»Du sollst mit mir kommen«, wiederholte Dono und fügte dann nachdrücklich hinzu: »Befehl des Komikon.«

Der Komikon rief mich zu sich.

Zu der alten Drachenkuh, das wusste ich instinktiv.

Als ich zu Dono hochsah, beschleunigte sich mein Puls, und meine Wangen röteten sich. Ich zitterte, als wäre mir kalt, nickte, stand auf und folgte Dono unsicher über den Hof, über den sich bereits das Zwielicht legte.

Unsere Füße wirbelten roten Staub auf; er klebte an unseren schweißnassen Schenkeln wie Blutstropfen. Ich beobachtete Dono, während wir gingen. Selbst in der Abenddämmerung sah ich, dass auch seine Wangen gerötet waren. Er hatte das Kinn vorgeschoben, als wollte er einen Streit vom Zaun brechen.

Als wir den Hof mit dem Silo erreichten, blieb er abrupt stehen und drehte sich zu mir um. Ich wäre fast gegen ihn geprallt, so unvermittelt hatte er angehalten.

»Zarq«, sagte er, während sich die Röte auf seinen Wangen vertiefte. »Ich kann dir geben, was du willst. Jede Nacht. Und auch tagsüber, falls deine Leidenschaft so stark ist.«

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, weil sein aufrichtiges Angebot so weit von der Wahrheit entfernt war. Er konnte mir eben nicht geben, was ich wollte. Er war kein Drache.

Ich blickte auf seinen Lendenschurz. Darunter zeigte sich bereits eine beginnende Erektion, ausgelöst allein durch den Gedanken, dass ich einen unstillbaren sexuellen Hunger besitzen könnte, den er – so gut er es vermochte – stillen musste.

Während ich noch nach einer Antwort suchte, leckte er sich die Lippen und sah sich in dem Hof um. Er war leer bis auf die Stallungen, in denen die Drachen sich schläfrig pflegten oder uns uninteressiert beobachteten.

»Hör zu, ich habe mich entschieden«, fuhr er mit gesenkter Stimme fort. »Ich, Danku Re Dono, gebe hiermit meine Lehre auf und erwähle dich, Danku Re Darquels Zarq, zu meiner Roidan Yin.«

Ich glotzte ihn nur an, und er sprach hastig weiter.

»Deine Hüften sind gut ausgebildet; du wirst mir schöne Kinder gebären. Wir leben in Liru, der Hauptstadt. Dort wird uns keiner finden. Ich habe bereits eine geeignete Route zur Küste aufgezeichnet.«

Ich war wie vom Schlag getroffen und starrte ihn nur an. Er missverstand mein Schweigen.

»Keine Angst, Zarq. Ich werde dich beschützen. Das gelobe ich, als dein Gebieter.«

»Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll«, stammelte ich. »Das kommt so … unerwartet.«

Er stimmte mir mit einem knappen Nicken zu. »Ich könnte eine weit bessere Frau erwählen, das stimmt. Aber sei versichert, dass ich mein Gelübde als Gebieter halten werde. Ich werde für dich und die Kinder, die du mir gebierst, sorgen, ganz gleich, wie viele Frauen ich in Zukunft auch neben dir erwählen werde.«

Ich stammelte sinnloses Zeug. Er streichelte meinen Arm. Seine Erektion war jetzt unübersehbar.

»Du siehst manchmal aus wie sie«, sagte er heiser, und ich bemerkte, dass sein glasiger Blick in die Ferne der Erinnerung gerichtet war.

»Ich bin nicht Waivia, Dono.« Ich sagte es so sanft und so nachdrücklich, wie ich konnte.

Seine Hand auf meinem Arm erstarrte. Ich holte bebend Luft und legte meine Hand auf seine.

»Ich fühle mich zutiefst geehrt, dass du mich als deine Roidan Yin auswählen willst, und es überwältigt mich geradezu, dass du meinetwegen deine Lehre aufgeben willst. Wirklich.«

Sein Blick klärte sich, und gleichzeitig verfinsterte sich seine Miene. »Ich verstehe nicht, was du mir sagen willst.«

Oh Re, das würde nicht einfach werden.

»Dono, ich werde hier bleiben. In der Lehre. Ich werde nicht weggehen.«

Er ließ meinen Arm los und trat einen Schritt von mir fort, so dass meine Hand von seiner herabglitt. Er errötete zutiefst, aber diesmal nicht vor Leidenschaft, sondern vor Wut. Rote Flecken bildeten sich auf seinem Hals und seinen Wangen.

»Du weigerst dich, meine Roidan Yin zu werden?«, fragte er ungläubig.

»Ich bin dir sehr dankbar für dein Angebot …«

»Das war kein Angebot!« Seine Stimme klang schrill. »Ich habe dich erwählt. Eine Frau kann das nicht einfach ablehnen!«

»Ich bin Schülerin eines Drachenmeisters.«

Diesmal starrte er mich an, sprachlos.

»Du willst dorthin gehen, stimmt’s?«, stieß er schließlich hervor und ballte die Fäuste an seiner Seite. »Du willst der Aufforderung des Komikon nachkommen!«

»Ich …« Mein Widerspruch erstarb auf meinen Lippen. Wir wussten beide sehr genau, wie bereitwillig ich dem Komikon in diesem Punkt Folge leistete.

»Drachenhure!«, spie er hervor.

»Du verstehst das nicht.«

»Ich verstehe ganz ausgezeichnet. Du ziehst einen Drachen mir vor. Du bist eine Ausgeburt.«

»Nein.«

»Du hast mich nur benutzt, um dein Verlangen nach dem Drachen zu lindern. Wenn ich dich berühre, schließt du die Augen und denkst an die Schuppen und Klauen eines Drachen.«

»Und du, he? An wen denkst du, wenn du dich zu mir legst, heho? Jedenfalls nicht an mich, Dono. Du denkst nicht an mich. Du schließt die Augen und stellst dir vor, du wärst mit meiner Schwester zusammen!«

»Sie ist wenigstens menschlich!«

»Ein Drache ist göttlich!«, konterte ich.

»Du bist verkommen!«

»Du bist verzweifelt!«

»Ich biete dir an, deinetwegen meine Lehre aufzugeben!«, brüllte er. »Ich bin bereit, mein Leben für dich zu riskieren, um dich vor der Exekution zu retten!«

Donos glühende Wut fegte über mich hinweg, und mir schwindelte einen Augenblick. Als meine Sehkraft zurückkehrte, starrte ich in sein wutverzerrtes Gesicht.

Und schüttelte bedächtig den Kopf.

»Es tut mir leid«, flüsterte ich. »Ich bin die Schülerin eines Drachenmeisters. Das hier ist mein Zuhause. Dies hier ist … meine Bestimmung.«

Dann stolperte ich von ihm weg, in Richtung des kuppelgekrönten Gebäudes und der alten Drachenkuh, die mich erwartete.