Florian Geyer kämpfte an der Seite des Bauernheeres gegen Fürsten und Geistlichkeit – unverständlicherweise, denn er war ja selbst einer vom Adel. Albrecht Wolf von Weißenstein hatte sich dem Geyer angeschlossen – so viel stand für Anna Elisabeth fest. Aber warum, das war ihr ebenfalls unverständlich. Denn auch Albrecht gehörte ja zu den Herren.
Sie hatte ihn noch immer nicht gefunden. Genau wie Balzer gesagt hatte, wusste niemand recht, wo sich die Truppe des Florian Geyer gerade aufhielt und welche Richtung sie nehmen würde. Seine Männer kämen und gingen wie eine Schar von Gespenstern – ohne viel Aufsehen zu machen, ohne Getöse, ohne Waffengeklirr. Und ihr schwarzer Wimpel flattere nur selten länger als einen Tag an ein und demselben Ort.
Der April war schon vorüber. Den größten Teil des Odenwaldes hatte der Helle Haufen durchzogen. Die Horden des Bauernheeres hatten ihre Spuren hinterlassen; überall am Zugweg der Evangelischen Bruderschaft, wie sich Jäcklein Rohrbachs und Georg Metzlers Truppen jetzt offiziell nannten, flammten wie Fackeln die Burgen und Klöster, auf deren Dächer nach dem Plündern der rote Hahn gesetzt worden war. Einige mindere adlige Herren hatten sich gezwungenermaßen dem Bauernheer angeschlossen, um ihre festen Häuser vor der Brandschatzung zu retten. Unter ihnen befand sich auch ein Gottfried von Berlichingen, dessen eiserne rechte Hand, ein mechanisches Wunderwerk, berühmt war.
Balzer war Anna Elisabeth gefolgt. »Wie kann ich ein unbescholtenes Mädchen unter diesen Rüpeln allein lassen?«, hatte er als Begründung vorgebracht und sich seit Heilbronn immer in ihrer Nähe gehalten. Er wachte über ihre Sicherheit, ohne dass es ihr bewusst wurde, und sie wunderte sich manchmal, warum er darauf bestand. Aber sie fragte nicht weiter.
Hannes Rebmann hatte sie seit dem entsetzlichen Ostertag in Weinsberg nicht mehr gesehen, und sie hatte auch nicht nach ihm Ausschau gehalten. Vielleicht hatte er schon längst die hochgesteckten Ziele der Bauernschaft aus den Augen verloren wie all die anderen ständig betrunkenen, gröhlenden, Karten und Knöchel spielenden oder plündernden und Güter zusammenraffenden Rüpel, die ohne Sinn und Verstand die Tage totschlugen, wenn sie nicht gerade auf dem Marsch waren oder ein Kloster, eine Burg angriffen. Es stand zu vermuten.
Anna Elisabeth lebte wie in einem bluttriefenden Traum aus brennenden Gebäuden, schreienden, fliehenden Menschen, fluchenden Säufern und Prassern und grell herausgeputzten Trossweibern – einem Albtraum, aus dem es nur einen Ausweg gab: Sie musste Albrecht finden. Dann würde alles gut werden ...
Von Tag zu Tag wuchs ihre Sehnsucht. Dieses brennende Begehren war das einzige Gefühl, das noch in ihr war – der heiße Wunsch, Albrecht endlich wiederzusehen, in die Arme zu nehmen, zu küssen, zu spüren. Sonst empfand sie nur noch Gleichgültigkeit – selbst im Angesicht des lachenden Frühlings, der jetzt überall die Welt in ein Blütenmeer verzauberte.
Der Trosswagen, auf dem Anna Elisabeth saß und hinter dem Balzer ihr Pferd angebunden hatte, rumpelte durch die tiefen Fahrspuren einer Straße, die auf eine Stadt zulief. Ein Berg, gekrönt von einer mächtig befestigten Burg, überragte die Mauern dieser Stadt, und Balzer, der neben dem Wagen ging, sagte, es sei Würzburg.
Anna Elisabeth nickte gleichgültig.
»Der Profoss, mit dem ich eben gesprochen habe, sagte mir, ein Teil der Truppen sei schon hier«, fuhr Balzer fort. »Siehst du die Burg?« Er deutete mit dem Finger. »Die soll gestürmt werden. Sie gehört dem Erzbischof...«
Anna Elisabeth warf einen flüchtigen Blick in Richtung der Stadt und des Berges. »So«, sagte sie, ohne eigentlich zuzuhören.
»Im Augenblick wird sie belagert«, fuhr Balzer unbeirrt fort. »Nach allem, was der Profoss mir sagen konnte, war es der Geyer mit seinen Leuten, der die Belagerung vorgeschlagen hat.«
Anna Elisabeth wandte ihm den Kopf zu. Ihre Augen, die bis jetzt wie leblos gewesen waren, begannen zu glänzen. »Ob er wohl noch da ist?«, fragte sie.
»Mag sein.« Der Balzer schien es nicht genau zu wissen. »Möglicherweise ist er ja sogar derjenige, der mit seiner Truppe –«
Anna Elisabeth saß plötzlich kerzengerade. »Wie lange noch, bis wir die Stadt erreichen?«
»Eine Stunde, höchstens zwei«, sagte Balzer.
»Würde ich zu Pferd schneller dort sein?«
»Nicht wirklich.« Balzer schüttelte zur Bekräftigung seiner Worte energisch den Kopf. »Die Straße ist schlecht. Dein Tier könnte auch nicht schneller vorankommen als die Zugpferde – es sei denn, du willst, dass es sich die Beine bricht.«
»Wahrscheinlich hast du Recht.« Anna Elisabeth sah seine Bedenken ein. »Ich wollte, wir wären schon da ...«
»Warum hast du es eigentlich so eilig?«, wollte Balzer wissen. »Was zieht dich plötzlich nach Würzburg, wo du doch noch vor Augenblicken nicht einmal wissen wolltest, wie die Stadt heißt, die vor uns liegt?«
Anna Elisabeth atmete tief ein. »Florian Geyer ist dort«, sagte sie, »mit etwas Glück werde ich ihn endlich treffen.«
»Aber zu welchem Zweck?« Diesmal ließ Balzer nicht locker. »Verrate es mir. Irgendwann kriege ich’s ja doch heraus.«
»In seiner Gesellschaft ist einer, mit dem ich unbedingt reden muss«, sagte Anna Elisabeth widerstrebend. »Wirst du jetzt Ruhe geben?«
Balzer lächelte. »Bis auf Weiteres«, sagte er. In diesem Augenblick drängte sich von rechts jemand an den Trosswagen heran. »Annelies«, rief eine heisere Stimme, »Gott – dass ich dich wiedergefunden hab!«
Hannes Rebmann, in dunkelroten Halbhosen, deren Futter leuchtend weiß aus vielen schräg verlaufenden Schlitzen hervorschimmerte, ein Rapier, einen breiten Dolch und einen Katzbalger am Gürtel und ein breites, ebenfalls geschlitztes braunes Barett auf dem verfilzten Schopf, hatte mit beiden Händen die Bodenplanken des Trosswagens umfasst und wollte sich auf das langsame Gefährt aufschwingen.
Aber Balzer ließ das nicht zu. »Was willst du denn hier, Bruder?«, fragte er. »Wir haben dich nicht gerufen oder eingeladen.«
Hannes’ seltsam eingefallenes Gesicht verfärbte sich. Er starrte Balzer an und zog dabei langsam den Katzbalger, das Kurzschwert der Lanzknechte, aus der Scheide. »Weg von meiner Braut«, knurrte er, »bevor ich dir zeige, wer hier wen ruft oder einlädt!«
Damit setzte er noch einmal an, auf den Wagen zu steigen. Balzer sprang mit einem eleganten Satz vom Ochsenkarren herunter und wollte handgreiflich werden. Aber Anna Elisabeth hielt ihn zurück. »Das ist Hannes Rebmann, der Mann, der mir von meinem Vater bestimmt wurde«, ermahnte sie ihn matt. »Was er sagt, hat seine Richtigkeit. Lass ihn zu mir auf den Wagen.«
In Balzers Augen irrlichterte es. Er machte einen übertriebenen Kratzfuß und schwenkte seine Mütze, als habe er einen Herrn von Stand vor sich. »Halten zu Gnaden«, spottete er, »aber ich hatte Euer Gnaden nicht gleich erkannt ... vergebt mir gnädiglich, dass ich nicht hellsehen kann ... !«
Hannes Rebmann biss so hart die Zähne zusammen, dass die Muskeln an seinem Kiefer hervortraten, aber er stieß den Katzbalger in die Scheide zurück. Balzer trat mit einem weiteren, noch stärker übertriebenen Kratzfuß beiseite. Hannes kletterte endlich auf den Wagen. »Was tut der Kerl in deiner Nähe?«, fragte er Anna Elisabeth.
»Er hat mir geholfen«, sagte sie.
»Und warum hast du dafür nicht mich aufgesucht?« »Du hättest mich auch suchen können.«
»Hab ich ja!« Hannes griff nach Anna Elisabeths Hand und presste sie. »Aber du warst wie vom Erdboden verschluckt.«
Sie ging nicht weiter darauf ein. »Gut gekleidet bist du, Hannes«, wechselte sie mit einem Blick auf seinen Federhut die Richtung des Gesprächs.
»Du müsstest sehen, was ich sonst noch alles erbeutet hab«, verkündete er stolz. »Um Leinenzeug und Kleider brauchen wir uns im Ehestand keine Sorgen mehr zu machen.« Es sprudelte plötzlich nur so aus ihm heraus. »Feinsten Damast habe ich uns besorgt – aus den Schränken der adligen Fräulein im Stift ... wie hieß das doch gleich? Na, es kommt ja nicht mehr darauf an. Jedenfalls – nach der Hochzeit werden wir auf Laken schlafen, wie sie ein Fürst nicht feiner hat. Gefällt dir das, Schätzle?«
Anna Elisabeth rückte ein Stückchen von ihm ab. »Wenn die Zeit kommt, werden die Bauern für alles bezahlen müssen«, sagte sie.
»Aber Schätzle.« Hannes rückte nach, legte, ungeschickt wie ein junger Bär, den Arm um ihre Schultern und tätschelte sie. »Was sollte uns denn geschehen? Wir sind viele, und sie sind wenige ... Heilbronn und Rothenburg und noch mehrere andere Städte halten zu uns. Außerdem – das Recht ist immer noch auf unserer Seite!«
»Hast du Weinsberg schon vergessen?«
In Hannes’ Gesicht zuckte es. Doch er schob das Kinn vor. »Sie hatten es alle verdient«, verteidigte er das Blutbad unter der großen Linde. »Sie sind Ottern und Natterngezücht, sagt Pfaff Eysenhut, unser Feldprediger. Gott hatte seine schützende Hand von ihnen genommen. Der rechte Glaube kennt keine Fürsten und keine Obrigkeit.«
»Hannes!« Anna Elisabeth befreite sich aus seinem Griff und starrte ihm ins Gesicht. »Was in Weinsberg geschah, das war Mord – kaltblütiger, grausamer Mord. Wie sonst soll man es nennen, wenn Bewaffnete mit langen Spießen auf Unbewaffnete losgehen und sie einfach niedermachen?«
»Diejenigen, die es an Ostern getroffen hat, waren vom Adel, und der Herr hatte sie verlassen«, wiederholte Hannes Rebmann störrisch. »Ihre Zeit ist um, Annelies – wie man’s auch dreht und wendet. Zusammen mit den ungetreuen Pfaffen, den Prassern und Völlern, den Hurern und geistlichen Sündern sollen sie in den tiefsten Höllenschlund fahren, und es ist nur gerecht, wenn die Evangelischen Brüder ihnen dazu verhelfen, sagt Pfaff Eysenhut ...«
»Von der Liebe Gottes sollte euer Pfaff Eysenhut sprechen, anstatt anzuklagen und zu verfluchen«, empörte sich Anna Elisabeth. »Was ist das für ein Priester, dass er solche Dinge sagt?«
Hannes straffte sich. »Einer, der weiß, wovon er redet«, erklärte er Anna Elisabeth ernsthaft. »Er ist aus edler Familie. Aber er hat sich von den Verdammten losgesagt und hält treu zu uns.«
»Indem er euch einredet, all das Morden und Brennen und Plündern sei rechtens?«
»Davon verstehst du nichts«, brach Hannes die Unterhaltung ab. »Bei der nächsten Gelegenheit sorge ich dafür, dass du wieder nach Hause kommst.« Er suchte ihren Blick und tastete nach ihrer Hand. »Du gehörst nicht hierher, Annelies, sondern heim an den Herd. Sobald der Krieg vorbei ist und wir Hochzeit halten können –«
Sie unterbrach ihn. »Der Krieg ist nicht vorbei, und es gibt keine Hochzeit«, sagte sie, ohne ihn anzusehen, während sie ihm abrupt ihre Hand entzog.
Die Männer der Schwarzen Schar waren vor dem Frauenberg, der Residenz des Würzburger Bischofs, in Stellung gegangen. Alle Zufahrten zur Burg waren abgeriegelt; niemand konnte jetzt mehr dorthin durchkommen – nicht einmal eine Maus, wie der Meldung machende Posten sich ausdrückte.
Florian Geyer nahm den in knappe Worte gefassten Bericht persönlich entgegen, dankte und schickte den Mann dann wieder an seine Arbeit. »Wir werden sehen«, sagte er zu Albrecht Wolf von Weißenstein, der das Zelt mit ihm teilte. »Mit etwas Glück können wir die Besatzung des Frauenberges mürbe genug kochen, dass sie uns die Burg öffnen müssen. Und dann ...«
»Ein paar Tage, und sie müssten so weit sein«, meinte Albrecht optimistisch, »dann können unsere Feldschlangen die Burg sturmreif schießen. Was gilt’s, Vetter? Ich geb ihnen vier Tage ...«
Florian Geyer schüttelte den Kopf. »Ihr vergesst, dass wir keine rechten Stückmeister haben«, widersprach er. »Es ist leider nicht genug, Feldschlangen und passende Munition zu besitzen. Man braucht auch Leute, die mit ihnen umgehen können.«
»Das kann doch so schwer nicht sein.« Albrecht zuckte die Achseln. »Ist es mit den Geschützen nicht wie mit Arkebusen oder Musketen? Man lädt, man zielt, man feuert ab ...«
»Ganz recht, Vetter.« Der Geyer lachte. »Nur, dass eine Feldschlange schon etwas schwerer wiegt und es ausgesprochen umständlich ist, sie aufs Ziel zu richten ... und dass sie einem, falls man beim Laden etwas falsch macht, in Brocken um die Ohren fliegt.«
»Das kann einem mit einer Arkebuse auch passieren«, sagte Albrecht unbeeindruckt. »Wehe, das Pulver ist nicht gut eingestopft – dann geht der Schuss nach hinten los.«
»Die größte Schwierigkeit besteht aber nicht im Laden und Ausrichten, sondern darin, die Flugbahn der Kugel zu berechnen«, gab der Geyer zu bedenken. »Nur dann trifft sie – und das ist es, was unsere Leute noch immer nicht fertig bringen.«
Albrecht zog noch einmal die Schultern hoch. »Ich wette, ich könnte das Richten einer Feldschlange an einem Tag lernen ... mit ein paar Probeschüssen.«
»Mag sein«, erwiderte Florian Geyer, »ich trau’s Euch zu, aber dafür ist nicht die Zeit, Vetter. Ich brauche Euch, um die Truppen einzuteilen und mit mir den Sturm zu führen, wenn’s so weit ist.« Er starrte mit plötzlich verschlossenem Gesicht hinaus in die sinkende Nacht. »Gebe Gott, dass wir es schaffen, den Frauenberg mit unseren Leuten einzunehmen und den Bischof zum Verhandeln zu zwingen. Auf die Bauern und ihre Kanonen setze ich so gut wie keine Hoffnung mehr ...«
»Aber es sind alles kräftige, ausdauernde Kerle«, widersprach Albrecht einigermaßen verwundert, »Tausende und Abertausende von ihnen! Wie kommt es, dass Ihr ihnen so wenig zutraut? Sie haben doch bewiesen, dass sie sich schlagen können, und –«
»Der Helle Haufen besteht leider inzwischen aus Großmäulern, Säufern und Räubern«, sagte Florian Geyer mit plötzlich tonloser Stimme. »Er wird angeführt von zwei wahnsinnig gewordenen Gastwirten und einer geilen, feilen Hexe, die ebenfalls nicht mehr recht bei Sinnen ist. Und die Bauern, die wirklich wussten, um was es geht – die haben es inzwischen längst vergessen und geben sich wie die Übrigen dem Plündern, Sengen und Brennen hin. Nein, Vetter«, er sah Albrecht mit ausdrucksloser Miene an, »wir stehen allein da. Und da ich’s erwähne – der Luther hat unsere Sache ebenfalls verraten.« Albrecht erschrak. »Wie das?« fragte er.
»Zuerst durch die Antwort, die er auf unsere Frage gab, ob ein Krieg gegen die Obrigkeit gerechtfertigt sei«, sagte Florian Geyer langsam. »Der hochgelahrte Doktor schrieb uns, in keinem Fall dürfe gegen die Herren Krieg geführt werden, denn Gott selbst habe sie ja über uns gesetzt. Damit bestätigte er das alte Unrecht, gegen das wir zu Felde ziehen. Und zweitens ...«
Er sprach nicht weiter, sondern legte für einen Augenblick die Hand über die Augen, als sei er sehr müde.
Albrecht sah es mit Erstaunen. »Und zweitens«, forderte er Florian Geyer zum Weiterreden auf, »was zweitens?«
»Zweitens hat er einen Traktat losgelassen mit dem Titel: Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern«, sagte der Geyer. »Darin fordert er Fürsten und Kirchenmänner auf, ohne Erbarmen zurückzuschlagen – zu morden, zu schlachten, zu schinden, was sich gegen die Obrigkeit erhebt. Wahrhaftig«, er verzog das Gesicht zu einem steinernen Lächeln, »der würdige Doktor und ehemalige Klosterbruder, jetzt Ehemann einer Nonne – dieser ehrenwerte Mann des Geistes liefert den Fürsten mit seinem höchst wissenschaftlich abgefassten Hetzblatt sozusagen einen göttlichen Freibrief, noch übler zu wüten als bisher. Das nenne ich Reine Lehre!«
»Lieber Himmel.« Mehr brachte Albrecht nicht heraus.
»Das Schlimmste ist aber, dass er Recht hat, was das Verhalten der Bauern betrifft«, sagte Florian Geyer zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Sie sind tatsächlich mörderisch und räuberisch – wer könnte das noch bestreiten? Sie gehören allesamt vor Gericht. Besonders der Jäcklein Rohrbach hat der Sache so unendlich geschadet, dass es niemals wieder gutgemacht werden kann.«
Albrecht fröstelte plötzlich. »Vetter«, sagte er, »Ihr hört Euch an, als hättet Ihr überhaupt keine Hoffnung mehr, den Krieg zu gewinnen. Was denkt Ihr wirklich?«
»Ich sagte es ja schon«, gab Florian Geyer zurück, »wir stehen allein da. Was wir brauchen, sind ein paar nützliche Siege ... zum Beispiel hier vor dem Frauenberg. Denn dem Wendel Hipler hört seit dem Gemetzel von Weinsberg niemand mehr zu ...«
Albrecht erinnerte sich wieder daran, dass in Heilbronn Verhandlungen zwischen den Fürsten und den Vertretern der Bauernschaft stattgefunden hatten. »Wie kommt Ihr darauf?«, fragte er erstaunt. »In Heilbronn ist doch –«
»In Heilbronn ist viel geredet worden«, sagte Florian Geyer, »aber nicht über die Zwölf Artikel.« Seine Stimme klang belegt, wie immer, wenn er zornig war. »Die Nachricht von Jäcklein Rohrbachs Schandtat hat vollkommen ausgereicht, um die Verhandlungen zum Stillstand kommen zu lassen. Beinahe jeder der Teilnehmer auf seiten der Herren hatte schließlich einen Verwandten unter den Opfern zu beklagen.«
»In anderen Worten – sie haben den Hohenlohe’schen Kanzler reden lassen und ihm eine Antwort versagt?«
»Schlimmer noch.« Florian Geyer verzog sarkastisch das Gesicht. »Man hat ihm geraten, die Seiten zu wechseln, solange er’s noch kann.«
»Aber er wird’s natürlich nicht tun.«
»Genauso wenig wie wir.«
»Und was soll nun werden?«, fragte Albrecht.
»Auch das sagte ich schon«, erwiderte der Geyer langsam. »Könnten wir den Frauenberg erstürmen und den Bischof auf unsere Seite zwingen, dann wäre viel gewonnen. Das Bauernheer müsste dann nur noch die nächste Schlacht bestehen ...«
»Gegen wen?«
»Die Herren des Schwäbischen Bundes haben ein Lanzknechtsheer aufgestellt«, murmelte Florian Geyer. »Der Truchsess von Waldburg führt es, und den kenne ich ...«
»Hab auch von ihm gehört«, murmelte Albrecht. »Er soll ein harter Mann sein.«
»Vor allem ist er wütend entschlossen, dem Treiben der Bauern ein Ende zu setzen«, erwiderte der Geyer mit tief gerunzelter Stirn. »Seine Truppen sind auf dem Marsch ... mag sein, dass schon in ein paar Tagen das Treffen mit dem Hellen Haufen fällig ist.«
Draußen war es mittlerweile beinahe vollständig Nacht geworden. Aber die Stille, die bis jetzt geherrscht hatte, wurde mehr und mehr von Geräuschen unterbrochen – Hornsignale schallten auf, schwere Räder knirschten, Hufe stampften oder trampelten langsam fürbass, Marschtritte erzeugten einen vibrierenden Rhythmus ...
»Da kommt der Rest der Evangelischen Bruderschaft«, sagte der Geyer. In seiner Stimme schwang Müdigkeit mit. »Die Kerle werden wahrscheinlich wieder die ganze Nacht brauchen um auszulosen, wohin sie ihre Zelte stellen dürfen. Ich ziehe mich zurück, Vetter.« Er sah Albrecht an. »Was ist mit Euch?«
Albrecht schüttelte den Kopf. »Ich könnte jetzt noch kein Auge zutun«, sagte er, »und darum werde ich mir noch einen Überblick über die Zahl der Bauern verschaffen. Es heißt, der Berlichingen ist mit seinen Leuten auch dabei. Vielleicht finde ich ihn und kann ihn ein bisschen ausfragen.«
Florian Geyer nickte. »Bis später dann.« Er ging ins Zelt und schloss die Eingangsklappe. Albrecht wanderte langsam durch die Lagergasse zu dem großen freien Platz hinüber, auf dem inzwischen die ersten Trosswagen angelangt waren. Männer liefen mit Pechfackeln hin und her, um den Fuhrwerken den Weg zu beleuchten. Eben rollte mit knirschenden Rädern ein Ochsengespann herein. Es war hoch beladen mit Säcken, die Gott weiß was enthielten, und neben dem Fuhrmann mit drei weiteren Personen besetzt.
Albrecht kniff die Augen zusammen. Den einen der Männer, den, der neben dem Fuhrmann saß – den kannte er doch! War das nicht dieser Müller aus Annas Dorf – dieser Rebmann?
Gott, hatte der Kerl sich malerisch herausgeputzt ... trug eine dunkelrote, geschlitzte Hose und ein Federbarett, das sich auf seinem ungepflegten Strubbelhaar allerdings recht sonderbar ausnahm. Der andere, ein schlanker Mensch mit einem Gaunergesicht und Wieselaugen, war dagegen viel bescheidener gekleidet, obwohl dem die bunte Pracht besser zu Gesicht gestanden hätte ...
Die dritte Person in der Mitte zwischen dem Ochsentreiber und Hannes Rebmann war sehr viel kleiner von Statur und in einen dicken dunklen Mantel eingepackt, dessen Kapuze das Gesicht so gut wie ganz verhüllte. Albrecht konnte es nicht erkennen. Dennoch begann sein Herz unvermittelt wie wild zu schlagen, und er musste an Anna denken.
Ob sie so oft an ihn dachte, wie er an sie? Ob sie wohl auch so sehnsuchtsvoll von ihm träumte? Albrecht blieb einen Augenblick am Rand des Platzes stehen und sah zu, wie der mit den Ochsen bespannte Wagen langsam an die Stelle rollte, die ihm angewiesen wurde.
Der Rebmann stieg vom Bock. Ihm folgten der Fuhrmann und der andere Bursche. Die kleine Gestalt in dem dicken, alles verhüllenden Mantel blieb oben sitzen. Aber sie warf die Kapuze ab ...
Albrecht sah ihr Profil im Schein der Fackeln. Die feine Nase, die steile, gerundete Stirn, der hübsche Mund mit den leicht aufgeworfenen Lippen, die welligen, dunkel schimmernden Haare – all dies gehörte zu einer Frau. Und es gab auf der Welt nur eine Einzige mit so viel Anmut ...
Er starrte zu ihr hinüber. Sie war hier. Der Kerl, dieser Rebmann, hatte sie mit hierher gebracht und setzte sie all den Gefahren aus, die einer unbescholtenen Frau in einem Feldlager drohten. Wie konnte er es wagen ...!
Jetzt hatte der Müller ihn entdeckt und schwenkte den Arm. »Holla«, rief er, »so sieht man sich wieder!«
Anna Elisabeth hatte den Kopf umgewendet und ihn ebenfalls gesehen. Für einen Moment saß sie stocksteif da. Dann, blitzschnell wie eine Schlange, glitt sie vom Bock des Fuhrwerks herunter, raffte ihren langen Umhang und lief zu ihm herüber. Nur Augenblicke, und sie stand vor ihm.
Albrecht und Anna Elisabeth sahen sich an. Sekundenlang tauchten ihre Blicke tief ineinander. Albrecht war wie gebannt. Doch Anna warf die Arme um seinen Hals und suchte seine Lippen. »Ich musste zu dir«, wisperte sie an seinem Mund, »es hat mich nicht mehr zu Hause gehalten, Liebster ...«
Er fühlte sich schwindlig. Seine Arme schlossen sich wie aus eigenem Antrieb um ihre schlanke Gestalt und pressten sie fest an sich. Mit all der Sehnsucht, die sich in ihm angestaut hatte, nahm er ihre Lippen in Besitz und küsste sie mit wilder Inbrunst. Anna Elisabeth schmiegte sich in seine Umarmung, lehnte sich an ihn, erwiderte seinen Kuss mit dem gleichen leidenschaftlichen Verlangen. Und beide nahmen die Welt um sie her nicht mehr wahr.
Hannes Rebmann war ein paar Schritte von ihnen entfernt stehen geblieben. Entgeistert starrte er das Paar an, das da eng umschlungen, in einen Kuss versunken, vor ihm stand. Er brauchte mehrere Atemzüge, um seiner Überraschung Herr zu werden. Dann aber zog er mit einer ungeschickten Bewegung sein Rapier aus der Scheide. »Lass die Finger von meinem Mädchen«, schrie er rasend vor Zorn, »oder ich hack dich in Stücke, adliger Hund!«
Anna Elisabeth hatte das Zischen gehört, mit dem die Waffe aus der Scheide gefahren war. Sie ließ Albrecht los und drehte sich erschrocken zu Hannes um. Albrecht legte die Schwerthand auf den Knauf seines Degens. »Dein Mädchen?«, sagte er tief einatmend zu Hannes Rebmann. »Ich denke, der Augenschein spricht dagegen, Bauerntölpel!«
Hannes Rebmann schäumte. Er drang mit der blanken Waffe auf Albrecht ein. »Zieh«, schnaubte er, »oder willst du dich feige davonstehlen, nachdem du meiner Annelies die Ehre genommen hast?«
»Wohl kaum«, sagte Albrecht kalt. »Aber ihre Ehre hat sie noch und wird sie auch behalten, du Tropf von einem lächerlichen –«
Er kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu vollenden. Hannes Rebmann schwang die Waffe. Sein Hieb musste pariert werden. Albrecht blieb nichts, als ebenfalls blank zu ziehen und den ungeschickt geführten Angriff abzuwehren. Hannes’ Rapier flog in den aufgewühlten Dreck des Lagerplatzes.
Er lief hin, bückte sich hastig danach. Und der Wolf von Weißenstein ließ ihm Zeit genug. Doch Anna Elisabeth, die bis jetzt wie erstarrt dabeigestanden hatte, stellte sich mit einem langen Schritt zwischen die Streitenden. »Hannes«, sagte sie laut, »du kannst dir jedes weitere Gefecht schenken, denn Albrecht hat Recht. Ich bin nicht mehr dein Mädchen.«
Auf diese Worte blieb Hannes mitten in der Bewegung stehen. Langsam wanderte sein Blick zu Anna Elisabeth und suchte ihre Augen. »Was sagst du da«, stammelte er mit rauer Stimme, »wie kommst du dazu, so etwas zu behaupten?«
»Es ist wahr«, gab Anna Elisabeth zurück. »Herr Albrecht und ich – wir sind uns einig, dass wir –«
»Ihr seid euch ... was?« Hannes holte tief Luft. »Du bist mein – und schon seit so vielen Jahren. Weißt du nicht mehr, was du deinem Vater auf dem Sterbebett versprochen hast?«
»Nichts habe ich ihm versprochen«, erwiderte Anna Elisabeth ruhig. »Er wollte, dass ich dich nehme, Hannes – aber ich liebe dich nicht, und ich kann nicht die Frau eines Mannes werden, dem mein Herz nicht gehört.«
»Dein Herz – dein Herz ... !« Hannes Rebmanns Gesicht färbte sich langsam tiefrot. »Was hat denn das Herz damit zu tun? Wir haben eine Übereinkunft – und die musst du einhalten. Willst du dein Wort brechen, Annelies?«
»Aber du hast mein Wort ja nicht«, widersprach Anna Elisabeth. »Du hast nur das Wort meines Vaters. Sonst nichts.«
Hannes Rebmanns Blick hing nach wie vor an ihren Augen. »Ich könnte dich zwingen«, sagte er langsam.
Albrecht, der bis jetzt geschwiegen hatte, mischte sich ein. »Wie wolltest du das wohl machen, Rebmann? Vergiss nicht – auch ich habe mitzureden. Denn Anna hat mir ihr Wort gegeben – und ich ihr meins.«
Langsam ließ Hannes Rebmann den Blick von Anna Elisabeth zu Albrecht hinüberwandern. »Raubritter«, kam es hasserfüllt von seinen Lippen, »willst du mir drohen? Eins merke dir: von deinesgleichen lasse ich mir mein Mädchen nicht streitig machen – das wäre, als würde ich Annelies einem Straßenräuber überlassen.« Er riss das Rapier, das er verloren hatte, vom Erdboden hoch und schwang es wild durch die Luft. Die Waffe machte ein scharfes, sausendes Geräusch. »Komm, Heckenreiter – wehr dich! Du wirst mich erst umbringen müssen, bevor du dir nehmen kannst, was mein ist!«
Albrecht hob seinen Degen, um den Schlag abzuwehren, der jetzt erfolgen musste. Doch wieder warf Anna Elisabeth sich dazwischen. »Genug«, rief sie, außer sich vor Zorn, »ich dulde nicht, dass um mich gestritten wird wie um eine Ware!«
Albrecht senkte die Waffe wieder. Doch Hannes Rebmann ließ sich nicht mehr von seinem Vorsatz abhalten. »Du wirst es schon leiden müssen, Annelies«, stieß er hervor, »dass ich diesen adligen Schurken aus dem Weg räume. Es ist mein Recht!«
Damit drang er auf Albrecht ein. Doch der steckte mit einem sanften Blick auf Anna Elisabeth seinen Degen in die Scheide. Dann hob er beide Hände. »Ich fechte nicht mit dir, Rebmann«, sagte er entschlossen. »Stich mich ab, wenn du es fertig bringst, einen Wehrlosen zu töten.«
Hannes Rebmann hielt in der Bewegung inne. Ein Ausdruck der Unsicherheit und des hilflosen Zorns breitete sich auf seinem Gesicht aus; er wusste nicht, wie er sich jetzt verhalten sollte. »Feigling«, knirschte er, »nicht einmal kämpfen willst du um sie?«
»Du irrst dich, Rebmann«, erwiderte Albrecht in ruhiger Gelassenheit, »für sie würde ich gegen alle Feinde dieser Welt antreten, wenn es sein müsste. Aber Anna hat uns beiden doch deutlich gemacht, was sie will. Darum respektiere auch du ihren Wunsch. Gib sie frei – und zwischen uns soll Frieden herrschen.«
Hannes Rebmann war jetzt blutrot geworden. »Frieden?«, schrie er unbeherrscht. »Nie ... niemals kann Frieden sein zwischen einem Bauern und einem ... Wolf von Weißenstein!«
Er sah Anna Elisabeth an, doch die begegnete seinem Blick mit abweisender Kälte. »Ich liebe ihn, Hannes«, sagte sie hart. »Daran wirst du nichts ändern – und solltest du Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Ich bin sein, nicht dein. Das musst du verstehen.«
Einen Augenblick ruhte Hannes Rebmanns Blick suchend auf ihrem Antlitz. Dann, als er keine Nachgiebigkeit, kein Verständnis mehr darin finden konnte, senkte er den Kopf. »Dann geh doch«, grollte er, »geh und wirf diesem Hund deine Ehre in den Rachen ... und möge es dir so vergolten werden, wie du es verdienst, Hure ... !«
Albrechts Hand fuhr wieder nach der Klinge. Doch Anna Elisabeth hielt sie fest. »Er weiß nicht, was er sagt, Albrecht«, beruhigte sie ihn, »weil er nicht versteht, was mit uns ist. Lass ihn – mit der Zeit wird er es schon begreifen und seine Ruhe wiederfinden.«
Damit schob sie die Hand unter seinen Schwertarm, hängte sich bei ihm ein und zog ihn weg. Er folgte widerstrebend. Hannes Rebmann blieb mit seiner hilflosen Wut allein zurück.
Sie gingen langsam und Hand in Hand. Die Wachfeuer, die vor den Zelten des Lagers brannten, waren kleine helle Funken in der Ferne, die mehr und mehr vom Dunst der sinkenden Nacht verhüllt wurden. Albrecht schritt wie im Traum neben Anna Elisabeth; die unfassbare Tatsache, dass sie, nach der er sich so sehr gesehnt hatte, wahrhaftig bei ihm war, nahm ihm für den Augenblick die Sprache.
Anna Elisabeth schien es, als schwebe sie. Seine Hand, die ihre hielt, war warm und wirklich; sein Puls war deutlich zu fühlen – stark und stetig und so schnell wie ihrer. Er hatte sich für sie ausgesprochen vorhin, in Gegenwart von Hannes Rebmann, und alles war klar. In Anna Elisabeth waren keine Fragen mehr – so wenig, wie sie je Zweifel an ihrer Liebe gehabt hatte, so wenig zweifelte sie jetzt noch an seiner. Ihr Herz sang. Es war Frühling.
Albrecht hielt auf eine kleine Baumgruppe zu, die am Fuß des steilen Anstiegs zur Burg aufragte, und in deren unmittelbarer Nähe keine Zelte standen. Hier war es still; niemand störte hier den Zauber der Frühlingsnacht. Unter den Ästen einer jung belaubten Buche, dicht am silbrigen Stamm des Baumes, war weiches Gras, das zum Ruhen einlud. Albrecht setzte sich und zog Anna Elisabeth mit sich auf den dichten Rasen nieder. »Ich bin überwältigt«, flüsterte er, »etwas Schöneres als deine Gegenwart hätte ich mir nicht einmal in meinen Träumen ausmalen können ...«
Sie antwortete nicht gleich, sondern schmiegte sich nur an ihn. Nach einer Weile sagte sie leise: »Weißt du – ich hatte schon die Hoffnung verloren, dich je wiederzufinden. Dann plötzlich sah ich dich, und ich wusste, dass ich dich von jetzt an nie mehr verlieren werde.«
»Mein liebes Herz ...« Er schlang die Arme um sie und hielt sie ganz fest. »Ich wäre bald zu dir zurückgekehrt, und dann hätte ich dich einfach mit mir fortgeführt. Wenn die Sache entschieden ist, für die wir streiten – dann wird es keine Grenzen, keine trennenden Klüfte mehr zwischen uns geben. Alle Menschen werden gleich sein – nicht nur vor Gott, sondern auch vor aller Welt. Und es wird unwichtig sein, wes Standes einer ist...«
»Glaubst du das wirklich, Albrecht?«
Er nickte. »Ganz sicher. Aber für den Fall, dass doch einer nach deiner Herkunft fragen sollte, habe ich vorgesorgt«, fügte er lächelnd hinzu, während er einen zarten Kuss auf ihre Wange drückte.
Sie hob ihm das Gesicht entgegen. »Was hast du getan?«, wollte sie wissen.
Er lachte leise. »Ein begabter junger Scholar arbeitet gerade an deinem neuen Stammbaum«, antwortete er.
»Was?«
»Ja«, erklärte er ihr. »Der Mann ist auf Weißenstein und zeichnet ihn für uns auf. Wir werden keine Mühe haben, deine edle Abstammung nachzuweisen, falls es wider Erwarten doch notwendig werden sollte.«
»Warum sollte denn jemand –«
Er nahm ihre Hand. »Anna«, sagte er fest, »das Leben wird leichter für dich sein, wenn wir vom gleichen Stand sind. Glaube mir.«
»Ach, Albrecht.« Sie suchte seinen Mund und küsste ihn heftig. »Das alles ist so unwichtig ... für mich zählt nur, dass wir zusammen sind!«
Bei ihrer wilden Berührung durchlief ihn ein Zittern, das tief aus seinem Innern kam. »Für mich auch«, wisperte er, »aber ich will –« »Du willst das Gleiche wie ich«, nahm sie ihm das Wort aus dem Mund. »Du willst mich – und ich will dich. Jetzt gleich ... !«
Das Beben, das ihn erfasst hatte, war so stark, dass er es kaum noch beherrschen konnte. »Was ich sagen wollte, war doch ...«, begann er.
Sie ließ ihn nicht mehr zu Wort kommen. »Ganz gleich, was es war«, unterbrach sie ihn, »diesmal wirst du mich nicht abweisen, Liebster. Ich spüre ja, dass du mich so sehr begehrst, wie ich dich. Du bist mein, hast du Hannes Rebmann gesagt. Und ich will haben, was mir gehört, Albrecht ... jetzt gleich ... ohne Wenn und Aber ...«
Eine Erregung erfasste ihn, gegen die es keine Gegenwehr gab. Ihr Mund war ganz nah, lockte ihn übermächtig. Und was waren das auch für lächerliche Gründe, die ihn bis jetzt davon abgehalten hatten, ihrem Verlangen nachzugeben? Er empfand ja die gleiche heiße Begierde, die aus ihren Worten sprach.
»Ohne Wenn und Aber ...«, wiederholte er flüsternd, während er der Lockung nachgab und ihre Lippen mit seinem Mund berührte. »Dann soll es so sein, Liebste – weil auch ich endlich will, was mir gehört ...«
Sie küssten sich, aber nicht so, wie es bisher geschehen war, sondern in aller glühenden Ehrlichkeit. Unter dem Frühlingsmond, der hoch am Himmel stand, entkleideten sie sich und sahen sich zum ersten Mal unverhüllt, betrachteten einander in anbetender Bewunderung, gaben sich zum ersten Mal neuen Zärtlichkeiten hin, erforschten mit streichelnden Händen ihre Körper und berührten sich inniger als je zuvor.
Anna empfand seine Leidenschaft wie eine Huldigung. Sie gab ihm ohne Scheu, wonach er mit wortlosen Gesten verlangte. Als er an der Schwelle zu ihr zögerte, umarmte sie ihn mit drängender Sehnsucht und flüsterte ihm ins Ohr: »Ohne Wenn und Aber ...«
Albrecht folgte ihrer Forderung mit glühender Heftigkeit. Den Schmerz der Vereinigung nahm sie nicht einmal wahr. Zu groß war ihr Wunsch, ganz ihm zu gehören und ihn ganz zu ihrem Eigen zu machen.
Noch eine Weile, nachdem der Höhepunkt überschritten war und ihre wundersame, köstliche Erregung nachgelassen hatte, lagen sie Herz an Herz unter dem Sternenhimmel und horchten auf ihre langsam ruhiger werdenden Atemzüge. Erst nach und nach fanden sie die Sprache wieder, sagten sich mit zitternden Lippen neu erfundene Liebesworte, lösten sich zögernd aus ihrer Umramung.
»Jetzt ist unser Bund besiegelt«, wisperte Anna Elisabeth, »und es kann nicht Sünde sein, was wir getan haben – dazu war es zu ernst...«
»O ja, meine wilde Rose«, antwortete Albrecht im Flüsterton, »viel zu ernst. Aber wir waren ja schon zutiefst verbunden, bevor wir –«
»Still«, hauchte Anna Elisabeth und legte ihm den Finger auf die Lippen. »Hörst du ... die Nachtigall ...«
»Sie verkündet unsere Hochzeit«, gab Albrecht zurück. »Sie soll es allen sagen, dass wir für immer zusammengehören!«
Anna Elisabeth schmiegte sich noch einmal an ihn. Doch die Kühle der Nacht wurde ihnen beiden wieder bewusst. Widerstrebend kleideten sie sich an; Albrecht hüllte seine Liebste in den warmen Mantel und half ihr vom Boden auf. In der Nähe stand ein kleiner Schober, in dem Stroh gelagert war. Hier hinein führte er Anna Elisabeth.
»Ab morgen schaffe ich dir eine standesgemäße Unterkunft«, sagte er, nachdem er ihr ein Bett bereitet hatte. »Eine Frau von Weißenstein muss sich nicht mit einem Lager wie diesem zufrieden geben ...«
Anna Elisabeth lehnte sich in träger Glückseligkeit an seine Brust. »Wenn du nur bei mir bist«, gab sie zurück, »dann nehme ich selbst mit hartem Stein oder dem nackten Erdboden vorlieb.«