Sechstes Kapitel
Den folgenden Tag fand Mrs Hubbard in jeder Beziehung unbefriedigend. Dabei war sie mit einem Gefühl der Erleichterung aufgewacht. Ihre nagenden Zweifel über die jüngsten Ereignisse waren zumindest gemildert. Ein dummes Mädchen, das sich auf dumme, neumodische Art aufführte (wofür Mrs Hubbard kein Verständnis hatte), war die Ursache allen Ärgers gewesen. Und von jetzt an würde Ordnung herrschen.
Als sie in dieser beruhigenden Gewissheit zum Frühstück nach unten ging, fand Mrs Hubbard ihre neu gewonnene Ruhe sofort bedroht. Die Studenten schienen sich genau diesen Morgen ausgewählt zu haben, um besonders anstrengend zu sein, jeder auf seine Weise.
Mr Chandra Lal, der von der Sabotage an Elizabeths Aufzeichnungen gehört hatte, regte sich wortreich auf. »Unterdrückung«, schnaubte er. »Gezielte Unterdrückung von Ausländern. Missachtung und Vorurteile, Rassismus. Das hier ist ein typisches Beispiel.«
»Hören Sie auf, Mr Chandra Lal«, sagte Mrs Hubbard scharf. »Sie haben kein Recht, so zu sprechen. Niemand weiß bisher, wer das getan hat und warum er es getan hat.«
»Aber Mrs Hubbard, ich dachte Celia ist zu Ihnen gekommen und hat sich zu ihrer Tat bekannt«, sagte Jean Tomlinson. »Ich finde das übrigens großartig von ihr. Wir müssen jetzt alle sehr nett zu ihr sein.«
»Musst du so tugendhaft daherreden, Jean?«, fragte Valerie Hobhouse ärgerlich. »Ich finde das höchst unerfreulich.«
»›Sich zu ihrer Tat bekannt‹«, sagte Nigel mit einem Schauder. »Was für ein scheußlicher Ausdruck.«
»Wieso? Die Oxford Group benutzt den Ausdruck auch und…«
»Oh, um Himmels willen, die Oxford Group! Müssen wir denn wirklich die ›Moralische Aufrüstung‹ schon zum Frühstück haben?«
»Was soll das alles, Ma? Es war also Celia, die den ganzen Kram geklaut hat? Ist das der Grund dafür, dass sie nicht zum Frühstück runterkommt?«
»Bitte, ich nicht verstehen«, sagte Mr Akibombo.
Niemand setzte ihn ins Bild. Alle waren zu sehr damit beschäftigt, ihren eigenen Beitrag zu leisten.
»Armes Kind«, sagte Len Bateson. »War sie so knapp dran, oder was?«
»Wisst ihr, ich bin nicht wirklich überrascht«, sagte Sally langsam. »Ich hatte immer so eine Art von Gefühl…«
»Willst du damit sagen, dass Celia die Tinte auf meine Aufzeichnungen gegossen hat?« Elizabeth Johnston sah ungläubig um sich. »Das wäre eine Überraschung, das kann ich kaum glauben.«
»Celia hat keine Tinte auf Ihre Arbeit geschüttet«, sagte Mrs Hubbard. »Und ich wünsche, dass Sie alle jetzt damit aufhören, diese Angelegenheit zu diskutieren. Ich hatte sowieso vorgehabt, Ihnen alles später in Ruhe zu erzählen…«
»Es ist ja nur, weil Jean gestern Abend an Ihrer Tür gelauscht hat«, sagte Valerie.
»Ich habe nicht gelauscht. Ich bin nur zufällig…«
»Ach komm, Bess«, sagte Nigel. »Du weißt ganz genau, wer die Tinte verschüttet hat. Ich, der böse Nigel, mit meiner kleinen grünen Flasche, ich bin das gewesen.«
»Ist er nicht. Er tut nur so. Oh, Nigel, wie kannst du nur so dumm sein?«
»Es ist doch nur nobel von mir, dich zu schützen, Pat. Wer hat denn gestern Morgen meine Tinte ausgeliehen? Du warst das.«
»Bitte, ich nicht verstehen«, sagte Mr Akibombo.
»Das ist auch besser so«, erklärte ihm Sally. »Wenn ich du wäre, würde ich mich da absolut raushalten.«
Mr Chandra Lal erhob sich. »Du fragst wirklich, warum es bei euch die Mau-Mau-Rebellen gibt? Und warum Ägypten was gegen die Suez-Kanalgesellschaft hat?«
»Verdammter Mist«, sagte Nigel heftig und knallte die Tasse auf die Untertasse. »Erst die ›Moralische Aufrüstung‹ und dann noch die Politik! Beim Frühstück! Ich hau ab.«
Er stieß den Stuhl heftig zurück und verließ den Raum.
»Es ist kühl draußen. Vergiss deinen Mantel nicht!« Patricia rannte hinter ihm her.
»Gluck, gluck, gluck«, sagte Valerie boshaft. »Sie wird bald Federn kriegen und mit den Flügeln schlagen.«
Genevieve, das französische Mädchen, dessen Englisch noch nicht ausreichte, dem raschen Wortwechsel zu folgen, hatte den Erklärungen gelauscht, die René ihm ins Ohr zischte. Sie sprudelte jetzt in schnellem Französisch mit sich überschlagender Stimme heraus: »Comment donc? C’est cette petite qui m’a volé mon compact! Ah, par exemple! J’irai à la police. Je ne supporterai pas une pareille…«
Colin McNabb hatte schon länger versucht, sich verständlich zu machen, aber seine tiefe, überlegene Stimme war in den schrillen, hohen Tönen untergegangen. Jetzt gab er seine distanzierte Haltung auf, schlug mit heftigem Krachen die Faust auf den Tisch und brachte damit alle überrascht zum Schweigen. Der Marmeladentopf glitt vom Tisch und zerbrach.
»Jetzt haltet alle mal den Mund und hört zu, was ich zu sagen habe. Noch nie bin ich so krasser Ignoranz und Bosheit begegnet! Hat den keiner von euch auch nur den blassesten Schimmer von Psychologie? Das Mädchen hat keine Schuld, das steht fest. Sie ist durch eine schwere emotionale Krise gegangen und muss mit der äußersten Sympathie und Vorsicht behandelt werden – wenn sie nicht für den Rest ihres Lebens instabil bleiben soll. Ich warne euch. Äußerste Vorsicht – das ist es, was sie braucht.«
»Aber immerhin«, sagte Jean mit klarer, besserwisserischer Stimme, »auch wenn wir uns alle einig sind, dass wir nett sein sollten – über diese Angelegenheit sollten wir doch nicht einfach hinwegsehen, oder? Über die Diebstähle, meine ich.«
»Diebstähle«, sagte Colin. »Das waren keine Diebstähle. Ach! Ihr geht mir auf die Nerven – alle.«
»Sie ist schon ein interessanter Fall, was, Colin?«, sagte Valerie und grinste ihn an.
»Allerdings, wenn man sich für das Funktionieren des Gehirns interessiert, ja.«
»Natürlich hat sie nichts von meinen Sachen genommen«, setzte Jean an, »aber ich würde doch sagen…«
»Nein, sie hat nichts von deinen Sachen genommen«, sagte Colin und sah sie verdrießlich an. »Aber wenn du nur die leiseste Ahnung hättest, was das bedeutet, dann wärest du vielleicht nicht so froh darüber.«
»Wirklich, ich sehe nicht…«
»Ach, hör auf, Jean«, sagte Len Bateson. »Lass uns mit dem Nörgeln und Herumquatschen aufhören. Ich komme sonst zu spät und ihr auch.«
Sie gingen zusammen raus. »Sag Celia, sie soll den Kopf hochhalten«, rief er über die Schulter.
»Ich möchte gern formellen Protest einlegen«, sagte Mr Chandra Lal. »Borax-Pulver, sehr wichtig für meine Augen, die durch das Studieren ganz entzündet sind, ist gestohlen worden.«
»Auch Sie werden zu spät kommen, Mr Chandra Lal«, sagte Mrs Hubbard fest.
»Mein Professor kommt auch oft zu spät«, sagte Mr Chandra Lal finster, aber er bewegte sich doch zur Tür. »Und er reagiert auch gereizt und übertrieben, wenn ich ihm viele interessierte Fragen stelle.«
»Mais il faut qu’elle me le rende, ce compact«, sagte Genevieve.
»Sie müssen Englisch sprechen, Genevieve – Sie werden es nie lernen, wenn Sie jedes Mal ins Französische zurückfallen, wenn Sie sich aufregen. Und außerdem haben Sie am Sonntag hier zu Abend gegessen und noch nicht bezahlt.«
»Ach, jetzt hab ich gerade mein Portemonnaie nicht dabei. Heute Abend – viens, René, nous serons en retard.«
»Bitte«, sagte Mr Akibombo und sah sich flehentlich um, »ich nicht verstehen.«
»Komm mit, Akibombo«, sagte Sally. »Ich werde es dir auf dem Weg zum Institut erklären.«
Sie nickte Mrs Hubbard aufmunternd zu und schob den verwirrten Akibombo aus dem Raum.
»O Gott«, sagte Mrs Hubbard und atmete tief durch. »Warum um alles in der Welt habe ich diesen Job angenommen?«
Valerie, die als Einzige zurückgeblieben war, grinste sie freundlich an. »Machen Sie sich keine Sorgen, Ma«, sagte sie. »Es ist schon gut, dass nun alles herausgekommen ist. Allmählich waren doch alle ziemlich nervös geworden.«
»Ich muss schon sagen, dass ich sehr überrascht war.«
»Dass es am Ende Celia war?«
»Ja. – Waren Sie nicht überrascht?«
Valerie sagte leicht abwesend: »Das war doch ziemlich offensichtlich, finde ich.«
»Haben Sie das etwa die ganze Zeit schon gedacht?«
»Nun ja, das eine oder andere hat mich stutzig gemacht. Und auf jeden Fall hat sie jetzt Colin da, wo sie ihn haben wollte.«
»Ja. Ich kann mir nicht helfen, aber mir scheint das nicht in Ordnung.«
»Man kriegt keinen Mann mit vorgehaltener Pistole«, lachte Valerie. »Aber vielleicht mit einem Anflug von Kleptomanie? – Keine Sorge, Mum. Und um Himmels willen sorgen Sie dafür, dass sie Genevieve ihre Puderdose zurückgibt, sonst haben wir nie mehr Frieden bei den Mahlzeiten.«
Mrs Hubbard seufzte: »Nigel hat seine Untertasse zerbrochen, und der Marmeladentopf ist auch hin.«
»Ein teuflischer Morgen, was?«, sagte Valerie. Sie ging nach draußen. Mrs Hubbard hörte, wie sie mit fröhlicher Stimme im Flur verkündete:
»Guten Morgen Celia. Die Luft ist rein. Alle wissen alles, und sie verzeihen dir alles – im Auftrag der heiligen Jean. Und was Colin angeht, der hat wie ein Löwe für dich gebrüllt.«
Celia kam ins Esszimmer. Ihre Augen waren rot geweint.
»Oh, Mrs Hubbard.«
»Sie sind sehr spät dran, Celia. Der Kaffee ist kalt, und viel zu essen ist auch nicht mehr da.«
»Ich wollte die anderen nicht treffen.«
»Das dachte ich mir. Aber früher oder später werden Sie sie doch treffen müssen.«
»O ja, ich weiß. Aber ich dachte – heute Abend – dass es dann einfacher wäre. Und da ist noch etwas. Ich werde am Ende der Woche gehen.«
Mrs Hubbard runzelte die Stirn. »Ich denke, das wird nicht nötig sein. Sie müssen mit ein paar Unannehmlichkeiten rechnen – das ist klar –, aber unsere Studenten sind im Großen und Ganzen ziemlich großzügig. Natürlich werden Sie den Schaden wieder gutmachen müssen, soweit das geht.«
Celia unterbrach sie eifrig: »O ja. Ich habe mein Scheckbuch dabei. Das ist eines der Dinge, die ich Ihnen sagen wollte.« Sie sah zu Boden. Sie hielt ein Scheckbuch und einen Umschlag in der Hand. »Ich habe an Sie geschrieben, für den Fall, dass Sie nicht unten wären, wenn ich herunterkäme, um zu sagen, wie Leid es mir tut, und ich wollte einen Scheck beilegen, damit Sie mit den Leuten abrechnen können – aber dann hatte ich keine Tinte mehr im Füller.«
»Wir werden eine Liste machen müssen.«
»Das habe ich schon – so weit wie möglich. Aber ich weiß nicht recht, ob ich versuchen sollte, neue Sachen zu kaufen, oder ob ich ihnen lieber das Geld geben soll.«
»Da muss ich erst drüber nachdenken. Das lässt sich nicht so einfach sagen.«
»Ach, lassen Sie mich Ihnen doch jetzt gleich einfach einen Scheck geben. Ich würde mich sofort viel besser fühlen.«
Mrs Hubbard war nahe daran, kompromisslos herauszuplatzen: »Tatsächlich? Und was sollte mir daran liegen, dass ausgerechnet Sie sich besser fühlen?« Aber ihr fiel ein, dass die Studenten ja immer etwas knapp bei Kasse waren, und dass die ganze Angelegenheit so wohl am einfachsten zu regeln wäre. Das würde auch dazu beitragen, Genevieve zu beruhigen, die sonst noch Ärger bei Mrs Nicoletis machen könnte (es würde sowieso schon genug Ärger geben}.
»Na schön«, sagte sie. Sie überflog die Liste der Gegenstände. »Es ist natürlich schwer zu sagen, so aus der hohlen Hand…«
Celia sagte eifrig: »Lassen Sie mich Ihnen doch einen Scheck über die ungefähre Summe ausstellen, die Sie für angemessen halten, und dann fragen Sie die Leute, und hinterher kann ich dann den Rest zurücknehmen oder Ihnen mehr geben.«
»Na schön«, Mrs Hubbard nannte eine vorläufige Summe, von der sie annahm, dass sie ihr genügend Spielraum ließ, und Celia stimmte sofort zu. Sie öffnete ihr Scheckbuch.
»Oh, Mist, mein Füller.« Sie ging hinüber zum Regal, wo alle möglichen Dinge lagen, die verschiedenen Studenten gehörten. »Die einzige Tinte scheint die scheußliche grüne von Nigel zu sein. Ach, dann nehm ich die. Nigel wird das egal sein. – Ich darf nicht vergessen, mir nachher neue zu kaufen, wenn ich rausgehe.«
Sie füllte den Füller, kam zurück und schrieb den Scheck aus.
Sie gab ihn Mrs Hubbard und sah auf ihre Uhr. »Ich werde zu spät kommen. Ich verzichte wohl besser aufs Frühstück.«
»Nein, Celia, Sie sollten wirklich etwas essen, und wenn es nur ein Stück Brot mit Butter ist. Es ist nicht gut, mit leerem Magen loszugehen. Ja, was ist?«
Geronimo, der italienische Hausangestellte, war ins Zimmer gekommen und fuchtelte mit den Händen, wobei er sein runzliges, affenartiges Gesicht zu einer komischen Grimasse verzog.
»Die padrona, sie ist gerade gekommen. Sie will Sie sprechen.« Mit einer dramatischen Geste fügte er hinzu: »Sie ist sehr erregt.«
»Ich komme.«
Mrs Hubbard verließ den Raum, während Celia sich eilig daranmachte, ein Stück Brot abzuschneiden.
Mrs Nicoletis ging in ihrem Zimmer auf und ab und erinnerte stark an einen Tiger im Zoo kurz vor der Fütterung.
»Was muss ich hören?«, platzte sie heraus. »Sie rufen die Polizei? Ohne mir ein Wort zu sagen? Was glauben Sie, wer Sie sind? Mein Gott, was glaubt diese Frau, wer sie ist?«
»Ich habe nicht die Polizei gerufen.«
»Lügnerin.«
»Also so können Sie nicht mit mir sprechen, Mrs Nicoletis.«
»O nein. Natürlich nicht. Ich bin es, die hier die Fehler macht. Nicht Sie. Immer nur ich. Alles, was Sie machen, ist perfekt. – Polizei in meiner ehrbaren Herberge!«
»Es wäre nicht das erste Mal«, sagte Mrs Hubbard, die sich an verschiedene unangenehme Zwischenfälle erinnerte. »Da war diese Studentin aus Westindien, die gesucht wurde, weil sie von unmoralischen Einkünften lebte, und dieser berüchtigte kommunistische Agitator, der sich unter falschem Namen eingeschlichen hatte – und…«
»Ah! Das sagen Sie mir ins Gesicht? Ist es vielleicht meine Schuld, dass solche Leute herkommen und mich anlügen und falsche Papiere haben und von der Polizei gesucht werden, um in Mordfällen auszusagen? Und Sie rügen mich noch für all das, was ich erlitten habe!«
»Ich tue nichts Derartiges. Ich weise nur darauf hin, dass es nicht eben neu wäre, die Polizei im Haus zu haben. – Ich würde sagen, das lässt sich nicht vermeiden, bei so viel verschiedenen Studenten. Aber Tatsache ist, dass niemand die Polizei gerufen hat. Ein Privatdetektiv mit einem sehr guten Ruf hat gestern Abend als mein Gast bei uns gegessen. Er hat den Studenten einen interessanten Vortrag über Kriminologie gehalten.«
»Als ob es noch nötig wäre, unseren Studenten etwas von Kriminologie zu erzählen! Die wissen schon genug davon. Genug, um zu stehlen und kaputtzumachen und Sabotage zu betreiben. Und nichts wird dagegen unternommen – nichts!«
»Ich habe etwas dagegen unternommen.«
»Ja, Sie haben einem alten Freund Details über unsere intimsten Angelegenheiten mitgeteilt. Das ist ein schwerer Vertrauensbruch.«
»Ganz und gar nicht. Ich bin schließlich für die Leitung dieses Hauses verantwortlich. Und ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die Sache nun aufgeklärt ist. Eine der Studentinnen hat gestanden, dass sie für die meisten der Vorfälle verantwortlich war.«
»So ein dreckiges kleines Biest«, sagte Mrs Nicoletis. »Werfen Sie sie raus.«
»Sie ist bereit, uns aus freien Stücken zu verlassen und für den Schaden aufzukommen.«
»Was soll das jetzt noch nützen? Der Ruf meines schönen Studentenwohnheims ist hin. Niemand wird mehr zu uns kommen.« Mrs Nicoletis setzte sich auf das Sofa und brach in Tränen aus. »Niemand nimmt Rücksicht auf meine Gefühle«, schluchzte sie. »Es ist abscheulich, wie ich behandelt werde. Ignoriert! Zur Seite gedrängt! Wenn ich morgen sterben sollte, wen würde das wohl kümmern?«
Mrs Hubbard ließ diese Frage klugerweise unbeantwortet und verließ das Zimmer.
»Möge der Allmächtige mir Kraft geben«, sagte Mrs Hubbard zu sich selbst und ging hinunter in die Küche, um mit Maria zu sprechen.
Maria war mürrisch und unkooperativ. Das Wort »Polizei« hing unausgesprochen in der Luft.
»Natürlich wird man mich anklagen. Mich und Geronimo – wir sind ja povero. Welche Gerechtigkeit können wir schon erwarten in einem fremden Land? Nein, ich kann den Risotto nicht so kochen, wie Sie es möchten – man hat den falschen Reis geliefert. Ich werde stattdessen Spaghetti machen.«
»Wir hatten gestern Abend Spaghetti.«
»Das macht nichts. Wo wir herkommen, in Italien, da essen wir jeden Tag Spaghetti – jeden Tag des Jahres. Pasta ist immer gut.«
»Ja, aber hier sind wir in England.«
»Na schön. Dann mache ich eben Eintopf. Englischen Eintopf. Er wird Ihnen nicht gefallen, aber ich mache ihn trotzdem – fade – fade – mit Zwiebeln, die in Wasser gekocht sind, statt in Öl gebraten – und mit blassem Fleisch voller Knochen.« Maria sprach so drohend, dass Mrs Hubbard das Gefühl hatte, es ginge um das Rezept für einen Mord.
»Ach, kochen Sie doch, was Sie wollen«, sagte sie ärgerlich und verließ die Küche.
Um sechs Uhr abends war Mrs Hubbard wieder ihr altes tüchtiges Selbst. Sie hatte in allen Studentenzimmern Zettel verteilt, jeder möge vor dem Abendessen zu ihr kommen, und als sie bei ihr vorsprachen, erklärte sie den Studenten, dass Celia sie gebeten habe, die Angelegenheit zu erledigen. Sie hatte den Eindruck, dass alle sehr verständnisvoll waren. Selbst Genevieve zeigte sich besänftigt durch die großzügige Schätzung ihrer Puderdose und sagte fröhlich, alles sei sans rancune. In einem Anflug von Weisheit fügte sie hinzu: »Man weiß ja schließlich, dass es solche Nervenkrisen gibt. Sie ist reich, diese Celia, die hat es nicht nötig, zu stehlen. Nein, es ist nur eine Art Sturm in ihrem Kopf. Da hat Mr McNabb Recht.«
Len Bateson nahm Mrs Hubbard zur Seite, als die Glocke zum Abendessen rief. »Ich warte im Flur auf Celia«, sagte er, »und gehe mit ihr zusammen rein. So dass sie sieht, dass alles wieder in Ordnung ist.«
»Das ist sehr nett von Ihnen, Len.«
»Das ist schon o.k. Ma.«
Und bald darauf, als die Suppe serviert wurde, vernahm man Lens Stimme vom Flur her: »Komm mit rein, Celia. Alles ist wieder gut.«
Nigel sagte bissig zu seinem Suppenteller: »Damit hat er seine gute Tat für heute getan!« Aber ansonsten hielt er seine Zunge im Zaum und winkte mit der Hand zum Gruß, als Celia hereinkam, Lens langen Arm um ihre Schultern gelegt.
Es folgte ein allgemeiner Ausbruch fröhlicher Unterhaltung über verschiedene Themen, und Celia wurde von dem einen oder anderen mit in das Gespräch einbezogen.
Beinahe zwangsläufig endete dieser Ausdruck guten Willens schließlich in einer unbehaglichen Stille. Genau da wandte Mr Akibombo sich mit strahlendem Gesicht an Celia, lehnte sich über den Tisch und sagte:
»Die anderen mir jetzt genau erklären, was ich nicht verstehen. Du sehr clever Dinge stehlen. Lange keiner herausfinden. Sehr clever.«
In diesem Moment prustete Sally Finch heraus: »Akibombo, du bist noch mein Tod.« Sie verschluckte sich dabei so heftig, dass sie auf den Flur gehen musste, um sich zu erholen. Und ein völlig ungezwungenes Gelächter brach aus.
Colin McNabb griff erst spät ein. Er wirkte reserviert und noch schweigsamer als gewöhnlich. Am Ende des Essens und bevor die anderen fertig waren, stand er auf und sagte in einer Art verlegenen Murmelns:
»Ich muss noch mal weg, muss jemanden treffen. Aber ihr sollt es als erste wissen: Celia und ich – wir wollen im nächsten Jahr heiraten, wenn ich meine Ausbildung abgeschlossen habe.«
Er bot ein Bild errötenden Elends, nahm die Gratulationen, das Gejohle und die Pfiffe seiner Freunde entgegen und entkam schließlich mit einem Ausdruck äußerster Verlegenheit. Celia war dagegen rosig und gefasst.
»Und wieder hat es einen guten Mann erwischt«, seufzte Len Bateson.
»Ich freue mich so, Celia«, sagte Patricia. »Ich hoffe, du wirst sehr glücklich werden.«
»Jetzt ist alles perfekt im Garten Eden«, sagte Nigel. »Morgen werden wir ordentlich Chianti ranschaffen und auf eure Gesundheit trinken. – Warum guckt die gute Jean so ernst? Hast du Einwände gegen die Ehe, Jean?«
»Natürlich nicht, Nigel.«
»Ich sage immer, die Ehe ist so viel besser als die freie Liebe, findest du nicht auch? Angenehmer für die Kinder. Sieht besser aus in ihrem Reisepass.«
»Aber die Mutter sollte nicht zu jung sein«, sagte Genevieve. »Das erzählen sie einem im Physiologiekurs.«
»Nein, im Ernst«, sagte Nigel, »du willst damit doch nicht sagen, dass Celia zu jung ist, um ihre Zustimmung zu geben, oder irgend so etwas? Sie ist frei, weiß und einundzwanzig, wie man so schön sagt.«
»Das«, sagte Mr Chandra Lal, »ist eine äußerst beleidigende Bemerkung.«
»Nein, nein, Mr Chandra Lal«, sagte Patricia. »Es ist nur – nur so eine Redensart. Es hat keinerlei Bedeutung.«
»Ich nicht verstehen«, sagte Mr Akibombo. »Wenn keine Bedeutung, weshalb dann sagen?«
Elizabeth Johnston sagte plötzlich mit leicht erhobener Stimme:
»Es werden manchmal Sachen gesagt, die anscheinend keine Bedeutung haben, aber in Wahrheit bedeuten sie eine ganze Menge. Nein, es ist nicht dein amerikanisches Zitat, das ich meine. Ich spreche von etwas ganz anderem.« Sie sah sich am Tisch um. »Ich spreche von dem, was gestern passiert ist.«
Valerie sagte scharf: »Was soll das, Bess?«
»Ach, bitte«, sagte Celia. »Ich glaube – ich glaube wirklich – dass sich bis morgen alles aufgeklärt hat. Ich glaube das ganz sicher. Die Tinte auf deinen Aufzeichnungen und die dumme Geschichte mit dem Rucksack. Und wenn – wenn die betreffende Person sich einfach meldet und alles zugibt, so wie ich das getan habe, dann ist alles wieder gut.«
Sie sprach ernsthaft, mit rotem Gesicht, und ein oder zwei der Anwesenden sahen sie neugierig an.
Valerie sagte mit kurzem Lachen: »Und danach leben wir alle glücklich bis an unser Ende.«
Alle erhoben sich und gingen hinüber in den Gemeinschaftsraum. Hier entwickelte sich ein regelrechter Wettstreit darum, Celia den Kaffee zu bringen. Als das Radio eingeschaltet wurde, gingen einige der Studenten, die noch Verabredungen hatten oder die noch arbeiten wollten, und schließlich gingen alle Einwohner von Hickory Road 24 und 26 zu Bett.
Das war ein langer, ermüdender Tag, dachte Mrs Hubbard, als sie dankbar unter ihre Bettdecke kroch.
»Aber zum Glück«, sagte sie zu sich selbst, »ist jetzt alles vorbei.«