II

 

Hercule Poirot hatte sein Sonntagsfrühstück beendet. Er wischte sorgfältig alle Spuren seiner Frühstücks-Schokolade vom Schnurrbart und ging dann hinüber ins Wohnzimmer.

Auf dem Tisch lagen vier Rucksäcke ausgebreitet, jeder mit der zugehörigen Rechnung – so wie er es George gesagt hatte. Poirot packte den Rucksack aus, den er am Vortag erworben hatte, und legte ihn zu den anderen. Das Ergebnis war überraschend. Der Rucksack, den er bei Mr Hicks gekauft hatte, sah in keiner Weise schlechter aus als diejenigen, die George in verschiedenen Kaufhäusern erstanden hatte. Aber er war entschieden billiger gewesen.

»Interessant«, sagte Hercule Poirot.

Er starrte die Rucksäcke an.

Dann untersuchte er sie genauer. Von innen und außen, indem er sie umkrempelte, die Nähte abtastete, die Taschen, die Tragriemen. Dann stand er auf, ging ins Bad und kam mit einem kleinen, scharfen Messer zurück. Er drehte bei dem Rucksack, den er bei Mr Hicks gekauft hatte, das Innere nach außen und attackierte den Boden mit dem Messer. Zwischen dem Innenfutter und dem eigentlichen Boden fand er ein schweres Stück gewellten Verstärkungsmaterials, eine Art Wellkarton. Poirot sah den zerstörten Rucksack mit großem Interesse an.

Dann nahm er sich die anderen Rucksäcke vor.

Am Ende setzte er sich und betrachtete das Werk der Zerstörung, das er soeben vollendet hatte.

Dann zog er das Telefon zu sich heran, und nach kurzer Verzögerung gelang es ihm, sich mit Inspektor Sharpe verbinden zu lassen.

»Ecoutez, mon cher«, sagte er. »Ich möchte gern zwei Dinge wissen.«

Inspektor Sharpe lachte. »Zwei Dinge weiß, ich von dem Pferd, doch eins davon ist gar nichts wert«, sagte er.

»Bitte?«, sagte Hercule Poirot überrascht.

»Ach, nichts. Das ist nur so ein Reim. Was sind das für zwei Dinge, die Sie wissen möchten?«

»Sie haben gestern einige polizeiliche Besuche in der Hickory Road erwähnt, die in den letzten drei Monaten erfolgt sind. Können Sie mir die genauen Daten sagen, und zu welcher Tageszeit sie gemacht wurden?«

»Ja – nun – das sollte einfach sein. Das muss alles in den Berichten stehen. Warten Sie, ich sehe rasch nach.«

Nach kurzer Zeit war der Inspektor wieder am Telefon. »Der erste Besuch stand im Zusammenhang mit einem indischen Studenten, der subversive Schriften verteilt hat. Das war am 18. Dezember letzten Jahres – um 15.30 Uhr.«

»Das ist zu lange her.«

»Dann Ermittlungen in Sachen Montague Jones, Eurasier, gesucht im Zusammenhang mit dem Mord an Mrs Alice Combe in Cambridge – 24. Februar – 17.30 Uhr. – Und schließlich Ermittlungen in Sachen William Robinson – aus Westafrika, auf Ersuchen der Polizei in Sheffield – 6. März, 11 Uhr.«

»Aha. Danke.«

»Aber wenn Sie glauben, dass einer dieser Fälle in irgendeinem Zusammenhang mit…«

Poirot unterbrach ihn. »Nein, da gibt es keinen Zusammenhang. Ich interessiere mich nur für die Tageszeit der Besuche.«

»Worauf wollen Sie hinaus, Poirot?«

»Ich zerschneide gerade Rucksäcke, mein Freund. Das ist sehr interessant.« Sanft legte er den Hörer auf.

Dann entnahm er seinem Notizbuch die erweiterte Liste, die Mrs Hubbard ihm am Vortag gegeben hatte. Sie sah so aus:

 

Rucksack (Len Bateson)

Glühbirnen

Armband (Genevieve)

Diamantring (Patricia)

Puderdose (Genevieve)

Abendschuh (Sally)

Lippenstift (Elizabeth Johnston)

Ohrringe (Valerie)

Stethoskop (Len Bateson)

Badesalz (?)

Halstuch zerschnitten (Valerie)

Hose (Colin)

Kochbuch (?)

Borax (Chandra Lal)

Modeschmuck (Sally)

Tinte auf Elizabeths Aufzeichnungen

(Genauer weiß ich es nicht. Es ist nicht völlig richtig. L. Hubbard.)

 

Poirot starrte geraume Zeit auf die Liste. Er seufzte und murmelte: »Ja – keine Frage – wir müssen alles ausschließen, was keine Rolle spielt…«

Und er wusste auch schon, wer ihm dabei helfen könnte. Es war Sonntag. Die meisten Studenten würden wahrscheinlich zu Hause sein.

Er wählte die Nummer der Hickory Road 26 und bat, mit Miss Valerie Hobhouse verbunden zu werden. Jemand mit einer kräftigen, kehligen Stimme bezweifelte, dass sie bereits aufgestanden sei, sagte aber, er werde gehen und nachsehen.

Wenig später hörte er eine leise, heisere Stimme: »Ja? Hier ist Valerie Hobhouse.«

»Hier spricht Hercule Poirot. Erinnern Sie sich an mich?«

»Natürlich, Monsieur Poirot. Was kann ich für Sie tun?«

»Wenn das möglich ist, würde ich mich gern einmal kurz mit Ihnen unterhalten.«

»Gern.«

»Kann ich gleich jetzt zu Ihnen in die Hickory Road kommen?«

»Ja. – Ich werde Geronimo anweisen, dass er Sie in mein Zimmer führt. Sonst kann man hier kaum irgendwo ungestört sprechen an einem Sonntag.«

»Vielen Dank, Miss Hobhouse.«

 

Geronimo öffnete schwungvoll die Tür, dann beugte er sich vor und erklärte Poirot auf seine übliche verschwörerische Art:

»Ich bringe Sie gleich zu Miss Valerie nach oben. Ganz, ganz leise.«

Er legte einen Finger auf die Lippen und führte Poirot in ein großes Zimmer im ersten Stock, das zur Hickory Road hinausging. Es war ein geschmackvoll und mit einem Hauch von Luxus möbliertes Wohn-Schlaf-Zimmer. Der Divan war mit einem abgenutzten, aber wunderschönen Perserteppich bedeckt, und auch der attraktive Queen-Anne-Sekretär aus Nussbaumholz dürfte wohl kaum zur Originaleinrichtung der Hickory Road 26 gehören.

Valerie Hobhouse stand bereit, Poirot zu begrüßen. Sie sah müde aus, fand er, und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen.

»Mais vous êtes très bien ici«, sagte Poirot, als er sie begrüßte. »Es ist chic. Es hat Atmosphäre.«

Valerie lächelte. »Ich wohne schon eine ganze Weile hier«, sagte sie. »Zweieinhalb Jahre. Fast drei. Ich habe mich inzwischen ziemlich eingelebt, und ich habe einige meiner eigenen Sachen hergebracht.«

»Aber Sie sind keine Studentin, Mademoiselle?«

»O nein. Ich bin rein kaufmännisch tätig. Ich habe einen Job.«

»In einer – Kosmetikfirma, glaube ich?«

»Ja. Ich bin Einkäuferin für Sabrina Fair – das ist ein Schönheitssalon. Um ehrlich zu sein, ich habe einen kleinen Anteil an der Firma. Wir betreiben auch noch einige Nebengeschäfte neben der Schönheitspflege. Modeschmuck und solche Sachen. Modische Kleinigkeiten aus Paris. Das ist mein Ressort.«

»Dann fahren Sie sicher ziemlich oft nach Paris und auf den Kontinent?«

»O ja, etwa ein Mal im Monat, manchmal auch öfter.«

»Verzeihen Sie bitte«, sagte Poirot, »wenn ich neugierig erscheinen mag…«

»Warum nicht?«, unterbrach sie ihn. »Unter den gegebenen Umständen müssen wir uns alle damit abfinden. Ich habe gestern bereits eine ganze Menge Fragen von Inspektor Sharpe beantwortet. – Sie sehen aus, als ob Sie lieber einen richtigen Stuhl haben würden, Monsieur Poirot, als diesen tiefen Sessel.«

»Sie haben eine gute Beobachtungsgabe, Mademoiselle.« Poirot setzte sich sorgfältig und sehr aufrecht auf einen Stuhl mit einer hohen Rückenlehne.

Valerie setzte sich auf den Divan. Sie bot ihm eine Zigarette an, nahm selbst eine und zündete sie an. Er studierte sie mit einiger Aufmerksamkeit. Sie war von einer nervösen, ziemlich müde wirkenden Eleganz, die ihn stärker ansprach, als ein konventionelleres gutes Aussehen. Eine intelligente und attraktive junge Frau, dachte er. Er fragte sich, ob ihre Nervosität ein Ergebnis der jetzigen Ermittlungen war oder ein natürlicher Bestandteil ihres Wesens. Er erinnerte sich, dass er sich das schon an dem Abend gefragt hatte, als er zum Abendessen hier gewesen war.

»Inspektor Sharpe hat Ihnen Fragen gestellt, nehme ich an?«

»Ja, das hat er.«

»Und Sie haben ihm alles erzählt, was Sie wissen?«

»Natürlich.«

»Ich frage mich«, sagte Poirot, »ob das stimmt.«

Sie sah ihn mit einem ironischen Lächeln an. »Da Sie nicht gehört haben, was ich Inspektor Sharpe geantwortet habe, werden Sie das wohl kaum beurteilen können«, sagte sie.

»Natürlich nicht. Das ist nur einfach so eine meiner kleinen Ideen. Ich habe sie manchmal, wissen Sie – diese kleinen Ideen. Sie sitzen hier drin.« Er tippte an seinen Kopf.

Poirot spielte absichtlich den Narren. Aber Valerie lächelte nicht. Sie sah ihm gerade ins Gesicht. Als sie sprach, geschah das mit einer gewissen Abruptheit. »Lassen Sie uns zur Sache kommen, Monsieur Poirot«, bat sie. »Ich weiß wirklich nicht, worauf Sie hinaus wollen.«

»Aber gewiss doch, Miss Hobhouse.« Er zog ein kleines Paket aus der Tasche. »Sie können sich vielleicht vorstellen, was ich hier drin habe?«

»Ich bin keine Hellseherin, Monsieur Poirot. Ich kann nicht durch Papier und Verpackungen hindurchsehen.«

»Ich habe hier«, sagte Poirot, »den Ring, der Miss Patricia Lane gestohlen worden ist.«

»Den Verlobungsring? Ich meine, den Verlobungsring ihrer Mutter? Aber wieso haben Sie den?«

»Ich habe sie gebeten, ihn mir für ein paar Tage zu leihen.«

Wieder zog Valerie überrascht die Augenbrauen hoch. »Tatsächlich?«, sagte sie.

»Ich habe mich für den Ring interessiert«, sagte Poirot. »Besonders für sein Verschwinden, sein Wiederauftauchen und für noch etwas anderes. Deshalb habe ich Miss Lane gebeten, ihn mir zu leihen. Sie hatte keine Einwände. Ich bin damit direkt zu einem befreundeten Juwelier gegangen.«

»Ja?«

»Ich habe ihn gebeten, den Diamanten zu begutachten. Ein ziemlich großer Stein, wie Sie sich vielleicht erinnern, der auf beiden Seiten von einer Gruppe kleinerer Steine flankiert wurde. Erinnern Sie sich – Mademoiselle?«

»Ich glaube. Aber so genau weiß ich das nicht mehr.«

»Aber Sie haben ihn doch in der Hand gehabt, nicht wahr? Er war in Ihrem Suppenteller.«

»Auf diese Weise ist er ja wieder aufgetaucht! Ja, natürlich, daran erinnere ich mich. Ich hätte ihn ja fast verschluckt.« Valerie lachte kurz auf.

»Wie gesagt, ich habe den Ring also zu einem befreundeten Juwelier gebracht und ihn um seine Meinung über diesen Diamanten gebeten. Und wissen Sie, was er geantwortet hat?«

»Wie sollte ich das wissen?«

»Seine Antwort war, dass es gar kein Diamant ist. Sondern nur ein Zirkon. Ein weißer Zirkon.«

»Oh!« Sie starrte ihn an. Dann fuhr sie mit etwas unsicherer Stimme fort: »Wollen Sie damit sagen, dass – Patricia gedacht hat, es sei ein Diamant, aber in Wirklichkeit war es nur ein Zirkon oder…«

Poirot schüttelte den Kopf. »Nein, das will ich damit nicht sagen. Es war, soweit ich verstanden habe, der Verlobungsring von Patricia Lanes Mutter. Miss Patricia Lane ist eine junge Dame aus guter Familie, und ihre Angehörigen sind ganz sicher finanziell sehr gut gestellt gewesen, zumindest vor dem Krieg. In diesen Kreisen, Mademoiselle, wird für einen Verlobungsring wirklich Geld ausgegeben – man nimmt einen Diamantring oder einen Ring mit einem anderen wertvollen Stein. Ich bin ganz sicher, dass der Papa von Miss Lane ihrer Mama auf jeden Fall einen wertvollen Verlobungsring gegeben hat.«

»In dieser Hinsicht kann ich Ihnen nur zustimmen«, sagte Valerie. »Patricias Vater war wohl so etwas wie ein kleiner Landedelmann.«

»Und deshalb«, sagte Poirot, »deutet alles darauf hin, dass der Stein in diesem Ring nachträglich durch einen anderen ersetzt worden ist.«

»Ich nehme an«, sagte Valerie langsam, »dass Pat vielleicht den Stein verloren hat und sich nicht leisten konnte, ihn durch einen Diamanten zu ersetzen, und dass sie deshalb einen Zirkon hat einsetzen lassen.«

»Das wäre möglich«, sagte Poirot, »aber ich glaube nicht, dass es so gewesen ist.«

»Nun, Monsieur Poirot, wenn wir schon beim Raten sind, was glauben Sie denn, was geschehen ist?«

»Ich glaube«, sagte Poirot, »dass Mademoiselle Celia den Ring genommen hat, und dass der Diamant absichtlich entfernt und durch den Zirkon ersetzt wurde, bevor der Ring zurückgegeben worden ist.«

Valerie setzte sich sehr aufrecht. »Sie glauben, dass Celia den Diamanten absichtlich gestohlen hat?«

Poirot schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Ich glaube, dass Sie ihn gestohlen haben, Mademoiselle.«

Valerie Hobhouse atmete tief ein: »Also wirklich!«, rief sie aus. »Was fällt Ihnen ein? Dafür gibt es auch nicht den geringsten Hinweis.«

»Doch«, unterbrach sie Poirot. »Den gibt es. Der Ring wurde in einem Suppenteller zurückgegeben. Nun habe ich ja einen Abend am Essen teilgenommen. Daher weiß ich, wie die Suppe serviert wird. Sie wird von einer Terrine am Nebentisch ausgeteilt. Wenn also jemand einen Ring in seiner Suppe findet, dann kann nur entweder die Person, die die Suppe ausschenkt (in diesem Fall Geronimo), oder derjenige, dessen Teller es ist, den Ring in die Suppe getan haben. Nämlich Sie! Ich glaube nicht, dass es Geronimo gewesen ist. Ich glaube, dass Sie die Rückgabe des Rings in der Suppe inszeniert haben, weil Sie das amüsant fanden. Sie haben, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, einen zu humorvollen Sinn für Dramatik. Den Ring hoch zu halten! Der Ausruf der Überraschung! Aber ich denke, Sie haben ihrem Sinn für Humor hier zu sehr nachgegeben, Mademoiselle, und nicht bedacht, dass Sie sich damit selbst verraten.«

»Ist das alles?«, sagte Valerie verächtlich.

»O nein, das ist noch längst nicht alles. Sehen Sie, als Celia an jenem Abend gestanden hat, für die Diebstähle hier verantwortlich gewesen zu sein, da sind mir ein paar Kleinigkeiten aufgefallen. Zum Beispiel, als sie von dem Ring sprach, da sagte sie: ›…der Ring war nichts als ein Irrtum. Als ich erfahren habe, dass er wertvoll war, habe ich ihn gleich zurückgegeben.‹ Wie hat sie das erfahren, Miss Valerie? Wer hat ihr erzählt, wie wertvoll der Ring war? Und dann wiederum im Zusammenhang mit dem zerschnittenen Seidenschal, da hat Miss Celia so etwas gesagt wie: ›Valerie hat das ja nichts ausgemacht…‹ Warum hat es Ihnen nichts ausgemacht, dass Ihr guter Seidenschal zerschnitten wurde? – Ich hatte gleich den Eindruck, dass diese ganze Idee, Sachen zu stehlen, sich zur Kleptomanin zu machen und so die Aufmerksamkeit von Colin McNabb zu erregen, dass die nicht von Celia ausging, sondern dass jemand anders sich das für sie ausgedacht hatte. Jemand mit erheblich größerer Intelligenz als Celia Austin und mit guten psychologischen Kenntnissen. Sie haben ihr erzählt, dass der Ring wertvoll war, Sie haben ihn ihr weggenommen und seine Rückgabe arrangiert. Und es war Ihr Vorschlag, Ihren Seidenschal zu zerschneiden.«

»Das sind alles Theorien«, sagte Valerie, »ziemlich weit hergeholte Theorien. – Der Inspektor hat auch schon gefragt, ob ich nicht vielleicht Celia dazu gebracht habe, diesen Trick anzuwenden.«

»Und was haben Sie ihm geantwortet?«

»Ich habe gesagt, dass das völliger Unsinn sei«, sagte Valerie.

»Und was werden Sie mir sagen?«

Valerie sah ihn einen Augenblick prüfend an. Dann lachte sie kurz auf, drückte ihre Zigarette aus, lehnte sich zurück, nachdem sie ein Kissen in den Rücken geschoben hatte und sagte: »Sie haben ganz Recht. Ich habe ihr das vorgeschlagen.«

»Darf ich fragen, warum?«

Valerie sagte ungeduldig: »Ach, nichts als pure Gutmütigkeit. Alles nur zu ihrem Besten. Celia ist ja nur noch trübselig herumgeschlichen wie ein kleines Gespenst und hat sich vor Sehnsucht nach Colin verzehrt, und der hat sie überhaupt nicht angeguckt. Es war alles so dumm. Colin ist einer von diesen eingebildeten, rechthaberischen jungen Leuten, völlig verstiegen in seine Psychologie und Komplexe und Hemmungen und dieses ganze Zeug, und ich dachte, es wäre wirklich lustig, ihm einen Streich zu spielen und ihn hereinzulegen. Überhaupt gefiel es mir nicht, dass Celia so unglücklich aussah, und so habe ich sie mir vorgenommen, ihr ein wenig gut zugeredet, ihr den ganzen Plan in groben Zügen erläutert und sie gedrängt, ihn auszuführen. Sie war wohl ein bisschen nervös, glaube ich, aber andererseits auch fasziniert von der Idee. Und was tut das kleine Dummchen gleich als Erstes? Sie stahl den Ring von Pat, den sie im Badezimmer gefunden hat – ein wirklich wertvolles Stück. Das hätte garantiert jede Menge Aufregung ausgelöst, die Polizei wäre gerufen worden, und das Ganze hätte eine ernste Wendung genommen. So habe ich ihr den Ring abgenommen und ihr gesagt, dass ich ihn irgendwie zurückgeben würde. Und ich habe ihr klar gemacht, dass sie in Zukunft nur Modeschmuck und Kosmetika nehmen darf, und sie sollte zur Sicherheit auch irgendetwas von meinen Sachen beschädigen, so dass wir nicht in Schwierigkeiten kommen würden.«

Poirot atmete tief durch. »Das ist genau, was ich gedacht hatte«, sagte er.

»Heute wünschte ich natürlich, dass ich das nicht getan hätte«, sagte Valerie düster. »Aber ich habe es wirklich nur gut gemeint. Es ist scheußlich, das so zu sagen, und es klingt genau wie einer der Sprüche von Jean Tomlinson, aber so ist es eben.«

»Und wie ging es dann weiter mit Patricias Ring?«, fragte Poirot. »Celia hat ihn Ihnen gegeben. Sie sollten ihn irgendwo finden und Patricia zurückgeben. Aber bevor Sie ihn Patricia zurückgegeben haben«, er machte eine Pause. »Was geschah da?«

Er sah, wie ihre Finger nervös die Fransen ihres Schals, den sie um den Hals trug, flochten und wieder entflochten. Er fuhr mit noch überzeugenderer Stimme fort: »Sie waren ein bisschen knapp dran, war es so?«

Ohne zu ihm aufzusehen, nickte sie kurz mit dem Kopf.

»Ich habe gesagt, dass ich auspacken würde«, sagte sie, und es lag Bitterkeit in ihrer Stimme. »Mein Problem ist, Monsieur Poirot, ich bin eine Spielerin. Das ist etwas, was einem angeboren ist, und man kann nicht viel dagegen tun. Ich spiele in einem kleinen Club in Mayfair – aber ich werde Ihnen nicht verraten, wo genau das ist. Ich will nicht dafür verantwortlich sein, wenn die Polizei den Club hochgehen lässt oder so. Sagen wir einfach nur, dass ich dazugehöre. Da gibt es Roulette, Baccarat und all diese Dinge. Und ich hatte eine üble Serie von Verlusten, einen nach dem anderen. Und da hatte ich diesen Ring von Pat. Und zufällig bin ich an einem Laden vorbeigekommen, in dessen Schaufenster ein Zirkonring lag. Da habe ich mir gesagt: ›Wenn man diesen Diamanten gegen einen weißen Zirkon austauscht, wird Pat den Unterschied nie merken.‹ Man schaut einen Ring, den man wirklich gut kennt, nie so genau an. Wenn der Diamant etwas trüber aussieht als sonst, so denkt man einfach nur, der müsste mal geputzt werden oder irgend so etwas. Also schön, ich hatte diesen Einfall. Und ich hab es getan. Ich hab den Diamanten herausgedrückt und verkauft. Ihn durch einen Zirkon ersetzt und am selben Abend dann vorgegeben, den Ring in der Suppe gefunden zu haben. Das war wirklich eine verdammt dumme Idee, das muss ich ja zugeben. – So! Jetzt wissen Sie alles. Aber ehrlich, ich habe nie gewollt, dass Celia die Schuld dafür angehängt wird.«

»Nein, nein, das glaube ich gern.« Poirot nickte. »Es war eine Gelegenheit, und Sie konnten nicht widerstehen. Es schien einfach, und da haben Sie es getan. Aber Sie haben da einen großen Fehler gemacht, Mademoiselle.«

»Das sehe ich ein«, sagte Valerie trocken. Dann brach es unglücklich aus ihr heraus: »Aber, was zum Teufel, macht das jetzt? Ach, verpetzen Sie mich, wenn Sie wollen. Sagen Sie es Pat. Sagen Sie es dem Inspektor. Sagen Sie es der ganzen Welt! Aber was für einen Nutzen hat das? Wie kann das dazu beitragen, den Mörder der armen Celia zu finden?«

Poirot erhob sich.

»Das weiß man nie«, sagte er, »was dabei hilft und was nicht. Man muss zunächst all die Dinge aus dem Weg räumen, die keine Bedeutung haben und die die Angelegenheit verwirren. Für mich war es wichtig herauszufinden, wer die kleine Celia dazu gebracht hat, die Rolle der Kleptomanin zu spielen. Das weiß ich jetzt. Und was den Ring angeht, so schlage ich vor, dass Sie selbst zu Miss Patricia Lane gehen und ihr erzählen, was Sie getan haben, und dabei entschuldigen Sie sich dann gleich bei ihr.«

Valerie verzog das Gesicht. »Ich denke, das ist im Großen und Ganzen ein guter Ratschlag«, sagte sie schließlich. »Na schön, ich werde Pat aufsuchen und klein beigeben. Pat ist sehr anständig. Ich werde ihr sagen, dass ich den Diamanten ersetzen werde, sobald ich es mir leisten kann. – Ist es das, was Sie wollen, Monsieur Poirot?«

»Es ist nicht, was ich will, es ist einfach nur ratsam.«

Die Tür öffnete sich plötzlich und Mrs Hubbard kam herein. Sie atmete schwer, und der Ausdruck in ihrem Gesicht ließ Valerie ausrufen: »Was ist los, Mum? Was ist passiert?«

Mrs Hubbard ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Es ist Mrs Nicoletis.«

»Mrs Nick? Was ist los mit ihr?«

»O, mein Gott. Sie ist tot.«

»Tot?« Valeries Stimme klang heiser. »Wie ist das passiert? Und wann?«

»Anscheinend ist sie letzte Nacht auf der Straße gefunden worden – sie haben sie zur Polizeiwache gebracht. Sie haben geglaubt – dass sie…«

»Dass sie betrunken war? Ich vermute…«

»Ja – sie hatte etwas getrunken. Aber jedenfalls – sie ist tot…«

»Arme alte Mrs Nick«, sagte Valerie mit leichtem Beben in ihrer heiseren Stimme.

Poirot sagte milde:

»Sie haben sie gemocht, Mademoiselle?«

»Es ist irgendwie seltsam – sie konnte ein richtiger alter Teufel sein – aber dennoch – ich war… Als ich zuerst hier eingezogen bin – vor drei Jahren, da war sie noch längst nicht so – so launenhaft wie heute. Sie war nett – amüsant – warmherzig. – Sie hat sich sehr verändert im Laufe des letzten Jahres…« Valerie sah Mrs Hubbard an. »Ich vermute, das liegt alles daran, dass sie heimlich angefangen hat zu trinken. Man hat eine Menge Schnapsflaschen in ihrem Zimmer gefunden, nicht wahr?«

»Ja.« Mrs Hubbard zögerte, dann brach es aus ihr heraus: »Ich mache mir solche Vorwürfe – dass ich sie gestern Abend allein nach Hause gehen ließ – sie hatte nämlich Angst vor irgendetwas, wissen Sie.«

»Angst?« Poirot und Valerie sagten es gleichzeitig.

Mrs Hubbard nickte unglücklich. Ihr sanftes, rundes Gesicht wirkte bekümmert. »Ja. Sie hat mehrfach gesagt, dass sie sich nicht sicher fühlt. Ich hab sie gebeten, mir zu sagen, wovor sie Angst hat, aber sie hat mir eine Abfuhr erteilt. Und natürlich hat man bei ihr nie gewusst, ob das nicht alles stark übertrieben war. Aber nun – ich frage mich…«

Valerie sagte: »Sie glauben doch nicht etwa, dass sie – dass sie auch – dass sie etwa auch…« Sie unterbrach sich mit angsterfülltem Blick.

Poirot fragte: »Was, hat die Polizei gesagt, war die Todesursache?«

Mrs Hubbard sagte unglücklich: »Sie – sie haben gar nichts gesagt. Es wird eine gerichtliche Untersuchung geben – am Dienstag…«