V

 

»Nigel, das ist meine Unterwäsche.«

»Wirklich, Pat, du kannst doch jetzt nicht auf einmal prüde werden. Mitten zwischen den Höschen, das wäre doch genau der Platz, wo man so eine Flasche verstecken würde, oder etwa nicht?«

»Ja, aber ich bin ganz sicher…«

»Wir können über nichts sicher sein, bevor wir nicht überall nachgeschaut haben. Und genau das werde ich jetzt tun.«

Es klopfte leise an der Tür, und im selben Moment trat Sally Finch ein. Überrascht riss sie die Augen auf. Pat saß auf dem Bett und hielt eine Hand voll von Nigels Socken umklammert. Nigel hatte alle Schubladen herausgezogen und wühlte wie ein Terrier in einem Haufen von Pullovern, während um ihn herum Höschen, Büstenhalter, Strümpfe und andere weibliche Kleidung im Zimmer verstreut lag.

»Du meine Güte«, sagte Sally, »was geht denn hier vor?«

»Wir suchen Natron«, sagte Nigel knapp.

»Natron? Warum denn?«

»Ich habe Schmerzen.« Nigel grinste. »Bauchweh. Da hilft nichts außer Natron.«

»Ich habe irgendwo noch welches, glaube ich.«

»Nein danke, Sally, es muss schon das von Pat sein. Ihres ist die einzige Marke, die mein spezielles Leiden heilen kann.«

»Du bist verrückt«, sagte Sally. »Was hat er vor, Pat?«

Patricia schüttelte unglücklich den Kopf. »Du hast nicht vielleicht mein Natron gesehen, Sally?«, fragte sie. »Es war nur noch ein bisschen am Boden der Flasche.«

»Nein.« Sally sah sie neugierig an. Dann runzelte sie die Stirn. »Lass mich nachdenken. Irgendjemand hier – nein, ich kann mich nicht erinnern. – Hast du vielleicht eine Briefmarke, Pat? Ich will einen Brief abschicken, und ich hab keine mehr.«

»Da in der Schublade.«

Sally öffnete eine flache Schublade im Schreibtisch, entnahm ihr ein Briefmarkenheftchen, riss eine Marke heraus, klebte sie auf den Brief, den sie in der Hand hielt, ließ das Heftchen wieder in die Schublade fallen und legte eine Münze auf den Tisch. »Danke. Soll ich deinen Brief auch gleich mit einstecken?«

»Ja – nein – nein, ich glaube, das hat noch Zeit.«

Sally nickte und verließ den Raum.

Pat ließ die Socken fallen, die sie noch immer in der Hand gehalten hatte, und knetete nervös ihre Finger.

»Nigel?«

»Ja?« Nigel hatte seine Aufmerksamkeit jetzt dem Kleiderschrank zugewandt und suchte in den Manteltaschen.

»Da ist noch etwas, das ich gestehen muss.«

»Guter Gott, Pat, was hast du denn noch angestellt?«

»Ich fürchte, du wirst mir böse sein.«

»Über das Stadium bin ich hinaus. Ich hab ganz einfach Angst. Wenn Celia mit dem Zeug vergiftet worden ist, das ich geklaut habe, dann gehe ich wahrscheinlich für viele Jahre ins Gefängnis, wenn sie mich nicht am Ende gar aufhängen.«

»Es hat nichts damit zu tun. Es geht um deinen Vater.«

»Was?« Nigel fuhr mit einem Ausdruck ungläubigen Erstaunens herum.

»Er ist sehr krank, wusstest du das?«

»Es ist mir egal, wie krank er ist.«

»Sie haben es gestern Abend im Radio durchgegeben: ›Sir Arthur Stanley, der berühmte Chemiker, befindet sich in einem sehr kritischen Gesundheitszustand.‹«

»Das ist das Nette dran, wenn man ein VIP ist. Die ganze Welt erfährt, wenn man krank wird.«

»Nigel, wenn er im Sterben liegt, dann solltest du dich mit ihm versöhnen.«

»Den Teufel werde ich.«

»Aber wenn er doch stirbt.«

»Er ist dasselbe Schwein, wenn er im Sterben liegt, wie das, das er bei bester Gesundheit war.«

»So darfst du nicht denken, Nigel. So bitter und unversöhnlich.«

»Hör zu, Pat – ich habe es dir schon einmal gesagt: Er hat meine Mutter umgebracht.«

»Ich weiß, dass du das gesagt hast, und ich weiß, dass du sie sehr verehrt hast. Aber ich glaube, Nigel, dass du manchmal übertreibst. Viele Männer sind nicht besonders nett und gefühlvoll, und ihre Frauen leiden darunter, und es macht sie unglücklich. Aber zu sagen, dass dein Vater deine Mutter getötet hat, das ist eine abwegige Behauptung, und es ist einfach nicht wahr.«

»Du glaubst, du weißt wirklich alles besser, nicht wahr?«

»Ich weiß, dass es dir eines Tages Leid tun wird, wenn du dich nicht vor seinem Tod mit deinem Vater aussöhnst. Deshalb…« Pat machte eine Pause und nahm allen Mut zusammen. »Deshalb habe ich – habe ich deinem Vater geschrieben – und ihm gesagt…«

»Du hast ihm geschrieben? Ist das der Brief, den Sally abschicken wollte?« Er machte einen Satz zum Schreibtisch. »Ich begreife.«

Er nahm den Brief, der adressiert und frankiert bereitlag, riss ihn mit flinken, nervösen Fingern in kleine Stücke und warf sie in den Papierkorb. »So viel dazu. Und wage es ja nicht, so etwas noch einmal zu tun.«

»Wirklich, Nigel, du bist absolut kindisch. Du kannst zwar diesen Brief zerreißen, aber du kannst mich nicht daran hindern, einen neuen zu schreiben, und genau das werde ich tun.«

»Du bist wirklich unheilbar sentimental. Hast du denn nicht begriffen, als ich dir gesagt habe, dass mein Vater meine Mutter getötet hat, dass das eine nackte Tatsache ist. Meine Mutter ist an einer Überdosis Medinal gestorben. Hat es aus Versehen eingenommen, hieß es bei der gerichtlichen Untersuchung. Aber sie hat es nicht aus Versehen eingenommen. Es wurde ihr eingegeben, absichtlich, von meinem Vater. Er wollte eine andere Frau heiraten, und meine Mutter wollte sich nicht scheiden lassen. Es ist eine einfache, schmutzige Mordgeschichte. Was hättest du getan an meiner Stelle? Ihn an die Polizei verpfiffen? Das würde meine Mutter nicht gewollt haben… Das Einzige, was ich tun konnte, war – dass ich dem Schwein gesagt habe, dass ich alles wusste – und dann bin ich abgehauen – für immer. Ich habe sogar meinen Namen geändert.«

»Nigel – tut mir Leid – ich habe nie geglaubt…«

»Nun, jetzt weißt du es… Der berühmte und geachtete Arthur Stanley mit seiner Forschung und seinen Antibiotika. Gedeiht wie ein Lorbeerbaum! Aber das Objekt seiner Lust hat er dann am Ende doch nicht gekriegt. Sie hat ihn nicht geheiratet, sondern ist abgeschwirrt. Ich vermute, sie hat geahnt, was er getan hat…«

»Nigel, Schatz, wie schrecklich – das tut mir Leid…«

»Schon gut. Lass uns nicht länger darüber sprechen. Lass uns weitermachen mit dieser verdammten Natron-Geschichte. Denk noch einmal ganz sorgfältig nach: Was genau hast du mit dem Zeug gemacht? Stütz den Kopf in die Hände und denk nach, Pat.«